»Liebe Joan«, beginnt der Brief, obwohl mich der Verfasser überhaupt nicht kannte. Der Brief ist auf den 25. April 1952 datiert und liegt nun schon lange in einer Schublade im Haus meiner Mutter, die Art Schublade, die sich in einem Schlafzimmer im hinteren Teil des Hauses befindet und Steckbriefen aus Abschlusszeitungen, getrockneten Schmetterlingsorchideen und Zeitungsfotos vorbehalten ist, auf denen acht Brautjungfern und zwei Blumenstreukinder beim Betrachten eines Sixpence in einem Brautschuh zu sehen sind. Das wenige an Gefühl, das ich je für getrocknete Schmetterlingsorchideen und Bilder von mir als Brautjungfer aufbringen konnte, hat sich als flüchtig erwiesen, aber der Brief, der, abgesehen von »Liebe Joan«, mit dem Mimeograf vervielfältigt wurde, löst immer noch ein gewisses Gefühl in mir aus. Ich holte den Brief als Anschauungsunterricht für die siebzehnjährige Cousine hervor, die weder essen noch schlafen kann, während sie auf eine Antwort der, wie sie es immerzu nennt, Colleges ihrer Wahl wartet. In diesem Brief steht Folgendes:
Der Aufnahmeausschuss hat mich gebeten, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass Ihre Bewerbung um eine Zulassung zur Standford University nicht positiv beschieden wurde. Sie haben zwar die Mindestanforderungen erfüllt, aber aufgrund der Stärke der Mitbewerber kann der Ausschuss Sie leider nicht in die Gruppe der Zugelassenen aufnehmen. Der Ausschuss schließt sich meinen guten Wünschen für die erfolgreiche Fortsetzung Ihrer Ausbildung an. Mit freundlichen Grüßen
Rixford K. Snyder, Direktor der Universitätsverwaltung
Ich erinnere mich sehr deutlich an den Nachmittag, an dem ich den Brief öffnete. Ich stand da und las ihn immer wieder, mein Pullover und meine Bücher waren auf den Dielenboden gefallen, und versuchte, die Worte auf eine weniger endgültige Weise zu interpretieren, die Formulierungen »beschieden wurde« und »nicht positiv« verschwammen vor meinen Augen und wurden wieder scharf, bis der Satz überhaupt keinen Sinn mehr ergab. Wir wohnten damals in einem großen dunklen viktorianischen Haus, und ich hatte die starke und schmerzliche Vorstellung, dass ich darin alt werden würde, ich würde nie auf irgendeine Universität gehen, die alte Jungfer aus Washington Square.
Ich lief hinauf in mein Zimmer und schloss die Tür ab, und einige Stunden lang weinte ich. Eine Weile saß ich im Wandschrank auf dem Boden und vergrub mein Gesicht in einem alten gesteppten Morgenrock, und später, als die mit dieser Situation tatsächlich verbundenen Demütigungen (alle meine Freundinnen, die sich in Stanford beworben hatten, waren angenommen worden) nur noch blasse Theatralik waren, setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und dachte darüber nach, den Inhalt einer alten Dose Aspirin-und-Kodeintabletten zu schlucken. Ich sah mich selbst in einem Sauerstoffzelt und draußen den Schatten von Rixford K. Snyder; wie Rixford K. Snyder allerdings von dieser Neuigkeit hätte erfahren sollen, war ein Plot Point, der mich selbst beim Abzählen der Tabletten noch quälte.
Natürlich nahm ich die Tabletten nicht. Ich verbrachte den Rest des Frühlings in einer schlecht gelaunten, aber milden Rebellion, saß vor Drive-ins herum, hörte im Autoradio Heilungspredigern aus Tulsa zu, und im Sommer verliebte ich mich in jemanden, der ein Golfprofi werden wollte, und verbrachte viel Zeit damit, ihm beim Trainieren des Einlochens zuzuschauen. Im Herbst besuchte ich für einige Stunden am Tag ein Junior College und machte die Scheine, die ich brauchte, um an die University of California in Berkeley zu gehen. Im darauffolgenden Jahr bat mich ein Freund aus Stanford, für ihn eine Arbeit über Conrads Nostromo zu schreiben, was ich tat, und er bekam dafür ein Sehr gut. Für dieselbe Arbeit bekam ich in Berkeley ein Gut, und das Gespenst von Rixford K. Snyder war ausgetrieben.
Am Ende ging sie also gut aus, meine einzige Erfahrung dieser höchst konventionellen Mittelschichtskonfrontation: Kind versus Aufnahmeausschuss. Aber das fand in der harmlosen Welt des ländlichen Kaliforniens von 1952 statt, und ich glaube, für Kinder, die jetzt zu meinem Bekanntenkreis zählen, muss es weitaus schwieriger sein, Kinder, deren Leben schon ab einem Alter von zwei oder drei Jahren aus einer Serie gefährlich festgelegter Schritte besteht, von denen jeder erfolgreich abgeschlossen werden muss, um einem solchen Brief von diesem oder jenem der Rixford K. Snyders dieser Welt vorzubeugen. Eine Bekannte erzählte mir neulich, dass es für die sieben verfügbaren Plätze des Kindergartens einer teuren Schule, in dem sie hoffte, ihren Vierjährigen anzumelden, neunzig Bewerber*innen gebe und dass sie verzweifelt sei, weil keines der Empfehlungsschreiben das »Interesse an Kunst« des Vierjährigen erwähnte. Wäre ich unter diesem Druck aufgewachsen, hätte ich vermutlich die Aspirin-Kodeintabletten an jenem Aprilnachmittag 1952 genommen. Die Ablehnung, die ich erhalten hatte, war anderer Art, meine Demütigung persönlich: Keine elterlichen Hoffnungen lasteten auf der Tatsache, ob ich angenommen wurde oder nicht. Natürlich wollten meine Mutter und mein Vater, dass ich glücklich war, und natürlich gingen sie davon aus, dass das Glücklichsein zwangsläufig Erfolg beinhaltete, aber die Bedingungen dieses Erfolgs waren meine Angelegenheit. Ihre Vorstellung davon, welchen Wert sie oder ich hatten, war unabhängig von der Tatsache, wo oder auch nur ob ich aufs College ging. Unsere soziale Stellung war stabil, und die Frage der »richtigen« Schulen, die für die aufstrebende Klasse traditionell so wichtig ist, tauchte nicht auf. Als mein Vater erfuhr, dass Stanford mich abgelehnt hatte, zuckte er die Schultern und bot mir einen Drink an.
Wann immer ich Eltern über die »Chancen« ihrer Kinder reden höre, denke ich mit großer Dankbarkeit an dieses Schulterzucken. Was mir Sorgen bereitet, ist das Gefühl, dass sie die Chancen ihrer Kinder mit ihren eigenen vermischen, von einem Kind verlangen, dass es nicht nur um seiner selbst willen gut abschneidet, sondern auch, um Vater und Mutter Ruhm und Ehre zu bringen. Natürlich ist es heutzutage schwieriger als damals, aufs College zu kommen. Natürlich gibt es mehr Kinder als »begehrte« Plätze. Aber wir täuschen uns, wenn wir so tun, als würden begehrte Schulen nur dem Kind zugutekommen. (»Es wäre mir egal, ob er in Yale angenommen wird, wäre da nicht Vietnam«, sagte mir vor Kurzem ein Vater, sich seiner eigenen Heuchelei kaum bewusst; es wäre gemein von mir gewesen, darauf hinzuweisen, dass auch ein Studienplatz an der California State University für ein Aussetzen der Wehrpflicht sorgte.) Auf ein College zu kommen, ist zu einem hässlichen Geschäft geworden, heimtückisch insofern, als es Zeit und Energie kostet und die wahren Interessen verplempert werden, und dass die Kinder das so hinnehmen, ist nicht der geringste der schädlichen Aspekte. Sie sprechen beiläufig und leidenschaftslos von ihrer »ersten, zweiten und dritten Wahl«, davon, dass ihre Bewerbung für die »erste Wahl« (am Stephens College etwa) eigentlich nicht ihre erste Wahl widerspiegelt (ihre erste Wahl war das Smith College, aber ihr Berater war der Ansicht, dass sie nur wenig Chancen hätten, warum also die Bewerbung verschleudern?); sie kalkulieren die Erwartung ein, abgelehnt zu werden, die Möglichkeiten, sich durch die richtige Sportart und die richtigen außerschulischen Aktivitäten »abzusichern«, um die Bewerbung auszugleichen, das Jonglieren mit Zusagen, wenn sie von ihrer dritten Wahl akzeptiert werden, ehe ihre erste Wahl antwortet. Sie verhalten sich klug in einer Notlüge hier, einer kleinen Selbstverherrlichung da, verstehen die Bedeutsamkeit von Briefen mit »Namen«, die ihre Eltern kaum kennen. Ich habe Unterhaltungen zwischen Sechzehnjährigen zugehört, die in ihren Fertigkeiten zur manipulativen Selbstvermarktung nur noch von Bewerber*innen um große Literaturstipendien übertroffen wurden.
Und natürlich hat nichts davon irgendeine größere Bedeutung, keiner dieser frühen Erfolge, der frühen Niederlagen. Ich frage mich, ob wir nicht besser einen Weg finden sollten, das unseren Kindern zu vermitteln, einen Weg, unsere Erwartungen von den ihren zu unterscheiden, einen Weg, sie mit ihren eigenen Ablehnungen und schlecht gelaunten Rebellionen und Intermezzi mit Golfprofis fertigwerden zu lassen, ohne besorgtes Soufflieren aus den Kulissen. Mit siebzehn die eigene Rolle zu finden, ist schon schwer genug, auch ohne das Drehbuch von jemand anderem.