Meine Brüder warteten schon im Versammlungsraum, als wir ankamen. Styx und Ky gingen zuerst hinein, und ich folgte ihnen. Hush und Cowboy waren die Ersten, die aufsprangen, als ich eintrat.
»Fuck, Flame!«, rief Cowboy und blieb vor mir stehen. »Du bist wieder da!«
Ich nickte seinem lächelnden Gesicht zu, und dann meinte Hush: »Freut mich, dass es dir gut geht, Bruder. Hast uns damals einen Moment lang einen Heidenschrecken eingejagt. Habe noch nie zuvor jemanden so fertig gesehen.«
Ich biss die Zähne zusammen und versuchte nicht an die Frau zu denken, die erschossen worden war. Oder an das schreiende Baby und den kleinen Jungen, der auf dem Gehweg hockte. Plötzlich stand Tanks riesige Gestalt vor mir und begrüßte mich. Dann Bull, Smiler und schließlich Tanner.
Tanner senkte den Kopf und strich über seinen Bart. »Die Frau hat überlebt. Ich habe mich in die Krankenhausberichte gehackt und nachgesehen. Ihre Kinder auch.« Erleichterung machte sich in mir breit.
»Danke«, antwortete ich, und er schüttelte den Kopf.
»Ich sollte den Klan eigentlich kennen«, meinte er zähneknirschend. »Mein alter Herr, der Scheißkerl. War klar, dass der so was abzieht. Und ich kann nicht nachforschen, was die Wichser vorhaben. In ihrem internen System passiert rein gar nichts, was heißt, dass alles mündlich läuft. Mein alter Herr weiß, dass ich nur eine verdammte Minute brauche, um ihre Pläne herauszufinden, falls irgendwo was davon auf einem Rechner ist. Der Scheißkerl spielt den Schlauberger.«
AK und Viking kamen herein, als Tanner gerade wegging. Viking breitete die Arme aus. »Schon das Neueste gehört? Das Psychotrio ist wieder im Geschäft!«
Das Geräusch des Richterhammers, der auf den Tisch klopfte, übertönte die Glückwünsche. Ky deutete auf die Sitzplätze. »Nehmt Platz, Ladys. Je früher wir anfangen, umso schneller können wir aufhören.«
Wir nahmen alle unsere üblichen Sitzplätze ein. Meiner war zwischen AK und Vike. Styx saß am Ende. Er hob die Hände. Ich zog mein Messer. Ky fing an, übers Geschäft zu reden, doch alles, was ich sah, war die Klinge, die ich auf meine Haut gepresst hatte. Immer wieder fuhr ich damit über meine Flammentattoos. Ich konnte das Brennen fühlen, das brodelnde Feuer unter der Haut, aber als ich in die Haut schneiden wollte, dachte ich an Maddies Gesicht. Die Klinge hielt an, und ich holte tief Luft. Ich wollte schneiden und die Flammen herauslassen. Der Gedanke an Maddie hielt sie allerdings ruhig. Er ließ sie schlafen.
Ich packte den Griff und drückte das Messer auf den Tisch, und als ich aufblickte, stellte ich fest, dass ein ganzer Haufen Augenpaare auf mich gerichtet war. Ich rutschte auf meinem Stuhl.
»Wieso starrt ihr mich denn so an?«, zischte ich und ballte die Hände zu Fäusten.
Ky schüttelte den Kopf und antwortete für die Brüder: »Nichts.« Dann runzelte er die Stirn. »Alles gut bei dir?«
»Ja. Wieso zur Hölle denn nicht?«
Ky schüttelte den Kopf und hob die Hände. »Kein besonderer Grund. Nur interessehalber.«
Ich streckte die Hand nach dem Messer aus. Dieses Mal drückte ich die Klinge in die Haut. Blut tröpfelte über meinen Arm, doch ich fühlte gar nichts. Denn ich hatte wieder Maddies Gesicht im Kopf. Maddie, die mir sagte, dass sie mich nicht verlassen würde.
»AK, Vike, ihr beide geht auf eine zweitägige Fahrt«, kam Kys Stimme. Ich blickte auf.
»Was ist mit Flame?«, fragte AK. »Wir fahren immer zusammen.«
Ich sah zu, wie Styx signalisierte, während Ky übersetzte. »Der Bruder hat noch Ausgangssperre. Kann sein, dass er gute Fortschritte macht, aber er geht auf keine Fahrt. Wir hatten einen Scheißhaufen Spuren zu beseitigen, als der Klan uns bei der letzten Geldübergabe attackiert hat und unser Bruder hier völlig ausgetickt ist. Hush und Cowboy fahren an seiner Stelle mit.«
AK beugte sich vor. »Ist das okay für dich, Flame?«
Ich senkte den Blick auf mein Messer und das tropfende Blut, und ich fühlte mich echt gut mit der Entscheidung des Präs, weil das bedeutete, dass ich bei Maddie bleiben konnte. »Ist gut für mich«, antwortete ich. AK sah mich merkwürdig an und lehnte sich dann zurück.
Ich sah, dass AK einen Blick zu Viking warf, der lautlos antwortete: »Die Kleine.«
Ich schaute zu Viking, und er warf mir ein Lächeln zu. »Ich sag ja nur, dass du gern bei der Kleinen bist. Um zu reden. Oder sie anzustarren. Oder was auch immer ihr so macht.«
»Vike, halt deine Scheißklappe!«, rief Ky von hinten, und alle konzentrierten sich wieder auf ihn. »Also, sonst noch was?«
Niemand sagte etwas, und mich juckte es in den Beinen, zurück zur Hütte zu kommen. »Gut«, sagte Ky, »ich muss zurück zu meiner Holden.«
Neben mir hüstelte jemand, und es war Viking, der dabei »Weichei« flüsterte.
Die Brüder fingen zu lachen an. Ky deutete mit dem Finger auf Viking. »Bruder, der Tag, an dem das richtige Stück Hintern dich an die Leine legt, wird der beste Scheißtag meines Lebens.«
Vikings rote Augenbrauen tanzten. »Der wird nie kommen, VP. Ich habe eine echte Anakonda in der Hose, und die will auf keinen Fall nur eine Frau für den Rest ihres Lebens. Steht auf Abwechslung. Jede Menge feuchte und enge Abwechslung.«
»Anakonda, ja klar«, meinte Tank gegenüber am Tisch. »Das Ding ist bestenfalls ein Wurm.«
Viking sprang auf und fing an, den Reißverschluss seiner Hose aufzuziehen. »Soll ich es dir beweisen, Bruder?«
Styx schlug den Richterhammer auf den Tisch. Alle Brüder machten, dass sie nach draußen kamen. Tank war als Erster draußen, und Viking rannte hinter ihm her. »Tank, sieh gefälligst zu, dass du herkommst! Ich hab da einen gewissen Jemand, der dich kennenlernen will!«
Der Saal leerte sich, und ich packte mein Messer und stand auf. AK stellte sich mir in den Weg. »Und du bist sicher, dass es okay für dich ist, wenn du die Fahrt auslässt? Der alte Flame hätte Blut vergossen, wenn man ihn von der Straße verbannt hätte.«
»Der alte Flame hatte Maddie nicht.«
AK zog die Augenbrauen hoch. »Dann hat es dich jetzt also erwischt?«
»Sie hat mich. Das ist alles, was zählt.«
AK seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Dann ließ er sie wieder sinken, schaute mir direkt in die Augen und fragte: »Kommst du damit klar, Bruder? Kommst du damit klar, ihr zu geben, was sie vielleicht von dir will?«
Die Wut stieg hoch in mir, und ich antwortete mit zusammengebissenen Zähnen: »So ist es nicht. Ich würde nie … sie würde nie …«
»Kannst du die Flammen unter Kontrolle halten? Kannst du dich zusammenreißen, wenn es nicht so läuft, wie du willst? Denn wenn du ihr wehtust, macht Styx dir die Hölle heiß.«
Ich spürte die Flammen unter der Haut auflodern, drehte ruckartig den Kopf und drückte AK rücklings an die Wand. Ich hob das Messer und zog es mir über den Arm. Ich musste die Flammen befreien, bevor es zu viel wurde und ich AK den Kopf abriss. AK stand nur da und ließ es geschehen. Als das Messer in meine Haut schnitt und das Blut floss, sah ich ihm in die Augen und zischte: »Ich werde Maddie nie wehtun. Eher würde ich sterben. Sie bleibt immer bei mir. In meiner Hütte, an meiner Seite. Und keiner nimmt sie mir weg.«
»Sie zieht bei dir ein?«
»Sie gehört mir«, knurrte ich.
AKs Brustkorb berührte fast meinen, und ich wich zurück, das Messer in der Hand. »Flame, du hörst dich gerade echt durchgeknallt an. Noch mehr als sonst.«
»Ich brauche Maddie«, spuckte ich aus. Dann sah ich in Gedanken ihr Gesicht vor mir, ihr Lächeln, und ich nahm das Messer runter und fuhr fort: »Sie geht mir nicht mehr aus dem Sinn.« Ich schaute AK an und gestand: »Ich habe geschlafen. Mit ihr neben mir kann ich ohne Dämonen im Kopf schlafen. Und sie singt für mich. Für mich. Für mich hat noch nie jemand gesungen.«
AK ließ den Kopf hängen und schnaufte: »Oh Mann, Bruder.«
»Ich brauche sie.« Ich tippte mir an den Kopf. »Hier drin brauche ich sie.« Danach schlug ich mir mit der Faust aufs Herz. »Und hier. Hier drin fühle ich sie auch.«
AKs Schultern hoben und senkten sich, und dann sagte er: »Du hast dich am Tisch gar nicht geschnitten. Sonst machst du das immer.«
Ich starrte ihn an und sagte gar nichts, und er nickte. »Die Kleine, habe ich recht?«
Ich blickte auf meinen Arm, von dem Blut tropfte, und schluckte. »Sie beruhigt sie. Bei ihr brennen sie nicht. Ich schlafe und die Flammen sind still … ich kann nicht ohne sie sein.«
»Oh Mann«, sagte AK wieder und schnippte mit den Fingern, damit ich ihn ansah. »Hör mir zu, Flame. Damals, als du noch ein dürrer und verirrter Siebzehnjähriger warst, hast du auf mich gehört, und jetzt musst du auch auf mich hören. Falls du die Fassung verlierst, dann kommst du zu mir. Falls du wieder durchdrehst, so wie bei der Übergabe mit dem Tschetschenen, dann kommst du zu mir. Die Kleine will wirklich in deiner Nähe sein, wenn die meisten Weiber eine verdammte Meile in die andere Richtung rennen würden. Das ist ein ganz schön großes Ding für euch beide. Um das zu sehen, muss man kein Genie sein. Und ich will nicht, dass du ihr wehtust, oder dir noch einmal. Denn wenn du das tust, wirft Styx dich hochkant aus dem MC, und wir wissen beide, dass du uns brauchst. Allein wirst du da draußen nicht sehr gut klarkommen. Also, sind wir uns einig?«
Ich hörte seine Worte. Ich wusste, ich konnte Maddie nicht wehtun, doch ich stimmte trotzdem zu.
AK stieß die Luft aus. »War nicht schön, dich so weit weg zu sehen, Bruder. Ich habe absolut keine Ahnung, was dich dazu gebracht hat, so auszurasten, und ich bin ziemlich sicher, dass du nichts davon erzählen wirst, aber es ist verdammt gut, dich wiederzuhaben.« Er lächelte und meinte: »Wir brauchen dich wieder im Trio. Viking allein ist ein echter Albtraum.«
»Redet da jemand von mir?« Wir drehten uns zur Tür um und sahen Viking wie aufs Stichwort hereinkommen, während er sich den Reißverschluss seiner Hose zuzog.
»Wenn man vom Teufel spricht …«, brummte AK, und Viking legte ihm den Arm um die Schulter. AK beäugte die Hand, die auf seiner Schulter lag, und meinte: »Diese Hand sollte besser nicht gerade an deiner Blindschleiche gelegen haben.«
Viking nahm die Hand weg und klopfte AK auf den Arm. »Das ist eine Anakonda, das weißt du ganz genau.«
AK ignorierte Viking und nickte mir zu. »Wir sind uns einig, Bruder?«
Ich packte mein Messer fester und spürte meine Haut kribbeln. Ich brauchte Maddie. Und zwar genau jetzt.
»Flame? Alles in Ordnung zwischen uns?«, wiederholte AK.
»Alles gut«, antwortete ich, drehte mich um und ging.
Ich marschierte durchs Clubhaus, ohne die Brüder, die sich für die Fahrt vorbereiteten, eines Blickes zu würdigen. Stattdessen stürmte ich zum Hinterausgang hinaus auf die Schotterstraße, die zu Styx’ Hütte führte.
Ich fing zu rennen an und kam zwischen den Bäumen durch, wo Maddie zuletzt gewesen war. Mae und Lilah saßen dort auf Stühlen: keine Maddie.
Ich überblickte suchend die Lichtung, aber Maddie war nirgendwo zu sehen.
»Wo ist Maddie?«, fragte ich.
»Sie ist gegangen, um bei deiner Hütte auf dich zu warten«, antwortete Lilah.
Ich wich zurück und stürmte zwischen die Bäume. Ich rannte, bis meine Hütte in Sicht kam. Ich stieß die Tür auf, und mein Blick fand augenblicklich Maddie auf dem einzigen Stuhl, den ich besaß, neben dem großen Wohnzimmerfenster.
Sie zeichnete wieder. Und sie hatte sich umgezogen. Diesmal trug sie ein ärmelloses weißes Kleid, und sie hatte das schwarze Haar nach hinten gebunden.
Als ich zur Tür hereinkam, hob sie den Kopf und zuckte zusammen. Ihre grünen Augen waren weit aufgerissen, bis sie meinen Namen flüsterte: »Flame …« Daraufhin ging es ihr sichtlich besser.
Meine Muskeln spannten sich an, als sie leicht errötete.
Maddie machte das Notizbuch zu und legte den Stift auf den Fenstersims. Dann stand sie auf und kam zu mir. Sie roch nach Erdbeeren. Irgendwas, womit sie sich gewaschen hatte, roch nach Erdbeeren.
»Du bist hier«, bekräftigte ich. Maddie blickte zu mir auf und lächelte.
Als ich ihr Lächeln sah, jagte mein Puls.
»Ich wollte hier sein, wenn du nach Hause kommst.« Sie zeigte mit dem Finger zur Küche. »Ich habe dir für heute Abend etwas zu essen gemacht. Ich werde nicht hier sein und wollte sichergehen, dass du etwas isst.«
Ich erstarrte. »Wo gehst du hin?«
Maddies Lächeln verschwand, und sie antwortete: »Lilah und Mae gehen mit Sarai zur Kirche. Ich soll mitgehen.«
Die Flammen rasten wie eine Flutwelle aus Feuer durch mein Blut, und ich warf den Kopf zurück und fauchte. Mit zitternden Händen führte ich das Messer an meinen Arm und schnitt tief. Als ich die scharfe Klinge durch mein Fleisch schneiden fühlte, lächelte ich und spürte die Erleichterung, als das Blut aus meinem Arm floss.
»Flame!«, rief Maddie.
»Nein …«, knurrte ich. Sie durfte nicht gehen. Sie durfte mich nicht verlassen.
Maddie wich einen Schritt zurück, die Hände vor sich ausgestreckt. »Flame, hör auf …«
»Da gehst du auf keinen Fall hin!« Meine Füße fingen an, hin und her zu laufen. Ich sah nur noch reihenweise Kirchenbänke vor mir. Geschrei. Menschen, die auf dem Boden lagen. Und die Stimme von Pastor Hughes, die rief: »… In meinem Namen sollen sie die Teufel austreiben; sie sollen in neuen Zungen sprechen …«
Die Schlangen, gefesselt werden, das Gift, der Schmerz, unfähig mich zu rühren …
»FUCK!«, brüllte ich auf, als die Flammen durch meine Adern rauschten.
Ich hielt es nicht aus, das Brennen in mir. Ich hielt den Atem an, warf meine Kutte ab und schlitzte mir über den Oberkörper. Ich atmete aus und kippte nach vorn vor Schmerz. Doch da war er in meinem Kopf.
Ich ballte die freie Hand zur Faust und schlug damit an meinen Schädel, um seine Stimme auszusperren. »Fahr doch zur Hölle!«, brüllte ich. Aber er stand hinter mir, packte mich am Kragen und schleifte mich zu dieser Kirche.
»Flame, sieh mich an! Bitte …« Ich konnte Maddies Stimme vor mir hören. Aber nur schwach. Ich schloss die Augen und versuchte ihn und die Stimmen wegzuschieben. Doch sie wollten nicht weggehen. Sie waren da. Sie waren immer da und warteten. Sie warteten darauf, zuzuschlagen, wenn die Flammen wiederkamen. Wenn das Böse zurück in mein Blut kam.
Ein Stöhnen drang durch zusammengebissene Zähne aus meinem Mund. Meine Augen gingen ruckartig wieder auf. Maddie stand mit dem Rücken zur Wohnzimmerwand und sah mich mit großen Augen an. Ihre Atemzüge gingen heftig, und mir drehte sich der Magen um.
»Du kannst nicht gehen«, brüllte ich wieder, und meine Augen blinzelten viel zu schnell. Und dann fühlte ich es über meinen Oberkörper gleiten. Fühlte die schlüpfrige Haut über meine Haut schlängeln, und die Flammen folgten ihrem Lauf. Doch das durften sie ihr nicht antun. Sie durften ihr nicht wehtun. Sie hatte genug gelitten.
»Flame?«
»Und sie sollen Schlangen aufheben; und wenn sie etwas Tödliches trinken, soll es ihnen keinen Schaden zufügen …« Das Gift. Ich konnte das Gift meine Kehle hinabsickern fühlen. Dann brannte es. Und ich konnte mich nicht rühren.
»Flame … bitte … du machst mir Angst.«
Ich mühte mich, die Hitze in meinen Adern aufzuhalten. Meine Füße stemmten sich in den Boden, und ich sah Maddie an. »Keine Kirche. Ich kann dich da nicht hingehen lassen. Da gehst du nicht hin!«
Maddie trat einen Schritt auf mich zu, und ich sah ihre Hände zittern. Ich konnte sehen, dass ihre Lippen bebten. Ich wollte ihr nicht wehtun … »Ich muss dich beschützen …«
Maddie blieb stehen. Sie holte tief Luft und fragte: »Wovor beschützen?«
»Vor denen«, flüsterte ich und hob die Hand an ihr Gesicht. Maddies Augen wurden riesengroß, als sie meine Hand verfolgte, doch dann zog ich sie zurück und grub die Spitze der Messerklinge in meine Haut, um das Böse aufzuhalten. Denn das Böse in mir wollte sie mit den Flammen verletzen.
Das konnte ich nicht zulassen.
»Die werden dir wehtun. Mit Schlangen und Gift und …«
Ein Klopfen an der Tür schnitt mir das Wort ab. Maddie sah mich an. Ich sah sie an. »Du gehst nicht!«, stieß ich hervor und grub die harten Fingernägel in meine Handfläche.
Es klopfte wieder. »Maddie?«
Mae. Es war Maes Stimme.
»Flame«, sagte Maddie, viel zu leise. Ich kam vorsichtig näher und drängte sie so an die Wand.
»Du gehst nicht weg.«
Wieder Klopfen. Jetzt lauter. »Maddie? Geht es dir gut?«
Aber ich ließ ihr Gesicht nicht aus den Augen. Maddie schaute zur Tür und dann zu mir. »Ich muss mit ihr reden.«
Ich drängte sie an die Wand, und meine Hände prallten über ihrem Kopf an die Wand. »Nein«, befahl ich halblaut, »sie wird dich dazu bringen, dass du hingehst. Und ich kann nicht da reingehen. Ich kann da einfach nicht rein!«
Maddies Blick suchte meinen. Schließlich ließ sie die Schultern hängen. »Ich gehe nicht«, flüsterte sie. »Ich schwöre. Aber ich muss es Mae sagen. Ich muss ihr sagen, dass ich sie nicht begleite, sonst holt sie Styx. Und … und ich will nicht, dass du verletzt wirst.«
Meine Arme, wie ein Käfig um sie, rührten sich nicht vom Fleck, doch Maddie ging einfach los, und ich wich hastig zurück, bevor sie meinen Oberkörper berührte. Mit immer noch zitternden Händen ging sie zur Tür. Ich blieb hinter ihr.
Maddies Hand schwebte über dem Türknauf, ehe sie Luft holte und öffnete. Mae, Lilah und ein junges Mädchen standen dort.
Mae sah erst ihre Schwester an und dann mich. »Maddie? Bist du so weit?«
»Ich … ich komme nicht mit«, erklärte Maddie.
Mae runzelte die Stirn.
»Warum nicht?«, fragte Lilah.
»Ich habe mich dagegen entschieden.«
Die Kleine, die meinen Blick mied, sagte: »Maddie, ich würde mich so sehr freuen, wenn du mitkommst. Ich … ich würde mich besser fühlen, wenn ihr alle dabei seid.«
Ich sah, wie Maddies Schultern sich versteiften. Bevor sie zustimmen konnte, doch noch zu gehen, fauchte ich: »Sie geht nicht, verdammt!«
Die Kleine stolperte rückwärts zu Lilah.
»Muss ich Styx holen?«, fragte Mae.
Maddie holte hastig Luft. »Nein. Bitte. Lasst mich einfach hierbleiben.« Sie warf einen Blick zurück. »Gebt mir nur den Tag heute und die Nacht.« Dann wandte sie sich an die Kleine. »Wir gehen morgen.«
»Nein!«, brüllte ich auf, hob die Klinge an meine Brust und schnitt mir über dem Herzen in die Haut.
»Bitte, geht«, bat Maddie ihre Schwestern. Dann ging die Tür zu.
Ich konnte nur daran denken, dass sie morgen zur Kirche gehen würde. Sie würde zu diesem verdammten Ort gehen.
Er ist ein Idiot, Mary. Ich muss mit Pastor Hughes reden … das Böse lebt in ihm … Flammen in seinem Blut …
Seine Stimme war in meinem Kopf. Er machte seinen Gürtel auf. Meine Haut kribbelte, und mein Schwanz wurde hart, als ich das Geräusch hörte. Meine Füße liefen hin und her und führten mich dann zur Falltür des Kellers.
Sie ist deinetwegen weg. Dein böses Blut hat sie verjagt, du zurückgebliebener kleiner Scheißer …
»Nein …«, zischte ich und umfasste meinen Schwanz in der Hose. Ich ließ das Messer neben der Falltür auf den Holzboden fallen.
»Flame, nein …«, hörte ich Maddies leise Stimme durch den Raum. Aber ich fühlte ihn schon hinter mir stehen, mit heruntergelassenen Jeans. Ich roch den Alkohol in seinem Atem und fühlte seine Klinge, die mir über den Rücken fuhr.
»Flame, bitte. Tu das nicht. Nicht noch einmal. Geh nicht zurück dorthin. In die Finsternis.«
Ich hob den Kopf und knurrte: »Ich bin Finsternis. Ich bin Schmerz. Ich bin der verfluchte Tod.«
»Nein!«, rief Maddie und machte einen Satz nach vorn, als ich mich hinkniete und den Reißverschluss aufriss.
Ein Schrei drang aus meiner Kehle, als ich seine scharfe Klinge über meinen Rücken schneiden fühlte. Die Flammen. Wir lassen die Flammen aus diesem Spast raus … hörte ich in meinem Kopf.
Ich griff in meine Hose, holte meinen Schwanz heraus und strich mit der Hand darüber.
Ich hörte einen Aufschrei vor mir, und als ich den Blick hob, hatte Maddie die Hand auf den Mund gedrückt, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Maddie …«, flüsterte ich und merkte, wie es mir die Kehle zuschnürte, als ihre grünen Augen sich mit Tränen füllten. Ich konnte fühlen, dass sie aufgebracht war. Und ich konnte verdammt fühlen, was ich ihr antat.
Aber ich konnte nicht aufhalten, was schon begonnen hatte. Ich musste die Hose runterziehen. Wenn meine Hose nicht unten war und er mich nicht vögeln konnte, wurde er wütend. Weil er mich immer vögelte. Garantiert.
Ich spürte ihn näher kommen und hörte Maddie über den Boden huschen. Ich hob den Blick. Ich brauchte sie. Sie musste bleiben und mir helfen, ihn auszublenden. Doch Maddie wich zurück zum Badezimmer.
»Maddie … bitte …«, bat ich heiser, während eine Hand sich nach dem Messer auf dem Boden ausstreckte und die andere schneller über meinen Schwanz rieb.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht … ich kann das nicht noch einmal mit ansehen, Flame … ich kann einfach nicht …« Sie eilte ins Badezimmer und machte die Tür zu. Kaum kauerte ich mich auf den Boden, rammte er sich auch schon in mich. Und der Schmerz kam. In meinem Kopf kam der Schmerz und dann in meinem Körper, als er die Messerspitze über meinen Oberschenkel zog.
Meine Hand bewegte sich schneller auf und ab, als er sich in mich stieß und mir die Eingeweide zerriss. Ich schloss die Augen und hörte bei jedem Stoß seine Stimme. »Sie ist deinetwegen weg.« Stoß. Schmerz. »Sie ist weg, und dein Scheißbruder schreit, weil sie weg ist.« Stoß. Schmerz. »Weg, weil sie einen bösartigen Idioten als Sohn hatte.« Stoß. Schmerz. »In deiner verdorbenen Seele hausen Gift und Finsternis.«
Die Klinge schnitt tiefer in mein Fleisch, und ich hörte, wie sich seine Atmung veränderte. Seine Stöße wurden härter, und ich wusste, er war kurz davor. Meine Hand am Schwanz wurde immer schneller, bis ich auf dem Boden kam, mit einem Schnitt des Stahls auf meiner Haut und seinem tiefen Stöhnen in meinem Ohr. Ich hielt mein Aufbrüllen im Orgasmus hinter zusammengebissenen Zähnen zurück. Und dann ließ er mich endlich los.
Ich ließ das Messer fallen, fiel auf den Boden und schnappte nach Luft. In der Stille konnte ich meine tiefen Atemzüge hören. Und ich sah Blut und Sperma auf dem Boden.
Dann kam die Übelkeit. Doch dieses Mal war es schlimmer, denn mit der Schande kam die Beschämung. Ich kotzte los, drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um den Eimer auf dem Boden neben der Tür zu erreichen. Und mit jedem reinigenden Schwall hielt ich den Blick auf die Tür zum Badezimmer gerichtet und wusste, dass Maddie da drin war.
Ich hob den Kopf. Mein Magen war leer. Ich wischte mit dem Lappen, der neben dem Eimer lag, über die Schnittwunden. Aber mein Blick war immer noch auf die Badezimmertür fixiert. Ich griff nach unten, zog meine Hose hoch und kroch auf schwachen Armen und Beinen zur geschlossenen Tür.
Mein Herz hämmerte, als ich die Hand hob und die Handfläche auf die Tür presste. »Maddie …«, flüsterte ich und sah wieder ihre Hand über dem Mund und die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, vor mir. Hinter der Tür war kein Laut zu hören. Ich wollte reingehen und ihr sagen, dass es mir leidtat. Doch ich wusste nicht wie.
Ich zog die Hand zurück und stemmte mich hoch. Im Stehen ließ ich den Blick durchs Zimmer schweifen. Mein Blick fiel auf Blut und Sperma, die durch die Ritzen der Falltür tropften, und ich spürte, dass mein Magen wieder einen Satz machte. Ich ging dorthin, hob den Lappen neben dem Eimer auf und legte ihn darüber. Ich hielt den Anblick nicht aus.
Dann wurde es mir wieder schwer ums Herz, als ich den Stuhl neben dem Fenster sah, auf dem Maddie gesessen hatte. Und ich wusste, ich wusste einfach, dass sie gehen würde, wenn sie wieder aus diesem Badezimmer kam.
Ich wusste, dass sie gehen würde. Weil sie alle gingen. Niemand wollte mich je recht lange haben.
Meine Füße trugen mich vorwärts zum Stuhl. Maddies Pullover lag über der Lehne. Ich nahm ihn in die Hände, hob ihn an die Nase und atmete ein. Er roch nach ihr. Nach Erdbeeren und … meiner Maddie.
Und auf dem Stuhl, an der Seite hineingesteckt, war ihr Skizzenbuch. Ich warf einen Blick zum Badezimmer, aber die Tür blieb zu. Maddie war noch da drin. Wahrscheinlich immer noch verängstigt. Wahrscheinlich drauf und dran, abzuhauen.
Mir war, als hätte mich sämtliche Energie verlassen, als ich die Hand ausstreckte – etwas, das jedes Mal passierte, wenn er mich wieder in meinem Kopf missbrauchte –, und ich nahm das Skizzenbuch und schlug die erste Seite auf.
Mir blieb die Luft weg, als mir Maddies lächelndes Gesicht entgegenblickte. Mit dem Finger fuhr ich den Umriss ihrer Wange nach. Meine Hand zitterte, als ich über ihr Haar fuhr, das lange schwarze Haar, das ihr über den Rücken fiel.
»Maddie«, flüsterte ich und fuhr über ihre Lippen.
Ich drehte die Seite um und sah sie draußen in der Sonne spazieren gehen. Sie hatte die Hände erhoben, als könne sie die Wärme fühlen. Ich blätterte wieder um, und da saß sie mit drei Mädchen, den Arm um eines gelegt, den Kopf an ihrer Schulter. Ich erkannte Mae und Lilah, allerdings nicht die Dritte. Aber sie sah aus wie Mae und Maddie. Das gleiche schwarze Haar. Maddies Augen waren zu, als sie sie umarmte. Und das Mädchen erwiderte die Umarmung lächelnd.
Und dann, als ich weiterblätterte, spannte sich jeder Muskel in mir an. Da war … ich, mein Gesicht, meine Augen, die aus der Seite herausblickten.
Mit zitternden Händen blätterte ich schnell wieder um, und was ich sah, ließ mich auf die Knie gehen. Es war meine Hand, meine Hand verschränkt mit der von Maddie. Ich fuhr die Umrisse unserer verschränkten Finger nach. Danach zog ich die Hand zurück, ließ sie in der Luft schweben und fragte mich, was es für ein Gefühl sein mochte, Maddies Hand zu halten. Mein Blick fiel wieder auf die Zeichnung, und der Kloß in meinem Hals wurde noch größer.
Schließlich blätterte ich ein letztes Mal um, und ein schmerzerfülltes Stöhnen drang über meine Lippen. Da waren ich und sie, wie wir beide dastanden. Und ich hielt sie fest. Meine Arme waren um ihre Taille gelegt. Ihre Hand und ihre Wange lagen an meiner Brust. Unsere Augen waren zu, aber wir sahen … glücklich aus. Glücklich, einander zu berühren.
Unfähig, mir die Zeichnung länger anzusehen, drückte ich das Notizbuch an meine Brust, und im selben Moment verriet mir das Knarren der Badezimmertür, dass sie aufgegangen war.
Ich drehte ruckartig den Kopf nach hinten und hielt immer noch das Notizbuch umklammert. Maddies Augen wurden groß, als sie sah, was ich festhielt.
»Ist es das, was du willst?«, brachte ich heraus.
Maddies Gesicht wurde tiefrot, und sie senkte den Kopf und flüsterte: »Es ist das, wovon ich träume. Alles, was ich mir wünsche, dass es wahr wird, für mich … mit dir … ist in diesen Zeichnungen.« Maddie zuckte mit den Schultern. »Ich lebe mein Leben in diesen Seiten, weil ich zu viel Angst habe, sie in der Wirklichkeit zu leben.«
Mir blieb die Luft weg, und dann platzte ich heraus: »Du … du willst mich berühren? Du willst, dass ich dich berühre? Wie in deiner Zeichnung?«
Darauf fixierte sich Maddies Blick auf meinen, und sie legte die Hand aufs Herz. »Hier drin träume ich davon, dass es wahr werden könnte. Und ich bete … ich bete, dass es vielleicht eines Tages für uns wahr werden könnte.«
Ich zog das Notizbuch wieder zurück, starrte auf die perfekte Bleistiftzeichnung, auf der ich Maddie in den Armen hielt, und schüttelte den Kopf. »Ich würde dir wehtun«, antwortete ich heiser, »die Flammen, das Böse …«
»Gibt es nicht«, unterbrach mich Maddie. Mit gesenktem Kopf und nach wie vor roten Wangen tappte sie vorwärts und sagte: »Ich habe dich schon einmal im Arm gehalten, und mir fehlte nichts. Deine Hände haben mich berührt, und mir ist nichts passiert.«
Ich machte den Mund auf, um zu widersprechen, aber etwas in mir hielt mich davon ab. Maddie machte noch einen Schritt vorwärts. »Und es gibt nichts, was du mir antun könntest, das mir nicht schon vorher angetan wurde.«
Meine Eingeweide verkrampften sich, und ich wollte so sehr glauben, was sie sagte. Maddie ging die letzten paar Schritte, bis sie genau neben mir stand, und fragte scheu: »Denkst du … auch manchmal über mich nach? Fragst du dich je, wie es wäre, mich zu berühren?«
Ich biss die Zähne zusammen und nickte. »Die ganze Zeit«, gestand ich, »ich denke die ganze verdammte Zeit daran.«
Maddie ließ sich vor mir auf dem Boden nieder. Ihre Hände lagen fest verschränkt in ihrem Schoß, und sie hielt den Kopf gesenkt, als sie flüsterte: »Möchtest du … Möchtest du es versuchen?«