Ich lag im Strafkeller, und er war zu mir gekommen. Ich lag im Dunkel, schon lange Zeit …
Ich hörte, wie die Luke über mir aufging. Er sprang herunter, neben mich, und im fahlen Licht von oben konnte ich das Messer in seinen Händen deutlich sehen.
Er stank nach Alkohol. Und ich konnte seine schweren Atemzüge hören. Ich hörte, wie er seinen Gürtel aufmachte. Ich schloss die Augen, als er auf mich zukam. Dieses Mal gab er mir keine Anweisungen, sondern drehte mich nur herum, zog mir die Hose herunter, spreizte meine Beine und drückte sich gegen mich.
Ich biss die Zähne zusammen, als der Schmerz einsetzte. Meine Fingernägel schrammten über die Wände, als ich mir Mühe gab, nicht zu schreien. Dann kam das Messer, das über meinen Rücken schnitt. Ich spürte, wie das Blut zu fließen begann, und fühlte mich besser. Es tat immer noch weh, aber er befreite mich damit von den Flammen, von dem Bösen in mir. Er sagte, er würde das Böse aus mir austreiben.
Er ächzte mir ins Ohr, und sein Atem wehte über mein Gesicht. Er stank nach dem Alkohol, den er immer trank. Mir wurde schlecht davon. Doch ich durfte mich nicht übergeben, sonst wurde er wütend.
Dann wurden seine Bewegungen schneller. Es tat immer mehr weh. Meine Hände an der Wand zitterten, aber er hörte nicht auf. Er stieß immer härter zu, und die Klinge schnitt über meine Haut und befreite die Flammen. Dann ließ er das Messer fallen, packte meine Hüften und grub die Finger tief in meine Haut. Ich hasste es, wenn er mich anfasste. In meinen Adern war das Böse, und das hatte sie von uns genommen. Er hatte mir gesagt, dass sie deshalb weg war – wegen meiner Berührung. Dass die Flammen in mir sie angesteckt und dazu gebracht hatten, böse Gedanken zu denken … dass sie sie dazu gebracht hatten, die Sünde zu begehen, die uns alle allein zurückgelassen hatte.
Ich versuchte zu atmen. Ich wollte den Mund aufmachen und ihm sagen, dass er mich nicht anfassen solle, weil er sonst auch infiziert würde, aber er rammte sich noch einmal in mich und schrie mir ins Ohr, während er mich gegen die Wand drückte.
Ich wartete darauf, dass er wegging, denn ich wollte nicht, dass seine Brust meinen Rücken berührte. Er stolperte rückwärts, und ich fiel zu Boden. Ich schaute mich um und konnte sehen, wie er dastand und auf mich herabblickte. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Automatisch hob ich die Arme über den Kopf. Normalerweise schlug er mich. Immer wenn er mich gevögelt hatte, wurde er danach wütend und meinte, es sei nötig für meine Seele.
Plötzlich spuckte er mich an und traf meine Wange. »Du bösartiger, verdammter Idiot!«, fauchte er und trat mir ans Bein. »Es ist deine Schuld, dass sie weg ist. Sie konnte nicht ertragen, dass sie dich geboren hat.«
Bei seinen Worten blutete mir das Herz, und es fühlte sich an, als würde etwas in mir zerbrechen. Ich hatte nicht gewollt, dass sie ging. Ich liebte sie, und sie war gut zu mir. Ich wollte die Flammen nicht im Blut haben. Doch ich bekam sie nicht weg. Ich versuchte sie mir auszukratzen. Aber egal wie viel Blut auf den Boden tropfte, konnte ich die Flammen immer noch unter meiner Haut spüren. Brennendes Feuer, das mein Fleisch verbrannte.
Dann fing mein kleiner Bruder zu schreien an. Ich hasste sein Geschrei. Davon bekam ich Kopfweh. Ich drückte mir die Hände auf die Ohren.
»Fuck!«, rief er, stieß dann die Falltür auf, kletterte hinaus und schlug sie zu, sodass ich unten gefangen war. »Schnauze, du kleiner Scheißer!«, brüllte er meinen Bruder an. Aber mein Bruder schrie nur noch mehr.
Ich wiegte mich auf der Stelle hin und her und summte, um die Geräusche auszublenden. Doch ich konnte die Schreie immer noch hören. Ich konnte sie nicht ausblenden. Ich ließ die Hände sinken, streckte den Arm aus und krallte die Finger in meine Haut. Ich musste die Flammen befreien. Wenn ich sie alle vertrieb, dann würde er mich lieben. Und nicht mehr das Baby anbrüllen. Und das Baby würde zu schreien aufhören.
Also kratzte ich mir die Haut auf.
Ich kratzte, bis ich das Blut über meine Arme laufen spürte.
Bis ich die Flammen herauskommen fühlte …
»Flame?«
Ich schnappte nach Luft und öffnete die Augen. Meine Hände lagen an meinem Kopf, und ich wiegte mich gegen die Wand. Aber da war wieder diese Stimme …
Maddie. Die Stimme gehörte Maddie.
»Flame? Sprich mit mir«, beharrte Maddie. Dann erinnerte ich mich an meine Hände auf ihrer Haut. An ihren Armen … an ihrem Hals.
»Nein!« Ich war drauf und dran, ihr wehzutun, aber dann … This little light of mine, I’m gonna shine …
Ich erkannte die Stimme wieder. Ich hörte ihre Stimme. In der Finsternis hörte ich ihre Stimme. Meine Augen brannten, als ich die Stimme im Kopf hörte … als ich sie singen hörte.
»Flame?« Jetzt war ihre Stimme näher.
Ich konnte Schritte und Geschrei hören, ich konnte das Baby schreien hören. Doch ich konnte ihn nicht anfassen. Und sie war weg. Meinetwegen.
Und dann war er zu mir gekommen, Nacht für Nacht …
»Flame, sieh mich an.« Ich konnte nichts anderes tun, also blickte ich auf, blinzelte das Wasser weg, das meine Sicht blockierte, und die Bilder, die mir den Verstand vernebelten. Doch sie wurden klar, als ich sie sah. Ihre grünen Augen.
Aber als ich hinter sie blickte, konnte ich ihn näher kommen sehen. Zorn fraß sich in mein Herz. Er durfte sie nicht verletzen. Er durfte sie nicht anfassen, so wie mich. Ich konnte seine Augen auf ihr ruhen sehen.
Ich musste ihn vertreiben. Er musste verschwinden.
Ich stieß mich mit den Händen vom Holz unter mir ab, und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf mich.
»Flame?«, flüsterte Maddie und wich hastig zurück.
»Nein!«, rief ich. So kam sie ihm näher. Und er machte schon seinen Gürtel auf. Ich fühlte mich noch beklommener, als ich sah, wie seine Hände den Gürtel lösten.
Ich taumelte durch die Hütte. Ich musste zur Luke. Ich musste sie retten. Sie war schon genug verletzt worden. Ich konnte nicht zulassen, dass er ihr auch wehtat.
Meine Hände fielen an den Knopf meiner Lederhose, und ich beeilte mich, ihn aufzumachen. Aber meine Hände waren schwach, und mein Körper reagierte nicht richtig. Als ich hinter mich schaute, folgte er mir. Ich zog mir die Hose von Beinen und Füßen und hörte seine Stimme. »Ich nehme die Sünde von deinem Leib, von deinem Fleisch, Junge.« Ich sank auf die Tür, mein Oberkörper kippte vornüber, und ich legte die Hand an meinen Schwanz. Er war hart. Ich war bereit für ihn. Bereit für seinen Schmerz.
Ich schaute mich um und suchte nach meinem Messer. Es lag neben mir. Ich hob es auf, während er über mir aufragte, und bewegte die Hand an meinem Schwanz auf und ab. Die Messerklinge schnitt in meine Haut, und ich zählte. »Eins …«
Er stand hinter mir, und sein Oberkörper drängte sich an meinen Rücken. Ich konnte spüren, wie er sich in mich stieß. Der Schmerz war jedes Mal ein Gefühl, als sei es zu viel, doch ich brauchte es. Er hatte mich so weit gebracht, dass ich es brauchte.
Ich zählte weiter.
Vor mir bewegte sich etwas, und ich blickte mit viel zu schnell pochendem Herzen auf. Maddie vor mir, die Hand auf ihren Mund gepresst.
Ich bewegte die Hand schneller. Ich musste kommen. Wenn ich kam, verschwand er. Dann würde er Maddie in Ruhe lassen. Er stieß seinen Schwanz härter in mich. Ich zog das Messer über meinen Bauch, schrie: »Elf!«, und kam auf der Lukentür. Diesmal kam das Erbrochene schneller. Nur Sekunden später bückte ich mich über den Eimer neben mir, um meinen Magen zu leeren. Aber es kam nichts raus. Mein Kopf pochte, und meine Sicht wurde undeutlich, als ich nach hinten kippte.
Doch ich konnte nicht sitzen, also kippte ich nach vorn und blieb auf der Luke liegen. Dann hörte ich schwere Schritte, die sich entfernten. Ich wusste, dass er die Hütte verließ. Aber ich wusste auch, dass er wiederkommen würde … wenigstens war er für den Moment weg. Ich holte so tief Luft, wie ich konnte, die Haut am Bauch brannte allerdings und machte mir das Atmen schwer.
Ein Schniefen ließ mich erstarren. Blinzelnd blickte ich auf zu Maddie. Sie war auf die Knie gefallen, und jetzt war sie bloß noch ein paar Zentimeter von mir entfernt. Und dann spürte ich ein Gefühl von Schmerz, als ich Tränen über ihre Wangen laufen sah. Ihre Unterlippe zitterte, und ihre Hände lagen fest verschränkt in ihrem Schoß.
»Flame«, flüsterte sie, als sie sah, dass ich sie anstarrte, »warum hast du dir das angetan?«
Ich wollte näher zu ihr, aber mein Körper war zu geschwächt. Ich war so müde. Maddie kroch näher, bis sie fast an meiner Seite war. Sie wischte sich über die Wangen und fragte dann wieder: »Sag es mir, Flame. Warum hast du dich eben selbst verletzt?«
Mein Mund fühlte sich wund an und ich konnte die Lippen kaum bewegen, doch Maddie hatte mir eine Frage gestellt, und ich wollte ihr antworten. »Er war da, um mich zu holen. Um die Flammen rauszulassen, das Böse. Ich habe ihn hinter dir gesehen, deshalb musste ich dich beschützen. Ich … ich musste dich beschützen.«
Maddie erstarrte. Ich sah, wie sie schluckte. »Wer kam, um dich zu holen?«
Ich dachte an den Mann in meinem Kopf – dunkle Augen und dunkles Haar. »Er«, antwortete ich und bekam Gänsehaut, als ich sein Bild in meinem Kopf sah.
Maddie runzelte immer noch die Stirn. »Und er kommt zu dir? Um … das zu tun?«, fragte sie, und ihre Stimme stockte ein wenig dabei.
Ich nickte und legte dann den Kopf auf den Boden. Ich war müde.
Maddie senkte den Blick auf ihre Hände. Ich betrachtete sie weiter. Ihr langes schwarzes Haar berührte den Boden, als sie sich hinsetzte. Es war das, was ich am meisten an ihr mochte. Außer ihren grünen Augen. Und ihren kleinen Händen. Ich dachte immer an ihre kleinen Hände.
»Ich mag dein Haar«, sagte ich und starrte sie an. Maddies grüne Augen hoben sich. Röte überzog ihre Wangen, und der Anblick machte mich beklommen. Immer wenn ich sie ansah, hatte ich diese Enge in der Brust. Und immer wenn ihre Augen mich ansahen, so wie genau jetzt, fing mein Herz zu rasen an. Der Puls im Hals wurde dann stets schneller.
»Danke«, flüsterte sie, und ich sah, dass ihre vollen Lippen an den Seiten hochgingen. So sah sie noch schöner aus, als ich sie ohnehin schon fand.
Stille im Raum. Maddie holte tief Luft und sagte: »Ich mag deine Hände.«
Urplötzlich machte sich ein Gefühl von Wärme in mir breit. Aber es waren nicht die Flammen. Das hier fühlte sich anders an. Meine Muskeln brannten nicht. Meine Haut kribbelte nicht. Es fühlte sich … fremd an …
Ich runzelte die Stirn. Maddie mochte etwas an mir? Mich hatte noch nie jemand gemocht. Niemand hatte je eine Bemerkung darüber verloren, wie ich aussah. Ich zwang meine Hand, sich zu bewegen. Sie fühlte sich wie totes Gewicht unter mir an, aber ich schob sie hervor, bis sie flach vor mir auf dem Boden lag. Ich studierte die farbig tätowierte Haut, ganz und gar bedeckt von Flammen.
»Wieso?«, fragte ich krächzend, blickte auf und sah, dass Maddie mich immer noch beobachtete. »Wieso magst du meine Hand?«
Die Röte in ihrem Gesicht wurde tiefer. Aber ihre Augen ruhten weiter auf meiner Hand auf dem Boden. Plötzlich rührte sie sich. Sie legte sich mir gegenüber in derselben Position hin. Mein Herz hämmerte los wie eine Kanone, als sie den Kopf senkte und die Wange auf den Boden drückte. So schaute sie mir genau in die Augen.
»Ist … ist das okay?«, flüsterte sie.
Ich nickte und antwortete. »Ja. Nur …« Ich versuchte, meine Panik zurückzuhalten, und sagte: »Nur komm nicht in die Nähe der Luke. Und nicht … nicht anfassen.«
»Das tue ich nicht«, bestätigte Maddie leise. Die Hand, die neben ihrem Kopf lag, schob sich langsam ein paar Zentimeter auf mich zu. Ich hielt den Atem an und dachte, sie würde mich anfassen. Doch wenige Zentimeter vor meiner Hand hielt sie an.
Ich fragte mich, was sie da tat, als sie sagte: »Mir gefällt, wie deine Hand neben meiner aussieht. Sie ist so groß, und meine Hand ist so klein. Und doch habe ich das Gefühl, sie sehen so passend zueinander aus.«
Ich betrachtete aufmerksam unsere Hände und sah, dass meine Hand größer als ihre war. Darauf streckte Maddie den kleinen Finger aus und legte ihn genau neben meinen. Ich dachte daran, die Hand zurückzureißen, aber etwas hielt mich davon ab. Ich wollte nicht, dass sie mich anfasste, weil ich nicht wollte, dass sie verletzt wurde. Meine Berührung brachte anderen Menschen immer nur Schmerz. Doch ich ließ meine Hand da liegen, wo sie war, und unsere kleinen Finger starrten einander an.
»Manchmal stelle ich mir vor, wie unsere Hände aussehen würden … wenn sie sich berühren. Wie sie aussehen würden, wenn wir unsere Finger verschränken. Ich frage mich, ob mich das zum Lächeln bringen würde. Und an manchen Tagen träume ich davon, dass das etwas wäre, das wir tun könnten.«
Maddies Stimme klang ganz leise bei ihren Worten. Ich konnte den Blick nicht von unseren Händen lassen. Ich versuchte mir im Kopf vorzustellen, was sie beschrieb. Ich sah, wie sich ihre Hand nach meiner ausstreckte, aber im selben Moment dachte ich daran, wie ich mich dann fühlen würde, und schüttelte den Kopf.
»Unsere Hände können sich nie berühren. Ich kann … ich könnte das nicht.«
Maddies Lippen verzogen sich zu einem halben Lächeln, aber Tränen standen ihr in den Augen und ihr stockte die Stimme.
»Wieso werden deine Augen feucht? Und warum ist deine Stimme so brüchig?«, fragte ich verwirrt. Ich musste verstehen, was sie dachte. Was sie fühlte. Ich wusste es nicht, aber ich musste es doch wissen.
»Ich bin traurig, Flame. Es macht mich traurig zu wissen, dass wir uns nie berühren können.«
Die Muskeln an meinem Bauch spannten sich an, als mir klar wurde, dass ich sie traurig gemacht hatte. Dann kühlte sich dieses Gefühl von Wärme, das ich empfunden hatte, ab, und ich fühlte mich nicht mehr so gut. »Ich will dich nicht traurig machen. Nicht dich. Ich kann nur keine Berührung ertragen. Es macht die Flammen schlimmer. Ich darf dich nicht anfassen.«
»Es ist okay, Flame«, antwortete Maddie darauf. Sie blickte zu mir auf und fuhr fort: »Denn ich kann auch keine Berührung eines Mannes ertragen. Aber ich träume trotzdem davon.«
Ich holte tief Luft und sah mich in der Hütte um. Sie war anders. Meine Sachen lagen nicht mehr da, wo sie zuvor gewesen waren. Es war sauber. Und … Maddie? Niemand kam je hier rein. Doch jetzt war Maddie hier drin. Und sie lief nicht davon. Niemand wollte je hierbleiben.
Sie gingen immer weg.
Ich war immer allein hier.
»Warum bist du hier drin, Maddie?«
Sie versteifte sich, als sie antwortete: »Es ging dir nicht gut, und ich kam her, weil ich versuchen wollte, dir zu helfen, dass es dir besser geht.« Sie legte den Kopf schief und fragte: »Weißt du nicht mehr?«
Ich kramte in meinen Erinnerungen, konnte allerdings nur Schreie und Gebrüll hören. Ich konnte Schüsse hören. Und dann konnte ich fühlen, wie mich jemand fesselte.
»Ich erinnere mich nicht. Ich bin eben erst bei dir aufgewacht. Ich war müde beim Aufwachen, aber ich sah ihn hinter dir stehen. Und ich musste dich retten.«
Maddie blickte auf unsere Hände und flüsterte: »Du rettest mich immer.«
»Weil ich muss.«
Maddie hielt den Atem an und fragte dann: »Warum?«
Ich suchte in meinem Kopf nach der Antwort und sagte dann: »Weil ich die ganze Zeit an dich denke. Du siehst mich anders an als alle anderen. Ich denke daran, was die Typen in dieser Scheißsekte dir angetan haben, und ich kann es nicht ertragen. Ich muss dafür sorgen, dass dich nie wieder jemand so anfasst. Und …« Ich zog die Luft ein, als ich ein Bild in meinem Kopf sah.
»Und was?«, fragte Maddie.
»Und du hast mich berührt«, hauchte ich. In meinem Kopf sah ich wieder, wie sie in dieser Gemeinde die Arme um meine Taille geschlungen hatte. »Und ich habe dich auch berührt. Und es hat dir nicht wehgetan. Die Flammen brannten nicht zu heiß unter der Haut, als du mich berührt hast, und mein Kopf war nicht voller Lärm.«
»Und ich hatte keine Angst vor dir«, sagte sie. »Ich fürchte die Berührung von Männern. Ich finde sie abstoßend. Aber nicht bei dir. An jenem Tag wollte ich dich umarmen. Ich musste es. Auch wenn wir uns nie wieder umarmen können.«
Mir wurde es schwer ums Herz, als sie mir sagte, dass sie mich nicht fürchtete. Sie hatte keine Angst vor mir.
Ich wollte den Kopf heben, konnte die Kraft dazu jedoch nicht finden. Und mir war kalt. Mir war so kalt. Mir fielen die Augen zu, aber ich wollte nicht schlafen. Im Schlaf dachte ich an ihn. Es tat weh, wenn ich schlief. Ich wollte hier bei Maddie bleiben. Ich musste wach bleiben.
»Flame?« Maddies Stimme zwang mich, die Augen zu öffnen. »Du musst etwas trinken. Du bist ernsthaft dehydriert.« Ich sah zu, wie sie aufstand. Mein Körper zuckte, und ich wollte aufstehen, als ich daran dachte, dass sie gehen würde, doch Maddie ging nur in die Küche und füllte ein Glas mit Wasser.
Sie brachte es mir und setzte sich. »Kannst du den Kopf heben?«
Ich zwang den Kopf hoch. Vorsichtig brachte Maddie das Glas an meine Lippen. Und ich starrte sie die ganze Zeit über an. Ich trank das ganze Glas leer, und Maddie stellte es neben sich ab.
»Du solltest schlafen«, meinte sie tröstend, aber mein Körper zuckte wieder. Maddie zuckte bei der plötzlichen Bewegung zusammen und ihre Pupillen weiteten sich. »Was ist los?«
»Ich will nicht, dass du gehst.«
Maddie holte tief Luft und wurde erneut rot.
»Wieso wirst du rot, wenn ich etwas sage?«, fragte ich, als ihre Wangen sich röteten. Bei dem Anblick musste ich nach Luft schnappen. Er ließ mein Herz stärker pochen.
Maddie senkte den Kopf. »Weil mir gefällt, was du sagst. Es gibt mir das Gefühl … ich weiß nicht … etwas Besonderes zu sein, wenn ich bei dir bin? Es …« Sie legte sich die Hand aufs Herz. »Ich fühle es genau hier.«
»Für mich bist du etwas Besonderes«, antwortete ich aufrichtig.
Maddie wandte den Blick ab, und dann, als sie mich wieder ansah, lächelte sie. Mir gefiel es, wenn sie lächelte. Sie tat es so selten.
»Ich werde bleiben, Flame. Solange du schläfst, bleibe ich hier.« Sie stand auf und ging an mein Bett. Es war in die Mitte des Zimmers geschoben worden. Ich sah zu, wie sie das Laken, das voll Blut war, abzog und neben der Tür liegen ließ. Dann sah sie sich um und fragte: »Wo bewahrst du die Bettlaken auf? Ich beziehe das Bett, damit du auf sauberen Laken schlafen kannst.«
»Ich schlafe hier«, sagte ich. Maddie kam vorsichtig heran. Sie hatte wieder die Stirn gerunzelt.
»Du schläfst auf diesem Boden?«, fragte sie leise. »Auf dieser Luke?« Ihre Stimme war kraftlos geworden.
»Ja.«
»Jede Nacht?«
»Ja«, antwortete ich wieder.
»Ohne Laken oder Bettwäsche? Nur du auf dem Boden?«
»Ja.«
Ihre Züge strafften sich, und sie drehte sich um und sagte: »Okay.«
Maddie ging zum einzigen Stuhl im Zimmer und zog die alte Decke davon herunter. Damit kam sie zurück zu mir und hielt sie vor sich. »Darf ich dich damit zudecken? Du hast Gänsehaut, weil du erschöpft bist. Du brauchst Wärme.«
»Mir ist immer kalt, wenn ich schlafe«, sagte ich ihr. Maddie ballte die Hände in der Decke zu Fäusten. »Ich habe schon immer in der Kälte geschlafen.«
»Das muss nicht sein.« Ihre Worte verwirrten mich. Ich versuchte, eine Antwort zu finden, warum mir kalt sein musste, doch ich fand keine. Als Kind hatte ich immer gefroren, in meinem Zimmer und später im Keller. Aber mir fiel nichts ein, warum ich das jetzt tun musste.
Maddie blieb über mir stehen und fragte: »Nimmst du diese Decke, für mich? Bitte …«
Ich nickte und machte mich darauf gefasst, den Stoff auf meiner Haut zu spüren. Maddie breitete die Decke über mich, fasste mich dabei jedoch nicht an.
Die Decke fühlte sich seltsam auf meiner Haut an. Und noch ein neues Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Maddie war der allererste Mensch, der wollte, dass ich es warm hatte. Seit meiner Mama der erste Mensch überhaupt, den das interessierte.
Ich folgte Maddie mit dem Blick, als sie reglos stehen blieb, mit dem Rücken zu mir. Ihre Finger waren angespannt, aber dann drehte sie sich um und schaute mich an. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war neu. Ich hatte gedacht, ich würde jede Miene von ihr kennen, doch in diesem waren ihre Lippen angespannt und ihre Schultern durchgedrückt. Dann legte sie sich wieder vor mir auf den Boden und legte die Hand nur ein paar Zentimeter von meiner entfernt hin.
Ihre Wange presste sich flach auf das Holz. »Schlaf, Flame. Ich lasse dich nicht allein. Ich werde hierbleiben, bis du aufwachst.«
Meine Augen fielen zu, und die Dunkelheit zog mich mit sich. Aber das Letzte, was ich sah, waren Maddies grüne Augen, die mich immer noch anschauten. Und sogar, als die Dunkelheit, die ich so hasste, immer näher rückte, leuchteten ihre Augen. Sie vertrieben den Schmerz.