KAPITEL 8
BLICK ZURÜCK VON EINER HÖHEREN WARTE
W enn ich auf meine Erlebnisse und Erfahrungen zurückblicke, finde ich es interessant, darüber nachzudenken, wie sich meine Sichtweise im Lauf der Zeit verändert hat.
Als ich anfing, schien mir jede meiner Irrungen und Wirrungen, ob an den Märkten oder im Leben allgemein, enorm groß und dramatisch nah. Es war, als würde ich in schneller Folge Erfahrungen machen, bei denen es um Leben oder Tod ging.
Mit der Zeit und mit mehr Erfahrung habe ich jede dieser Begegnungen zunehmend als »noch so einen Fall« betrachtet, den ich ruhiger und analytischer angehen konnte – ganz so, wie vielleicht ein Biologe eine Begegnung mit einem gefährlichen Tier im Dschungel angeht: Erst identifiziert er die Spezies und nutzt dann sein vorhandenes Wissen über das zu erwartende Verhalten, um angemessen zu reagieren. Wenn ich mit Situationen konfrontiert war, die ich ähnlich bereits erlebt hatte, nutzte ich die Prinzipien, die ich für den Umgang mit ihnen gelernt hatte. Doch wenn ich auf Situationen stieß, die ich noch nicht kannte, erlebte ich schmerzhafte Überraschungen. Als ich mich dann näher mit all diesen schmerzhaften Erstbegegnungen beschäftigte, stellte ich fest, dass die meisten davon zwar mir selbst noch nie zuvor passiert waren, durchaus aber anderen Menschen zu anderen Zeiten und an anderen Orten. Dadurch entwickelte ich einen gesunden Respekt vor der Geschichte, einen Hunger danach, ein universelles Verständnis von der Funktionsweise der Realität zu bekommen, und den Wunsch, zeitlose und universelle Prinzipien für den Umgang mit ihr zu entwickeln.
Als ich sah, wie dieselben Dinge immer wieder passierten, begann ich, die Realität als riesiges Perpetuum mobile zu verstehen, in dem Ursachen zu Wirkungen werden, die zur Ursache für neue Wirkungen werden und so weiter. Mir wurde klar, dass die Realität vielleicht nicht perfekt ist, aber auf jeden Fall das, womit wir zurechtkommen müssen. Bei jeglichen Problemen und Enttäuschungen, die in ihr auftraten, war es also produktiver, dass ich mich um eine Lösung bemühte, statt darüber zu klagen. Ich entwickelte die Überzeugung, dass meine Begegnungen Prüfungen für meinen Charakter und meine Kreativität waren. Mit der Zeit lernte ich zu schätzen, welch winziger und kurzlebiger Teil des bemerkenswerten Gesamtsystems ich bin und wie gut es sowohl für mich als auch für das System ist, wenn ich weiß, wie ich richtig mit ihm interagiere.
Als ich mir diese Sichtweise angewöhnt hatte, erlebte ich schmerzliche Momente zunehmend auf eine radikal andere Weise. Statt mich frustriert oder überwältigt zu fühlen, sah ich den Schmerz als Erinnerung der Natur daran, dass es etwas Wichtiges für mich zu lernen gab. Dem Schmerz zu begegnen und die Lehren zu erkennen, die er für mich bereithielt, wurden zu einer Art Spiel für mich. Je öfter ich es spielte, desto besser wurde ich darin, desto weniger schmerzhaft wurden die Situationen und desto bereichernder wurde der Prozess, nachzudenken, Prinzipien zu entwickeln und dann für die Nutzung dieser Prinzipien belohnt zu werden. Ich lernte, meine Kämpfe zu lieben, was wahrscheinlich eine gesunde Betrachtungsweise ist, so wie man lernen kann, Sport zu lieben (was mir bislang allerdings nicht gelungen ist).
In meinen frühen Jahren habe ich zu außergewöhnlich erfolgreichen Menschen aufgeblickt und geglaubt, der Grund für ihren Erfolg liege in ihrer Außergewöhnlichkeit. Nachdem ich solche Menschen persönlich kennengelernt hatte, wurde mir klar, dass jeder von ihnen – so wie ich und jeder sonst – Fehler macht, mit seinen Schwächen zu kämpfen hat und keineswegs der Meinung ist, besonders oder großartig zu sein. Diese Menschen sind nicht glücklicher als der Rest von uns und sie haben so viel zu kämpfen wie ganz normale Leute – oder sogar noch mehr. Selbst wenn sie ihre wildesten Träume übertroffen haben, erleben sie immer noch mehr Kampf als Ruhm. Für mich galt das mit Sicherheit. Ich habe meine wildesten Träume schon vor Jahrzehnten übertroffen, kämpfe aber noch heute. Mit der Zeit habe ich realisiert, dass die Befriedigung durch Erfolg nicht auf dem Erreichen von Zielen beruht, sondern darauf, dass man auf eine gute Weise kämpft. Um zu verstehen, wie ich das meine, stellen Sie sich ihr größtes Ziel vor – einen Haufen Geld verdienen, einen Oscar gewinnen, ein besonderes Unternehmen leiten oder hervorragend in einem Sport sein. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie würden dieses Ziel sofort erreichen. Zunächst wären Sie glücklich damit, aber nicht sehr lange. Schon bald würden Sie feststellen, dass Sie etwas anderes brauchen, für das Sie kämpfen können. Schauen Sie sich einfach die Leute an, die ihre Träume schon früh wahrgemacht haben – Kinderstars, Lottogewinner, Profisportler: Meistens sind sie am Ende nicht glücklich, wenn sie sich nicht für etwas anderes begeistern können, das größer und besser und es wert ist, darum zu kämpfen. Weil das Leben seine Höhen und Tiefen hat, werden nicht nur Ihre Höhen besser, wenn Sie gut kämpfen: Auch Ihre Tiefen werden dann weniger schlimm. Ich kämpfe immer noch und werde kämpfen, bis ich sterbe. Denn selbst wenn ich versuchen würde, den Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, würden sie mich finden.
Dank meines Kämpfens und Lernens konnte ich alles tun, was ich tun wollte, überall sein, wo ich sein wollte, jeden Menschen treffen, den ich treffen wollte, und alles bekommen, was ich haben wollte. Ich konnte eine spannende Karriere verfolgen und, was am bereicherndsten war, viele wunderbare Beziehungen aufbauen. Ich habe die volle Bandbreite erlebt, von Besitzlosigkeit bis zu einem riesigen Vermögen und vom Niemand zum Jemand, also kenne ich die Unterschiede. Ich habe sie erlebt, indem ich von unten nach oben gelangt bin statt umgekehrt (was mir lieber war und wahrscheinlich meine Sichtweise beeinflusst hat). Doch ich glaube, dass der Zusatznutzen durch viel Besitz und eine Position an der Spitze nicht annähernd so groß ist, wie die meisten Leute glauben. Am wichtigsten sind die Grundlagen: ein gutes Bett zum Schlafen, gute Beziehungen, gutes Essen und guter Sex. Diese Dinge werden nicht besser, wenn man haufenweise Geld hat, und sie werden nicht viel schlechter, wenn man weniger hat. Und die Menschen, die man an der Spitze trifft, sind nicht unbedingt außergewöhnlicher als diejenigen weiter unten oder dazwischen.
Die zusätzlichen Vorteile davon, mehr zu haben, nehmen schnell ab. Tatsächlich ist es schlechter, deutlich mehr zu haben als nur ein wenig mehr, denn das bringt erhebliche Belastungen mit sich. An der Spitze zu stehen, verschafft Ihnen mehr Möglichkeiten, verlangt aber auch mehr von Ihnen. Bekannt zu sein, ist wahrscheinlich schlechter als Anonymität, wenn man alle Faktoren berücksichtigt. Man kann dann zwar andere positiv beeinflussen, was toll ist, aber wenn man das Gesamtbild betrachtet, ist das immer noch unendlich wenig. Aus all diesen Gründen kann ich nicht behaupten, dass ein intensives Leben voller Erfolge besser wäre als genussvolle Entspannung. Behaupten kann ich allerdings, dass es besser ist, stark zu sein als schwach, und dass man durch Kämpfen Stärke entwickelt. Meine Natur ist, wie sie ist, also hätte ich kein anderes Leben gewollt. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, was für Sie persönlich am besten ist. Das müssen Sie selbst entscheiden. Jedenfalls weiß ich aus eigener Anschauung, dass die glücklichsten Menschen ihre eigene Natur entdecken und ihr Leben darauf abstimmen.
Inzwischen ist mein Wunsch, selbst Erfolg zu haben, dem Wunsch gewichen, anderen bei ihrem Erfolg zu helfen. Das wurde zu meinem neuen Kampf. Mittlerweile ist mir klar, dass mein Sinn, Ihr Sinn und der Sinn von allem anderen darin liegt, sich weiterzuentwickeln und einen kleinen Beitrag zur Evolution zu leisten. Ich habe das nicht von Anfang an so gesehen – ich habe einfach das verfolgt, was ich wollte. Aber auf diesem Weg habe ich mich weiterentwickelt, und jetzt teile ich diese Prinzipien mit Ihnen, um dabei zu helfen, dass auch Sie sich weiterentwickeln können. Mir ist klar geworden, dass die Weitergabe von Wissen wie die Weitergabe von DNA ist: Wissen ist wichtiger als jede Einzelperson, denn es lebt weitaus länger als jeder einzelne Mensch. Vor Ihnen liegt mein Versuch, Ihnen dabei zu helfen, Erfolg zu haben, indem ich an Sie weitergebe, was ich über gutes Kämpfen gelernt habe. Zumindest aber möchte ich Ihnen dabei helfen, für jede Einheit Anstrengung, die Sie investieren, möglichst viel zu bekommen.