Letzte Worte

In the late summer of that year we lived in a house in a village that looked across the river and the plain to the mountains. In the bed of the river there were pebbles and boulders, dry and white in the sun, and the water was clear and swiftly moving and blue in the channels. Troops went by the house and down the road and the dust they raised powdered the leaves of the trees. The trunks of the trees too were dusty and the leaves fell early that year and we saw the troops marching along the road and the dust rising and leaves, stirred by the breeze, falling and the soldiers marching and afterward the road bare and white except for the leaves.


Im Spätsommer dieses Jahres waren wir in einem Haus in einem Dorf mit Blick über den Fluss und die Ebene zu den Bergen. Im Fluss­bett lagen Kiesel und Felsen, trocken und weiß in der Sonne, und das Wasser war klar und strömte schnell und blau in den Rinnen. Soldaten gingen am Haus vorbei die Straße hinunter, und der Staub, den sie aufwirbelten, senkte sich auf das Laub der Bäume. Auch die Stämme der Bäume waren staubig, und das Laub fiel früh in diesem Jahr, und wir sahen die Soldaten die Straße entlangmarschieren und den Staub aufsteigen und die vom Wind bewegten Blätter fallen und die Soldaten marschieren und hinterher die Straße kahl und weiß bis auf die Blätter.


Ernest Hemingway, In einem anderen Land

So lautet der berühmte erste Abschnitt von Ernest Hemingways In einem anderen Land. Die Ankündigung, dass der Roman, der als Hemingways letzter gilt, im nächsten Jahr posthum erscheinen würde, bewog mich dazu, In einem anderen Land noch einmal zu lesen. Dieser Abschnitt, der 1929 veröffentlicht wurde, hält einer Prüfung stand: vier scheinbar einfache Sätze, 126 Wörter (im Englischen), deren Anordnung für mich heute ebenso geheimnisvoll und aufregend ist wie beim ersten Lesen im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren, als ich mir vorstellte, dass ich, wenn ich sie nur genau genug analysierte und fleißig genug übte, eines Tages selbst 126 Wörter so würde anordnen können. Nur eines der Wörter hat drei Silben. Zweiundzwanzig haben zwei. Die an­deren 103 haben eine. Vierundzwanzig Wörter lauten »the«, fünfzehn »and«. Es gibt vier Kommas. Die liturgische Kadenz des Abschnitts rührt teilweise von der Setzung der Kommas her (ihre Anwesenheit im zweiten und vierten Satz, ihre Abwesenheit im ersten und dritten), aber auch von der Wiederholung von »the« und »and«, die einen so prononcierten Rhythmus verursacht, dass das Weglassen des Artikels »the« vor dem Wort »leaves« im vierten Satz (»and we saw the troops marching along the road and the dust rising and leaves, stirred by the breeze, falling«) bewirkt, was es bewirken soll, ein Frösteln, eine Vorahnung, einen Schatten, der auf die folgende Geschichte vorausweist, das Bewusstsein, dass der Autor seine Aufmerksamkeit bereits dem Spätsommer entzogen und auf eine dunklere Jahreszeit gerichtet hat. Die Stärke dieses Abschnitts, der uns in Wirklichkeit eine Illusion und nicht die konkrete Tatsache vorstellt, liegt in dieser Art absichtlichen Weglassens, in der Spannung zurückgehaltener ­Information. Im Spätsommer welchen Jahres? Welcher Fluss, welche Berge, welche Truppen?

Wir alle kennen das »Leben« des Mannes, der diesen Abschnitt geschrieben hat. Die eher draufgängerischen Reize seines Privatlebens sind im Strom des nationalen Gedächtnisses festgehalten: Ernest und Hadley haben kein Geld, also fahren sie den ganzen Winter über in Cortina Ski. Pauline kommt für eine Weile zu Besuch. Ernest und Hadley streiten sich über Pauline, also suchen sie alle Zuflucht in Juan-les-Pins. Pauline erkältet sich und erholt sich im Waldorf Astoria. Wir haben die Schnappschüsse gesehen: der gefeierte Autor, wie er mit den Stieren in Pamplona kämpft, vor Havanna nach Speerfischen jagt, auf Bimini boxt, mit den spanischen Loyalisten den Ebro überquert, neben »seinem« Löwen oder »seinem« Büffel oder »seiner« Antilope in der Serengeti kniet. Wir haben die Hinterbliebenen des gefeierten Autors beobachtet, seine Briefe gelesen, seine Exzesse beklagt oder Lehren aus ihnen gezogen, aus seinen Posen, aus den Demütigungen, die sein Anspruch auf persönlichen Machismus nach sich zog, den Erniedrigungen, die seine offenkundige Toleranz der eigenen Berühmtheit gegenüber sowohl bewirkte als auch enthüllte.

»Ich will dich über einen jungen Mann namens Ernest Hemingway in Kenntnis setzen, der in Paris lebt (ein Amerikaner), für die Transatlantic Review schreibt und eine großartige Zukunft hat«, schrieb F. Scott Fitzgerald 1924 an Maxwell Perkins. »Ich würde ihn sofort aufsuchen. Er ist der Wahre.« Zu der Zeit, als »der Wahre« seine großartige Zukunft sowohl verwirklicht als auch ruiniert sah, hatte er das Tal extremer emotionaler Zerbrechlichkeit und so schwerwiegender Depressionen betreten, dass er sich im Februar 1961, nach der ersten von zwei Behandlungen mit Elektroschocks, nicht in der Lage sah, auch nur den einen Satz zu beenden, den er einer Festschrift für John F. Kennedy beizusteuern versprochen hatte. Am frühen Morgen des 2. Juli 1961, einem Sonntag, stand der gefeierte Autor aus seinem Bett in Ketchum in Idaho auf, ging ins Erdgeschoss, holte aus einem Vorratsraum im Keller ein doppelläufiges Boss-Jagdgewehr und leerte beide Läufe mitten hinein in seine Stirn. »Ich ging hi­nunter«, berichtete Mary Welsh, seine vierte Frau, in ihren Erinnerungen How it Was von 1976, »sah einen zerwühlten Haufen aus Bademantel und Blut, das Jagdgewehr lag inmitten von zerfetztem Fleisch im vorderen Windfang des Wohnzimmers.«


Die Beschaffenheit des didaktischen Moments dieser Biografie ließ uns manchmal vergessen, dass dieser Autor zu seiner Zeit die englische Sprache erneuert und den Rhythmus dessen verändert hatte, wie sowohl seine Generation als auch mehrere der kommenden Generationen reden, schreiben und denken würden. Allein die Grammatik eines Satzes von Hemingway gab eine spezifische Art und Weise vor, die Welt zu betrachten, ohne an ihr teilzuhaben, sich in ihr zu bewegen, ohne sich einzumischen, ein romantischer Individualismus, der dezidiert seiner Zeit und seinem Ursprung angepasst war. Folgen wir diesen Sätzen, dann sehen wir die Truppen die Straße entlangmarschieren, aber wir marschieren nicht zwangsläufig mit. Wir berichten, aber wir nehmen nicht teil. Wir schließen wie Nick Adams in den Nick-Adams-Stories und Frederic Henry in In einem anderen Land einen gesonderten Frieden: »Im Herbst war der Krieg immerzu da, aber wir gingen nicht mehr hin.«

Die Wirkung dieser Hemingway’schen Diktion reichte so tief, dass sie nicht nur zur Stimme seiner Bewunderer, sondern auch zur Stimme derjenigen wurde, deren Weltverständnis keineswegs in romantischem Individualismus gründete. Ich erinnere mich, dass ich, als ich 1975 in einem Seminar in Berkeley George Orwell unterrichtete, überrascht war, wie stark in seinen Sätzen Hemingway zu hören war. »Die Berge uns gegenüber waren grau und faltig wie Elefantenhäute«, schrieb Orwell in Mein Katalonien 1938. »Die Berge jenseits des Ebrotals waren lang und weiß«, hatte Hemingway 1927 in Berge wie weiße Elefanten geschrieben. »Eine Menge lateinischer Wörter fällt wie weicher Schnee auf die Fakten, lässt die Umrisse verschwimmen und deckt alle Einzelheiten zu«, hatte Orwell 1946 in Politik und englische Sprache geschrieben. »Mir war es immer peinlich, wenn Wörter wie heilig, ruhmreich, Opfer oder vergebens benutzt wurden«, hatte Hemingway 1929 in In einem anderen Land geschrieben. »Es gab viele Wörter, die einem unerträglich waren, und am Ende besaßen nur die Ortsnamen Würde.«

Er war ein Mann, für den Wörter zählten. Er arbeitete an ihnen, er verstand sie, er ging ihnen auf den Grund. Als er vierundzwanzig Jahre alt war und Einsendungen für Ford Madox Fords Transatlantic Review las, versuchte er manchmal, sie umzuschreiben, als Übung. Sein Wunsch, dass ihn nur solche Wörter überleben sollten, die er zur Veröffentlichung für geeignet hielt, hätte deutlich genug sein sollen. »Ich erinnere mich, wie Ford mir sagte, dass ein Mann einen Brief immer mit dem Gedanken daran schreiben soll, wie er für die Nachwelt klingt«, schrieb er 1950 an Arthur Mizener. »Das hat einen so schrecklichen Eindruck auf mich gemacht, dass ich alle Briefe in der Wohnung verbrannte, einschließlich denen von Ford.« In einem Brief, der auf den 20. Mai 1958 datiert, an »meine Vollstrecker« gerichtet ist und in seinem Bibliothekssafe in der Finca Vigía deponiert war, schrieb er: »Es ist mein Wunsch, dass keiner der Briefe, die ich in meinem Leben geschrieben habe, veröffentlicht wird. Dementsprechend verlange ich hiermit von Ihnen und weise Sie dahingehend an, keinen dieser Briefe zu veröffentlichen oder der Veröffentlichung durch andere zuzustimmen.«

Seine Witwe und Testamentsvollstreckerin Mary Welsh Hemingway, die die Last dieser Beschränkung als eine beschrieb, die »mir ständig Probleme und anderen Enttäuschungen bereitete«, entschied sich schließlich dazu, sie zu missachten, und veröffentlichte in How It Was Auszüge aus bestimmten Briefen und erteilte Carlos Baker die Erlaubnis, weitere sechshundert in seinem Buch Ernest Hemingway: Ausgewählte Briefe, 1917–1961 zu publizieren. »Es besteht kein Zweifel an der Weisheit und Richtigkeit dieser Entscheidung«, schrieb Baker, denn die Briefe »werden die allgemeine Leserschaft nicht nur informieren und unterhalten, sondern auch ernsthafte Studierende der Literaturwissenschaft mit den für die weitere Erforschung des Lebens und der Errungenschaften eines der Giganten der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts notwendigen Dokumenten versehen.«

Das Eigentümliche am Schriftstellerdasein ist die dem Ganzen innewohnende tödliche Beschämung, seine eigenen Worte gedruckt zu sehen. Das Risiko der Veröffentlichung ist die düstere Tatsache dieses Lebens, und selbst unter Autorinnen und Autoren, die weniger als Hemingway dazu neigen, Wörter als Ausdruck der persönlichen Ehre zu verstehen, löst die Vorstellung, dass Worte, die man nicht zu veröffentlichen gewagt hat, von »ernsthaften Studierenden der Literaturwissenschaft« »weiter erforscht« werden sollten, nicht unbedingt Begeisterung aus. »Niemand möchte beschattet werden«, hatte Hemingway 1952 einem dieser Forscher namens Charles A. Fenton von der Universität Yale mitgeteilt, der Hemingway den Briefen zufolge quälte, indem er ihm fortlaufend Auszüge dessen schickte, was einmal Die Lehrzeit Ernest Hemingways: Die frühen Jahre werden sollte. »Man will nicht von einem Amateurdetektiv beschattet, erforscht, befragt werden, mag er noch so gelehrt oder ehrlich sein. Sie sollten in der Lage sein, das zu verstehen, Fenton.« Einen Monat später versuchte es Hemingway erneut. »Ich finde, Sie sollten das ganze Projekt fallen lassen«, schrieb er an Fenton und fügte hinzu: »Es ist unmöglich, ohne die Mitarbeit des Betreffenden zu irgendeiner Wahrheit zu kommen. Eine solche Mitarbeit verlangt einen fast ebenso hohen Aufwand, wie sie es einen Mann kosten würde, seine Autobiografie zu schreiben.« Einige Monate später versuchte er es immer noch:

Auf der ersten Seite oder den ersten Seiten Ihres MS fand ich so viele fehlerhafte Tatsachen, dass ich den Rest des Winters damit verbringen müsste, sie umzuschreiben und Ihnen die richtigen Informationen zu geben, und wäre nicht in der Lage, irgendetwas Eigenes zu schreiben … Und noch etwas: Sie sind mithilfe von Kassenanweisungen auf unsignierte Texte von mir gestoßen. Aber Sie wissen nicht, welche Texte von der Redaktion geändert oder umgeschrieben wurden und welche nicht. Nichts ist schlimmer für einen Schriftsteller, als dass seine frühen Arbeiten umgeschrieben und verändert wurden, um ohne seine Erlaubnis als seine eigenen veröffentlicht zu werden.

Eigentlich kenne ich nur wenige Dinge, die schlimmer sind als ein Schriftsteller, der die journalistischen Artikel eines Schriftstellerkollegen sammelt, die dieser nicht aufbewahren will, weil sie wertlos sind, und sie veröffentlicht.

Das ist mir sehr wichtig, Mr Fenton. Ich habe Ihnen das bereits geschrieben und ich schreibe es Ihnen noch mal. Sie haben kein Recht, Arbeiten zu veröffentlichen, die ich nicht veröffentlichen möchte. Ich würde Ihnen so etwas ebenso wenig antun, wie ich einen Mann beim Kartenspiel betrügen oder seinen Schreibtisch oder Papierkorb durchwühlen oder seine persönlichen Briefe lesen würde.

Man kann davon ausgehen, dass ein Schriftsteller, der Suizid begeht, von dem Werk, das er unvollendet lässt, nicht völlig überzeugt war, und doch scheint es wenig Zweifel darüber gegeben zu haben, was mit dem unvollendeten Manuskript geschehen sollte. Das betrifft nicht nur »das Pariser Material« (wie er es nannte) oder Paris – Ein Fest fürs Leben (wie Scribner es nannte), das Hemingway Scribner 1959 auch wirklich gezeigt, dann aber für eine Überarbeitung wieder zurückgezogen hatte, sondern auch die Romane, die später unter den Titeln Inseln im Strom und Der Garten Eden veröffentlicht wurden, einige der Nick-Adams-Stories, die Aufzeichnungen, die Mrs Hemingway »die Urschrift« der Stierkampf-Texte nannte und die vor Hemingways Tod in Life erschienen waren (daraus wurde Gefährlicher Sommer), und der Text, den sie als »seinen halb fiktionalen Bericht über unsere Afrika-Safari« bezeichnete, woraus sie 1971 und 1972 drei Auszüge in Sports Illustrated veröffentlichte.

Was folgte, war die systematische Entwicklung eines vermarktbaren Produkts, ein eigenständiges Œuvre, das sich von seiner Art her von dem Œuvre unterschied – und es tendenziell im Grunde überdeckte –, das Hemingway zu Lebzeiten veröffentlicht hatte. Die Entwicklung dieses Produkts zu einer Marke war so erfolgreich, dass Thomasville Furniture Industries laut der House & Home-Beilage der New York Times im Oktober eine »Ernest-Hemingway-Kollektion« auf der International Home Furnishing Messe in High Point in North Carolina vorstellte, die »96 Möbelstücke für Wohnzimmer, Esszimmer und Schlafzimmer mit Zubehör« zu vier Themen anbot; »Kenia«, »Key West«, »Havanna« und »Ketchum«. »Heutzutage gibt es nicht mehr viele Helden«, sagte Marla A. Metzner, die Präsidentin von Fashion Licensing of America der Times. »Wir kehren zu den großen Ikonen des Jahrhunderts als Marken des Heroischen zurück.« Laut der Times »entwarf« Ms Metzner nicht nur »die Ernest-Hemingway-Marke zusammen mit Hemingways drei Söhnen Jack, Gregory und Patrick«, sondern repräsentiert »auch die Enkel von F. Scott Fitzgerald, die um eine Fitzgerald-Marke gebeten haben«.

Dass so das logische Ergebnis posthumen Marketings aussehen würde, kann Mary Welsh Hemingway nicht wirklich klar gewesen sein. Zu Hemingways Lebzeiten scheint sie den Marketing-Impulsen von A. E. Hotchner kühl gegenübergestanden zu haben, dessen dreizehnjährige Korrespondenz mit Hemingway das Gefühl vermittelt, er hätte den scheiternden Autor nicht als die überforderte und verzweifelte Person betrachtet, die in den Briefen zum Ausdruck kommt, sondern als unerschöpfliche Ressource, eine Mine, die man ausschlachten kann, eine Komponente, die in seine vielfältigen verlegerischen und unterhaltungsorientierten »Projekte« eingehen konnte. Die Witwe versuchte, die Veröffentlichung von Hotchners Papa Hemingway zu verhindern, und obwohl der Briefwechsel deutlich macht, dass Hemingway selbst dem Autor vertraute und sich stark auf ihn verlassen hatte, stellte sie Hotchner in ihren eigenen Erinnerungen hauptsächlich als eine Art persönlichen Assistenten dar, als jemanden, der Manuskripte abholte, Wohnungen einrichtete, die Erscheinung eines Zelig in Massenszenen: »Als die Ile de France am 27. Mai mittags im Hudson River vor Anker ging, waren wir hocherfreut, zu sehen, dass Charlie Sweeny, mein Lieblingsgeneral, auf uns wartete, zusammen mit Lillion Ross, Al Horowitz, Hotchner und einigen anderen.«

In diesen Erinnerungen, die nur deshalb erinnernswert sind, weil sie eine eher angestrengte Mischung aus einer recht bemerkenswerten Kompetenz und einer gleichermaßen strategischen Inkompetenz ihrer Autorin offenbaren (sie kommt am Tag der Befreiung in Paris an und ergattert ein Zimmer im Ritz, scheint aber vom häuslichen Problem, wie das Licht im Speisezimmer in der Finca Vigía verbessert werden könnte, überfordert), teilt Mary Welsh Hemingway ihre Überzeugung mit, zu der sie trotz beachtlicher gegenteiliger Beweise gekommen war, dass ihr Ehemann »eindeutig« von ihr erwartete, »einen Teil, wenn nicht sogar das gesamte Werk« zu veröffentlichen. Die Richtlinien, die sie sich selbst für diese Aufgabe setzte, waren aufschlussreich: »Abgesehen von der Zeichensetzung und den offenbar übersehenen ›unds‹ und ›abers‹ würden wir diese Prosa und Lyrik den Leserinnen und Lesern so präsentieren, wie er sie geschrieben hatte, einschließlich der Lücken.«


Tja, da haben wir’s. Man kann die Zeichensetzung für wichtig halten oder auch nicht, und Hemingway hielt sie für wichtig. Man kann die »unds« und »abers« für wichtig halten oder auch nicht, und Hemingway hielt sie für wichtig. Man findet etwas gut genug, um es zu veröffentlichen, oder auch nicht, und Hemingway fand das nicht. »Das war’s; mehr Bücher gibt’s nicht«, sagte Charles Scribner III der New York Times, als er das Erscheinen des »Hemingway-Romans« im Juli 1999 anlässlich der Feier von dessen hundertjährigem Geburtstag ankündigte. Diese Arbeit, die mit der aus dem Text stammenden Zeile Die Wahrheit im Morgenlicht betitelt wurde (»In Afrika ist etwas im Morgenlicht wahr und mittags eine Lüge, und man gibt nicht mehr darauf als auf den reizenden, von hohem Gras gesäumten See am anderen Ende der sonnenversengten Salzebene. Man hatte diese Ebene am Vormittag durchquert, und man weiß, es gibt dort keinen solchen See.«), gilt als der Roman, an dem Hemingway zwischen 1954, als er und Mary Welsh Hemingway von der Safari in Kenia zurückkehrten, die ihm den Erzählstoff lieferte, und seinem Suizid 1961 unregelmäßig arbeitete.

Dieser »afrikanische Roman« scheint ihm anfangs nur den Widerstand entgegengebracht zu haben, der die frühe Phase eines jeden Romans charakterisiert. Im September 1954 schrieb Hemingway Bernard Berenson aus Kuba, dass sich die Klimaanlage ungünstig auf das auswirke, woran er schreibe: »Man kommt mit dem Schreiben voran, aber es ist so falsch, als wäre es an einem Ort entstanden, der das Gegenteil eines Gewächshauses ist. Vielleicht werfe ich alles weg, aber wenn die Morgen wieder frisch sind, kann ich vielleicht das Skelett dessen verwenden, was ich geschrieben habe, und es mit den Gerüchen und den frühen Geräuschen der Vögel und all den anderen schönen Dinge dieser Finca auffüllen, die in den kalten Monaten fast so sind wie in Afrika.« Im September 1955 schrieb er noch einmal an Berenson, diesmal auf einer neuen Schreibmaschine, und erklärte, er könne seine alte nicht benutzen, weil darin »Seite 594 des (afrikanischen) Buchs steckt, bedeckt von der Schutzhaube, und es Unglück bringt, Seiten herauszunehmen«. Im November 1955 berichtete er Harvey Breit von der New York Times: »Ich bin auf Seite 689, und wünsch mir Glück, Junge.« Im Januar 1956 schrieb er seinem Rechtsanwalt Alfred Rice, dass er auf Seite 810 angekommen sei.

Dort legt sich in den Ausgewählten Briefen dann eine gewisse Stille über die Sache mit dem afrikanischen Roman. Achthundertzehn Seiten oder keine einzige, es gibt einen Punkt, an dem jede Schriftstellerin und jeder Schriftsteller weiß, dass aus einem Buch nichts wird, und jeder Schriftsteller und jede Schriftstellerin ebenfalls weiß, dass die Vorräte an Willen und Energie, Erinnerungen und Konzentration, die es brauchen würde, um daraus etwas zu machen, vielleicht einfach nicht zur Verfügung stehen. »Wenn es am schlimmsten und am hoffnungslosesten ist, muss man einfach weitermachen – man kann mit einem Roman nur eines tun, und zwar muss man immer weiter durch das verdammte Ding durch bis ans Ende gehen«, schrieb Hemingway 1929 an F. Scott Fitzgerald, als Fitzgerald eine Schreibblockade mit dem Roman hatte, der 1934 unter dem Titel Zärtlich ist die Nacht erschien.

1929 war Hemingway dreißig. Seine Konzentration oder die Fähigkeit »weiterzumachen, wenn es am schlimmsten und am hoffnungslosesten ist«, war noch groß genug, um mit dem Umarbeiten von In einem anderen Land weiterzumachen, während er sich im Dezember 1928, nach dem Suizid seines Vaters, zugleich um die Belange seiner Mutter, seiner sechzehnjährigen Schwester und seines dreizehnjährigen Bruders kümmerte. »Natürlich ist mir klar, dass ich mir nicht den Kopf zerbrechen, sondern mich an die Arbeit machen sollte – mein Buch anständig beenden sollte, damit ich sie mit den Einnahmen unterstützen kann«, hatte er wenige Tage nach der Beerdigung seines Vaters an Maxwell Perkins geschrieben, und sechs Wochen später gab er das fertige Manuskript ab. Er hatte eine Ehe in die Brüche gehen sehen, aber noch nicht drei. Er lebte noch nicht mit den Hinterlassenschaften der beiden Flugzeugabstürze von 1954, die seine Leber, seine Milz und eine seiner Nieren beschädigt und den unteren Darmbereich hatten kollabieren lassen, die einen Wirbel zerschmettert, Verbrennungen ersten Grades an Gesicht und Kopf hinterlassen, eine Gehirnerschütterung verursacht und seine Sehkraft und seine Hörfähigkeit eingeschränkt hatten. »Das war ein sehr hartes Jahr, Alfred, schon vor dem Flugzeugabsturz«, schrieb er an Alfred Rice, der offenbar seine steuerlichen Abzüge hinterfragt hatte:

Aber ich habe eine Diamantenmine, wenn man mich in Ruhe lässt und mich die Steine aus dem blauen Schlamm ausgraben und sie zuschneiden und polieren lässt. Wenn ich das tun kann, werde ich der Regierung mehr Geld einbringen als irgendein Ölmann aus Texas, der seine Abschreibung erhält. Aber ich wurde schlimmer verprügelt, als es überhaupt möglich ist, und bin immer noch da und sollte kontinuierlich da­ran arbeiten, dass es mir besser geht, und dann schreiben und an nichts anderes denken und mir wegen nichts anderem Sorgen machen.

»Die eigentlichen Details des Schreibens«, teilte Norman Mailer einst einem Interviewer mit, »haben mit der eigenen Physiologie oder dem eigenen Stoffwechsel zu tun. Man fängt im Hochstart an und muss die Geschwindigkeit erhöhen bis zu dem Punkt der Gehirntätigkeit, an dem die Worte kommen – gut und in der richtigen Reihenfolge. Schreiben wird immer durch ein bestimmtes Mindestmaß an Ego hervorgerufen: Man muss eine autoritäre Position einnehmen, um sagen zu können, dass es nur so passiert ist, wie ich es schreibe. Eine Schreibblockade ist nichts als ein Versagen des Egos.« Im August 1956 informierte Hemingway Charles Scribner, Jr., dass er es »unmöglich« finde, »ohne ein bisschen diszipliniertes Schreiben mit der Arbeit am afrikanischen Buch fortzufahren«, also schrieb er Kurzgeschichten.

Im November 1958 erwähnte er gegenüber einem seiner Kinder, dass er während eines Winteraufenthalts in Ketchum »das Buch beenden« wolle, aber »das Buch«, um das es jetzt ging, war »das Paris-Material«. Im April 1960 sagte er Scribner, er solle das noch immer unbetitelte Paris-Buch von der Herbstliste streichen: »Viele Leute werden offenbar denken, dass wir gar kein Buch haben und dass es dasselbe ist wie mit den Entwürfen, die Scott hatte und für die er Vorschüsse bekam und die er nie hätte beenden können, aber du weißt, dass es, hätte ich nicht um die Möglichkeit gebeten, es noch besser zu machen, genauso hätte veröffentlicht werden können, wie du es kennst, mit ein paar Korrekturen in Marys Abschrift.« Zehn Monate später und fünf Monate vor seinem Tod versuchte der Autor in einem Brief an seinen Lektor bei Scribner’s, den er zwischen zwei Elektroschockbehandlungen in der Mayo Clinic in Rochester in Minnesota schrieb, auf alarmierende Weise zu erklären, was er tat:

Habe das Material zu Kapiteln geordnet – es sind 18 – und ich arbeite am letzten – Nr. 19 – arbeite auch am Titel. Das ist sehr schwierig. (Habe meine übliche lange Liste – etwas stimmt mit allen nicht, aber ich arbeite darauf hin – Paris ist so oft verwendet worden, es verdirbt alles.) Als getippte Seiten sehen sie so aus 7, 14, 5, 6, 9½, 6, 11, 9, 8, 9, 4½, 3½, 8, 10½, 14½, 38½, 10, 3, 3: 177 Seiten + 5½ Seiten + 1¼ Seiten.

Ich erinnere mich, dass ich vor einigen Jahren auf einer Dinnerparty in Berkeley einen Englischprofessor Die Liebe des letzten Tycoon als unwiderlegbaren Beweis dafür anführen hörte, dass F. Scott Fitzgerald ein schlechter Schriftsteller sei. Die Sicherheit, mit der dieses Urteil geäußert wurde, machte mich so fassungslos, dass es in die donnée des Abends eingegangen war, ehe es mir gelang, zu widersprechen. Die Liebe des letzten Tycoon, sagte ich, sei ein unvollendetes Buch, eines, das wir nicht beurteilen könnten, weil wir nicht wüssten, wie Fitzgerald es beendet hätte. Aber natürlich wissen wir es, sagte ein anderer Gast, und weitere stimmten zu: Wir hätten Fitzgeralds »Notizen«, wir hätten Fitzgeralds »Entwurf«, das Ganze sei »vollständig skizziert«. Nur eine von uns am Tisch sah an diesem Abend einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Schreiben eines Buchs und dem »Notizenmachen« oder dem »Entwerfen« oder »Skizzieren« eines Buchs.

Die für eine Schriftstellerin oder einen Schriftsteller abschreckendste Szene, die je gefilmt wurde, ist wahrscheinlich der Augenblick in Shining, als Shelley Duvall einen Blick auf das Manuskript wirft, an dem ihr Ehemann gearbeitet hat, und auf jeder der Hunderten von Seiten wieder und wieder nur eine einzige getippte Zeile findet: »All work and no play makes Jack a dull boy.« Das Manuskript, aus dem Die Wahrheit im Morgenlicht wurde, war, als Hemingway aufhörte, daran zu arbeiten, 850 Seiten lang. Das Manuskript ist, nachdem es für die Veröffentlichung lektoriert wurde, halb so lang. Das Lektorat erledigte Hemingways Sohn Patrick, der sagte, er habe sich aufs Komprimieren beschränkt (was unvermeidbar eine Änderung an dem bewirkt, was der Autor intendiert hatte, wie jeder weiß, dessen Texte schon einmal komprimiert wurden) und nur einige der Ortsnamen verändert, was eine logische Reaktion auf die Arbeit eines Mannes sein mag oder auch nicht, der schrieb: »Es gab viele Wörter, die einem unerträglich waren, und am Ende besaßen nur die Ortsnamen Würde.«

Die Frage, was mit dem passieren sollte, was eine Autorin oder ein Autor unvollendet lässt, führt zur Aufzählung bestimmter Werke – und wird gewöhnlich auch damit beantwortet –, die für uns verloren gewesen wären, wären die letzten Wünsche ihrer Autorinnen und Autoren erfüllt worden. Virgils Aeneis wird genannt. Franz Kafkas Der Prozess und Das Schloss werden genannt. 1951, schon deutlich vom Tod gezeichnet, befand Hemingway, dass bestimmte Teile eines langen vierteiligen Romans, an dem er mehrere Jahre lang gearbeitet hatte, so gelungen waren, dass sie nach seinem Tod veröffentlicht werden konnten, und legte Bedingungen fest, die nicht das Eingreifen einer lektorierenden Hand beinhalteten und ausdrücklich die Veröffentlichung des ersten unbeendeten Abschnittes ausnahmen. »Die letzten beiden Teile brauchen überhaupt keine Kürzungen«, schrieb er 1951 an Charles Scribner. »Der dritte Teil braucht deutliche Kürzungen, aber da handelt es sich um sehr sorgfältige Skalpellarbeit, und er sollte im Falle meines Todes nicht gekürzt werden … Der Grund, warum ich dir das schreibe, ist, dass du die letzten drei Teile immer auch getrennt veröffentlichen kannst, weil ich weiß, dass es möglich ist, falls ich durch plötzlichen oder jede Art von Tod nicht dazu in der Lage sein sollte, den ersten Teil in einen zur Veröffentlichung geeigneten Zustand zu bringen.«

Hemingway selbst veröffentlichte im darauffolgenden Jahr den vierten Teil dieses Manuskripts einzeln als Der alte Mann und das Meer. Der »erste Teil« des Manuskripts, der Teil, der noch nicht in einem »zur Veröffentlichung geeigneten Zustand« war, wurde trotzdem nach seinem Tod als Teil von Inseln im Strom publiziert. Im Falle des »afrikanischen Romans« oder Die Wahrheit im Morgenlicht gehen 850 Seiten, die von jemand anderem als dem Autor um die Hälfte gekürzt wurden, keinesfalls in eine Richtung, die der Autor intendiert hatte, aber sie können Anlass zu einem Talkshow-Thema geben, zu einer falschen Kontroverse darüber, ob der Teil des Manuskripts, in dem der Autor auf Safari eine Wakamba zur Braut nimmt, ein »tatsächliches« Ereignis widerspiegelt oder nicht. Der wachsenden Unfähigkeit vieler Leserinnen und Leser, Fiktion als etwas wahrzunehmen, das weder ein Schlüsselroman noch das Rohmaterial einer Biografie ist, wird entgegengekommen, und sie wird gefördert. Die New York Times zitierte in ihrer Ankündigung der Veröffentlichung des Manuskripts Patrick Hemingway zu dieser fadenscheinigen Angelegenheit folgendermaßen: »›Hat Ernest Hemingway eine solche Erfahrung gemacht?‹, sagte er in seinem Haus in Bozeman in Montana. ›Nach allem was ich weiß, und ich weiß nicht alles – kann ich nur sagen, nein.‹«

Das ist eine Verleugnung der Idee von Literatur, so wie das Veröffentlichen unvollendeter Werke die Idee leugnet, dass die Rolle einer Schriftstellerin oder eines Schriftstellers in seiner oder ihrer Arbeit da­rin besteht, diese Werke zu erschaffen. Die Auszüge aus Die Wahrheit im Morgenlicht, die bereits veröffentlicht sind, können nur als etwas gelesen werden, das noch nicht erschaffen wurde, als Notizen, Szenen, die noch im Entstehen begriffen sind, Wörter, die schon dort stehen, aber noch nicht geschrieben wurden. Hier und da gibt es faszinierende Einblicke, Fragmente, die das stützen, was der Autor als seine Ruine betrachtet, und eine wohlwollende Leserin mag es sehr wohl für möglich halten, dass der Autor, wäre er am Leben (was so viel heißt wie, hätte der Autor den Willen, die Energie, die Erinnerung und die Konzentration besessen), das Material geformt, es im Schreiben zum Leben erweckt, daraus die Geschichte gemacht hätte, die die Einblicke nahelegen, und zwar die Geschichte eines Mannes, der an einen geliebten Ort zurückkehrt und sich um drei Uhr morgens mit dem Wissen konfrontiert sieht, dass er nicht mehr der ist, der diesen Ort einst geliebt hat, und nun nie der sein wird, der er sein wollte. Aber natürlich hätte genau diesem einen Schriftsteller eine solche Möglichkeit nicht offengestanden, denn er hatte diese Geschichte bereits geschrieben, 1936, und sie Schnee auf dem Kilimandscharo genannt. »Jetzt würde er die Dinge, die er sich zu schreiben aufgehoben hatte, bis er mehr wissen würde, um sie zu schreiben, nie schreiben«, denkt der Schriftsteller in Schnee auf dem Kilimandscharo, als er mit Wundbrand in Afrika im Sterben liegt. Und dann dieser Nachsatz, die traurigste Geschichte: »Tja, er würde aber auch nicht am Versuch, sie zu schreiben, scheitern müssen.«


1998