Kapitel 15

Maddie

Drei Tage später …

Ich drückte den Bleistift auf den Rand des Papiers, nahm ihn dann wieder weg und atmete tief durch. Es war perfekt. Dieses Bild – das Bild, wie wir uns umarmten, so wie ich es mir erträumte, dass es eines Tages sein könnte, kam direkt aus meinem Kopf. Es war aus meiner Seele auf das Papier geströmt.

Für mich war es absolut perfekt.

Tränen traten mir in die Augen, als ich die Zeichnung betrachtete. Es war ein Kampf in meinem Herzen. Einerseits wollte ich das, was sie zeigte, von ganzem Herzen wahr werden sehen, doch andererseits erschreckte es mich mehr, als alles andere auf der Welt es je konnte.

Denn während der letzten drei Tage hatten sich meine Gedanken in Bezug auf Flame verändert. Sie waren intensiver geworden. Und ich dachte an Dinge, die ich nie zu denken geglaubt hätte. Jede Nacht neben ihm zu schlafen, mich um ihn zu kümmern und mit ihm zu reden hatte etwas in mir ausgelöst.

Es hatte mein Herz geöffnet.

Als ich die Badezimmertür aufgehen hörte, schloss ich hastig das Skizzenbuch. Ich legte es neben meinen Platz am Feuer und sah auf. Flame kam aus dem Badezimmer. Er trug seine Lederhose und die Kutte. Und schon sein Anblick, nun wieder gesund und stark, ließ mein Herz pochen.

Er konnte die Augen nicht mehr von mir abwenden, kam näher und blieb vor mir stehen. Ich blickte hoch und stand auf. »Bist du so weit?«, fragte ich und wartete auf seine Antwort.

Flames Blick huschte zur Tür und wieder zu mir. »Ja«, antwortete er, aber seine Stimme klang rau und unsicher.

»Es wird alles gut, Flame. Und deine Freunde warten schon so lange darauf, dich zu sehen. Jetzt geht es dir wieder gut, und du solltest hinausgehen.«

Flame ließ den Kopf hängen. Ich konnte nicht anders als seinen breiten Brustkorb anstarren, die farbigen Bilder, die mir dort begegneten. Vor allem die leuchtend orangefarbenen Flammen, die sich bis an seinen Hals zogen.

Mit einem aufmunternden Lächeln ging ich zur Tür, doch dann bemerkte ich, dass Flame mir nicht gefolgt war. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass er angestrengt auf die Tür hinter mir schaute.

»Flame? Alles in Ordnung?«, fragte ich.

Seine Augen waren größer geworden – ein Zeichen dafür, dass er aufgebracht war. »Wenn wir zur Tür hinausgehen, gehst du dann zurück zu Styx’ Haus?«

Bei dem Gedanken, ihn zu verlassen, wurde es mir schwer ums Herz.

»Maddie?«, fragte Flame wieder. Von da, wo ich stand, sah ich, wie er die Hände zu Fäusten ballte, und dann sagte er heiser: »Ich will nicht, dass du weggehst.«

Das schroffe Timbre seiner Stimme jagte mir Schauer der Traurigkeit über den Rücken. Doch dann drang sein Bekenntnis zu mir durch, und Hoffnung keimte in mir auf.

Er wollte, dass ich blieb.

Ich schwieg und versuchte diese neuen Gefühle unter Kontrolle zu bekommen, die meine Sinne überrollten, als er wieder meinen Namen rief. »Maddie?«

Diesmal war seine Stimme gedämpfter geworden, ein Zeichen, dass er traurig war, niedergeschlagen … dass er die Hoffnung verlor.

Ich holte tief Luft, hob den Kopf und bekannte nervös: »Ich will auch nicht gehen.«

Flames Nasenflügel bebten, und er kam vorsichtig näher, bis er so nahe stand, dass unsere Oberkörper einander berühren würden, wenn wir nur tief genug atmeten. Flame stand ganz still. Ich auch. Und ich gab mir alle Mühe, die Hitze niederzukämpfen, die plötzlich in mir tobte.

»Dann kommst du wieder hierher. Zu mir«, stellte er mit Bestimmtheit fest.

Ich spürte ein Lächeln um meine Mundwinkel zucken und antwortete: »Ja. Ich will meine Schwestern sehen. Ich habe sie seit Tagen nicht gesehen, aber … aber ich komme zurück, hierher. Zu dir.«

Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Flames Finger sich anspannten und er die Augen schloss. Ich wusste, was das bedeutete, und jedes Mal, wenn er das tat, fühlte ich mich wie gelähmt vor Angst und zugleich wie berauscht vor Erwartung. Denn ich wusste, dass Flame dann gegen den Drang ankämpfte, mich zu berühren. Ich fragte mich oft, was er in seinen Gedanken wohl sah. War es etwas wie meine Zeichnungen – unschuldig und süß? Oder war es mehr? War es, wie wenn ein Mann eine Frau nahm?

Ich wartete auf die Niedergeschlagenheit, die mit diesen Gedanken kommen würde. So von einem Mann genommen zu werden. Aber der Gedanke ließ mich nicht erstarren, wie ich gefürchtet hatte. Stattdessen … wurde mir … wurde mir warm.

Ich hob den Blick und sah, dass Flame mich musterte. Ich musste die Fassung wiedergewinnen, und ich brauchte frische Luft, also ging ich zur Tür. Helles Licht fiel herein, als die Tür aufging, und eine warme Brise wehte mir ins Gesicht.

Und ich roch die Bäume.

Ich hörte das Laub rascheln.

Ich fühlte die heiße Sonne auf meinen Wangen.

Flame stand hinter mir, und seine große, schützende Gestalt füllte mich mit Frieden.

»Flame! Fuck!«

Eine Stimme links von uns erregte unsere Aufmerksamkeit. AK kam über die Lichtung zu Flames Hütte. »Vike, komm auf der Stelle hier raus!«, rief er über die Schulter.

Die Tür der mittleren Hütte flog auf, und ein halb nackter Viking rannte heraus. Sein langes rotes Haar war nass und hing offen herab, und seine Lederhose war offen. Aber sein halb nackter Zustand bestürzte mich nicht, als er barfuß auf Flame zurannte, denn der Ausdruck schierer Erleichterung, als er seinen Bruder sah, ließ mich beinahe auf die Knie fallen.

Er wurde geliebt.

Ich fragte mich, ob ihm klar war, dass diese beiden Männer alles für ihn tun würden. Ich fragte mich, ob er begriff, dass er nie wirklich allein gewesen war.

AK blieb vor Flame und mir stehen, Viking direkt hinter ihm. AK fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sagte heiser: »Fuck, Mann, wir dachten schon, wir hätten dich verloren.«

Ich blickte auf, und Flame schaute die beiden verständnislos an. AK und Viking schien das nicht zu stören. Viking musterte Flame von Kopf bis Fuß. »Alles okay, Bruder? Geht es dir gut?«

»Ja«, antwortete Flame, und Viking grinste.

»Zur Hölle, Mann! Ist verdammt gut, dich wiederzuhaben. War nichts wie sonst, als du außer Gefecht warst. AK und ich mussten auf Fahrten gehen, nur er und ich, und es war total langweilig ohne dich, die Leute zu Tode zu erschrecken. AK ist ein viel zu großes Weichei, um die Leute dazu zu bringen, dass sie sich in die Hose pissen, wenn sie ihn bloß sehen. Aber jetzt sind wir ja alle wieder zusammen.«

Flame nickte, und AK meinte: »Wir haben bald Kirche. Kommst du mit? Alle Brüder wollen dich sehen.«

Flames Blick huschte zu mir. Ich sah, wie er mit den Zähnen über das Piercing in seiner Zunge schrammte. Er war unsicher.

»Ich gehe zu meinen Schwestern. Bei ihnen werde ich dann auf deine Rückkehr warten.«

Flame atmete aus und sagte: »Ich werde dich abholen.«

Ich wurde rot unter seinem durchdringenden Blick. Als ich mich umdrehte, um zu gehen, rief Viking: »Kleines?«

Ich drehte mich um, weil ich wusste, dass das sein Name für mich war. Er nickte mir zu und sagte: »Keine Ahnung, was du gemacht hast. Ist mir auch ziemlich scheißegal, aber du hast ihn von weiß der Teufel wo zurückgeholt, und dafür hast du unsere Dankbarkeit bis ans Lebensende. Hörst du?«

Ich nickte knapp und drehte mich um, um zu den Bäumen zu gehen. Flame ging neben mir her, und ich fragte: »Freust du dich, deine Freunde zu sehen?«

Flame hielt den Blick geradeaus gerichtet und antwortete: »Ja.«

Ich runzelte die Stirn, denn ich wusste, dass er an etwas anderes dachte.

»Was denkst du sonst noch?«, fragte ich.

Flame antwortete ohne Zögern: »Dass ich jetzt lieber in der Hütte mit dir am Feuer sitzen würde.« Mein Herz machte einen Satz, als er fortfuhr: »Du zeichnest, und ich sehe dir gern dabei zu. Ich mag es, wenn du in meiner Nähe bist. Es ist besser als unter deinem Fenster zu stehen. Ich mag es, wenn ich dich aus der Nähe sehen kann.«

Mir war nicht bewusst, dass ich stehen geblieben war, bis Flame stehen blieb und hinter sich blickte. Als der Blick aus seinen dunklen Augen auf mich fiel, merkte ich, dass ich zitterte. Ich war so verwirrt von den Gefühlen, die meinen Körper attackierten. Ich verstand nicht, was mit mir passierte, und es machte mir Angst. Aber zu hören, wie Flame mir seine Gedanken offenbarte, haute mich um.

»Warum bleiben wir stehen?«, fragte Flame, und ich konnte sehen, dass er mit den Händen über den Griff seines Messers an der Seite fuhr.

Ich zwang meine Füße weiterzugehen und unterdrückte das Lächeln, das an meinen Lippen zupfte. »Tut mir leid, ich musste zu Atem kommen«, antwortete ich, und Flame ging wieder neben mir her. Als wir den Hügel hinaufmarschierten, kam mir eine Frage in den Sinn. »Flame?«

»Ja«, antwortete er.

»Ich weiß, dass du gern deine Messer schärfst, aber was tust du sonst noch gern?«

»Ich verstehe nicht«, antwortete er leise.

»Ich zeichne, und das macht mich glücklich. Ich frage mich, was dich glücklich macht?«

Ich betrachtete Flames Gesicht, als sein Blick hin und her huschte, und er sagte: »Ich sehe dir zu.«

Hitze durchfuhr in meinen Körper, und ich flüsterte: »Das macht dich glücklich? Mir zuzusehen? Ist das nicht langweilig für dich? Ich meine, was macht dich eigentlich glücklich? Was tust du am liebsten?«

Flame schüttelte den Kopf, und seine Augen, die ich so liebte, sahen mich an. »In deiner Nähe zu sein. Dich zu sehen.« Ich schluckte. Seine Antwort ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben, und er schaute wieder hin und her. »Wir sind wieder stehen geblieben.«

Dieses Mal konnte ich das Lächeln nicht unterdrücken. »Ich weiß. Gehen wir weiter«, sagte ich und fühlte seine Worte in jedem meiner Schritte, in jedem Atemzug spielen, als wir uns der Hütte von Mae und Styx näherten. In deiner Nähe zu sein. Dich zu sehen …

Vor uns waren Stimmen zu hören, und als ich zwischen den Bäumen hervor zu Maes Haus kam, saßen Mae, Lilah, Beauty, Letti und Sarai draußen im Garten. Als sie mich kommen sahen, sprangen sie auf.

»Maddie!«, rief Mae erleichtert, lief zu mir und nahm mich in die Arme. Dann hielt sie mich vor sich und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?« Ihr Blick huschte zu Flame, der stocksteif neben mir stand.

Ich neigte den Kopf und fühlte meine Wangen heiß werden, als ich antwortete: »Es geht mir gut.«

Plötzlich umarmte mich ein neues Paar Hände, und ich wusste, es war Lilah – ich erkannte ihr Haar am Duft. »Schwester«, flüsterte sie, »du hast mir gefehlt.«

Lilah ließ mich wieder los und lächelte. Durch die Narbe war einer ihrer Mundwinkel etwas höher als der andere. Dann fiel ihr Blick auf Flame. »Flame, geht es dir besser?«

»Ja.« Ich warf Flame, der mich nicht aus den Augen ließ, einen Blick zu. Beauty und Letti standen hinter Lilah. Beauty sagte zu Flame: »Es ist echt toll, dich wiederzuhaben, Flame. War ganz schön ruhig hier ohne dich.«

Flame sagte nichts darauf, und Beauty, die auch gar keine Antwort erwartet zu haben schien, winkte mir zu. »Hey, Madds. Schön, dich zu sehen, Darling.«

Ich lächelte ihr und Letti zu, die mir hinter ihrer besten Freundin zunickte. Danach blickte ich zu dem einzigen besetzten Stuhl und sah, dass Sarai mich beobachtete.

»Guten Morgen, Sarai«, grüßte ich, und sie lächelte.

»Hallo, Maddie. Es ist schön, dich wiederzusehen.« Sie sah besser aus, fand ich. Und ich war froh. Sie war so jung. So unschuldig.

Die Tür zu Styx’ Hütte ging auf, und Styx und Ky kamen heraus. Ihre Gesichter leuchteten auf, als sie Flame neben mir stehen sahen, ganz Hangman, als er da stand in Lederhose und Lederkutte, den narbenbedeckten Oberkörper frei.

»Mensch, Flame!«, rief Ky und klatschte. Styx lächelte neben Lilahs Ehemann. Die beiden Männer kamen zu Flame, und Ky blieb vor ihm stehen. »Geht es dir gut, Bruder? Ihr habt ja alle in letzter Zeit echt irren Scheiß durchgemacht.«

Flame zog sein Messer aus dem Gürtel und fuhr mit dem Finger über die Klinge. Das war sein Zeichen dafür, dass er verunsichert war. Als Ky keine Antwort bekam, drehte er sich zu Styx um: »Kirche, Präs?«

Styx nickte, ging dann zu Mae und presste seine Lippen auf ihre. Mae schmolz in seinen Armen dahin. Ky tat dasselbe bei Lilah, und ganz unbewusst wanderte mein Blick zu Flame. Wie immer beobachtete er mich, doch dieses Mal bebten seine Nasenflügel, und seine Klinge fuhr über sein Handgelenk. Panik loderte in mir auf. Etwas in seinem Kopf schien ihn zu beunruhigen.

»Gehen wir, Flame. Da ist ein Mordshaufen Brüder, die alle verdammt erleichtert sein werden, dass du nicht den großen Abgang hingelegt hast.« Kys Stimme holte mich in die Gegenwart zurück, und ich räusperte mich.

Flame schaute erst Ky und dann mich an. Ich zwang mich zu einem Lächeln, um meine zitternden Beine zu verbergen. Diese Küsse … Flames eindringlicher Blick …

»Maddie?«, fragte Flame heiser, und ich registrierte, dass alle um uns herum verstummt waren.

Mir gefiel es nicht, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, also trat ich näher auf ihn zu. »Hole mich nach eurem Treffen hier ab, dann gehen wir zu deiner Hütte. Du brauchst immer noch Ruhe.«

Flame nickte einmal und schloss sich danach Styx und Ky an, die bereits unterwegs waren. Aber er blickte zurück. Er blickte elf Mal zurück. Elf Mal. Ich zählte mit.

»Maddie?« Maes Stimme lenkte meinen Blick auf sie. In ihrem Gesicht stand Sorge, als sie fragte: »Zurück zu Flames Hütte? Du willst weiter bei ihm bleiben?«

»Ja«, antwortete ich und war verlegen von so viel Aufmerksamkeit.

Ich hörte ein leises Hüsteln, und dann hörte ich Beauty sagen: »Also, ich muss zum Laden und aufmachen. Auf mich wartet ein arbeitsreicher Tag.« Ich hielt den Blick gesenkt, als sie sich von Lilah und Mae verabschiedete.

»Sarai, Darling. Ich nehme dich bald mal mit zum Laden, okay? Damit du ein wenig mehr von der Welt siehst.«

»Danke«, hörte ich Sarai antworten.

Momente später blickte ich auf, und Mae und Lilah standen beisammen und musterten mich. Hitze wallte in mir auf, und ich fragte: »Was? Wieso seht ihr mich so an?«

Lilahs Pupillen weiteten sich auf meine barsche Frage. »Wir machen uns Sorgen um dich, Maddie. Weil wir dich lieben.«

Mein giftiger Zorn wurde schwächer, und ich sagte: »Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Es geht mir gut.« Keine von beiden sagte etwas darauf, doch ich fuhr fort: »Ja, ich werde mit Flame zurückkehren. Er braucht mich.«

Die Anspannung meiner Schwestern in ihrer deutlichen Missbilligung hing noch schwerer in der Luft. Ich blickte angestrengt zu Boden. Ich würde mich darin nicht umstimmen lassen. Sie kannten Flame nicht so wie ich.

Schließlich setzte sich Lilah, und ich sah Mae dasselbe tun. »Maddie, setzt du dich zu uns?«, fragte Lilah. Ich sah den freien Stuhl zwischen den beiden und setzte mich.

»Maddie, wir werden Sarai heute Nachmittag zur Kirche begleiten. Möchtest du mitkommen?«

Ich hob den Kopf und schaute zu Sarai hinüber. Ihr junges Gesicht zeigte Hoffnung, als sie mich ansah. »Mae und Lilah haben mir von eurer Kirche erzählt. Dass sie rein ist und nicht dieselben Glaubensvorstellungen teilt, wie der Orden sie über Frauen und unsere Pflichten hat. Einen solchen Ort möchte ich sehr gerne sehen. Bis jetzt kann ich gar nicht begreifen, dass es ihn wirklich geben soll.«

Mir wurde es schwer ums Herz, als ich die Ungläubigkeit in ihrem Gesicht sah, und ich beugte mich vor und sagte: »Ich würde gern mit euch kommen. Pastorin James ist eine reizende Frau. Sie wird dir zeigen, welchen Glauben wir außerhalb der Gemeinde gefunden haben.«

Sarais strahlendes Lächeln hätte einen dunklen Raum mit Licht füllen können. »Danke«, sagte sie mit Tränen in den Augen. Dann stand sie auf und lenkte damit alle Aufmerksamkeit auf sich. »Ich gehe und ruhe mich aus, wenn wir heute Nachmittag gehen wollen.«

»Okay«, antwortete ich und sah Sarai nach, die in die Hütte ging.

Kurz darauf platzte ich unvermittelt heraus: »Wie fühlt es sich an?«

Ich fixierte den Blick auf meine unruhigen Hände im Schoß und merkte, dass mein Gesicht heiß vor Verlegenheit wurde, als Mae fragte: »Was denn, Schwester?«

Ich hob die Hand an meine Lippen und fuhr mit der Fingerspitze darüber. Mein Blick huschte zu Mae, und ich sagte: »Sich mit den Lippen berühren. Küssen.«

Maes Augen wurden groß, und ihr Blick huschte zu Lilah. Ich hörte, wie Lilah von ihrem Stuhl aufstand und sich dann auf dem warmen Gras zu meinen Füßen niederließ. Sie legte die Hand auf mein Knie und sah mich mit ihren blauen Augen fragend an.

»Es gibt nichts Vergleichbares«, antwortete Mae, worauf ich ihr ins forschend ins Gesicht sah. Ein verstecktes Lächeln spielte um ihre Lippen, und ihr Atem ging schneller. »Es ist eins der Dinge im Leben, die ich am liebsten tue.«

»Und du, Lilah?«, fragte ich scheu.

»Alles«, gestand sie mit leicht rauer Stimme. »Denn ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich je einen Mann haben würde, der mich so liebt, wie ich bin. Aber Ky tut es. Ich denke, er liebt mich mehr, als ich es verdiene.« Lilah hob die Hand und strich über ihre Narbe. »Sogar als ich mich selbst verletzte, als ich mir das Haar abschnitt, wollte er mich noch. Und wenn er mich küsst, ist das die Bestätigung für mich, dass ich sein Herz gewonnen habe. Dass er mir gehört. Ein Leben lang.«

Lilahs Hand drückte mein Knie, und ihre Miene war vorsichtig, als sie fragte: »Warum fragst du, Schwester? Ist das etwas, woran du denkst, dass du … dass du es mit Flame versuchen willst?«

Ich senkte den Kopf, wollte einfach nur atmen und gestand dann: »Ich fürchte, es ist etwas, das ich nie tun kann.« Ich sammelte mich und fuhr fort: »Ich entdecke, dass ich davon träume, Flame zu küssen. Ich träume davon, dass er mein Gesicht berührt und an seine Lippen führt. Und in meinen Träumen habe ich keine Angst. Ich fürchte seine Berührung nicht. Und es macht mir keine Angst, dass ich noch nie zuvor geküsst wurde. Weil Flame mir Sicherheit gibt. In seiner Gegenwart gibt es keine Angst.« Ich holte tief Luft und spürte mein Herz bersten. »Aber die Wirklichkeit ist, dass ich seine Berührung fürchte, obwohl ein Teil von mir, den ich für tot hielt, sich danach sehnt. Ich habe Angst davor, was die Berührung eines Mannes auf meiner bloßen Haut heraufbeschwören würde. Vor den Erinnerungen, die ich seitdem so sehr hinter mir lassen will.« Ich sah Lilah an und erwiderte dann Maes Blick. »Was, wenn Flames Berührung plötzlich in meinem Kopf zu einer von Moses wird? Und was, wenn ich wieder darin gefangen bin? Unfähig zu sprechen vor lähmender Angst? Wäre ein schlichter Kuss das dann wert?«

Ich konzentrierte mich auf Lilahs hübsches Gesicht und schnaubte freudlos. »Ich fürchte, Flame wurde sogar noch schlimmer als ich durch die Berührung eines Menschen verletzt. Ich denke, er wird nie in der Lage sein, seine Hand auf meine zu legen, geschweige denn mich zu küssen.«

Mae seufzte, strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte: »Du verdienst es, geliebt zu werden, Maddie. Und ich weiß, ich habe nicht so viel Brutales erlitten wie du, noch Lilah oder Bella, aber Lilah und ich haben Männer gefunden, die es uns möglich gemacht haben, das hinter uns zu lassen und endlich unser Glück zu finden.«

Meine Lippen bebten. »Ich glaube nicht, dass Flame je in der Lage sein wird, so bei mir zu sein.«

»Dann ist er wirklich der Eine für dich?«

Ich nahm Lilahs Hand und legte sie auf mein Herz. »Dieser Herzschlag, dieses neue Zeichen von Leben, das in mir pocht? Das ist seins. Die Erweckung meines Herzens gehört Flame.« Ich unterdrückte meine Tränen.

»Maddie«, flüsterte Lilah. Sie ging auf die Knie, legte die Hände an meine Wangen und küsste mich auf die Stirn. »Ich weiß nicht, was in Zukunft passieren wird, aber ich bin dankbar, dass Flame diese Möglichkeit in dir geweckt hat.«

Lilah setzte sich wieder auf den Boden, und Mae lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Schließlich sagte Lilah: »Wenn ich mit Ky schlafe, dann ist das etwas ganz anderes als das, was wir in den Händen dieser Männer erlitten haben. Er ist liebevoll, sanft, und ich glaube nicht, dass ich mich ihm irgendwann verbundener fühlen kann als dann, wenn wir vereint sind.« Ich versteifte mich bei ihren Worten. Lilah schenkte mir ein Lächeln unter Tränen und fuhr fort: »Es ist die physische Manifestierung dessen, was ich im Herzen fühle.« Lilah holte Luft, ohne den Blick von mir abzuwenden, bevor sie einen Wunsch aussprach: »Ich hoffe, dass du eines Tages erfahren kannst, was das für ein Gefühl ist. Und ich hoffe, wenn es so weit ist, dass du dann nichts als Glück empfindest. Glück ohne Angst.«

Ich gab keine Antwort darauf.