KAPITEL 7
MEIN LETZTES JAHR UND DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG:
2016–2017
S chon vor dem 40. Geburtstag war uns allen klar gewesen, dass der Führungswechsel nicht so reibungslos verlaufen würde, wie wir gehofft hatten. Doch in den Monaten darauf spitzten sich unsere Probleme auf eine Weise zu, auf die wir nicht vorbereitet waren. Dem Anlagebereich von Bridgewater ging es besser als je zuvor, doch andere Teile des Unternehmens, beispielsweise Technologie und Recruiting, gerieten ins Rutschen.
Ich war nicht mehr der CEO, und als Chairman bestand meine Aufgabe nicht darin, das Unternehmen zu leiten, sondern darin, die CEOs zu beaufsichtigen, um sicherzustellen, dass sie das Unternehmen gut leiten. Und Greg Jensen und Eileen Murray, die zu dieser Zeit beide als CEOs fungierten, waren eindeutig überfordert. Wir waren uns zwar einig, dass das Unternehmen nicht richtig geführt wurde, aber wir waren uns nicht einig darüber, was deswegen zu tun wäre. Meinungsverschiedenheiten wie diese waren nicht überraschend, weil wir stets wollen, dass jeder unabhängig denkt und sich für das einsetzt, was er für am besten hält. Aus diesem Grund haben wir unsere Prinzipien und Prozesse.
Über einige Wochen tauschten wir also unsere Meinungen aus. Dann präsentierten die wichtigsten Beteiligten ihre Sichtweisen und Empfehlungen vor dem Management Committee und unserem Stakeholders Committee (im Wesentlichen der Aufsichtsrat von Bridgewater), die sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten beschäftigten und letztlich darüber abstimmten. Die wichtigste Entscheidung aus diesem Prozess wurde im März 2016 bekannt gegeben: Greg sollte seine Position als Co-CEO aufgeben, um sich ganz seiner Rolle als Co-Chief Investment Officer zu widmen (die er zusammen mit Bob Prince und mir innehatte), und ich sollte vorübergehend Eileen als Co-CEO unterstützen, während wir die strukturellen Veränderungen umsetzten, die gebraucht wurden, damit Bridgewater ohne mich gut funktionieren kann.
Das war zwar nicht das Ergebnis, dass sich irgendjemand von uns erhofft hatte, als ich den Posten des CEO an andere abtrat, doch es kam nicht vollkommen unerwartet. Unsere Schwierigkeiten waren seit einer Weile offensichtlich gewesen, und wir hatten verschiedene Schritte zu ihrer Behebung unternommen. Wir wussten, dass ein Wechsel in der Führung nie einfach ist, und unsere Arbeitsweise lautete schon immer: versuchen, scheitern, diagnostizieren, neue Pläne machen und erneut versuchen. Das war es. Jetzt ging es dabei eben um einen Führungswechsel.
Trotzdem war dieser Misserfolg schmerzlich, vor allem für Greg und mich. Mir wurde klar, dass ich Greg eine zu schwere Last aufgebürdet hatte, als ich ihn sowohl als Co-CEO als auch als Co-CIO vorgesehen hatte. Ich bereue diesen Fehler mehr als jeden anderen in meiner Führung von Bridgewater, weil er sowohl uns beiden persönlich als auch dem Unternehmen geschadet hat. Ich war nicht nur Gregs Mentor gewesen, er war für mich fast 20 Jahre lang wie ein Sohn gewesen. Er und ich wollten und gingen davon aus, dass er das Unternehmen einmal leiten würde. Der Schmerz dieses Misserfolgs wurde, vor allem für Greg, noch schlimmer durch die reißerischen und unkorrekten Darstellungen in den Medien. Ein Artikel nach dem anderen berichtete über einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei Titanen statt darüber, was wirklich geschehen war: Menschen, die Bridgewater liebten, hatten getreu dem Prinzip der Ideen-Meritokratie ihre Meinungsverschiedenheiten ausgetragen. Für Greg war dies seine persönliche Abgrunderfahrung auf seinem eigenen Heldenweg – ebenso wie für mich und eine Reihe von weiteren Bridgewater-Führungskräften, und zwar nicht nur, weil sie so schmerzhaft war, sondern auch, weil sie uns zu einer Metamorphose führte, die uns weitaus besser machte.
Greg ist 25 Jahre jünger als ich. Ich denke oft daran, wo ich in seinem Alter stand und wie viel ich in den Jahren danach gelernt habe. Ich weiß, dass Greg in Zukunft noch auf seine eigene Weise bemerkenswert erfolgreich sein wird. Ich freute mich darüber, dass wir beide stärker aus dieser Zeit hervorgegangen sind, und besonders darüber, dass unsere Systeme für die Identifizierung und Lösung von Problemen so gut funktioniert hatten, wie es der Fall gewesen war. Zwar hatten wir alle unterschiedliche Sichtweisen, doch der Fall bestätigte unsere Überzeugung, dass unser kollektiver Prozess zur Entscheidungsfindung in einer Ideen-Meritokratie bessere Ergebnisse produziert, als es jeder von uns allein geschafft hätte. Einen solchen Prozess zu haben, hat uns, zusammen mit unseren tiefen Beziehungen, zusammengehalten.
Erneut wurde mir klar, dass mein Nichtwissen erheblich größer war als mein Wissen – in diesem Fall hatte ich nicht gewusst, wie ich mich aus der Gründer-und-Chef-Rolle zurückziehen sollte. Also bat ich einige der besten Experten, die ich finden konnte, um Rat. Vielleicht die besten Empfehlungen bekamen wir von Jim Collins, der uns sagte: »Für einen guten Übergang müsst ihr nur zwei Dinge tun: fähige CEOs installieren und ein leistungsfähiges Governance-System haben, um die CEOs zu ersetzen, falls sie doch nicht fähig genug sind.« Genau das hatte ich zu tun versäumt, und jetzt gab es eine zweite Möglichkeit, es richtig zu machen. Also begann ich auf eine Art und Weise über Governance nachzudenken wie noch nie zuvor.
Einfach ausgedrückt, ist Governance ein System von Kontrollen und Gegengewichten, das sicherstellt, dass eine Organisation stärker ist als die Person, die sie über einen bestimmten Zeitraum leitet. Weil ich der Gründer und Unternehmer war, hatte ich Bridgewater 35 Jahre lang ohne formale Regeln für Kontrollen und Gegengewichte zu mir geleitet (auch wenn ich ein informelles Governance-System eingerichtet hatte, das vorsah, dass ich zur Kontrolle meiner Entscheidungen unserem Management Commitee unterstellt war).
Für mich hatte dieses informelle System funktioniert, doch ohne mich konnte es nicht mehr korrekt laufen. Ganz eindeutig mussten wir ein neues Governance-System einrichten, das Bridgewater erlauben würde, seine einzigartige Art und seine kompromisslosen Standards unabhängig davon aufrechtzuerhalten, wer gerade an der Spitze steht – und es musste robust genug sein, falls nötig das Management des Unternehmens umzustellen. Also machte ich mich daran, diesen Plan mit der Hilfe von anderen Menschen umzusetzen, und wir sind immer noch damit beschäftigt.
Wie ich gelernt hatte, ist es falsch, davon auszugehen, dass eine Person, die in einer bestimmten Rolle erfolgreich ist, auch in einer anderen erfolgreich sein wird, und dass die Arbeitsweise einer bestimmten Person auch für eine andere gut funktioniert. Das schwierige Jahr hat mich zudem viel über die Menschen um mich herum gelehrt, vor allem über David McCormick und Eileen Murray, die ebenso wie viele andere ihren Einsatz für unsere gemeinsame Mission zeigten. Es gab einige Misserfolge, auf die wir lieber verzichtet hätten, aber das war angesichts unserer besonderen Kultur von Versuch und Irrtum und des Lernens aus Fehlern zu erwarten gewesen. Dank der Veränderungen, die wir vornahmen, konnte ich nach einem Jahr, im April 2017, meinen vorübergehenden Einsatz als Co-CEO wieder beenden.
Ich schreibe diese Worte im Jahr 2017, und ich betrachtete dieses Jahr als das letzte meines Übergangs von der zweiten in die dritte Phase meines Lebens. Bald werde ich mein Wissen, das ich auf meinem Weg gesammelt habe, vollständig weitergegeben haben, und, wie es Joseph Campbell ausdrückt, frei zum Leben und zum Sterben sein. Doch jetzt denke ich noch nicht an das Sterben. Ich denke an ein freies Leben, und ich freue mich darauf.