A
ls professioneller Entscheider habe ich mein Leben damit verbracht, zu untersuchen, wie effektives Entscheiden funktioniert. Und ich habe ständig nach Regeln und Systemen gesucht, die meine Chancen dafür erhöhen, richtigzuliegen und am Ende mehr von dem zu bekommen, was ich anstrebe, egal was es ist.
Mit die wichtigste Erkenntnis, die ich dabei gewonnen habe, lautet: Die meisten Prozesse, die bei alltäglichen Entscheidungen eine Rolle spielen, laufen unbewusst ab und sind komplexer, als allgemein angenommen wird. Denken Sie zum Beispiel daran, wie Sie beim Autofahren einen sicheren Abstand zu dem Fahrzeug vor Ihnen wählen und beibehalten. Beschreiben Sie diesen Prozess jetzt so detailliert, dass ihn jemand, der noch nie zuvor Auto gefahren ist, so gut beherrscht wie Sie selbst oder dass er in einem Computer programmiert werden kann, der autonome Autos steuert. Ich wette, dass Sie das nicht schaffen.
Denken Sie jetzt an die Herausforderung, alle Ihre Entscheidungen richtig – auf eine systematische, wiederholbare Weise – zu treffen und dann in der Lage zu sein, die Prozesse dafür so klar und präzise zu beschreiben, dass jeder unter denselben Umständen dieselben hochwertigen Entscheidungen treffen kann. Genau das ist mein Anliegen, und nach meinen Erfahrungen ist dieser Versuch selbst dann von unschätzbarem Wert, wenn er hochgradig unvollkommen ist.
Zwar gibt es nicht die eine beste Methode für das Treffen von Entscheidungen, aber doch einige universelle Regeln für gute Entscheidungsfindung. Die erste davon lautet:
5.1
Erkennen, dass 1) die größte Gefahr für gute Entscheidungsfindung in schädlichen Emotionen liegt und dass (2) Entscheidungsfindung ein Prozess mit zwei Schritten ist (erst lernen, dann entscheiden)
Vor dem Entscheiden muss das Lernen
stehen. Wie in Kapitel 1
erklärt, speichert Ihr Gehirn unterschiedliche Arten von Gelerntem in Ihrem Unterbewusstsein, Ihrem Gedächtnis und in Ihren Angewohnheiten. Aber unabhängig davon, wie Sie Ihr Wissen erwerben und wo Sie es speichern: Am wichtigsten ist, dass das, was Sie wissen, ein wahres und umfassendes Bild der Realitäten zeichnet, die Ihre Entscheidung beeinflussen. Aus diesem Grund zahlt es sich stets aus, beim Lernen aufgeschlossen zu sein und die Unterstützung von glaubwürdigen anderen Menschen zu suchen. Viele Leute haben emotionale Schwierigkeiten damit und lassen nicht das Lernen zu, das ihnen dabei helfen könnte, zu besseren Entscheidungen zu gelangen. Erinnern Sie sich selbst daran, dass es nie schaden kann, sich eine entgegengesetzte Meinung zumindest anzuhören.
Entscheiden
ist der Prozess, bei dem Sie auswählen, welches Wissen Sie nutzen – sowohl bezüglich der Fakten zum konkreten Fall als auch bezüglich Ihres allgemeinen Wissens über die Ursache-Wirkungs-Maschinerie dahinter; anschließend wägen Sie ab, um sich auf eine bestimmte Vorgehensweise festzulegen. Dazu gehört, unterschiedliche Szenarien im Zeitverlauf durchzugehen, um sich vorzustellen, wie Sie zu einem Ergebnis kommen, das Ihren Wünschen entspricht. Um das richtig zu machen, müssen Sie Konsequenzen erster Ordnung gegen solche zweiter und dritter Ordnung abwägen und als Basis für Ihre Entscheidungen nicht nur kurzfristige Ergebnisse heranziehen, sondern auch längerfristige.
Das Versäumnis, sich mit Konsequenzen zweiter und dritter Ordnung zu befassen, ist die Ursache für viele schmerzhaft schlechte Entscheidungen. Besonders verheerend wirkt es sich aus, wenn die erste unterlegene Option Ihre eigenen Vorurteile bestätigt. Stürzen Sie sich nie auf die erste verfügbare Option, egal wie gut Sie Ihnen vorkommt, bevor Sie Fragen gestellt und sie näher erkundet haben. Um mich davon abzuhalten, in diese Falle zu geraten, habe ich mir früher ganz buchstäblich selbst Fragen gestellt: Lerne ich? Habe ich schon genug gelernt, um entscheiden zu können? Nach einer Weile werden Sie ganz automatisch und aufgeschlossen alle relevanten Informationen sammeln. Dann haben Sie die erste Gefahr für schlechte Entscheidungen bereits gebannt, die darin liegt, unterbewusst zuerst die Entscheidung zu treffen und anschließend
die Daten so auszuwählen, dass sie für die Entscheidung sprechen.
Aber wie funktioniert gutes Lernen?
RICHTIG LERNEN
Für mich läuft der Versuch, ein präzises Bild der Realität zu bekommen, letztlich auf zwei Faktoren hinaus: Man muss in der Lage sein, präzise zu synthetisieren, und man muss wissen, wie man sich auf unterschiedlichen Ebenen bewegt.
Synthese ist der Prozess, aus einer großen Menge an Daten ein präzises Bild zu erzeugen. Die Qualität Ihrer Synthese bestimmt über die Qualität Ihrer Entscheidungsfindung. Aus diesem Grund ist es stets lohnenswert, Ihre eigenen Ansichten mit denen von Personen abzustimmen, von denen Sie wissen, dass sie gut synthetisieren können. Denn dadurch erhöht sich Ihre Chance, zu einer guten Synthese zu gelangen, sogar wenn Sie das Gefühl haben, das schon selbst geschafft zu haben. Kein vernünftiger Mensch sollte die Meinungen einer glaubwürdigen anderen Person zurückweisen, ohne sich dabei große Sorgen zu machen, damit falschzuliegen.
Um gut zu synthetisieren, müssen Sie 1) die aktuelle Situation synthetisieren, 2) die Situation im Zeitverlauf synthetisieren und 3) sich effektiv auf den verschiedenen Ebenen bewegen.
5.2
Die aktuelle Situation synthetisieren
Jeden Tag sind Sie mit einer unendlichen Zahl von Ereignissen konfrontiert. Nennen wir sie hier »Punkte«. Um effektiv zu sein, müssen Sie sagen können, welche Punkte wichtig sind und welche nicht. Manche Menschen gehen durch das Leben und sammeln wie Fussel in der Tasche alle möglichen Beobachtungen und Meinungen, statt nur das zu behalten, was sie wirklich brauchen. Sie leiden unter »Detailangst« und machen sich Gedanken über unbedeutende Themen.
Manchmal können auch kleine Dinge wichtig sein. So könnte das leise Rasseln im Motor Ihres Autos nur ein loses Stück Plastik sein,
aber auch ein Anzeichen dafür, dass bald der Keilriemen reißt. Entscheidend ist, den Blick von einer höheren Ebene aus zu haben, mit dem Sie schnell und präzise beurteilen können, was die wahren Risiken sind, ohne sich in Details zu verlieren.
Denken Sie daran:
a.
Mit am wichtigsten ist die Entscheidung, wen Sie befragen.
Sorgen Sie dafür, dass Ihre Gesprächspartner absolut informiert und glaubwürdig sind. Finden Sie heraus, wer verantwortlich für das ist, was Sie verstehen wollen, und befragen Sie diese Person. Auf uninformierte Menschen zu hören, ist schlimmer, als gar keine Antworten zu bekommen.
b.
Nicht alles glauben, was Sie hören.
Meinungen gibt es im Dutzend billiger, und fast jeder wird seine bereitwillig äußern. Viele Menschen tun dabei zudem so, als würde es sich um Tatsachen handeln. Verwechseln Sie keinesfalls Meinungen mit Fakten.
c.
Von Nahem sieht alles größer aus.
Bei allen Aspekten des Lebens wirkt etwas, das gerade passiert, viel bedeutender, als wenn man es im Rückblick betrachtet. Aus diesem Grund ist es hilfreich, einen Schritt zurückzutreten, um eine andere Perspektive zu bekommen. Ebenso kann es sinnvoll sein, eine Entscheidung aufzuschieben, bis etwas Zeit vergangen ist.
d.
Neu wird relativ zu großartig überbewertet.
Wenn Sie beispielsweise entscheiden, welchen Film Sie sehen oder welches Buch Sie lesen wollen: Zieht es Sie zum Klassiker oder zum neuesten großen Ding? Meiner Meinung nach ist es intelligenter, statt des Neuesten das Beste zu wählen.
e.
Punkte nicht übergewichten.
Ein Punkt ist nur eine Information, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegt. Behalten Sie das im Hinterkopf, wenn Sie synthetisieren. So wie Sie groß von klein unterscheiden müssen und das, was soeben passiert, von allgemeineren Mustern, so müssen Sie auch erkennen, wie viel Lernen ein einzelner Punkt ermöglicht, ohne ihm zu große
Bedeutung beizumessen.
5.3
Die Situation im Zeitverlauf synthetisieren
Um zu erkennen, wie die Punkte im Zeitverlauf zusammenhängen, müssen Sie unterschiedliche Arten von Informationen sammeln, analysieren und kategorisieren. Das ist nicht einfach. Stellen wir uns zum Beispiel vor, an einem Tag sind Sie mit acht Ereignissen konfrontiert, manche sind gut und manche schlecht. Diesen Tag kann man darstellen wie in der Abbildung. Jede Art von Ereignis ist durch einen Buchstaben gekennzeichnet, dessen Position die Qualität des jeweiligen Ereignisses anzeigt.
Um den Tag so zu betrachten, müssen Sie die Ergebnisse nach Art (angezeigt durch die Buchstaben) und Qualität (je weiter oben, desto besser) kategorisieren, was eine grobe Synthese für jedes der Ereignisse erfordert. Um das Beispiel konkreter zu machen: Stellen Sie sich vor, Sie betreiben eine Eisdiele, und W steht für Verkäufe, X für Bewertungen zur Kundenzufriedenheit, Y für Medienberichte und Kritiken, Z für die Motivation der Mitarbeiter und so weiter. Beachten Sie dabei, dass unser Beispiel – mit nur acht Ereignissen an einem Tag – ein relativ einfaches ist.
An der Grafik lässt sich erkennen, dass der Tag gemessen am Umsatz hervorragend war (weil die Ws oben stehen), gemessen an der Kundenzufriedenheit aber schlecht (die X-Punkte). Sie können darüber spekulieren, warum – vielleicht hat ein Ansturm von Kunden zu hohem Umsatz geführt, aber auch zu langen Wartezeiten.
Menschen, die gut darin sind, solche Muster herauszuarbeiten, sind selten und unverzichtbar. Aber wie die meisten Fähigkeiten ist auch die zur Synthese im Zeitverlauf nur zum Teil angeboren. Selbst wenn Sie zunächst nicht gut darin sind, können Sie mit Übung besser werden. Ihre Chancen dafür, Erfolg zu haben, können Sie erhöhen, indem Sie das nächste Prinzip beachten.
a.
Sowohl die Veränderungsrate als auch das absolute Niveau von Faktoren sowie die Beziehung zwischen beidem im Kopf behalten.
Wenn es darum geht, eine akzeptable Verbesserungsrate für einen bestimmten Faktor festzulegen, kommt es auf dessen Niveau relativ zu dieser Veränderung an. Ich beobachte häufig, dass das vergessen wird. Die Leute sagen »Es wird besser.«, ohne wahrzunehmen, wie weit unter dem Anspruch der aktuelle Zustand liegt, und ohne sich zu fragen, ob die aktuelle Veränderungsrate ausreichen wird, um den Anspruch innerhalb vertretbarer Zeit zu erfüllen. Wenn jemand in früheren Tests 30 oder 40 Punkte erreicht hat und dann innerhalb weniger Monate in den 50er-Bereich kommt, kann man mit Recht sagen, dass er besser wird. Doch das ändert nichts daran, dass die Leistung immer noch bei Weitem nicht ausreichend ist. Alles, was in Ihrem Leben wichtig ist, muss auf einer guten Bahn sein, sodass die Latte nicht reißt und sich in ausreichender Geschwindigkeit in die Richtung von Exzellenz
entwickelt. Die Linien in der nächsten Abbildung zeigen, wie die Punkte im Zeitverlauf zusammenhängen. Linie A bedeutet, dass Sie innerhalb angemessener Zeit die Latte überspringen werden; bei B gelingt das nicht. Um gute Entscheidungen zu treffen, müssen Sie erkennen, welcher dieser beiden Fälle in der Realität vorliegt.
b.
Unpräzise sein.
Verstehen Sie das Konzept von »im Großen und Ganzen« und arbeiten Sie mit Annäherungen. Weil unser Bildungssystem ganz auf Präzision setzt, wird die Kunst der guten Annäherung nicht genügend geschätzt, und das behindert konzeptionelles Denken. Wenn sie zum Beispiel 38 mit 12 multiplizieren sollen, wählen die meisten Menschen den langsamen und schwierigen Weg, statt einfach 38 auf 40 auf- und 12 auf 10 abzurunden und so schnell zu dem Ergebnis zu kommen, dass die Antwort ungefähr 400 lautet. Schauen Sie sich noch einmal das Eisdielen-Beispiel an und stellen Sie sich vor, welchen Wert es hätte, rasch die ungefähren Beziehungen zwischen den Punkten erkennen zu können, statt sich die Zeit nehmen zu müssen, alles exakt zu untersuchen. Diese Zeit aufzuwenden, wäre dumm, doch genau das machen die meisten Menschen. »Im Großen und Ganzen« ist das Niveau, auf dem Sie die meisten Angelegenheiten verstehen müssen, um effektiv entscheiden zu können. Immer wenn ich eine »Im Großen und Ganzen«-Aussage treffe und jemand darauf mit »… aber nicht immer!« reagiert, ist meine instinktive Befürchtung, dass wir jetzt wahrscheinlich abgleiten werden – in ein Gespräch über die Ausnahmen statt über die Regel, bei dem wir die Regel aus den Augen verlieren. Um den Mitarbeitern von Bridgewater zu helfen, diese Zeitverschwendung zu vermeiden, hat einer unserer jungen Uni-Absolventen einen Satz formuliert, den ich gern wiederhole: »Wenn Sie jemanden fragen, ob etwas richtig ist, und er sagt, es sei nicht vollkommen richtig, dann ist es wahrscheinlich im Großen und Ganzen richtig.«
c.
Die 80/20-Regel beachten und überlegen, was die entscheidenden 20 Prozent ausmacht.
Die 80/20-Regel besagt, dass man 80 Prozent des Wertes bekommen kann, wenn man nur 20 Prozent der Informationen oder der Arbeit dafür einsetzt
(umgekehrt stimmt wahrscheinlich auch, dass Sie 80 Prozent der Mühe aufwenden müssen, um die restlichen 20 Prozent des Wertes zu bekommen). Diese Regel zu verstehen, kann verhindern, dass Sie sich von unnötigen Details ausbremsen lassen, wenn Sie schon den Großteil der Erkenntnisse haben, die Sie für eine gute Entscheidung brauchen.
Schauen wir uns jetzt an, wie ein ganzer Monat mit solchen Arbeitstagen aussieht. Verwirrend, oder?
In der nächsten Grafik werden nur die Punkte vom Typ X gezeigt; sie lassen eine Verbesserung erkennen.
d.
Imperfektionist sein.
Perfektionisten verbringen viel zu viel Zeit mit kleinen Unterschieden an den Rändern, die auf Kosten wichtigerer Dinge gehen. Üblicherweise sind bei Entscheidungen nur fünf bis zehn Faktoren zu berücksichtigen. Wichtig ist, jeden dieser Faktoren wirklich gut zu verstehen, wobei die zusätzlichen Vorteile davon, sich über einen bestimmten Punkt hinaus damit zu beschäftigen, auch hier begrenzt sind.
5.4
Sich effektiv auf verschiedenen Ebenen bewegen
Die Realität existiert auf unterschiedlichen Ebenen, und jede davon kann Ihnen unterschiedliche, aber wertvolle Perspektiven liefern. Wichtig ist, dass Sie alle davon im Kopf behalten, wenn Sie synthetisieren und Entscheidungen treffen, und dass Sie wissen, wie Sie sich auf und zwischen ihnen bewegen.
Nehmen wir an, Sie schauen sich auf Google Maps Ihre Heimatstadt an. Wenn Sie nah genug heranzoomen, können Sie die Gebäude sehen, aber nicht mehr erkennen, in welcher Region Ihre Stadt liegt, was eine wichtige Information sein kann. Vielleicht befindet sich die Stadt neben einem Gewässer. Aber wenn Sie zu nah herangehen, können Sie nicht sehen, ob das Ufer zu einem Fluss, einem See oder einem Meer gehört. Sie müssen wissen, welche Ebene für Ihre Entscheidung die richtige ist.
Wir sehen Dinge ständig auf unterschiedlichen Ebenen und navigieren zwischen ihnen hin und her, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, ob wir es gut beherrschen oder nicht und unabhängig davon, ob es um physische Objekte, Ideen oder Ziele geht. So können Sie unterschiedliche Ebenen nutzen, um von Ihren Werten zu dem zu kommen, was Sie Tag für Tag tun müssen, um ihnen gerecht zu werden. In einem Schema sieht das Ganze wie folgt aus:
-
Das abstrakte Gesamtbild:
Ich will eine sinnerfüllte Arbeit voller Lernmöglichkeiten.
1.1
Untergeordnetes Konzept:
Ich will Arzt werden.
Um zu beobachten, wie gut Sie das in Ihrem eigenen Leben machen, achten Sie auf Ihre Gespräche. Wir neigen dazu, uns zwischen den Ebenen zu bewegen, wenn wir reden.
a.
Die Ausdrücke »über der Linie« und »unter der Linie« benutzen, um festzuhalten, auf welcher Ebene sich ein Gespräch bewegt.
Bei einem Gespräch über der Linie geht es um die wichtigsten Punkte, bei einem Gespräch unter der Linie um die Unterpunkte. Wenn eine Argumentation durcheinander und verwirrend ist, dann oft deshalb, weil der Sprechende in Details unterhalb der Linie gefangen bleibt, ohne sie in Verbindung mit den Hauptpunkten zu bringen. Ein Diskurs über der Linie dagegen sollte auf einem geordneten und präzisen Weg zu einer Schlussfolgerung führen und nur dann unter die Linie gehen, wenn das erforderlich ist, um einen der Hauptpunkte zu veranschaulichen.
b.
Daran denken, dass Entscheidungen auf der richtigen Ebene gefällt werden, aber auch über alle Ebenen hinweg konsistent sein müssen.
Wenn Sie ein gesundes Leben führen wollen, sollte Ihr Frühstück nicht aus einem Dutzend fettiger Würstchen und einem Bier bestehen. Mit anderen Worten: Sie müssen die Daten, die Sie auf unterschiedlichen Ebenen sammeln, kontinuierlich miteinander in Verbindung bringen und abgleichen, um ein vollständiges Bild des Geschehens zeichnen zu können. Wie beim Synthetisieren allgemein sind manche Menschen darin von Natur aus besser als andere, aber jeder kann es durch Üben zu einer gewissen Meisterschaft bringen. Um gut darin zu sein, müssen Sie:
GUT
SCHLECHT
-
daran denken, dass für alle Themen mehrere Ebenen existieren.
-
sich darüber im Klaren sein, auf welcher Ebene Sie ein bestimmtes Thema erkunden.
-
bewusst zwischen den Ebenen wechseln, statt die Themen als undifferenzierte Anhäufung von Fakten zu sehen, die nach Belieben durchgegangen werden kann.
-
den Ablauf Ihrer Denkprozesse mit dem gerade abgebildeten Schema darstellen.
Wenn Sie all das mit radikaler Aufgeschlossenheit tun, werden Sie nicht nur bewusster für das werden, was Sie sehen, sondern auch für das, was Sie selbst nicht sehen, andere aber vielleicht sehr wohl. Es ist ein bisschen, wie wenn Jazzmusiker zusammenspielen: Wenn die anderen wissen, auf welcher Ebene Sie sind, können alle dieselbe Tonart wählen. Wenn Sie Ihre eigene Betrachtungsweise kennen und
auch offen für die von anderen sind, können Sie zusammen guten konzeptionellen Jazz machen statt nur schrägen Krach. Gehen wir jetzt eine Ebene höher und beschäftigen uns mit dem Entscheiden.
RICHTIG ENTSCHEIDEN
Der Einsatz von Logik, um bei der Entscheidungsfindung zu den bestmöglichen langfristigen Ergebnissen zu kommen, ist zu einer eigenen Wissenschaft geworden – mit Wahrscheinlichkeiten und Statistik, Spieltheorie und weiteren Werkzeugen. Viele dieser Werkzeuge sind tatsächlich nützlich, doch die Grundlagen der effektiven Entscheidungsfindung sind relativ einfach und zeitlos – im Grunde sind sie in unterschiedlichem Ausmaß schon genetisch in unsere Gehirne einprogrammiert. Wenn Sie wilde Tiere beobachten, werden Sie feststellen, dass sie instinktiv Berechnungen zum Erwartungswert vornehmen, um den Energieaufwand für das Finden von Nahrung zu optimieren. Diejenigen, die das in der Vergangenheit gut beherrschten, konnten gedeihen und ihre Gene über den Prozess der natürlichen Auslese weitergeben; die anderen verschwanden. Menschen, die nicht gut darin sind, werden zwar zumeist nicht untergehen, aber mit Sicherheit vom Prozess der wirtschaftlichen Auslese bestraft.
Wie schon erklärt, gibt es allgemein zwei Herangehensweisen für die Entscheidungsfindung: evidenz-/logikbasiert (angesiedelt im Gehirn der höheren Ebene) und unterbewusst/emotionsbasiert (angesiedelt im niedrigeren animalischen Gehirn).
5.5
Logik, Vernunft und gesunder Menschenverstand sind Ihre besten Werkzeuge, um die Realität zu synthetisieren und zu erkennen, was zu tun ist
Seien Sie mit allem anderen vorsichtig. Leider zeigen viele psychologische Tests, dass die Mehrheit der Menschen in den
meisten Fällen auf der niedrigeren Ebene bleibt, was zu suboptimalen Entscheidungen führt, ohne dass sie es überhaupt bemerken. Um es mit Carl Gustav Jung zu sagen, wird das Unbewusste so lange Ihr Leben steuern, bis Sie es bewusst gemacht haben – und Sie werden es als Schicksal bezeichnen. Noch wichtiger ist logische und evidenzbasierte Entscheidungsfindung, wenn Gruppen aus mehreren Personen zusammenarbeiten. Denn andernfalls wird der Prozess unweigerlich von den mächtigsten statt von den kompetentesten Teilnehmern dominiert, was nicht nur unfair ist, sondern auch suboptimal. In den Kulturen erfolgreicher Organisationen ist evidenzbasiertes Entscheiden der Normalfall und nicht die Ausnahme.
5.6
Entscheidungen anhand von Berechnungen zum Erwartungswert treffen
Betrachten Sie jede Entscheidung als eine Wette mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und einer Belohnung für den Fall, dass Sie richtigliegen, sowie einer gewissen Wahrscheinlichkeit und einer Bestrafung für den Fall, dass Sie falschliegen. Eine richtige Entscheidung ist üblicherweise eine mit einem positiven Erwartungswert, was bedeutet, dass die Belohnung, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts, größer ist als die Bestrafung, ebenfalls mit ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert. Die beste Entscheidung ist diejenige mit dem höchsten Erwartungswert.
Nehmen wir an, die Belohnung für den Fall, dass Sie richtigliegen, beträgt 100 Dollar und die Wahrscheinlichkeit dafür 60 Prozent; die Bestrafung beläuft sich ebenfalls auf 100 Dollar. Wenn Sie die Belohnung mit der Wahrscheinlichkeit dafür multiplizieren, richtigzuliegen, kommen Sie auf 60 Dollar, und wenn Sie die Bestrafung mit der Wahrscheinlichkeit dafür multiplizieren, dass Sie sich irren (40 Prozent), lautet das Ergebnis 40 Dollar. Wenn Sie diese Bestrafung von der Belohnung abziehen, ist die Differenz der Erwartungswert, der in diesem Fall positiv ist (20 Dollar). Wenn Sie das Konzept des Erwartungswerts verstanden haben, werden Sie
auch verstehen, dass es nicht immer am besten ist, auf die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit zu setzen. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Unternehmen hat nur eine Erfolgschance von 1 zu 5 (20 Prozent), würde aber zehnmal so viel Ertrag bringen (zum Beispiel 1000 Dollar), wie ein Misserfolg kosten würde (100 Dollar). Der Erwartungswert ist dann positiv (120 Dollar), also ist die Entscheidung trotz der ungleich verteilten Chancen wahrscheinlich intelligent, solange Sie den möglichen Verlust tragen können. Wenn Sie solche Wahrscheinlichkeiten immer wieder durchspielen, werden Sie mit der Zeit gewiss positive Ergebnisse erreichen.
Wir nehmen die meisten dieser Berechnungen zwar nicht explizit vor, intuitiv aber sind wir ständig damit beschäftigt. Wenn Sie zum Beispiel beschließen, einen Regenschirm mitzunehmen, obwohl die Regenwahrscheinlichkeit nur 40 Prozent beträgt, oder wenn Sie auf Ihrem Smartphone noch einmal den richtigen Weg zu einem Ziel überprüfen, obwohl Sie fast sicher sind, dass Sie ihn kennen, arbeiten Sie mit Erwartungswerten.
Manchmal ist es sogar klug, ein Risiko einzugehen, obwohl die Wahrscheinlichkeiten klar gegen einen Erfolg sprechen: wenn die Kosten dafür, falschzuliegen, im Vergleich zu der Belohnung für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie doch richtigliegen, zu vernachlässigen sind. »Fragen kostet nichts«, lautet das passende Sprichwort.
Dieses Prinzip hat mein Leben stark verändert. Vor einigen Jahren, als ich gerade meine Familie gründete, sah ich ein Haus, das in jeder Hinsicht perfekt für uns war. Das Problem war, dass es nicht zum Verkauf stand, und jeder, den ich fragte, sagte mir, der Eigentümer sei an einem Verkauf nicht interessiert. Um die Sache noch schlimmer zu machen, wusste ich, dass ich wohl keinen angemessenen Hypothekenkredit bekommen würde. Aber ich überlegte, dass es mich nichts kosten würde, beim Besitzer anzurufen, um nachzufragen, ob wir eine Lösung finden könnten. Wie sich herausstellte, war er nicht nur bereit zu verkaufen, er war sogar bereit, mir einen Kredit dafür zu geben!
Dasselbe Prinzip gilt, wenn der mögliche negative Fall schrecklich ist. Selbst bei einer geringen Wahrscheinlichkeit dafür, dass Sie
Krebs haben, kann es sich zum Beispiel lohnen, zur Sicherheit Tests vornehmen zu lassen, wenn Symptome auftreten.
Für gute Berechnungen zum Erwartungswert sollten Sie Folgendes beachten:
a.
Eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit dafür, richtigzuliegen, ist wertvoll – unabhängig davon, wie hoch die Wahrscheinlichkeit bereits ist.
Oft beobachte ich, dass Menschen entscheiden, wenn die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie richtigliegen, mehr als 50 Prozent beträgt. Doch dabei übersehen sie, wie viel besser ihre Situation wäre, wenn sie die Wahrscheinlichkeit noch weiter erhöhen könnten (das ist fast immer möglich, indem Sie Dinge tun, die Ihnen mehr Informationen liefern). Das Mehr an Erwartungswert, das sich durch die Erhöhung der Erfolgswahrscheinlichkeit von 51 Prozent auf 85 Prozent (also um 34 Prozentpunkte) ergibt, ist 17-mal so hoch wie die Zunahme bei einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von 49 Prozent (also wahrscheinlich falsch) auf 51 Prozent (also mit nur etwas höherer Wahrscheinlichkeit richtig). Betrachten Sie die Wahrscheinlichkeit als Maß dafür, wie häufig Sie sich täuschen dürften. Wenn Sie die Wahrscheinlichkeit dafür, richtigzuliegen, um 34 Prozentpunkte steigern, bedeutet das, dass bei einem Drittel Ihrer Wetten aus einem Verlust ein Gewinn wird. Aus diesem Grund lohnt es sich, Ihre Überlegungen auch dann Stresstests zu unterziehen, wenn Sie schon vorher ziemlich sicher sind, dass Sie richtigliegen.
b.
Zu wissen, wann man nicht wetten sollte, ist ebenso wichtig, wie zu wissen, welche Wetten sich wahrscheinlich lohnen.
Sie können Ihre Erfolgsquote deutlich steigern, indem Sie nur solche Wetten eingehen, bei denen Sie am zuversichtlichsten sind, dass sie sich auszahlen.
c.
Die besten Optionen sind diejenigen, bei denen es mehr Pros als Kontras gibt, nicht solche ohne jedes Kontra.
Seien Sie vorsichtig bei Leuten, die sich gegen etwas aussprechen, sobald sie etwas – irgendetwas – finden, was daran nicht stimmt, ohne alle positiven und negativen Faktoren richtig abgewogen zu haben.
Solche Menschen sind tendenziell keine guten Entscheider.
5.7
Priorisieren durch das Abwägen des Wertes von zusätzlichen Informationen im Vergleich zu den Kosten der Verschiebung einer Entscheidung
Bei manchen Entscheidungen ist es am besten, weitere Informationen einzuholen, andere sollte man lieber sofort treffen. So wie Sie beständig das Große vom Kleinen unterscheiden müssen, wenn Sie das Geschehen synthetisieren, so müssen Sie auch stets den marginalen Vorteil des Sammelns von zusätzlichen Informationen gegen die marginalen Kosten abwägen, die entstehen, wenn Sie erst später entscheiden. Menschen, die gut priorisieren können, verstehen die folgenden Punkte:
a.
Alle zwingenden Faktoren müssen über der Messlatte liegen, bevor Sie sich mit optionalen Faktoren beschäftigen.
Trennen Sie das, was unbedingt getan werden muss, von dem, was Sie sonst noch gern tun würden, und lassen Sie nicht zu, dass weniger wichtige Faktoren auf die Liste der wichtigsten kommen.
b.
Wahrscheinlich haben Sie nicht genügend Zeit, um sich mit unwichtigen Dingen zu beschäftigen, aber das ist besser, als nicht genügend Zeit für die wichtigen Dinge zu haben.
»Wäre es nicht gut, dies oder das zu machen?«, höre ich Menschen oft fragen. Wahrscheinlich sind sie dann gerade von viel wichtigeren Dingen abgelenkt, die gut erledigt werden müssten.
c.
Möglichkeiten nicht mit Wahrscheinlichkeiten verwechseln.
Möglich ist alles, entscheidend aber sind die Wahrscheinlichkeiten. Alles muss nach seiner Wahrscheinlichkeit bewertet und priorisiert werden. Menschen, die präzise Wahrscheinlichkeiten von Möglichkeiten unterscheiden können, sind im Allgemeinen stark im »praktischen Denken«. Sie sind das Gegenteil von »Philosophen-
Typen«, die dazu neigen, sich in einer Wolke von Möglichkeiten zu verlieren.
ABKÜRZUNGEN AUF DEM WEG, EIN HERVORRAGENDER ENTSCHEIDER ZU WERDEN
Hervorragende Entscheider lernen all diese Schritte nicht einfach auswendig, um sie dann mechanisch auszuführen. Trotzdem folgen sie ihnen. Der Grund dafür ist, dass sie mit der Zeit und durch Erfahrung gelernt haben, das meiste davon reflexhaft zu tun, so wie ein Baseballspieler einen hohen Ball fängt, ohne darüber nachzudenken, wie genau er das machen wird. Wenn Entscheider jedes dieser Prinzipien aus dem Gedächtnis abrufen und dann in ihrem langsamen Bewusstsein verarbeiten müssten, könnten sie unmöglich all die Angelegenheiten richtig handhaben, die auf sie zukommen. Trotzdem gibt es einige Dinge, die sie ganz bewusst tun, und das würde ich auch Ihnen empfehlen.
5.8
Vereinfachen
Befreien Sie sich von irrelevanten Details, sodass die wesentlichen Faktoren und die Beziehungen zwischen ihnen klarer zu erkennen sind. »Jeder Idiot kann etwas kompliziert machen, aber es braucht ein Genie, um es einfach zu machen«, heißt es. Denken Sie an Picasso, der schon in jungen Jahren wunderbare gegenständliche Bilder malen konnte. Doch mit dem Voranschreiten seiner künstlerischen Entwicklung beschränkte er sich zusehends auf das Wesentliche und vereinfachte immer stärker. Nicht jeder hat einen Geist, der auf diese Weise funktioniert. Aber dass Sie etwas nicht von Natur aus können, heißt nicht, dass Sie es nicht lernen können – Sie müssen nur die nötige Kreativität und Entschlossenheit haben. Und wenn erforderlich, können Sie andere um Hilfe bitten.
5.9
Prinzipien nutzen
Mit der Nutzung von Prinzipien können Sie Ihre Entscheidungsfindung sowohl vereinfachen als auch verbessern. Inzwischen könnte es Ihnen offensichtlich vorkommen, aber ich möchte es trotzdem wiederholen: Wenn Sie erkennen, dass fast alle »vorliegenden Fälle« lediglich »noch so ein Fall« sind, und wenn Sie identifizieren, um welchen »noch so einen Fall« es geht, und dann wohlüberlegte Prinzipien für den Umgang damit anwenden, werden Sie die Zahl der Entscheidungen, die Sie treffen müssen, drastisch verringern können – nach meiner Schätzung um einen Faktor in der Größenordnung von 100 000; zugleich können Ihre Entscheidungen viel besser werden. Der Schlüssel dazu, das richtig zu machen, liegt darin, dass Sie:
-
Ihr Denken verlangsamen, damit Sie erkennen können, welche Kriterien Sie für Ihre Entscheidung verwenden.
-
diese Kriterien als Prinzip aufschreiben.
-
an diese Kriterien denken, wenn Sie ein Ergebnis bewerten müssen, und sie dann überarbeiten, bevor der nächste »noch so ein Fall« auftritt.
Zu identifizieren, um welchen »noch so einen Fall« es sich jeweils handelt, ist das Gleiche, wie zu identifizieren, zu welcher Spezies ein Tier gehört. Wenn Sie das bei jeder Angelegenheit machen und dann das passende Prinzip dazu wählen, wird daraus so etwas wie ein Spiel, das Spaß macht und obendrein nützlich ist. Natürlich kann es auch schwierig werden. Viele »vorliegende Fälle«, wie ich sie nenne, sind Hybride. Wenn ein Fall aus mehreren Arten von »noch so ein Fall« zusammengesetzt ist, muss man unterschiedliche Prinzipien gegeneinander abwägen und seine kognitiven Karten zu der Frage nutzen, wie die unterschiedlichen Dinge, denen man begegnet, zu handhaben sind. Um anderen dabei zu helfen, habe ich ein Werkzeug entwickelt, das ich »Coach« nenne; eine Erklärung dazu finden Sie im Anhang.
Sie können Ihre eigenen Prinzipien verwenden oder die von anderen – die Hauptsache ist, dass Sie mit den bestmöglichen davon richtig arbeiten. Wenn Sie kontinuierlich so vorgehen, werden Sie zu einem exzellenten prinzipiengeleiteten Denker.
5.10
Bei Entscheidungen nach der Glaubwürdigkeit gewichten
Nach meiner Erfahrung war es stets hilfreich, zu lernen und die Qualität meiner Entscheidungen zu verbessern, wenn ich mich mit hochgradig glaubwürdigen Menschen abgestimmt habe, die bereit sind, sich auf eine respektvolle, bedachte Uneinigkeit einzulassen. Üblicherweise führt das Austragen einer solchen Meinungsverschiedenheit dazu, dass ich bessere Entscheidungen treffe, als ich es allein gekonnt hätte, und meistens erhalte ich dabei spannende Erkenntnisse. Ich rate Ihnen dringend, das ebenfalls zu machen.
Um gut darin zu sein, müssen Sie einige verbreitete Fehler vermeiden. Sie sollten 1) Ihre eigene Glaubwürdigkeit nicht höher einschätzen, als es logisch ist, und 2) unterscheiden, wer mehr oder weniger glaubwürdig ist.
Falls Sie sich mit anderen uneinig sind, sollten Sie zunächst herausfinden, ob Sie sich auf die Prinzipien einigen können, die bei der fraglichen Entscheidung angewendet werden sollen. Bei dieser Diskussion sollten auch die Vorzüge der Überlegungen hinter den unterschiedlichen Prinzipien eine Rolle spielen. Wenn Sie sich auf die Prinzipien einigen können, wenden Sie sie auf den vorliegenden Fall an; auf diese Weise gelangen Sie zu einer Schlussfolgerung, mit der jeder einverstanden ist. Wenn Sie keine Einigkeit über die Prinzipien herstellen können, versuchen Sie, die Uneinigkeit vor dem Hintergrund der unterschiedlich hohen Glaubwürdigkeit der Beteiligten zu betrachten. Wie wir das bei Bridgewater machen, erkläre ich im Teil Prinzipien für die Arbeit
genauer.
Diese Art von prinzipiengeleiteter und glaubwürdigkeitsgewichteter Entscheidungsfindung ist faszinierend und führt zu ganz anderen und viel besseren Entscheidungen als üblich. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, man würde diesen Ansatz nutzen, um den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu bestimmen. Es wäre faszinierend, zu beobachten, welche Prinzipien dafür vorgeschlagen würden, um einerseits festzulegen, was einen guten Präsidenten ausmacht, und andererseits, wessen Vorschläge am
glaubwürdigsten sind. Würde es auf Wahlgleichheit hinauslaufen oder auf etwas ganz anderes? Und wenn es etwas ganz anderes werden würde, inwiefern wäre es anders? Mit Sicherheit würde das zu ganz anderen Wahlergebnissen führen. Bei der nächsten Wahl können wir es ja parallel zum normalen Wahlprozess ausprobieren, damit wir die Unterschiede sehen können.
Glaubwürdigkeitsgewichtete Entscheidungsfindung mag sich kompliziert anhören, doch wahrscheinlich betreiben Sie sie ohnehin die ganze Zeit, und zwar so ziemlich jedes Mal, wenn Sie sich fragen: »Auf wen sollte ich hören?« Fast mit Sicherheit stimmt aber auch, dass Sie erheblich besser darin werden können, indem Sie mehr darüber nachdenken.
5.11
Prinzipien als Algorithmen formulieren und parallel den Computer entscheiden lassen
Wenn Sie das tun können, werden Sie Ihre Entscheidungsfindung auf eine ganz neue Stufe bringen. In vielen Fällen werden Sie die Möglichkeit haben, zu testen, wie ein bestimmtes Prinzip in der Vergangenheit oder in unterschiedlichen Situationen funktioniert hätte, was dabei hilft, es zu verbessern; und in allen Fällen werden Sie die Möglichkeit haben, exponentiell so viel Wissen anzusammeln, wie es ansonsten unmöglich wäre. Außerdem wird es die Emotionen aus dem Spiel nehmen. Algorithmen funktionieren genau wie Worte, weil sie beschreiben, was getan werden soll, aber sie sind in einer Sprache geschrieben, die Computer verstehen. Wenn Sie selbst diese Sprache nicht beherrschen, müssen Sie sie entweder lernen oder brauchen jemanden in der Nähe, der für Sie übersetzen kann. Ihre Kinder und deren Freunde müssen diese Sprache unbedingt lernen, denn sie wird bald so wichtig sein wie jede andere oder sogar noch wichtiger.
Wenn Sie eine Partnerschaft mit dem Computer als Ihrem Alter Ego aufbauen, in der Sie sich gegenseitig etwas beibringen und jeder das tut, was er am besten kann, werden Sie viel mehr leisten können,
als wenn Sie Ihre Entscheidungen allein treffen. Gleichzeitig wird der Computer Ihre Verbindung zu hervorragender kollektiver Entscheidungsfindung sein, die ebenfalls weitaus leistungsfähiger ist als individuelle und fast mit Sicherheit die Evolution unserer Spezies voranbringen wird.
SYSTEMATISIERTE UND COMPUTERISIERTE ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
In Zukunft wird künstliche Intelligenz bei jedem Aspekt unseres Lebens tiefgreifende Auswirkungen darauf haben, wie wir Entscheidungen treffen – vor allem, wenn man noch das neue Zeitalter der radikalen Transparenz gegenüber Menschen hinzunimmt, das bereits angebrochen ist. Schon heute kann jeder, ob es Ihnen gefällt oder nicht, problemlos auf Ihre digitalen Daten zugreifen, um enorm viel darüber zu erfahren, wie Sie sind; und diese Daten lassen sich in Computer eingeben, die alles Mögliche damit machen: von der Vorhersage, was Sie wahrscheinlich kaufen werden, bis zu Aussagen darüber, was im Leben Sie wertschätzen. Für viele Menschen klingt das beängstigend. Doch bei Bridgewater kombinieren wir seit mehr als 30 Jahren radikale Transparenz mit algorithmischer Entscheidungsfindung, und wir haben festgestellt, dass das bemerkenswerte Ergebnisse produziert. Tatsächlich glaube ich, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir uns von dieser Art von computerisierten Entscheidungen fast so sehr leiten lassen wie heute von unseren Gehirnen.
Das Konzept der künstlichen Intelligenz ist nicht neu. In den 1970er-Jahren, als ich mit meinen Experimenten mit computerisierter Entscheidungsfindung begann, gab es sie bereits seit fast 20 Jahren (der Ausdruck »künstliche Intelligenz« wurde erstmals auf einer Konferenz am Dartmouth College im Jahr 1956 verwendet). Seitdem hat sich zwar viel verändert, doch die Grundkonzepte sind immer noch dieselben.
Um Ihnen ein extrem einfaches Beispiel für computerisierte Entscheidungsfindung zu nennen, nehmen wir an, Sie haben zwei Prinzipien für das Heizen Ihres Zuhauses: Sie stellen die Heizung an, wenn die Temperatur unter 18 Grad fällt, und nachts zwischen 0 Uhr und 5 Uhr wird sie ausgeschaltet. Die Beziehung zwischen diesen beiden Kriterien können Sie in einer einfachen Entscheidungsformel ausdrücken: Wenn
die Temperatur weniger als 18 Grad beträgt und
es nicht zwischen 0 Uhr und 5 Uhr ist, dann
schalte die Heizung an. Durch das Sammeln vieler solcher Formeln lässt sich ein System zur Entscheidungsfindung entwickeln, das Daten aufnimmt, die relevanten Kriterien darauf anwendet und gewichtet und dann eine Entscheidung empfiehlt.
Dass wir unsere Entscheidungskriterien für die Geldanlage in Algorithmen festhalten und sie auf historische Daten anwenden oder dass wir Prinzipien für die Arbeit in Algorithmen festhalten und sie dann als Unterstützung für Managemententscheidungen nutzen, ist nur eine größere und kompliziertere Version eines solchen intelligenten Thermostaten. Es versetzt uns in die Lage, besser informierte und weniger emotionale Entscheidungen zu treffen, und zwar viel schneller, als wir es allein könnten.
Ich glaube, dass Menschen dies immer häufiger tun werden und dass Computerprogrammierung so unverzichtbar werden wird wie schreiben. Mit der Zeit werden wir Maschinenassistenten für Entscheidungen so häufig einsetzen wie heute für das Finden von Informationen. Während diese Maschinen uns helfen, lernen sie viel darüber, wie wir sind: was wir wertschätzen, was unsere Stärken und Schwächen sind. Und sie werden in der Lage sein, ihre Empfehlungen für uns maßzuschneidern, indem sie automatisch die Hilfe von anderen in Anspruch nehmen, die dort stark sind, wo wir Schwächen haben. Es wird nicht mehr lange dauern, bis unsere Maschinenassistenten anfangen, mit anderen Maschinenassistenten zu sprechen und zusammenzuarbeiten. Tatsächlich hat dies bereits begonnen.
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie sich mittels Technologie mit einem System verbinden und darin angeben können, welches Ihr Problem ist, um sich dann mit den für dieses Feld am höchsten
bewerteten Denkern der Welt darüber auszutauschen, was Sie tun sollten und warum. Bald wird das tatsächlich möglich sein. In nicht allzu langer Zeit werden Sie auf das beste Denken über fast jedes Thema zugreifen können, das es für Sie gibt, und Orientierung von einem Computersystem bekommen, das unterschiedliche Standpunkte abwägt. Zum Beispiel werden Sie in der Lage sein, zu fragen, welchen Lebensstil oder welche Karriere Sie wählen sollten, wenn man berücksichtigt, wie Sie sind; oder wie Sie am besten mit bestimmten Menschen interagieren sollten, wenn man berücksichtigt, wie diese sind. Diese Innovationen werden dazu beitragen, dass Menschen über ihre eigenen geistigen Möglichkeiten hinauswachsen, und eine unglaublich mächtige Form von kollektivem Denken entstehen lassen. Bei Bridgewater geschieht dies bereits jetzt, und wir haben es als weitaus besser als das traditionelle Denken kennengelernt.
Derartige Ansichten führen oft zu einer Diskussion über ein Konkurrenzverhältnis zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz. Meiner Meinung nach werden künstliche und menschliche Intelligenz jedoch viel eher zusammenarbeiten als konkurrieren, weil das zu den besten Ergebnissen führt. Bis Computer viele Besonderheiten des menschlichen Gehirns – wie Vorstellungskraft, Synthese und Kreativität – replizieren können, wird es noch Jahrzehnte dauern, wenn es denn überhaupt jemals so kommt. Der Grund dafür ist, dass das Gehirn vorab mit Fähigkeiten programmiert wurde, die in Millionen von Jahren durch die Evolution verfeinert wurden. Die »Wissenschaft« der Entscheidungsfindung, auf der viele Computersysteme beruhen, ist nach wie vor deutlich weniger wertvoll als die »Kunst« dahinter. Menschen sind bei den wichtigsten Entscheidungen immer noch besser als Computer. Um das zu verstehen, müssen Sie sich nur ansehen, welche Arten von Menschen einzigartig erfolgreich sind. Es sind keineswegs die Softwareentwickler, Mathematiker und Spieltheoretiker, die alle Belohnungen abräumen, sondern diejenigen, die über das größte Maß an Menschenverstand, Fantasie und Entschlossenheit verfügen.
Nur menschliche Intelligenz kann die Interpretationen
vornehmen, die gebraucht werden, um Computermodellen den richtigen Input zu geben. Zum Beispiel kann Ihnen ein Computer nicht sagen, wie Sie den Wert von Zeit mit Ihren Lieben gegenüber Zeit für die Arbeit bestimmen oder zwischen beidem die optimale Aufteilung finden, die Ihnen den größten zusätzlichen Nutzen bringt. Nur Sie wissen, was Ihnen am wichtigsten ist, mit wem Sie Ihr Leben verbringen und in welcher Art von Umwelt Sie leben wollen, und nur Sie wissen, wie Sie letztlich so entscheiden können, dass diese Dinge so weit wie möglich eintreten. Hinzu kommt, dass ein sehr großer Teil unseres Denkens auf unterbewussten Vorgängen basiert, die wir nicht verstehen. Insofern ist die Hoffnung, man könne das Denken vollständig simulieren, so unrealistisch wie die Vorstellung, dass ein Tier, das nie mit abstraktem Denken zu tun hatte, versucht, es zu definieren und zu replizieren.
Gleichzeitig aber kann das Gehirn in vielerlei Hinsicht mit Computern nicht mithalten. Computer besitzen viel mehr »Entschlossenheit« als jeder Mensch, denn sie werden rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche für Sie arbeiten. Computer können weitaus mehr Informationen verarbeiten, und das viel schneller, zuverlässiger und objektiver, als Sie es sich je erhoffen könnten. Zudem können Computer Sie auf Millionen von Möglichkeiten aufmerksam machen, die Ihnen nie eingefallen wären. Und vielleicht am wichtigsten: Computer sind immun gegen die Verzerrungen und das konsensgetriebene Denken von Gruppen – ihnen ist egal, ob ihre Einschätzung unbeliebt ist, und sie geraten nie in Panik. In der schrecklichen Zeit nach dem 11. September 2001, als die Vereinigten Staaten von Gefühlen durchgeschüttelt wurden, oder in den Wochen vom 19. September bis 10. Oktober 2008, als der Dow Jones um 3600 Punkte fiel, gab es Zeiten, in denen ich unsere Computer hätte umarmen wollen. Sie blieben cool, ganz egal was passierte.
Diese Kombination von Mensch und Maschine ist wunderbar. Die Zusammenarbeit von menschlichem Geist mit Technologie ist das, was uns heraushebt – es hat uns von einer Wirtschaft, in denen die meisten in der Erde buddelten, in das heutige Informationszeitalter gebracht. Aus diesem Grund zählen Menschen dann zu den besten
Entscheidern überhaupt, wenn sie über genügend Verstand, Fantasie und Entschlossenheit verfügen und zugleich wissen, was sie wertschätzen und was sie wollen, und wenn sie außerdem Computer, Mathematik und Spieltheorie einsetzen. Bei Bridgewater nutzen wir unsere Systeme ungefähr so, wie ein Autofahrer sein GPS-Navigationsgerät nutzt: nicht als Ersatz für unsere Fähigkeit, uns selbst zurechtzufinden, sondern als Ergänzung dazu.
5.12
KI nicht vertrauen, ohne tiefes Wissen darüber zu haben
Was die Gefahren durch künstliche Intelligenz (KI) angeht, mache ich mir Sorgen in Fällen, in denen ihre Nutzer die Ursache-Wirkungs-Beziehungen, die den durch Maschinenlernen entstandenen Algorithmen zugrunde liegen, nicht eingehend verstanden haben und sie einfach hinnehmen – oder noch schlimmer, sich nach ihnen richten.
Bevor ich die Gründe dafür erkläre, möchte ich meine Begriffe definieren. »Künstliche Intelligenz« und »Maschinenlernen« sind Ausdrücke, die zwanglos und oft als Synonyme gebraucht werden, obwohl es bedeutende Unterschiede zwischen ihnen gibt. Ich teile Entwicklungen in der Welt der computergestützten Entscheidungsfindung in drei große Gruppen ein: Expertensysteme, Nachahmung und Data-Mining (diese Kategorien stammen von mir und entsprechen nicht unbedingt den die in der Technologiewelt allgemein verwendeten).
Expertensysteme sind das, was wir bei Bridgewater einsetzen. Entwickler spezifizieren dafür Kriterien auf der Grundlage ihrer logischen Vorstellungen über eine Reihe von Ursache-Wirkungs-Beziehungen und beobachten dann, wie unter unterschiedlichen Umständen unterschiedliche Szenarien ablaufen würden.
Alternativ können Computer auch Muster erkennen und für ihre Entscheidungsfindung heranziehen, ohne irgendetwas von der Logik dahinter zu verstehen. Ich bezeichne diesen Ansatz als »Nachahmung«. Er kann effektiv sein, wenn zuverlässig immer
wieder das Gleiche passiert und sich nicht verändert, wie in einem Spiel mit festgeschriebenen Regeln. In der realen Welt aber gibt es sehr wohl Veränderung, also kann ein solches System leicht die Verbindung zur Realität verlieren.
Der Hauptschub bei Maschinenlernen ging in den vergangenen Jahren in die Richtung von Data-Mining, bei dem leistungsfähige Computer riesige Mengen an Daten aufnehmen und darin nach Mustern suchen. Dieser Ansatz ist verbreitet, aber riskant in Fällen, bei denen sich die Zukunft von der Vergangenheit unterscheiden könnte. Anlagesysteme auf der Grundlage von Maschinenlernen, die nicht von tiefem Wissen begleitet sind, sind gefährlich. Denn wenn einer bestimmten Entscheidungsregel weithin vertraut wird, wird sie auch weithin genutzt, was Auswirkungen auf den Kurs hat. Mit anderen Worten: Der Wert einer allgemein bekannten Erkenntnis verschwindet mit der Zeit. Ohne tiefes Verstehen können Sie nicht wissen, ob das, was in der Vergangenheit passiert ist, von echtem Wert ist; und selbst wenn das der Fall ist, können Sie nicht wissen, ob dieser Wert inzwischen verschwunden ist oder nicht – oder noch Schlimmeres. Nicht selten verbreiten sich bestimmte Entscheidungsregeln so sehr, dass sie die Kurse so weit treiben, dass es klüger wird, das Gegenteil der Regel zu tun.
Vergessen Sie nicht, dass Computer keinen gesunden Menschenverstand haben. Beispielsweise könnten sie die Tatsache, dass Menschen morgens aufwachen und dann frühstücken, leicht als Indiz dafür missverstehen, dass Aufwachen hungrig macht. Ich möchte lieber weniger Wetten abschließen (im Idealfall unkorrelierte), bei denen ich höchst zuversichtlich bin, als mehr Wetten mit weniger Zuversicht, und ich würde es unerträglich finden, wenn ich nicht die Logik hinter jeder meiner Entscheidungen erklären könnte. Viele Menschen schenken Maschinenlernen ihr blindes Vertrauen, weil sie das viel einfacher finden, als selbst tiefes Wissen zu entwickeln. Für mich ist dieses tiefe Wissen unverzichtbar, vor allem für das, was ich mache.
Ich will damit nicht andeuten, dass die von mir sogenannten Nachahmungs- und Data-Mining-Systeme nutzlos sind. Tatsächlich halte ich sie für potenziell enorm nützlich bei Entscheidungen, bei
denen die zukünftige Bandbreite und Konstellation der möglichen Ereignisse so bleibt, wie sie in der Vergangenheit war. Mit genügend Rechenleistung können dann alle denkbaren Variablen berücksichtigt werden. Indem man zum Beispiel Daten über die Züge von großartigen Schachspielern unter bestimmten Umständen analysiert, oder die Verfahren, mit denen großartige Chirurgen bei bestimmten Operationen gearbeitet haben, kann man nützliche Programme für Schach und Chirurgie entwickeln. Im Jahr 1997 schlug die Software Deep Blue allein mit diesem Ansatz Gary Kasparow, den am höchsten bewerteten Schachspieler der Welt. Doch dieser Ansatz scheitert in Fällen, in denen sich die Zukunft von der Vergangenheit unterscheidet und man über die Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht genügend weiß, um alle zu erkennen. Dass ich mit diesen Beziehungen so umgehe, wie ich es tue, hat mich vor Fehlern bewahrt, als viele andere sie machten, vor allem in der Finanzkrise 2008. Fast jeder ging damals davon aus, dass die Zukunft so ähnlich sein würde wie die Vergangenheit. Wir dagegen konzentrierten uns strikt auf logische Ursache-Wirkungs-Beziehungen und konnten dadurch erkennen, was sich wirklich abspielte.
Im Grunde sind unsere Gehirne Computer, die auf eine bestimmte Weise programmiert sind, Daten aufnehmen und Instruktionen ausspucken. Wir können die Logik sowohl im Computer unseres eigenen Geistes als auch im Computer als unserem Werkzeug so programmieren, dass sie miteinander arbeiten und sich sogar gegenseitig überprüfen können. Es ist fabelhaft, das zu tun.
Nehmen wir zum Beispiel an, wir wollten die universellen Gesetze ableiten, die erklären, wie sich Arten im Lauf der Zeit verändern. Theoretisch müsste das mit genügend Rechenleistung und Zeit möglich sein. Natürlich würden wir die Formeln, die der Computer produziert, verstehen müssen, um sicherzustellen, dass es sich bei ihnen nicht um Data-Mining-Unfug handelt, dass sie also nicht auf Korrelationen basieren, die absolut keine Kausalbeziehung zeigen. Dazu würden wir die Regeln immer weiter vereinfachen, bis ihre Eleganz offensichtlich ist.
Natürlich könnte es angesichts der begrenzten Kapazität und
Verarbeitungsgeschwindigkeit unseres Gehirns ewig dauern, all die Variablen umfassend zu verstehen, die bei der Evolution eine Rolle spielen. Sind all die Vereinfachungen und das Wissen, das wir in unsere Expertensysteme stecken, wirklich notwendig? Vielleicht nicht. Mit Sicherheit besteht die Gefahr, dass es immer noch Veränderungen geben kann, die in den getesteten Daten nicht berücksichtigt sind. Andererseits könnte man argumentieren: Wenn es den Anschein
hat, dass unsere auf Data-Mining basierenden Formeln die Evolution aller Arten zu allen Zeiten erklären können, dann ist das Risiko, sich nur für die nächsten 10, 20 oder 30 Jahre darauf zu verlassen, relativ gering im Vergleich zu den Vorteilen solcher Formeln, die offenbar funktionieren, auch wenn sie nicht vollkommen verständlich sind (und die zumindest dazu beitragen könnten, dass Wissenschaftler genetische Krankheiten heilen).
Tatsächlich klammern wir uns vielleicht zu sehr an das Verstehen; bewusstes Denken ist nur ein Teil davon. Vielleicht reicht es aus, wenn wir eine Formel für Veränderung ableiten und mit ihrer Hilfe vorwegnehmen, was noch kommen wird. Ich aber finde die Aufregung, das niedrigere Risiko und den Erkenntniswert eines tiefen Verständnisses von Ursache-Wirkungs-Beziehungen weitaus reizvoller als das bloße Verlassen auf einen Algorithmus, den ich nicht verstehe; also neige ich zur ersten Möglichkeit. Doch sind es vielleicht meine Präferenzen und Angewohnheiten der niedrigeren Gehirnebene, die mich in diese Richtung treiben, oder sind es meine Logik und Vernunft? Ich bin nicht sicher. Ich freue mich darauf, die besten Köpfe im Bereich der künstlichen Intelligenz danach zu fragen (und mich von ihnen befragen zu lassen).
Am wahrscheinlichsten ist, dass unsere wettbewerbsorientierte Natur uns dazu bringen wird, immer größere Wetten auf von Computern gefundene Zusammenhänge abzuschließen, die unser Verständnisvermögen übersteigen. Manche dieser Wetten werden sich auszahlen, andere nach hinten losgehen. Ich vermute, dass KI unglaublich schnelle und beeindruckende Fortschritte bringen wird, fürchte aber gleichzeitig, dass sie zu unserem Niedergang führen könnte.
Wir sind auf dem Weg in eine spannende und gefährliche neue
Welt. Das ist unsere Realität. Und wie immer glaube ich, dass wir viel besser beraten sind, uns darauf vorzubereiten, wie wir mit ihr zurechtkommen, als zu hoffen, sie wäre nicht wahr.