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Temeswar, Februar 2014

Nicht ohnmächtig werden!, hämmerte es in Susannas Kopf. Aber ihre Knie waren ganz weich, sie hielt sich am Türrahmen fest, und der Boden unter ihr wankte. Mühsam zwang sie sich, weiterzuatmen und ein Lächeln aufzusetzen. Vor ihr, auf einem der seidenbespannten Stühle im Salon, saß nicht wie erwartet Emil Schmidt ihrer Mutter gegenüber, sondern ausgerechnet Johannes Farber. Wo kam der denn so plötzlich her? Bei ihrem Eintreten sprang er auf, und Susanna konnte nur noch an eines denken: Jessas Maria! Jetzt wird alles auffliegen.

Musste er denn just an dem Tag unangekündigt vorbeikommen, an dem Marie bei ihr zum Lernen war? Ihre Freundin schob sich an ihr vorbei und stand jetzt neben ihr, mit bebenden Lippen und sich rötenden Wangen angesichts des Mannes, den sie eben noch herbeigesehnt hatte. Johannes sah aber auch wieder einmal blendend aus in seinem dunklen Anzug mit weißem Hemd und einer Krawatte im selben Blau seiner Augen. Der Kristallleuchter über dem Esstisch warf einen schimmernden Glanz auf sein schwarzes Haar, und eine Strähne fiel ihm jetzt in die Stirn, während er schwungvoll auf sie zuging. Herrgott, würde er doch nur ein einziges Mal sie auf diese Weise ansehen! Aber wie immer hatte er nur Augen für Marie. Johannes verbeugte sich knapp, murmelte eine Begrüßung und sagte dann mit betroffener Miene an ihre Freundin gewandt:

Marie stand wie vom Donner gerührt da, unfähig, etwas zu erwidern, und da nahm er ihre Hand so vorsichtig in seine, als wäre sie aus Porzellan, und wisperte, nur für Susanna und sie vernehmbar: »Ich bin sicher, deine Mama wird in deinem treuen Herzen immer weiterleben, liebste Marie.«

Das war ja nicht zum Aushalten! Susannas Blut rauschte in den Ohren, und ihre Brust schmerzte von dem Stachel der Eifersucht, der sich tief in sie bohrte. Vielleicht mochte Maries Mutter in ihrem Herzen weiterleben, ihres würde bestimmt jeden Moment in tausend Scherben zerspringen!

Maries Augen füllten sich mit Tränen, sie blinzelte und erwiderte laut: »Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl, Johannes. Auch für Ihren Brief.«

Das ließ Susanna aufhorchen. Marie schien viel zu aufgewühlt, um ihre Wortwahl zu überdenken, und die Kondolenzkarte, für die sie sich eben bedankt hatte, war gewiss in einem Briefumschlag verschickt worden. Doch der kurze dankbare Seitenblick, den Johannes jetzt Susanna zuwarf, verriet ihr, dass er annahm, sie hätte seine zärtlichen Worte an Marie weitergeleitet. In Wahrheit verwahrte sie seinen Brief in einer Hutschachtel versteckt auf ihrem Kleiderschrank.

»Wie schön, dass Sie uns besuchen kommen!«, brachte sie daher mit zittriger Stimme hervor und nickte ihm, seine Vermutung bekräftigend, zu. Vielleicht wurde doch noch alles gut und ihr Verrat kam nicht ans Licht.

»Verzeihung, gnädige Fräulein.« Hinter ihnen erschien das Dienstmädchen beladen mit einem Tablett voll Gebäck und Tee. Sie machten ihr Platz und folgten ihr zum Tisch, an dem ihre Mutter mit kühler Miene wartete. Ihr gefiel Johannes’ Besuch augenscheinlich weniger. Offenbar befürchtete sie, Susannas

»Verweilen Sie länger hier in Temeswar?«, fragte Marie hoffnungsvoll und riss sie mit dieser Frage aus ihren Gedanken.

»Leider nur zwei Tage. Morgen Abend gibt unser Streichquartett ein Konzert, und danach geht es auch schon wieder zurück nach Arad. Ich würde mich wirklich sehr geehrt fühlen, wenn Sie es besuchen würden.«

Letzteres hatte er mit einem Rundumblick an sie alle gerichtet, aber Susanna wusste nur zu gut, über wessen Teilnahme er sich am meisten freuen würde. Verzweifelt grub sie ihre Fingernägel unter der Tischplatte in ihre Handflächen.

»Wie bedauerlich, doch ausgerechnet morgen Abend sind wir nicht abkömmlich«, erwiderte ihre Mutter spitz.

Susanna sah sie zornig an. Ihr war kein Umstand bekannt, der sie daran hindern sollte, zu dem Konzert zu gehen, aber unter dem strengen Blick von Klara Keller klappte sie ihren Mund wieder zu. Wage es bloß nicht!, las sie in ihrer Miene. Da hörte sie Marie leise sagen:

»Ich möchte von Herzen gerne kommen, aber ich muss vorab meinen Vater um Erlaubnis fragen.«

Susanna betrachtete Marie von der Seite, die ganz blass geworden war und auf ihre Hände sah. Ein Schatten war über ihr

»Du kannst sagen, was du willst, früher wäre so etwas zu Recht zensiert worden!«, hatte sie gewettert.

»Komm, Klara, ich fand es lustig und die Mädel auch, gelt, Susanna?«

»Oh, ja, Papa! Ganz besonders den betrunkenen Vagabunden, der ständig vom Stuhl fiel«, hatte sie eingewandt, um ihre Mutter von der leicht bekleideten Schauspielerin abzulenken, die sich, ausgesperrt aus dem eigenen Zimmer, unter fremden Hotelbetten versteckt hatte.

»Diesen Charlie Chaplin musst doch auch du gemocht haben«, hatte er sich versöhnlich an seine Frau gewandt, aber Klara hatte nur die Nase gerümpft.

»Ich bevorzuge Kultur, mein Lieber, und ich kann dich nur bitten, unsere Tochter künftig nicht derartigem Sittenverfall auszusetzen.«

 

»Was werden Sie denn bei dem Konzert spielen?«, fragte ihre Mutter Johannes und riss Susanna damit aus ihren Gedanken. Sie schob sich ein nach Vanille duftendes Gebäckstück in den Mund und folgte seiner Aufzählung der einzelnen Werke nur mit halbem Ohr. Gut, dass Marie nicht zum Konzert kommen

»Wie schade, dass Conrad heute erst spät nach Hause kommt«, klagte ihre Mutter nach einer Weile. »Er hätte sich sicher ebenfalls über Ihren Besuch gefreut. Auch in seinem Namen wünsche ich Ihnen für das große Ereignis morgen viel Erfolg.«

Johannes verstand die indirekte Aufforderung zu gehen sofort. »Herzlichen Dank, gnädige Frau. Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen.« Er sprang auf und wandte sich beim Verabschieden an Marie. »Ich hoffe, wir sehen uns morgen.«

Das Dienstmädchen begleitete den Gast zur Tür, und nachdem er gegangen war, stieß ihre Mutter einen lauten Seufzer aus.

»Zumindest hat er den Anstand, einen nicht unnötig lange aufzuhalten. Gisela hat einen Narren an diesem jungen Musikanten gefressen. Ich kann nur hoffen, dass sie ihre Fürsorglichkeit nach der Niederkunft mehr auf den eigenen Nachwuchs konzentriert.« Da erst schien ihr einzufallen, dass Marie anwesend war. Sie fasste sie streng ins Auge. »Du siehst erschöpft aus, Mädchen. Möchtest du noch eine Tasse Tee zur Stärkung?«

»Nein, danke, Tante Klara. Susanna und ich sind mit dem Lernen fertig, und ich mag Vati nicht zu lange allein lassen.«

Susannas Herz krampfte sich zusammen. Sie waren lange noch nicht fertig! Wollte Marie sich etwa früher davonstehlen, um Johannes heimlich draußen abzufangen? Das musste sie unter allen Umständen verhindern!

»Kann der Tamás sie nicht nach Hause fahren?«, fragte sie rasch. »Sieh doch nur, wie bleich die Marie ist, Mama!«

Mit einem verzweifelten Ausdruck im Gesicht wandte ihre Freundin sich zu ihr um und zwinkerte ihr zu, aber Susanna

»Aber das ist doch nicht nötig«, versuchte Marie zu protestieren, doch Susanna eilte bereits zur Tür.

Das Dienstmädchen kam ihr entgegen, und Susannas Mutter wies sie an, dem Fahrer Bescheid zu geben, dass er das Automobil, vorfuhr. Der dunkelgrün lackierte Wagen der Firma Gräf und Stift mit dem Löwen als Kühlerfigur war Papas neueste Errungenschaft und sein ganzer Stolz.

 

In ihrem Zimmer angelangt, lehnte Susanna sich mit dem Rücken an die Tür. Ihr Herz raste. Das war gerade noch einmal gut gegangen! Ein dumpfer Schlag ertönte, sie schrie erschrocken auf und hob den Blick. Etwas fiel von der Scheibe aus ihrem Sichtfeld. Sie stürzte zum Fenster, riss es auf und starrte hinunter. Eisige Luft schlug ihr entgegen, und Schneeflocken schmolzen an ihren heißen Wangen. Mitten in dem winterlichen Weiß unter ihr lag ein kleiner Spatz. Das winzige Federbündel sah wie ein Schmutzfleck aus, über den sich der unablässig herabrieselnde Schnee barmherzig wie eine Decke legte. Und Susanna begann zu schluchzen. Zunächst leise, dann immer heftiger. Ihr ganzer Körper wurde durchgeschüttelt, und sie schlug die Hand vor den Mund und versuchte verzweifelt, sich zu beruhigen, während sie von einem Schuldgefühl überwältigt wurde, das sie sich überhaupt nicht erklären konnte. Doch der Tränenstrom ebbte erst ab, als von dem unglücklichen Tier nichts mehr zu sehen war.

 

Im Modeatelier ging es am folgenden Tag zu wie in einem Bienenstock. Halb Temeswar schien den Frühling und luftige leichte Stoffe herbeizusehnen. Normalerweise hätte Susanna diesen Tag genossen. Es war eine der wenigen gemeinsamen

»Geht es dir nicht gut, Kind? Soll man dir ein Glas Wasser bringen?«

Sie sah sich bereits nach der Schneidergehilfin um, aber Susanna winkte rasch ab. Ihre Mutter hatte ihr den Vortritt gelassen, und nun war die Schneiderin gerade dabei, bei ihr Maß zu nehmen. Sicher würde sie sich nicht so schnell für Stoff und Schnitte entscheiden können, wie sie.

»Meine Kopf- und Bauchschmerzen bringen mich um, Mama!«, wisperte sie. »Wie immer an diesen Tagen.«

Ihre Mutter verstand und sah sie mitfühlend an.

»Möchtest du dich setzen und ausruhen?«

»Bitte sei mir nicht böse, ich würde lieber beim Apotheker ein Päckchen Aspirin holen und ins Lloyd vorausgehen. Es ist doch nur wenige Schritte entfernt. Die frische Luft und der Kaffee werden mir sicher gut tun.«

Klara Keller runzelte die Stirn. »Ich werde hier aber noch eine Weile brauchen, und den Tamás habe ich fortgeschickt. Der kommt uns erst in zwei Stunden abholen. So ganz allein möchte

Damit meinte sie vermutlich die Schriftsteller und Journalisten, für die das Café ein beliebter Treffpunkt geworden war. Susanna winkte lächelnd ab.

»Geh, Mama, der Ober und fast alle Bedienungen kennen mich dort persönlich. Niemand wird es wagen, sich zu mir zu setzen oder gar mich zu belästigen.« Was nicht gelogen war, denn sie kehrten mit ihrem Vater mehrmals im Monat im Café Lloyd ein und Conrad Keller hinterließ stets ein großzügiges Trinkgeld – sehr zum Missfallen seiner Gattin.

»Also gut, ausnahmsweise. Man sieht dir ja wirklich an, dass du dich nicht wohlfühlst«, erklärte sie mitfühlend, zückte ihre Geldbörse und reichte ihr vier Kronen. »Gib gut darauf acht!«, ermahnte sie ihre Tochter. Susanna unterdrückte ein Augenrollen. Sie war doch kein Kleinkind mehr! Nächsten Monat würde sie achtzehn werden.

»Danke, Mama! Bis gleich. Ich versuche, einen Platz am Fenster zu ergattern.«

 

Kaum hatte sie das Modeatelier verlassen, eilte sie zur Apotheke. Natürlich waren die Schmerzen nur ein Vorwand gewesen, aber damit ihre Lüge nicht aufflog, musste sie das Aspirin besorgen. Susanna hatte Glück. Gerade war keine Kundschaft da, und so konnte sie, das Pulver hastig in ihrem Täschchen verstauend, weiter zum Theater laufen. Im Foyer empfingen sie hohe Violinentöne gefolgt von dem tieferen Klang einer Bratsche. Sie hatte sich nicht getäuscht, die Musiker waren um diese Zeit bei der Generalprobe. In Windeseile huschte sie zu einem der Eingänge und hatte bereits ihre Hand auf den Türgriff gelegt, als sie plötzlich jemand am Arm packte. Erschrocken fuhr sie herum. Vor ihr stand ein junger, schlaksiger Mann in grüner Livree mit Messingknöpfen.

Susannas Gedanken überschlugen sich. Was sollte sie dem Platzanweiser nur sagen, damit er eine Ausnahme machte und sie zu Johannes ließ? Und dann kam ihr die rettende Idee.

»Ich bitte Sie, lassen Sie mich nur kurz hinein. Mein Bruder, der Violinist Farber, leidet den ganzen Tag über schon unter furchtbaren Kopfschmerzen, und ich habe ihm eben ein Aspirin besorgt, damit er das Konzert heute Abend nicht vermasselt.« Sie öffnete ihr Täschchen und ließ zum Beweis ihrer Worte den Livrierten einen Blick auf die Packung werfen. Der zog dennoch skeptisch die Augenbrauen hoch.

»Geben Sie mir das Packerl, ich werde es ihm in der Pause aushändigen.«

»Nein!«, entfuhr es Susanna lauter als beabsichtigt, und sie schloss rasch das Täschchen, bevor er hineingreifen und ihr die Medizin wegnehmen konnte. Leiser fügte sie hinzu: »Mama hat mir aufgetragen, es nur persönlich zu überreichen. Sie wollen doch sicher nicht, dass ich daheim Schelte bekomme?«

Sie setzte ein so flehentliches Lächeln auf, dass es seine Wirkung nicht verfehlte. Schokoladenbraune Augen musterten sie nun interessiert, dann zog der junge Mann seine Taschenuhr aus dem Uniformrock und erklärte nach einem flüchtigen Blick auf das Ziffernblatt unter dem matt geriebenen, verkratzten Glas:

»In fünf Minuten ist Pause. Ich lasse Sie rein, aber Sie müssen mir versprechen, bis dahin ganz still zu sein.«

»Mucksmäuschenstill!«, versprach Susanna, legte zur Bekräftigung ihren Zeigefinger an die Lippen und schlüpfte durch die von ihm einen Spalt breit geöffnete Tür, bevor er es sich anders überlegen konnte. Atemlos verharrte sie im Dunkel, die Hände wie zum Gebet gefaltet, und hatte auf der Stelle nur noch Augen für Johannes. Er stand auf der beleuchteten Bühne mit zur Seite

 

»Susanna! Was machst du denn hier? Kommt ihr doch noch zum Konzert?«, fragte Johannes wenig später verblüfft und mit erfreut aufblitzenden Augen.

Er war in der Pause von der Bühne geeilt, sobald er sie entdeckt hatte, und nun saßen sie zusammen in einer der hinteren Reihen des Parketts, weit genug von den anderen Musikern und dem Dirigenten entfernt, um nicht belauscht zu werden. Sie warfen ihnen dennoch neugierige Blicke zu. Es war skandalös, dass sie sich hier ganz allein mit Johannes im Halbdunkel herumtrieb, aber was blieb ihr denn auch anderes übrig, wenn sie ein paar vertrauliche Worte mit ihm wechseln wollte?

»Ich habe beim Platzanweiser behauptet, dass ich deine Schwester bin und dir ein Aspirin gegen deine Kopfschmerzen vorbeibringe«, flüsterte sie.

»So?« Johannes grinste. »Dann werden mich jetzt alle um meine hübsche Verwandtschaft beneiden.«

Seine Worte ließen ihren Puls hochschnellen und machten ihr Mut für das Folgende. »Ich muss dir etwas sagen, wozu ich bei deinem letzten Besuch leider keine Gelegenheit hatte. Marie ist …«

»Zu der gehe ich gleich nach der Probe«, fiel ihr Johannes mit leuchtenden Augen ins Wort. »Vielleicht kann ich ihren Vater dazu überreden, sie ins Konzert mitzunehmen. Sie kann doch nicht ewig trauern, das hätte ihre Mutter sicher nicht gewollt. Er muss das einsehen.«

Susanna schluckte schwer und berührte seinen Arm. »Es liegt gar nicht an ihrem Vater, dass Marie nicht sogleich zugesagt hat.«

»Ach, Jo, ich habe schon einmal versucht, dir das begreiflich zu machen, aber Marie ist meine beste Freundin, und deshalb fällt es mir nicht leicht.«

»Ja, was ist denn nur mit ihr? Sie hat sich doch für meinen Brief bedankt.«

»Du musst gemerkt haben, wie verlegen sie deswegen war. Und dass sie ihren Vater um Erlaubnis fragen muss, ist nur ein Vorwand. Was sollte Onkel Benjamin denn gegen den Besuch eines Konzerts haben? Marie durfte schließlich auch nach dem Trauermonat mit uns zum Eislaufen und in das Kinematografen-Theater gehen.«

»Du meinst, sie … sie mag mich nicht mehr?« Seine Miene verzog sich voller Schmerz. »Oh, Gott, ich hätte ihr öfter schreiben sollen! Oder ist sie mir böse, weil ich nicht auf der Beerdigung war? Ich habe es viel zu spät erfahren, weil ich über die Feiertage bei meinen Eltern war!«

»Du trägst überhaupt keine Schuld. Schau, Marie ist schon so gut wie verlobt mit dem Samuel Grünberg. Stell dir vor, sie ist sogar mit ihm in der Zeit auf einem Ball tanzen gegangen, als ihre Mama noch schwer krank war. Und in derselben Nacht ist Elise dann auch gestorben.«

Johannes’ Gesicht versteinerte. Er starrte hinunter auf seine zitternden Hände, die er jetzt auf seinem Schoß so fest zusammenballte, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Ich kann nicht glauben, dass sie mir die ganze Zeit etwas vorgespielt hat. Das muss ein furchtbarer Irrtum sein!«

»Marie hat mir den Ball in allen Einzelheiten geschildert. Und sie spielt dir nichts vor, sie mag dich gern, aber sie war eben schon immer ein wenig … wankelmütig.« Die Lüge ging ihr so glatt von der Zunge, als hätte sie ihre beste Freundin nie anders erlebt. Ein Anflug von Reue streifte sie wie ein kalter Lufthauch, doch jetzt war es zu spät, um einen Rückzieher zu

Johannes atmete tief durch. Es fiel ihm sichtlich schwer, sich wieder zu sammeln. »Ich danke dir für deine Offenheit, Susanna, auch wenn sie mich schmerzt«, presste er mühsam hervor.

Sie griff nach seinen Händen, die ganz kalt waren und leicht zitterten, und drückte sie fest. »Ich bin immer für dich da, Jo! Es tut mir so leid, dass du es von mir erfahren musstest. Aber ich konnte einfach nicht mehr länger mit ansehen, wie du dir Hoffnungen machst. Marie ist meine liebste Freundin, doch du … bedeutest mir auch sehr viel.«

Sie fühlte, wie Schamesröte bei diesem Geständnis ihre Wangen überzog, aber Johannes schien ihre Worte gar nicht wahrzunehmen. Da rief der Dirigent auch schon nach ihm, und er fuhr zusammen.

»Entschuldige, ich muss weitermachen.« Er stand auf, und Susanna erhob sich ebenfalls.

»Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«, fragte sie beklommen. »Soll ich Marie etwas ausrichten?«

Johannes schüttelte den Kopf und rang sich ein trauriges Lächeln ab.

»Nein. Ich werde das selbst regeln. Auf Wiedersehen, Susanna.«

»Mach’s gut, Jo, und viel Erfolg heute Abend bei deinem Konzert!«

Er hatte sich schon abgewandt und ging mit hängenden Schultern auf die Bühne zu wie ein alter Mann. Das wird sich alles wieder einrenken, dachte Susanna und zwang sich, den Konzertsaal zu verlassen. Doch auch nachdem sie schon mit ihrer Mutter bei einem Stück Dobos-Torte und Kaffee im Palais