Im Herbst 1954, als ich neunzehn war und im dritten Jahr in Berkeley, gehörte ich zu etwa einem Dutzend Studierender, die am 106A-Englischkurs des kürzlich verstorbenen Mark Schorer teilnehmen durften, einer Art »Schreibworkshop«, zu dem man sich drei Stunden wöchentlich zu Diskussionsrunden traf und der zur Voraussetzung hatte, dass alle, die teilnahmen, im Laufe des Semesters mindestens fünf Kurzgeschichten schrieben. Zuhören war nicht erlaubt. Die Stimmen waren gedämpft. Englisch 106A galt im Herbst 1954 als heilige Erfahrung, als Initiation in das gewichtige Leben echter Schriftstellerinnen und Schriftsteller, und ich erinnere mich, dass jedes dieser Treffen ein Anlass akuter Aufregung und Furcht war. Ich erinnere mich, dass mir die anderen Teilnehmer*innen alle älter und klüger erschienen, als ich je zu werden hoffen konnte (es war mir noch nicht instinktiv in den Sinn gekommen, dass es kein langfristiges Unterfangen war, neunzehn zu sein), nicht nur älter und klüger, sondern auch erfahrener, unabhängiger, interessanter und ausgestattet mit einer exotischen Vergangenheit: Ehen und das Auseinanderbrechen von Ehen, Geld und Geldmangel, Sex und Politik und der Anblick der Adria in der Dämmerung; der Stoff nicht nur des Erwachsenenlebens als solches, sondern, für mich zur damaligen Zeit weitaus beeindruckender, genau der Stoff, der sich in fünf Kurzgeschichten verwandeln lassen könnte. Ich erinnere mich an einen Trotzkisten, damals Mitte vierzig. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die mit einem barfüßigen Mann und einem großen weißen Hund in einer Mansarde wohnte, die nur von Kerzen erleuchtet war. Ich erinnere mich an Diskussionen im Klassenzimmer, die von Begegnungen mit Paul und Jane Bowles über Erlebnisse mit Djuna Barnes bis hin zu Jahren reichten, die man in Paris, Beverly Hills, im Yucatán, auf der Lower East Side von New York, der Repulse Bay und sogar auf Morphium verbracht hatte. Ich hatte siebzehn meiner neunzehn Jahre in Sacramento verbracht und die anderen beiden im Tri Delt House in der Warring Street in Berkeley. Ich hatte noch nie etwas von Paul oder Jane Bowles gelesen, geschweige denn, dass ich ihnen begegnet wäre, und als ich schließlich, etwa fünfzehn Jahre später, im Haus eines Freundes im Santa Monica Canyon Paul Bowles begegnete, war ich umgehend von der gleichen Stummheit und Ehrfurcht ergriffen wie mit neunzehn im Englischkurs 106A.
Kurz, ich hatte keine Vergangenheit, und jeden Montag-Mittwoch-Freitagmittag in Dwinelle Hall schien es mir immer klarer zu werden, dass ich keine Zukunft hatte. Ich durchwühlte meinen Schrank nach Kleidung, die mich im Seminar hätte unsichtbar machen können, und konnte nur mit einem schmutzigen Regenmantel aufwarten. Ich saß in diesem Regenmantel da und hörte den Geschichten der anderen zu, die laut vorgelesen wurden, voller Verzweiflung darüber, ob ich jemals wissen würde, was sie wussten. Ich nahm an jedem dieser Seminare teil und sagte nie ein Wort. Es gelang mir nur, drei der fünf verlangten Kurzgeschichten zu schreiben. Ich schloss den Kurs mit einem Gut ab – und zwar nur, wie ich heute glaube, weil Mr Schorer, ein Mann, der grenzenlos gütig und streng zu seinen Studierenden war, intuitiv erahnte, dass meine mangelhafte Leistung das Resultat jugendlicher Lähmung war, des Verlangens, gut zu sein, und der Angst, dass ich es nie sein würde, des Terrors, dass jeder Satz, den ich zu Papier bringen würde, mich als nicht gut genug bloßstellen würde. Genau zehn Jahre lang schrieb ich keine Geschichten mehr.
Wenn ich sage, ich schrieb zehn Jahre lang keine Geschichten mehr, meine ich nicht, dass ich überhaupt nicht schrieb. Eigentlich schrieb ich unablässig. Ich schrieb, als ich Berkeley verließ, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich ging nach New York und schrieb Werbetexte für die Vogue, und ich schrieb Verkaufstexte für die Vogue (der Unterschied zwischen beidem war eindeutig, aber unergründlich, und der Versuch, ihn zu erklären, wäre so, als würde man die jeweilige Definition des Gewerkschaftsdachverbands der USA und Kanadas für zwei offenbar gleiche Jobs am Fließband des Montagewerks von Ford im kalifornischen Pico Rivera wiedergeben), und nach einer Weile schrieb ich redaktionelle Texte für die Vogue. Ein Beispiel für letztere: »Gegenüber, oben: Im ganzen Haus Farbe, Elan, improvisierte Schätze in fröhlichem, aber ungewöhnlichem Miteinander. Hier ein Frank Stella, eine Verschalung aus Buntglasfenstern der Art nouveau, ein Roy Lichtenstein. Nicht zu sehen: ein Tisch mit glänzender Wachstischdecke, ein mexikanisches Fundstück zu fünfzehn Cents der Meter.«
Es ist leicht, sich über diese Art des »Schreibens« lustig zu machen, und ich erwähne es gerade deshalb, weil ich mich darüber in keinster Weise lustig mache: Bei der Vogue, wo ich eine gewisse Ungezwungenheit im Umgang mit Worten lernte, war es üblich, Wörter nicht als Spiegel der eigenen Unzulänglichkeit zu betrachten, sondern als Werkzeuge, Spielzeuge, Waffen, die strategisch auf einer Seite stationiert werden. In einer Bildunterschrift von, sagen wir, acht Zeilen, wobei jede Zeile exakt siebenundzwanzig Zeichen haben durfte, nicht mehr und nicht weniger, zählte nicht nur jedes Wort, sondern jeder Buchstabe. Bei der Vogue lernte man schnell, oder man blieb nicht lange dort, wie man mit Worten spielte, wie man ein paar sperrige Nebensätze in die Schreibmaschine tippte, um sie in einen schlichten Satz verwandelt wieder herauszuziehen, der sich aus genau neununddreißig Zeichen zusammensetzte. Wir waren Connaisseurs von Synonymen. Wir waren Verbensammler. (Ich erinnere mich, dass »frohlocken« ein sehr beliebtes Verb für eine Reihe von Ausgaben war, und ich erinnere mich auch, dass es für eine Reihe weiterer Ausgaben die Quelle eines sehr beliebten Substantivs war: »Frohlockung« wie in: »Tische, überladen von Porzellantulpen, Fabergé-Eiern, anderen Frohlockungen«.) Wir eigneten uns die grammatikalischen Tricks, die wir in der Schule nur als nebensächliche Verbesserungen gelernt hatten, als Reflexe an (»Dort lagen zwei Orangen und ein Apfel«, las sich besser als »Dort lagen ein Apfel und zwei Orangen«, Verben im Passiv verlangsamten die Sätze, »es« verlangte einen Bezug in Sichtweite), lernten, uns auf das Oxford English Dictionary zu verlassen, lernten, zu schreiben und umzuschreiben und erneut umzuschreiben. »Geh’s noch einmal durch, Süße, es stimmt noch nicht ganz.« »Gib mir in der zweiten Zeile ein Schock-Verb.« »Kürze, räum auf, komm zur Sache.« Weniger war mehr, glatt war besser und absolute Präzision wesentlich für die prächtige monatliche Illusion. Bei der Vogue zu arbeiten, kam in den späten 1950er-Jahren einer Ausbildung bei den Rockettes gleich.
All das war ein Nervenelixier, besonders für eine, die sich mehrere Jahre lang in dem irrtümlichen Glauben abgemüht hatte, sie würde durch das Nebeneinanderstellen zweier Sätze den ausführlichen und ungünstigen Vergleich des Ergebnisses mit dem Roman Die goldene Schale riskieren. Allmählich begann ich abends oder zwischen Deadlines oder anstelle des Mittagessens mit Worten zu spielen, nicht für die Vogue, sondern für mich selbst. Ich begann, mir Notizen zu machen. Ich begann, alles aufzuschreiben, was ich sah, hörte, mir vorstellte und woran ich mich erinnerte. Ich begann, so glaubte ich, mit einer neuen Geschichte. Ich hatte eine Geschichte über eine Frau und einen Mann in New York im Sinn.
Sie konnte sich nicht länger auf das konzentrieren, was er sagte, denn sie dachte an etwas, das in Kalifornien passiert war, im Winter, als sie elf gewesen war. Es gab keinen Grund, sich an diesem Nachmittag daran zu erinnern, und doch brachte die Erinnerung all die zwingende, strahlende Klarheit mit sich, die Dingen zu eigen ist, die vor langer Zeit in einem anderen Teil des Landes passiert sind. In jenem Dezember hatte es eine Woche Starkregen gegeben, und die Flüsse des Valleys standen kurz vor der Überflutung, und jeden Morgen fand sie beim Aufstehen das Haus kälter und feuchter vor, als es am Tag zuvor gewesen war. Sie frühstückte gemeinsam mit ihrer Mutter, sie schauten zum Küchenfenster hinaus in den Regen und sahen das Wasser durch die Rinne schießen, die ihr Grundstück von Dr. Woods’ Grundstück trennte. »Das ganze Obst ist hin«, sagte ihre Mutter jeden Morgen leidenschaftslos beim Frühstück. »Das ganze Obst futsch.« Dann goss sie sich eine neue Tasse Kaffee ein und stellte resigniert fest, dass es ihr völlig klar gewesen sei, auch wenn es das für die Ingenieure der Armee nicht gewesen sei, dass die Dämme nicht mehr lange halten würden. Alle fünfzehn Minuten hörten sich beide die unheilvollen Berichte im Radio darüber an, wann und wo die Flüsse erwartungsgemäß den Höchststand erreichen würden. Eines Morgens erreichte der Sacramento einen Höchststand von neuneinhalb Metern, und als angekündigt wurde, dass er am nächsten Tag auf elfeinhalb Meter steigen würde, veranlassten die Ingenieure die Evakuierung der Farmen flussaufwärts. Irgendwann am nächsten Morgen gab ein Damm vierzig Meilen flussaufwärts von Sacramento nach, und am Heiligabend brachten die Zeitungen Luftaufnahmen des Damms, wie er unter Schichten schlammigen Wassers auseinanderbrach, und von Familien, die sich in Bademänteln auf ihren Hausdächern zusammendrängten. Die ganze Nacht über strömten Evakuierte in die Stadt, um in Schulen und in den Gemeindehäusern der Kirchen zu schlafen.
»Was wirst du tun«, fragte er auf ähnliche Weise interessiert, als würde er einem äußerst fesselnden Spiel zuschauen.
»Nach Kalifornien gehen und im Obstanbau arbeiten«, sagte sie stumpf.
Regen: nasse Blätter, schwarze Straßen.
Beim Vorbeifahren an der Horst-Farm hängen Hopfenschnüre schlaff im Regen.
Fulton-Holzboden nass und billig. Feuer in Mrs Miles Haus: Ein Kleid für Partys kaufen.
Dem Regen aus den Fenstern ringsum zuschauen.
Auf dem Tisch im Speisezimmer liegen nach Partys Besteck und Tischdecken.
Tänze.
Bars im Regen, wo das Feuer nie angeht.
Dort, wo ich meinen Hut aufhänge, ist mein trautes Heim.
So lautete der »Anfang« der Geschichte, die ich im Kopf hatte, der Geschichte, von der ich annahm, sie würde von einer Frau und einem Mann in New York handeln – ich benutze das Wort »Anfang« nur als Behelfswort, da von etwas so Grobem und Unausgereiftem schwerlich gesagt werden kann, es habe wirklich einen Anfang – und so lauten auch einige der Notizen, die ich im Versuch machte, einige jener Dinge aufs Papier zu bringen, die ich in der Geschichte haben wollte. Bezeichnenderweise haben die Notizen nichts mit einer Frau und einem Mann in New York zu tun. Die Notizen – das Besteck, das nach Partys auf dem Tisch im Speisezimmer liegt, die Bars im Regen, wo das Feuer nie anging, die Zahlen darüber, wann und wo der Sacramento River den Höchststand erreichen würde – sagen einfach nur: Erinnere dich. Die Notizen offenbaren, dass das, was mir in jenem Jahr in New York tatsächlich nicht aus dem Kopf ging – nicht aus dem Kopf gehen im Gegensatz zu im Kopf haben –, eine Sehnsucht nach Kalifornien war, Heimweh, eine so zwanghafte Nostalgie, dass sie alles andere in den Schatten stellte. Um herauszufinden, was es war, das mir nicht aus dem Kopf ging, brauchte ich Platz. Ich brauchte Platz für die Flüsse und für den Regen und für die Art, in der die Mandeln in der Gegend von Sacramento anfangen zu blühen, Platz für Bewässerungsgräben und Platz für die Angst vor Feuer in Brennöfen, Platz, um mit alldem zu spielen, woran ich mich erinnerte und was ich nicht verstand. Am Ende schrieb ich keine Geschichte über eine Frau und einen Mann in New York, sondern einen Roman über die Frau eines Hopfenzüchters am Sacramento River. Es war mein erster Roman, und er hieß Menschen am Fluss, und erst fünf Jahre später, als ich ihn beendete, hatte ich ihn deutlich vor Augen. Ich vermute, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kurzgeschichten sich etwas besser im eigenen Kopf auskennen.
Kurzgeschichten verlangen eine gewisse Gewärtigkeit den eigenen Intentionen gegenüber, eine gewisse Engführung des Blickfelds. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. 1975 befand ich mich eines Morgens um 8 Uhr 45 an Bord der Pan American auf dem Weg von Los Angeles nach Honolulu. Vor dem Start in Los Angeles gab es »Probleme mit der Mechanik« und eine halbe Stunde Verspätung. Während dieser Verspätung servierten die Stewardessen Kaffee und Orangensaft, und zwei Kinder spielten im Gang Fangen, und irgendwo hinter mir fing ein Mann an, eine Frau anzuschreien, die offenbar seine Ehefrau war. Dass die Frau offenbar seine Ehefrau war, sage ich nur, weil der Ton seines Schimpfens routiniert klang, obwohl die einzigen Worte, die ich deutlich hörte, folgende waren: »Du machst mich noch zum Mörder.« Einen Augenblick später bekam ich mit, wie einige Reihen hinter mir die Flugzeugtür geöffnet wurde und der Mann davonstürzte. Viele Mitarbeiter*innen der Pan American kamen angestürzt und stürzten wieder davon, es herrschte ein erhebliches Durcheinander. Ich weiß nicht, ob der Mann das Flugzeug vor dem Start wieder bestiegen hatte oder ob die Frau allein nach Honolulu geflogen war, aber während des gesamten Flugs über den Pazifik dachte ich darüber nach. Ich dachte darüber nach, während ich einen Sherry auf Eis trank, und ich dachte beim Mittagessen darüber nach und dachte noch immer darüber nach, als die erste der hawaiianischen Inseln an der Spitze der linken Tragfläche auftauchte. Doch erst als wir an Diamond Head vorbeigeflogen waren und tief über dem Riff hereinkamen und zur Landung in Honolulu ansetzten, wurde mir klar, was mir an diesem Zwischenfall am stärksten missfiel: Mir missfiel, dass er wie eine Kurzgeschichte aussah, eine dieser »kleinen Offenbarungsgeschichten« oder »Fenster-zur-Welt-Geschichten«, eine der Geschichten, in denen die Hauptfigur einen Blick auf die Krise im Leben eines Fremden erhascht – ziemlich häufig eine Frau, die in einem Teesalon weint, oder ein Unfall, vom Fenster eines Zuges aus beobachtet, »Teesalons« und »Züge« sind immer noch das Inventar von Kurzgeschichten, wenngleich nicht das des wirklichen Lebens – und dazu bewegt wird, sein oder ihr Leben in einem neuen Licht zu betrachten. Wie gesagt, mein Missfallen entsprang einem Bedürfnis nach Raum, um mit dem zu spielen, was ich nicht verstand. Ich flog nicht nach Honolulu, weil ich sehen wollte, wie das Leben auf eine Kurzgeschichte reduziert wurde. Ich flog nach Honolulu, weil ich sehen wollte, wie das Leben sich zu einem Roman entfaltete, und das will ich noch immer. Ich wollte kein Fenster zur Welt, sondern die Welt als solche. Ich wollte das ganze Bild. Ich wollte Raum für Blumen und Korallenfische und Menschen, die einander zu Mördern machten oder auch nicht, die aber keinesfalls aufgrund der Erfordernisse erzählerischer Konventionen dazu gezwungen waren, das um 8 Uhr 45 an Bord der Pan American von Los Angeles nach Honolulu laut auszusprechen.
Als Erklärung dafür, was mich dazu brachte, 1964 drei Kurzgeschichten zu schreiben und keine einzige – wenn wir Seminararbeiten nicht mitzählen – in den folgenden Jahren, kann ich nur anbieten, dass mein erster Roman gerade erschienen war, und ich unter einer Angst litt, die weitverbreitet ist unter Menschen, die gerade ihren ersten Roman veröffentlicht haben: der Angst, nie wieder einen zu schreiben. (Um genau zu sein, ist diese Angst auch unter Menschen verbreitet, die gerade ihren zweiten Roman geschrieben haben, ihren dritten und, soweit ich weiß, auch den vierundvierzigsten, aber damals hielt ich es für ein einmaliges Leiden.) Ich saß vor meiner Schreibmaschine und glaubte, dass sich nie wieder ein neues Thema ergeben würde. Ich glaubte, ich wäre für immer ausgetrocknet. Ich glaubte, dass ich »vergessen würde, wie«. Folglich versuchte ich, als eine Art Fingerübung, Geschichten zu schreiben.
Ich hatte kein Talent dafür und habe es immer noch nicht, kein Gefühl für den besonderen Rhythmus der Kurzprosa, nicht die Fähigkeit, die Welt vor dem Fenster in den Blick zu nehmen. Die erste dieser Geschichten, Nach Hause kommen, ist in einer extrem einfachen und hoch konventionellen Form entworfen: Es handelt sich um eine der Geschichten, in denen sich das Leben der Figuren innerhalb eines einzigen Dialogs erschließen soll, ein Dialog, der offenbar von einem neutralen Protokollanten belauscht wird. Diese Form verlangt absolute Kontrolle – denken Sie an Hemingways Berge wie weiße Elefanten, und Sie haben das Beste dieser Form vor sich –, und der Geschichte Nach Hause kommen mangelt es an jeglicher Kontrolle. Ein ganzer Abschnitt ähnelt nichts anderem als der groben Zusammenfassung eines Romans. Was hat das Kohlebergwerk in Kentucky in der Geschichte zu suchen? Wer hat diese impressionistischen Gemälde gesehen? Wer erzählt die Geschichte? Warum habe ich versucht, diese Art der Geschichte zu schreiben, wenn ich zu wenig wusste, um die Regeln, es richtig zu machen, einzuhalten und den Dialog die Arbeit erledigen zu lassen? Meine Ungeduld beim Schreiben von Nach Hause kommen trifft ebenso auf Die Fähre nach Welfare Island zu, eine Geschichte, die sich technisch gesehen von Nach Hause kommen unterscheidet, aber auch wieder eine sehr vertraute Art von Geschichte ist. Die Fähre nach Welfare Island ist eine Geschichte »schockartigen Erkennens«, eine Geschichte, in der die Leserinnen und Leser spät und ziemlich plötzlich etwas erkennen sollen, dessen sich die Figuren nicht bewusst werden. In dieser Geschichte gibt es eine einzige zurückgehaltene Offenbarung: Eine der Figuren ist wahnsinnig. Heute würde ich von vornherein instinktiv sagen – ein Instinkt, der für das Geschichtenerzählen tödlich ist –: »Dieses Mädchen hat sich mit jemandem eingelassen, der komplett verrückt ist«, und weitermachen.
Mit der dritten der Geschichten bin ich eigentlich nicht unzufrieden, Wann war die Musik dann da? Liebe Kinder, war es letztes Jahr?. Ich will damit nicht sagen, dass ich sie für eine gelungene Kurzgeschichte halte. Es ist vielmehr eine Art erweiterte Anmerkung zu einem ungeschriebenen Roman, eine Übung im wahrsten Sinne des Wortes. In Wann war die Musik brachte ich mir bei – oder fing an, mir beizubringen –, wie man die erste Person Singular verwendet. In Wann war die Musik brachte ich mir bei – oder fing an, mir beizubringen –, wie man erzählerische Spannung allein dadurch gewinnt, dass man Vergangenheit und Gegenwart nebeneinanderstellt. Ich hätte das, was ich mithilfe dieser Geschichte lernte, schon wissen sollen, bevor ich meinen ersten Roman schrieb. Hätte ich diese Geschichte nicht geschrieben, hätte ich nie einen zweiten Roman verfasst. So unreif und unvollkommen diese Geschichte auch ist, scheint sie mir die weitaus interessanteste der drei zu sein.
Sie war auch die, die von allen dreien am schwierigsten unterzubringen war. Nach Hause kommen erschien in der Saturday Evening Post. Die Fähre nach Welfare Island erschien in Harper’s Bazaar. Wann war die Musik dann da? erschien sehr lange überhaupt nicht. Sie war kurioserweise von Rust Hill in Auftrag gegeben worden, der damals der Literaturredakteur bei der Post war. Er hatte mich angerufen oder mir geschrieben – das habe ich vergessen –, um mir mitzuteilen, dass die Post ein »Themenheft« über Kinder vorbereitete, ein Heft, in dem alle Artikel und Geschichten mit Kindern zu tun haben sollten – wie peripher auch immer. Eine Reihe von Schriftstellerinnen und Schriftstellern war angefragt worden, Beiträge für dieses Heft einzureichen. Alle würden eine Garantie oder ein Mindesthonorar erhalten. Nicht alle Geschichten würden angenommen werden. Ich schrieb die Geschichte und sendete sie ein. Damals wurde ich durch die William Morris Agency vertreten, und folgende Briefe vom Büro der Agentur in New York an mich in Kalifornien weisen auf den schwierigen Verlauf hin, den die Geschichte nahm:
9. Oktober 1964: »Wie Sie sicher wissen, schrieb Rust sehr viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller wegen Geschichten für ein Heft über Kinder an, und das Garantiehonorar für jeden sind glatte $ 200. Als Abdruckhonorar werden sie $ 1750 bezahlen oder $ 250 mehr, als Ihr letztes Honorar betrug. Bitte lassen Sie mich wissen, ob Sie damit einverstanden sind, sollte das der Fall sein, werden wir den Bedingungen in Ihrem Namen zustimmen …«
30. November 1964: »Es tut mir sehr leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe, aber Rust Hills hat WANN WAR DIE MUSIK DANN DA? LIEBE KINDER, WAR ES LETZTES JAHR? zurückgeschickt. Wir werden Ihnen selbstverständlich den Scheck mit dem Garantiehonorar zuschicken, sobald wir ihn bekommen. Da Sie angedeutet hatten, Sie würden an der Geschichte noch etwas arbeiten wollen, würde ich gern wissen, ob Sie das Manuskript zum jetzigen Zeitpunkt zurückerhalten möchten …«
8. Dezember 1964: »… Ich freue mich, die überarbeiteten Fassungen von DIE FÄHRE NACH WELFARE ISLAND und WANN WAR DIE MUSIK DANN DA … erhalten zu haben.«
11. Dezember 1964: »… Die überarbeiteten Fassungen beider Geschichten wurden verschickt – DIE FÄHRE NACH WELFARE ISLAND an Bazaar und WANN WAR DIE MUSIK DANN DA an The New Yorker …«
13. April 1965: »… Das Manuskript liegt jetzt beim Esquire, und ich werde sie informieren, sobald wir Rückmeldung haben …«
2. Juni 1965: »Es tut mir wirklich leid, dass es noch immer keine positiven Nachrichten bezüglich WANN WAR DIE MUSIK DANN DA? LIEBE KINDER, WAR ES LETZTES JAHR? gibt. Seit meinem letzten Brief wurde sie von Esquire und Harper’s Bazaar abgelehnt. Bazaar erklärte, ihnen gefalle die Art, in der Sie schreiben, sie fänden MUSIK aber weniger gelungen als DIE FÄHRE NACH WELFARE ISLAND …«
2. August 1965: »Wie Sie wissen, haben wir WANN WAR DIE MUSIK DANN DA? LIEBE KINDER, WAR ES LETZTES JAHR? bei verschiedenen Magazinen eingesendet, und im Folgenden finden Sie eine Liste derer, denen es vorlag. Saturday Evening Post: ›Viele von uns haben es gelesen, und sehr viele waren begeistert und haben es ausdrücklich bewundert. Andere, einschließlich Bill Emerson, der das letzte Wort hat, bewunderten sie ebenfalls, fanden aber, dass sie für die Post nicht das Richtige sei, nicht so sehr wegen des Inhalts, sondern wegen der indirekten Erzählweise.‹ The New Yorker: ›Im Ganzen hat sie zu wenig Wirkung.‹ Ladies’ Home Journal: ›zu negativ für uns.‹ McCalls: ›Ich lehne diese Geschichte ungern ab – nicht, weil ich glaube, dass es sich um eine wirklich gut ausgearbeitete Geschichte handelt, sondern weil sie so furchtbar gut geschrieben ist. Sie hat eine sehr spezielle Art, die Leserinnen und Leser einzubeziehen … doch ich muss sie ablehnen, mit Bedauern, weil ich sie schlussendlich nicht für eine gelungene Geschichte halte.‹ Good Housekeeping: ›fabelhaft geschrieben, sehr realistisch und so unglaublich deprimierend, dass ich den ganzen Nachmittag unter einer Wolke aus Angst und Schwermut sitzen werde … Es tut mir leid, aber wir neigen selten dazu, unseren Leserinnen und Lesern das Leben so schwer zu machen.‹ Redbook: ›einfach zu spröde.‹ Atlantic Monthly: ›Ich hoffe, Sie senden uns mehr von Joan Didions Arbeiten, aber diese hat es nicht geschafft, also retour.‹ Cosmopolitan (zweimal geschickt aufgrund von Personalwechsel in der Redaktion): ›zu deprimierend.‹ Esquire: kein Kommentar. Harper’s Bazaar: ›Während DIE FÄHRE NACH WELFARE ISLAND fast zu meinen Lieblingsgeschichten unter denen gehört, die wir veröffentlicht haben … finde ich WANN WAR DIE MUSIK DANN DA? nicht ganz so gelungen.‹ Vogue: ›nicht ganz das Richtige für uns.‹ Mademoiselle: ›keine Verwendung für speziell diese Geschichte.‹ The Reporter: ›Leider nichts für den Reporter.‹ Ich fürchte, an dieser Stelle fallen mir keine anderen Medien ein, denen wir es anbieten könnten, außer den Vierteljahreszeitschriften, es sei denn, Sie haben noch andere Ideen. Würden Sie mir dazu bitte Bescheid geben.«
7. November 1966: »Ich hatte die Geschichte … an die Denver Quarterly geschickt, die schreiben, dass sie sie für ihre vierte Ausgabe haben wollen, die kurz nach dem ersten des Jahres erscheint. Ihre Rate sind dürftige $ 5 Dollar pro Seite, und da die Geschichte bei ihnen etwa 10 Seiten einnimmt, würden sie $ 50 Dollar bezahlen. Bitte teilen Sie uns mit, ob wir das für Sie so abschließen sollen oder nicht. Um es noch einmal festzuhalten, die Geschichte wurde folgenden Medien geschickt, ehe sie an Denver ging: Saturday Evening Post, New Yorker, Ladies’ Home Journal, Cosmopolitan, McCall’s, Good Housekeeping, Redbook, Atlantic Monthly, Cosmopolitan (zweimal), Esquire, Harper’s Bazaar, Vogue, Mademoiselle, Reporter, Harper’s, Hudson Review, Kenyon Review, Virginia Quarterly, Ladies’ Home Journal (zweimal), Paris Review, Yale Review und Sewanee Review. Alles Gute …«
Alles Gute allerdings. Die Geschichte erschien in der Winterausgabe des Denver Quarterly von 1967. Im Winter 1967 begann ich mit dem zweiten Roman und seither habe ich keine Geschichte mehr geschrieben. Ich bezweifle, dass ich es je wieder tun werde.