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Maui, August 2022

Es war ein Fehler, ihre Mutter am Abend anzurufen. Bevor Emma überhaupt dazu kam, ihr zu erzählen, was zwischen Michael und ihr vorgefallen war, hatte sie sich erst einmal geschlagene zehn Minuten lang anhören müssen, wie sie aus allen Wolken gefallen war, weil er bei ihr anrief. Wie viele Sorgen sie sich seither gemacht hatte und dass sie verdammt noch mal kein Kind mehr wäre, das einfach weglaufen konnte, ohne zu sagen, wohin. Während Emma überlegte, dass doch genau das ein Zeichen von Erwachsensein sein sollte, dass man eben niemandem mehr Rechenschaft schuldig war, schon gar nicht seinem Ex, hörte sie im Hintergrund die vergeblichen Beschwichtigungsversuche ihres Vaters, der immer wieder »Jetzt beruhige dich doch, Moni!« einwarf.

»Wie denn, wenn sie mir nicht einmal Bescheid gibt, wo sie gerade steckt! Es hätte ihr weiß Gott was passieren können, und ich wüsste zumindest gerne, auf welchem Kontinent sie sich aufhält!«

Emma hatte die Augen gerollt, geschwiegen und versucht, ihre Stimme auszublenden. Irgendwann war die Stille ihrer Mutter aufgefallen.

»Hallo? Bist du noch dran?«

»Mir geht es übrigens gut. Nur für den Fall, dass du dir tatsächlich Sorgen um mich machst.«

»Natürlich mache ich mir Sorgen!«

»Das hat mir dein Michael doch schon erzählt! Weil du darauf beharrst, lieber im Weltall herumzufliegen, statt mit ihm eine Familie zu gründen.«

An diesem Punkt überlegte Emma, ob sie eine Störung im Mobilfunknetz vortäuschen und einfach auflegen sollte. Aber sie hatte keine Lust, in den nächsten Tagen von ihr pausenlos angerufen zu werden.

»Hör zu, Mama. Ich muss jetzt Schluss machen, weil ich morgen früh raus muss. Ich komme ja bald wieder nach Hause, und dann erzähle ich euch gerne ausführlich meine Version, falls die euch überhaupt noch interessiert.«

»Ach, Emma, sei doch nicht immer gleich eingeschnappt! Natürlich will ich von dir hören, was passiert ist. Es ist schließlich nicht meine Schuld, dass dein Freund mich vor meiner eigenen Tochter anruft, um mir von eurer Trennung zu berichten.«

»Tja, dann ist es ja gut, dass er so fürsorglich ist«, entfuhr es ihr sarkastisch. »Wie gesagt, du kannst beruhigt schlafen, mir geht es gut, und wir sprechen einfach über alles daheim, okay?«

Wenn sie nicht wüsste, dass er genau diese Reaktion mit seinem Anruf bei ihrer Mutter provozieren wollte, hätte sie jetzt am liebsten Michaels Nummer gewählt und ihm die Meinung gesagt. Aber diese Genugtuung gönnte sie ihm nicht. Sein Kontakt war auf ihrem Handy stummgeschaltet, und es machte ihn vermutlich wahnsinnig, dass er sie nicht erreichen konnte.

»Wo bist du denn jetzt überhaupt?«, fragte ihre Mutter ein wenig ruhiger.

»Bei einer Freundin auf Hawaii. Ich habe sie in Washington beim Challenger Memorial kennengelernt. Sie war früher Lehrerin und Astronautin.«

»Und sie hat dich anschließend einfach so für Wochen zu sich ins Haus eingeladen? Sie kennt dich doch gar nicht!«

»Offenbar habe ich nicht den Eindruck einer

»Das ist nicht lustig, Christian«, sagte ihre Mutter.

»Becky ist eine wohlhabende Witwe und freut sich einfach, einige Tage Gesellschaft zu haben, weil ich mich für den Weltraum ebenso begeistere wie sie.«

»Kannst du mir ihre Adresse geben? Nur für alle Fälle.«

Emma zögerte einen Moment. Das war wieder typisch, wann würde ihre Mutter ihr jemals vertrauen? »Von mir aus«, gab sie schließlich nach.

 

Anschließend konnte Emma kaum einschlafen und wälzte sich eine halbe Ewigkeit im Bett hin und her. Ihr graute vor der Auseinandersetzung, die ihr in München bevorstand. Im Grunde hatte sie nur zwei Möglichkeiten: entweder den Kontakt mit ihren Eltern noch weiter einzuschränken, vielleicht sogar abzubrechen – was sie insbesondere ihrem Vater zuliebe nicht tun wollte – oder ihrer Mutter begreiflich zu machen, was sie fühlte und dass sich ihre Beziehung grundlegend ändern musste. Die meisten fochten diesen Kampf als Teenager aus. Wahrscheinlich war sie damals überhaupt nicht dazugekommen, zu rebellieren, weil sie von ihrer Mutter ständig beschäftigt worden war, um nur ja ausreichend gefördert zu werden. Warum hatte sie nur so eine Angst davor, mit den beiden Menschen, die sie auf ihre Weise am meisten auf der Welt liebten, ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen? So konnte es nicht weitergehen. Es war an der Zeit, auch bei ihren Eltern klare Linien zu ziehen. Durch das geöffnete Fenster drang der Ruf einer Eule, und Emma meinte, das Rauschen von Flügelschlägen zu hören. Oder es war die Brandung des Meeres. Auf jeden Fall hatte es etwas Beruhigendes, ihr fielen endlich die Augen zu, und schon halb im Schlaf dachte sie: Vielleicht ist Mut nur ein Paar Flügel, um der Angst in unserem Herzen davonzufliegen.

 

»Wer soll das alles essen?«, fragte Emma lachend, während sie Becky half, den Frühstückstisch zu decken und sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös seine Anwesenheit sie machte.

»Natürlich du. In meinem Alter verträgt man nicht mehr so viel Zucker, und wer weiß, was Elias mit dir hinterher noch vorhat.«

Die Zweideutigkeit ihrer Bemerkung war Becky offenbar gar nicht bewusst. Für einen kurzen Moment trafen sich seine und Emmas Blicke, und Elias schenkte ihr ein freches Grinsen, das ihr die Hitze in die Wangen trieb. Rasch nahm sie zwei Becher Kaffee von ihm entgegen, während er sich umdrehte und sich erneut an der Maschine zu schaffen machte. Ihr Blick fiel auf seine kräftigen Unterarme und die schmalen Hände, die routiniert mit der Espressomaschine hantierten, das Sieb entleerten und sekundenschnell neu einsetzten. Sie dachte daran, wie er ihr den Aufbau des Teleskops erklärt hatte. Verdammt, sie würde ihm wirklich gerne einmal bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Wenig später saßen sie am Tisch, Emma knabberte an ihrem Cookie und blickte in den tropischen Garten mit seinen vielen bunten Blüten und dem aufgewühlten Meer dahinter. Heute präsentierte es sich stürmisch. Weiße Wellenspitzen brachen sich an den schwarzen Lavafelsen, und es hatte eine dunkle Farbe angenommen. Vor ein paar Tagen hatte es noch glatt wie ein See ausgesehen und war türkis, nein eher grün wie Elias’ Augenfarbe gewesen. Sie wusste selbst nicht, warum an diesem Tag ständig ihre Gedanken zu ihm wanderten. Von den süßen Köstlichkeiten, die er mitgebracht hatte, musste sie einfach jede einzelne probieren. Hinterher war ihr ein wenig schlecht. Ganz

»Das hatte ich total vergessen, Jane nimmt sich ein paar Tage in der Praxis frei und würde sich wahnsinnig freuen, dich morgen Abend kennenzulernen, Emma.«

»Wie lange bleibt sie denn?«, fragte Elias und stellte seinen Kaffeebecher ab. »Ich habe sie auch schon ewig nicht mehr gesehen.«

»Bis Mittwoch. Sie möchte in der Mālama-Tierklinik in Wailuku vorbeischauen.«

»So, so!«, sagte Elias gedehnt und hob die Augenbrauen. Becky warf ihm einen strengen Blick zu. Das war irgendein Insider über seine Schwester, den Emma nicht verstand. Gespannt sah sie von einem zum anderen.

»Es geht nur um eine größere Aktion für heimatlose Katzen und Straßenhunde!«

»Selbstverständlich.« Elias’ Augen funkelten vergnügt. »Ich bin auch überzeugt davon, dass es rein gar nichts mit Dr. Delgado zu tun hat.«

Becky seufzte und wandte sich an Emma. »Er ist der Leiter einer Tierklinik hier auf Maui. Takeshi Delgado und meine Tochter waren während ihrer Studienzeit einmal sehr verliebt ineinander gewesen.«

»Eine typische On-off-Beziehung«, warf Elias ein.

»Jetzt übertreibst du aber!«, sagte Becky und zog die Stirn in Falten.

Elias beugte sich zu seiner Mutter und tätschelte ihre Hand. »Keine Sorge, ich weiß, dass sie wieder zusammenkommen werden und du deinen Wunschschwiegersohn erhältst.« Er zwinkerte Emma zu. »Takeshi könnte sich jederzeit für den Titel des ›sexiest man alive‹ bewerben.«

»Du vermittelst Emma ein völlig falsches Bild von ihm!«, stöhnte Becky. »Er ist ein wirklich feiner Mensch!«

»Hör nicht auf ihn, du wirst Jane mögen!«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Emma schmunzelnd.

 

Diesmal fuhr Elias nicht die Ostküste entlang wie bei ihrer Ankunft auf der Insel, sondern nahm die westliche Route Richtung Kahului. Emma hatte für die Übernachtung bei ihm einen Rucksack gepackt, den sie am nächsten Tag auch für ihre Trekkingtour einsetzen konnte. Becky zufolge wohnte ihr Sohn in einem kleinen Cottage mitten im Wald am Fuße des Haleakalā. Er hatte es von einem Aussteigerehepaar gemietet, das ganz in der Nähe eine kleine Farm mit Hühnern und einer Kuh betrieb, und sie könne sich auf noch weitaus exotischere Tiere gefasst machen. Emma platzte vor Neugier. Gerade kamen sie an den Wailua Falls vorbei, die sie schon mit Becky besichtigt hatte, und sie fragte:

»Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, in den Wald zu ziehen? Deine Mom meinte, du wohnst recht abgelegen.«

»Ach, was heißt auf einer so kleinen Insel schon abgelegen? Zur Arbeit brauche ich nur wenig länger als von der Stadt, etwa eine Dreiviertelstunde. Klingt vermutlich seltsam für einen Stadtmenschen wie dich, aber ich mag die Stille und nur Naturgeräusche um mich herum. Vogelzwitschern, das Prasseln von Regen auf den Blättern und den Holzdielen meiner Veranda, Neos tippelnde Schritte.«

»Wer ist Neo? Dein Hund?«

»So was Ähnliches.« Seine Mundwinkel zuckten. »Neo ist ein Chamäleon, das mich immer wieder mal besucht. Wobei Sam, der Golden Retriever von der Farm nebenan, auch öfter bei mir vorbeischaut.«

Elias’ Stimme hatte einen warmen Tonfall angenommen, der

»Nein. Überhaupt nicht!«

Sie wollte ihm gerne sagen, wie sehr sie jede Unterhaltung mit ihm genoss, seit sie sich begegnet waren. Und sie hätte gerne zugegeben, dass sie die vergangenen Jahre an der Seite eines Mannes verschwendet hatte, der ihr genau das entzog: Lebenskraft und Energie. Dass sie sich einsam gefühlt hatte, ohne es zu begreifen. Die letzten Tage an Beckys Seite und der gemeinsame Abend mit Elias hatten sich dagegen wie ein Geschenk angefühlt. Sie fühlte sich ihm auf unerklärliche Weise verbunden, als würden sie sich schon lange kennen. Aber alles, was sie heiser herausbrachte, war:

»Ich beneide dich darum. Ich habe so einen Ort bisher nicht gefunden. Mana gab es für mich nicht mal in meinem Elternhaus.«

Sie presste die Lippen aufeinander. Der letzte Satz war ihr einfach herausgerutscht, und sie bereute ihn sofort. Doch Elias bedauerte sie nicht, sondern erwiderte:

»Selbst wenn du in deiner Kindheit Mana gehabt hättest, wäre es dir mit dem Erwachsenwerden verloren gegangen.«

»Du meinst, wie bei Peter Pan? Die Kinder, die nicht mehr nach Nimmerland zurückkehren können?«, fragte sie lächelnd.

Er nickte. »Als ich klein war, habe ich mich daheim sehr wohlgefühlt. Als Teenager wollte ich nur noch weg. Dann kam Berkeley, die WG, neue Freunde. Auch diese Zeit ging vorbei. Kein Mensch kann ewig Student bleiben, Partys feiern, Kiffen

Eine nachdenkliche Falte war auf seiner Stirn erschienen, und Emma fragte sich, ob Mana nicht vielmehr der Zauber war, der in den Menschen steckte, die einen umgaben.

Gegen Mittag erreichten sie Kahului. Emma musste Elias insgeheim zustimmen. Die Stadt war nicht gerade ein Highlight. Einzig schön war die Aussicht auf den Haleakalā, der mächtig wie ein dunkler Schatten hinter der Küstenstadt aufragte. Kein Wunder, dass er von hier hatte wegziehen wollen. Das Straßenbild zeichnete sich vor allem durch viel Industrie und Shopping Malls aus, und Elias erzählte ihr, dass um die Stadt herum Zuckerrohrplantagen lagen.

»Wenn der Zucker während der Erntezeit gebrannt wird, ziehen riesige Rauchschwaden über das Land und der Regen aus Asche setzt sich überall auf den Wegen, Autos und Häusern ab. Deshalb wird er von den Bewohnern zynisch Hawaiianischer Schnee genannt.«

»Klingt nicht gerade verlockend. Müssen wir denn ausgerechnet hier zu Mittag essen?«

»Nein. Wir können auch zur Küste weiterfahren, wenn sich dein Hunger in Grenzen hält.«

»Nach dem Frühstück auf jeden Fall.« Emma stutzte. »Jetzt durchschaue ich deinen Plan! Deshalb hast du uns heute Morgen so viele Leckereien vom Bäcker gebracht. Du hattest gar nicht vor, in Kahului essen zu gehen.«

Seine Ohren wurden rot, und er sah sie ertappt an, wie ein Schuljunge, den man beim Schummeln erwischt hatte. »Zumindest habe ich gehofft, dass du bis Lāhainā durchhältst.«

 

»Ich sehe schon, ich muss unbedingt noch einmal hierherkommen.«

»Das würde uns sehr freuen!« Uns? Ihr Blick flog zu ihm und ihr wurde heiß. »Nicht nur meine Mom. Auch mich.« Sie hielten gerade an einer Ampel, und er sah sie so intensiv an, dass sie erst merkten, wie sie den Verkehr blockierten, als der Fahrer hinter ihnen hupte.

 

Lāhainā besaß eine historische Altstadt mit nostalgischen Holzbauten und ein Dutzend hübsche Kunstgalerien, durch die sie nach dem Essen schlenderten. Auf einer Tafel im Hafen las Emma, dass Melville sich in dem ehemaligen Walfängerdorf zu seinem Roman ›Moby Dick‹ hatte inspirieren lassen. Ihr fiel ein buntes Plakat ins Auge.

»Was bedeutet eigentlich Lūʼau? Ist das ein Volkstanz? So was wie Hula?«

Elias schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine Feier mit Festessen und Tanz. Mit dem Hula haben die Tänzer früher alte Mythen und Legenden überliefert. Auf Hawaii wird jede größere Familienfeier, ob Schulabschluss, Hochzeit oder Geburtstag, als Lūʼau bezeichnet«, fuhr Elias fort. »Bei Kaleos Familie habe ich einige miterlebt. Ich habe nämlich das Glück, zu seiner Ohana zu gehören. Damit meinen die Hawaiianer Familie, aber der Begriff ist bei ihnen viel weiter gefasst als bei uns. Ohana sind alle Menschen, mit denen man sich tief verbunden fühlt und für die man Liebe empfindet, gleichgültig, ob man blutsverwandt ist oder nicht.«

Der Gedanke berührte Emma. »Daran sieht man wieder einmal, dass die Sprache ein Spiegel der Gesellschaft ist.«

Emma trat näher. »Was meinst du?«

»Den Namen des Nationalfischs von Hawaii.« Sie folgte mit dem Blick seinem Finger, der auf einen Fisch mit weißem Bauch, gelb-blauem Rücken und hellblauen Flossen tippte. Darunter stand:

Discover the famous Humuhumunukunukuāpuaʼa.

»Das ist ein Witz, oder?«

»Keineswegs«, gluckste Elias. »Der Name bedeutet ›Fisch mit einem Maul wie ein Schwein‹. Versuch es mal!«

Er verschränkte die Arme über der Brust, lehnte sich lässig an die Holzwand des Kiosks und beobachtete sie amüsiert, wie sie sich vergeblich an der Aussprache des Wortes abmühte.

»Humunu muhu … nein, warte. Humuhumu nukunu mu …« Sein Grinsen wurde breiter. Schließlich gab sie auf.

»Also, sag schon, was ist der Trick?«

Elias grinste gutmütig. »Du musst den Namen zerlegen, damit es einfacher wird. So: Humu–humu–nuku–nuku–āpu–aʼa.«

Sie versuchte es: »Humuhumunukunukuāpuaʼa.« Ein wenig holprig klang es noch, aber zumindest schaffte sie das lange Wort überhaupt bis zum Ende.

Der Kioskbesitzer streckte den Kopf heraus, reckte grinsend den Daumen nach oben und rief: »Perfekt!«

»Auf keinen Fall!«, widersprach Elias empört. »Das schafft sie noch viel schneller! Wir machen das jetzt zu dritt im Chor!«

Emma konnte sich hinterher nicht erinnern, wann sie zuletzt so sehr gelacht hatte.

 

Als die Sonne unterging, geisterte der Name des Fisches immer noch in ihrem Kopf herum. Die Zeit mit Elias war viel zu schnell

»Müde?«, fragte er, als sie zum wiederholten Male gähnte und ihren Kopf an das Seitenfenster lehnte.

»Nur ein bisschen«, log sie.

»Sollen wir noch Abendessen gehen oder uns was mitnehmen?«

»Gibt’s hier denn einen guten Take-Away?«

»Einen Mexikaner in der Nähe meiner ehemaligen High School.«

»Du warst hier auf der Schule?«, fragte Emma verwundert. »Aber das ist doch ein ganz schönes Stück von deinem Elternhaus entfernt, oder?«

»Gut zwei Stunden. Der Nachteil, wenn man sein Traumhaus so abgelegen baut. Ich war unter der Woche auf dem Schulcampus von Seabury Hall untergebracht.« Ein Schatten war über sein Gesicht gehuscht, und Emma fragte vorsichtig: »Hast du deine Familie vermisst?«

Er seufzte und bog an der nächsten Kreuzung ab. Doch erst als der Mexikaner mit bunten Schildern vor ihnen auftauchte und er geparkt hatte, gab er zu: »Nicht nur sie. Vor allem war ich unglaublich sauer, dass ich nicht mit Kaleo die staatliche High School besuchen durfte. Seabury ist eine kostspielige Privatschule, die sich Kaleos Eltern nicht leisten konnten. In der Grundschule in Hāna und nahezu jeden Nachmittag waren wir

»Du hast gehofft, du fliegst von der Schule?«

Elias nickte und fuhr sich durchs Haar. »Ich hätte das damals auch gnadenlos bis zum Rauswurf durchgezogen. Aber Kaleo nannte mich einen kompletten Spinner. Er meinte, wenn sein Dad ihm so eine Chance bieten würde, würde er sich anstrengen und versuchen, Klassenbester zu werden. Erst da hab ich aufgegeben.«

»Er scheint wirklich ein guter Freund zu sein. Siehst du ihn noch oft?«

Elias zog den Zündschlüssel ab und öffnete die Tür. »Nein«, sagte er in einem Tonfall, der Emma davon abhielt, weiter zu fragen.

 

Die Nacht war angebrochen, als sie endlich über kurvige Straßen und einen abenteuerlichen Waldweg zu Elias’ Cottage gelangten. Es war in die natürliche Vegetation des Waldes eingebettet und strahlte eine gemütliche Blockhüttenatmosphäre aus. Nachdem Elias den Motor ausgeschaltet hatte, das Scheinwerferlicht erlosch und sie ausstiegen, umfing sie der würzige Duft von Kiefern, die in dieser Höhe bereits den Regenwald ablösten. Er mischte sich mit der süßen Note tropischer Blumen, die vor der Veranda blühten, und mit Elias’ Duft, der ihr nun ganz nahestand. Emma fielen sofort die Stille, die nur von dem Gurgeln eines Baches in der Ferne unterbrochen wurde, und der Sternenhimmel auf, der sich hell und klar über den Baumwipfeln abzeichnete.

»Hast du es schön hier!«, murmelte sie ergriffen und legte den Kopf in den Nacken. Sie konnte seinen Blick auf sich