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Temeswar, Juni 1914

Nimm die Hand aus dem Zopf, Susanna!«, befahl die Mutter. »Warum hast du dir das Haar heute Morgen denn nicht hochstecken lassen? Du bist doch kein Backfisch mehr!«

Susanna hatte gar nicht bemerkt, dass sie gedankenverloren an ihrem Zopfende gezwirbelt hatte.

»Verzeih, Mama, ich bin nicht rechtzeitig aufgestanden. Die Nanni wird sich gleich nach dem Frühstück um meine Frisur kümmern.«

»Sie soll sich sputen. Ich möchte nicht, dass wir zu spät zum Gottesdienst kommen, nur weil die werte Dame morgens nicht aus den Federn kommt.«

Susanna bemühte sich, die Schultern zu straffen und eine aufrechte Position am Frühstückstisch einzunehmen. Das fiel ihr leichter als noch vor wenigen Monaten, denn das Korsett, in das sie sich neuerdings schnürte, drückte zwar furchtbar, sorgte aber für die Haltung, die ihre Mutter sonst immer an ihr bemängelt hatte, und verbarg ihr kleines Geheimnis. Doch Mama fand jederzeit etwas, was sie an ihr aussetzen konnte, und Susanna war im Moment so übel, dass sie sich nicht auch noch auf Grabenkämpfe mit ihr einlassen konnte. Ihr Vater blickte stirnrunzelnd hinter der Zeitung auf.

»Sei doch nicht so streng mit ihr, Klara«, bat er in sanftem Ton. »Schau sie an, sie wagt es gar nicht mehr, etwas zu essen.«

Susanna schlug die Augen nieder und atmete flach aus halb geöffnetem Mund, damit der Geruch der Eier mit Speck nicht zu sehr in ihre Nase drang. Ungerührt hob ihre Mutter eine Gabel voll zu ihrem Mund, und Susanna musste den Blick abwenden. Oh, Gott, gleich würde sie sich übergeben.

»Darf ich bitte aufstehen?«, wisperte sie. »Ich habe so schreckliche Kopfschmerzen heute, Papa.«

»Aber natürlich«, antwortete er rasch, bevor ihre Mutter noch zu einer gegenteiligen Erwiderung ansetzen konnte.

Klara runzelte dennoch die Stirn. Im Hinausgehen hörte Susanna, wie sie zu ihm sagte: »Dein ständiges Verwöhnen und Nachgeben sind schuld daran, dass sie so einen schwachen Charakter hat, durch die Prüfungen gefallen ist und wiederholen muss. Marie Rosenfeld hat sie alle mit Auszeichnung bestanden. Und das, obwohl sie ganz bestimmt keinen Deut klüger ist als unser Kind und auch noch den Tod ihrer Mutter verkraften musste. Eine Schande ist das! Aber Benjamins Tochter hat einfach mehr Ehrgeiz beim Lernen an den Tag gelegt. Und du …«

Den Rest ihrer Worte verschluckte die zufallende Tür, und Susanna rannte auf dem Flur los, stieß beinahe die Kammerzofe um und schaffte es gerade noch rechtzeitig in ihr Zimmer, wo sie sich in die Waschschüssel erbrach. Ihr war elend zumute. Sie wünschte, sie könnte mit irgendeinem Menschen darüber sprechen, was für einen gewaltigen Fehler sie begangen hatte.

Susanna hatte sie sich ganz anders vorgestellt, diese Sache, über die sich Mägde und Zimmermädchen kichernd hinter vorgehaltener Hand unterhielten und worüber ihre Cousine Agnes ihr mit glühenden Wangen im Garten zugeflüstert hatte. Weniger blutig und schmerzhaft, und vor allem hatte sie geglaubt,

»Marie«, hatte er ihr bei jedem Stoß ins Ohr geraunt. »Liebste Marie.«

Hinterher war er zur Seite gekippt und einfach eingeschlafen. Susanna war mit tränenüberströmtem Gesicht schluchzend im Stroh gelegen und hatte sich wund, beschmutzt und vollkommen leer gefühlt. Als hätten die wenigen Minuten sie ihrer ganzen Kraft und Liebe beraubt. Irgendwann war sie zurück ins Haus geschlichen und hatte sich gewaschen, war ins Bett gekrochen und hatte die halbe Nacht lang geweint. Sie musste immerzu an die Trauer in Maries Augen denken, als sie sich bei der Tauffeier von ihr verabschiedet hatte, an das, was sie ihr angetan hatte.

»Ich kann doch nichts dafür«, hatte sie ihr scheinheilig ins Ohr gewispert. »Der Johannes ist einfach über mich hergefallen im Garten und hat mich geküsst. Er hat mich vollkommen überrumpelt.«

Natürlich hatte Marie ihr die Lüge abgenommen, sie fest an sich gedrückt und geflüstert: »Das weiß ich doch, liebste Susanna. Du hattest von Anfang an recht mit ihm.«

 

Nichts hatte sie durch ihre schändlichen Lügen gewonnen. Ihre beste Freundin war unendlich weit entfernt, und in ihrem Leib wuchs Johannes’ Kind heran, obwohl er keine Liebe für sie empfand. Sie war so dumm gewesen! Susanna hatte gleich

All die Zeit über hatte sie sich wie in einem Fieberwahn nach ihm verzehrt, doch jetzt spürte sie bei dem Gedanken an ihn nur noch ein verzerrtes Echo ihrer einstigen Leidenschaft. Aber es half nichts. Sie musste mit ihm reden und darauf vertrauen, dass er sich wie ein Ehrenmann verhielt und sie heiratete. Dass diese Ehe glücklich werden könnte, wagte sie gar nicht mehr zu hoffen.

 

Gleich nach dem Kirchgang fragte sie die Mutter, ob sie für ein paar Tage ihre Schwester Gisela in Arad besuchen dürfe, um den kleinen Ferdinand zu sehen. Zu ihrer Überraschung stimmte sie sogleich zu.

»Eine ausgezeichnete Idee. Du kannst ihr ein wenig zur Hand gehen, lernst, wie man einen Haushalt mit Kindern führt, und der Friedrich kennt bestimmt einige Offizierskollegen, mit denen er dich bekannt machen kann. Schau nicht so, Susanna. Es ist langsam an der Zeit, dass du in die Gesellschaft eingeführt wirst, du kannst nicht ewig Kind bleiben, dich hinter deinen Büchern verschanzen und dich mit den abenteuerlichen Fantasien eines Herrn Karl May beschäftigen.«

»Gut.« Zum ersten Mal seit Langem wirkte ihre Mutter zufrieden. »Ich sage deinem Vater, dass er deinen Besuch bei ihr und Friedrich ankündigen soll, und gebe deiner Zofe Bescheid, dass sie die Kleider aufbügelt und vorbereitet.«

Die musste Susanna natürlich selbst heraussuchen, denn einige passten ihr gar nicht mehr, was Mama nicht entdecken durfte. Zum Glück kannte die Nanni sie schon seit frühester Kindheit, stammte aus dem Dorf ihrer Großeltern und hegte eine Abneigung gegen Klara. Sie würde sie bei der Mutter sicher nicht anschwärzen. So kam es, dass sie am späten Nachmittag mit ihrer Zofe gerade beim Sortieren ihrer Wäsche war, als es klopfte und das Dienstmädchen mit einem Tablett in der Tür stand.

»Verzeihung, gnädiges Fräulein, hier ist der Tee, den Sie verlangt haben.«

Susanna hatte nichts dergleichen getan und wollte das Mädchen, das in ihrem Alter war, gerade zurechtweisen, als sie ihr heimlich zublinzelte.

»Danke. Stellen Sie es bitte hier auf den Tisch.« Das Mädchen tat wie geheißen und verließ den Raum. Susanna drehte sich zu ihrer Zofe um. »Nimm das grüne und das blaue und bügle es schon einmal auf. Ich brauche jetzt eine kleine Pause.«

»Aba nit zu lang. Die Frau Mama mecht heit no alle Kleida fir die Fahrt gepackt wissn, Susarl.«

Kaum war sie mit den Kleidern abgezogen, eilte Susanna zu dem Teetablett. Sie hob Tasse und Kanne an, konnte jedoch nichts entdecken. Erst als sie die Stoffserviette auseinanderfaltete, entdeckte sie einen winzig zusammengelegten Zettel. Mit klopfendem Herzen faltete sie ihn auseinander und erkannte die Schrift sofort. Susanna musste sich setzen. Die schön geschwungenen Lettern waren ihr noch von seinen Briefen an Marie vertraut. Sie formten nur einen einzigen Satz:

Hatte Johannes den Zettel dem Mädchen persönlich zugesteckt? Falls ja, würde das die knappen Worte ohne Absender erklären, und dennoch war es gefährlich. Was, wenn sie der Mutter das heimliche Treffen verriet? Sie sprang auf und lief unruhig zum Fenster und sah hinaus. Der Park mit verschlungenen Wegen, Pavillons und Rosenspalieren lag direkt gegenüber. Ein guter Treffpunkt, um nicht so rasch entdeckt zu werden. Oder wartete dort ein Bote auf sie mit einem weiteren Brief? Und wenn er es persönlich war, was wollte Johannes dann von ihr? Marie war nach Amerika unterwegs, das musste er inzwischen erfahren haben. Erinnerte er sich an das, was in der Scheune in der Nacht von Ferdinands Taufe geschehen war? Sie biss sich auf die Unterlippe und blieb stehen. Sie musste das Risiko eingehen. Sie war viel zu neugierig, was es mit diesem Zettel auf sich hatte, und außerdem war dies womöglich die einzige Gelegenheit, ihn persönlich zu sprechen. Wer wusste schon, ob sich ihr tatsächlich eine neue bei ihrem Besuch in Arad bieten würde? Vielleicht schleppte Gisela sie auch auf Geheiß ihrer Mutter von einem Nachmittagstee zum anderen, damit sie sich einen Offizier aussuchte, der viele Jahre älter als sie war! Schaudernd nahm Susanna den Sonnenhut vom Frisiertisch, kniff sich in die Wangen, um ein wenig rosiger zu wirken, und verließ das Zimmer. Sie hatte Glück. Es begegnete ihr niemand auf dem Korridor und der Treppe, aber sobald sie aus dem Haus schlüpfte, kam ihr der Tamás im Hof entgegen. Er tippte sich grüßend an die Mütze und musterte sie verwundert. Susanna setzte ein fröhliches Lächeln auf.

»Grüß dich, Tamás, holst du den Papa ab?«

»Ja, gnädiges Fräulein.«

»Das ist fein. Ich mache nur einen kurzen Spaziergang im Park. Wir haben doch heute so schönes Wetter.«

»Etwa allein?«

Sie musste überzeugend gewirkt haben, denn der Chauffeur nickte und ging zum Wagen, ohne ihr weiter Beachtung zu schenken, während sie durch das Tor lief und die Straße zum Park überquerte.

Immer am letzten Sonntag im Monat traf ihr Vater sich in einem Herrenclub mit Direktoren der »Temesvarer Sparkassa« und der Lloyd-Gesellschaft, Kolonialwarenhändlern, anderen Fabrikanten und dem Chefredakteur der ›Temesvarer Zeitung‹. Die Herren tauschten sich über Politik sowie das Ansehen und Gemeinwohl ihrer Stadt aus und darüber, wie man beides sinnvoll fördern könnte. Susannas Mutter waren diese Treffen ein Dorn im Auge.

»Die setzen dir noch mehr Flöhe ins Ohr! Wofür zahlen wir Steuern? Sollen wir jetzt etwa alles, was du mühsam erwirtschaftest, zum Aufbau der Stadt spenden?«

Susanna lief mit klopfendem Herzen an Blumenrabatten und üppig blühenden Rosenbögen vorbei. Der süße Duft lag schwer in der drückenden Sommerschwüle, kein Lüftchen regte sich, und Schweißtropfen lagen auf ihrer Stirn, als sie, von dem Lauf erhitzt, endlich das Bega-Ufer erreichte. Das Korsett drückte ihr die Luft ab, und sie musste sich kurz an einem Baumstamm abstützen, um wieder zu Atem zu kommen. Ihr Blick schweifte umher, und auf einer Parkbank unter einer Linde sah sie ihn. Johannes sprang auf, sobald er sie entdeckt hatte, und kam ihr schnellen Schrittes entgegen. Plötzlich waren all die Gefühle wieder da, die sie seit Wochen vermisst hatte, und überrollten sie mit ungeahnter Heftigkeit. Sein Gang war federnd, das schwarze Haar glänzte im Sonnenschein, und er hatte den Gehrock ausgezogen und trug ihn in der Hand. Die Erinnerung daran, wie sie in jener Nacht sein Hemd aufgeknöpft und über seine Brust gestrichen hatte, trieb ihr noch mehr Hitze in die

»Du hast mich belogen!« Seine Worte waren schneidend wie sein Blick. »Mich und Marie. Nur wegen dir ist sie jetzt nach Amerika geflohen.«

Also ging es ihm immer noch nur um sie. Susanna fühlte einen Stich in der Brust und den Anflug von Übelkeit in sich aufwallen und atmete tief durch.

»Das stimmt nicht«, begann sie leise, aber Johannes unterbrach sie sofort.

»Wage es nicht, mich erneut zu belügen! Samuel hat mir alles erzählt. Marie hat es ihm vor ihrer Abfahrt anvertraut.«

»Aber es ist nicht wahr, dass sie wegen dir ausgewandert ist. Onkel Benjamin war bankrott. Er brauchte einen Neuanfang, und den hat mein Vater heimlich finanziert, weil er nicht mitansehen konnte, wie die beiden immer mehr verarmten.«

Johannes runzelte die Stirn. »Mir wurde zugetragen, dass die jüdische Gemeinde dafür aufgekommen ist.«

»Vielleicht haben sie zusätzlich für ihn zusammengelegt, was weiß ich! Aber mein Vater hat dem Rabbi der Innenstadtsynagoge einen hohen Betrag gespendet, um Onkel Benjamin und Marie zu unterstützen. Er hat es mir selbst gesagt, ich lüge nicht.«

Eine Familie mit kleinen Kindern blieb ganz in ihrer Nähe stehen, und Johannes packte sie unsanft am Arm und zog sie ein paar Schritte weiter zu einer Parkbank im Schatten einer Weide, deren herabhängende Äste sie vor Passanten abschirmte. Susanna setzte sich, rieb ihren schmerzenden Arm und unterdrückte die Tränen, die in ihre Augen traten.

In seinen Augen loderte so viel Wut.

»Ja«, gab sie leise zu, denn welchen Sinn hätte es jetzt noch, das zu leugnen.

Johannes presste die Lippen aufeinander und schien alle Kraft zu brauchen, um sich zu sammeln. Sein Blick wanderte an ihr vorbei zum Fluss.

»Warum, Susanna?«, fragte er etwas ruhiger. »Sie ist deine beste Freundin seit Kindertagen! Marie hat von dir immer so liebevoll gesprochen wie von einer Schwester. Sie hat dir vertraut. Ich habe dir vertraut und Gisela meine Briefe übergeben, damit du sie weiterleitest. Hast du das überhaupt getan?«

Susanna schluckte schwer und sah auf die Hände in ihrem Schoß. »Nicht alle.«

Johannes zog scharf die Luft ein. »Wie konntest du ihr, uns beiden das nur antun? Wieso hast du im Theater behauptet, sie und Samuel wären so gut wie verlobt? Was hat dir Marie denn getan, dass du sie derart hasst?«

»Ich hasse sie doch gar nicht!«, rief sie unglücklich. »Das alles geschah doch nur, weil … weil ich mich in dich verliebt hatte.« Jetzt kamen sie doch, die Tränen, die sie unbedingt zurückhalten wollte.

Er schnaubte nur verächtlich und sah weiter stur geradeaus.

»Du wirst mir ihre Adresse in New York geben, sobald sie dir schreibt. Falls du dich weigerst, werde ich sie von Samuel besorgen. Ich überlasse es dir, ob du ihr vorab die Wahrheit gestehen willst. Aber ich werde ihr auf jeden Fall schreiben, dass ich sie liebe, niemals aufgehört habe, sie zu lieben, und dass du uns beide hintergangen hast.«

»Johannes …«, flehte Susanna und fühlte, wie sich ihr Magen verkrampfte und Magensäure die Speiseröhre hochstieg. Aber er sprach schon weiter.

Seine Stimme klang jetzt so verzweifelt, wie sie sich fühlte. Er stand auf und zog seinen Rock über die Weste. Er würde jetzt doch nicht einfach gehen?

»Schick mir ihre Adresse, sobald du sie hast. Ich möchte dich nie, nie mehr wieder sehen. Leb wohl.«

Und tatsächlich wandte er sich ab, doch Susanna sprang rasch auf und hielt ihn am Arm fest. Johannes fuhr herum, eine Zornesfalte zwischen den dichten Augenbrauen. »Was denn noch? Sei froh, dass ich niemandem von deinem abscheulichen Verhalten erzähle!«

Sie schluckte. Öffnete den Mund. Atmete zittrig ein und sah sein geliebtes Gesicht nur verschwommen unter all den Tränen.

»Ich erwarte ein Kind von dir.«

Johannes taumelte rückwärts, als hätte sie ihn geschlagen. Seine Augen weiteten sich, die Pupillen riesige schwarze Tintenkleckse in dem hellen Blau, und er schüttelte den Kopf und ballte die Fäuste. »Das ist nicht wahr«, keuchte er. »Nur eine weitere Lüge, um …«

»Bitte, Jo, hör mich an! In der Nacht nach der Tauffeier waren wir zusammen in der Scheune und …«

»SEI STILL!«, rief er so laut, dass einige Enten im Fluss schnatternd aufflatterten und davonflogen. Susanna sah sich gehetzt um. Aber zum Glück schien gerade niemand in ihrer Nähe gewesen zu sein. Entschlossen wischte sie sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen und straffte die Schultern.

»Ich habe das alles so nicht gewollt. Es war dumm und rücksichtslos, aber das habe ich zu spät erkannt, und jetzt tut es mir aufrichtig leid. Glaub mir, wenn ich die Zeit zurückdrehen und alles wieder rückgängig machen könnte, würde ich es sofort

Johannes legte den Kopf in den Nacken und begann zu lachen. Das Geräusch jagte Susanna einen kalten Schauer über den Rücken. Es war ein bitteres, hilfloses Lachen, das am Ende in einen nach Luft ringenden Verzweiflungslaut überging.

»Bitte, Jo, was soll ich denn jetzt tun?« Sie legte ihre Hände auf ihren Bauch, und er folgte ihnen mit seinem Blick und erschauderte. Jede Farbe wich aus seinem Gesicht.

»Ich weiß es nicht. Ich …« Er brach ab, schüttelte den Kopf, drehte sich um und ging.

Susanna schnappte nach Luft. »Johannes!«, rief sie. »Du kannst mich jetzt doch nicht einfach alleinlassen!«

Aber er rannte nun schneller, floh geradezu, und hinter der nächsten Baumgruppe war er bereits aus ihrer Sichtweite verschwunden. Sie presste die Hand auf den Mund, um ihren Schrei zu unterdrücken. Was hast du erwartet? Dass er sich freut, vor dir auf die Knie sinkt und dir auf der Stelle einen Heiratsantrag macht? Nach all dem, was du ihm angetan hast? Am ganzen Körper zitternd sank sie zurück auf die Bank. Jetzt war alles aus. An wen konnte sie sich noch wenden? Ihre Mutter? Ausgeschlossen! Ihrem Vater würde sie das Herz brechen. Gisela? Sie würde sofort alles der Mutter berichten. Die Agnes! Sie musste zur Oma ins Dorf und mit der Agnes sprechen. Vielleicht wusste ihre Cousine einen Rat.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Susanna sich so weit beruhigt hatte, dass sie sich imstande sah, zurückzugehen. Im Hof stand das Automobil, Papa war mit Tamás also schon angekommen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, wo sie so lange gewesen war, und ging fieberhaft alle möglichen Ausreden in ihrem Kopf durch. Doch als sie das Haus betrat, herrschte eine

»Etwas Furchtbares ist geschehen, Susanna. Der Chefredakteur der ›Temesvarer Zeitung‹ hat während unseres Treffens eine Depesche bekommen. Heute Mittag hat ein hinterhältiger Attentäter den österreichischen Thronfolger und seine Gattin in Sarajewo auf offener Straße ermordet.«