»Bist du bereit, Cain?«
Judah legte die Hand auf meine Schulter, als ich vor dem Herrenhaus stand. Wie ich trug er einen schwarzen Pulli, eine Cargohose und Stiefel. Was auch immer er mir zeigen wollte, irgendeine geheime Entwicklung, an der er gearbeitet hatte, befand sich außerhalb von Neu Zion.
»Ich bin bereit«, sagte ich und folgte ihm zu dem wartenden Van. Als ich den abgedunkelten Wagen sah, runzelte ich die Stirn. Ich blieb stehen und sah Judah an, dessen Augen vor Aufregung leuchteten. »Ein Van?«, fragte ich. »Wofür brauchen wir einen Van?«
Judah ließ meine Schulter los und stieg ein. Bruder Luke saß am Steuer. Er verbeugte sich, als ich einstieg.
Ich konzentrierte mich immer noch auf Judah und wartete darauf, dass er meine Frage beantwortete. Ich tippte an die Tür des Wagens und wiederholte: »Der Van?«
Judah warf Bruder Luke einen Blick zu und grinste. »Du wirst es sehen, Bruder. Wir müssen etwas abholen. Und du wirst zweifellos erfreut sein. Was ich getan habe, habe ich für dich getan, und zwar nur für dich. Du wirst erfreut sein. Und diese Überraschung wird uns alle einen Schritt näher zu unserer Vision führen.«
Ich runzelte die Stirn, unsicher, was seine Überraschung wohl sein konnte, gab mich aber mit der Antwort zufrieden. Seit unserer Meinungsverschiedenheit vor einigen Tagen wegen der Videos mit den Kindern hatten wir weniger als sonst miteinander gesprochen. Er hatte mich nicht im Herrenhaus besucht, und ich hatte mich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit vollkommen allein gefühlt.
Ohne Judah fühlte ich mich verloren.
»Danke«, sagte ich eine Minute später, als wir die Gemeinde durch das hintere Tor verließen und auf eine abgelegene Straße fuhren.
Judah drehte sich zu mir um. Dann trat ein Lächeln auf seine Lippen. Ich konnte sehen, wie viel ihm mein Dank bedeutete. Er legte seine Hand auf meine. »Ich weiß, dass du manchmal nicht die Zweckmäßigkeit unseres Handelns siehst, doch du sollst wissen, dass ich dies für dich tue. Unsere Anhänger glauben an dich, Prophet Cain. Sie sehen dein Gesicht und wissen, dass Gott mit ihnen ist. So wie ich. Diese frühen Monate, vielleicht sogar Jahre, waren stets dazu bestimmt, eine Phase der Anpassung zu bringen.«
Ich drückte Judahs Hand und lehnte mich auf dem Sitz zurück. Bruder Luke räusperte sich und sagte: »Ich habe für dieses Wochenende eine Göttliche Teilhabe angesetzt. In der alten Gemeinde hatte Prophet David dabei immer die Leitung, aber ich weiß, dass dies in Neu Zion stets Judahs Sache war, da du erst noch eine Gefährtin oder Ehefrau wählen musst.« Bruder Luke rutschte auf seinem Sitz und sagte: »Die Leute beginnen zu fragen, warum die Teilhabe bisher noch nicht regelmäßiger stattgefunden hat. Wir sollten sie mindestens dreimal pro Woche abhalten. Sie ist unerlässlich für die Männer, um ihre himmlische Andacht zu erlangen. Unsere Anhänger verlieren den Glauben, wenn die Zeremonien nicht durchgeführt werden.«
Ich spannte mich an, als ich Bruder Lukes Worte hörte, und ich spürte, wie Judah sich neben mir versteifte.
Die Göttliche Teilhabe. Der Austausch zwischen Bruder und Schwester. Kopfschüttelnd versuchte ich auszublenden, was Mae mir über diese Zeremonien erzählt hatte, ebenso wie das, was Judah über seine Beteiligung an der Erweckung junger Mädchen gesagt hatte.
Nach unserem Streit wegen der Videos hatte ich Prophet Davids private Briefe herausgesucht, und dort, schwarz auf weiß, standen seine vom Herrn offenbarten Worte. Er hatte gepredigt, dass das Alter keine Rolle dabei spielte, sich eine Ehefrau oder Gefährtin zu nehmen, so wie es auch in der Bibel nicht weiter von Bedeutung war. Doch als ich diese Worte las und dabei an die jungen Mädchen dachte, die in den Videos tanzten, wurde mir übel bei der Erkenntnis, dass Männer, erwachsene Männer, sie fleischlich in einem Austausch zwischen Bruder und Schwester nehmen würden.
»Bruder«, meinte Judah ermunternd und legte fest die Hand um mein Knie, »gib deinen Anhängern keinen Grund, an dir zu zweifeln. Wir haben sie alle aus der ganzen Welt hierher zurückgerufen, um sich als eine Gemeinde zu vereinen, eine Gemeinschaft vor Gott, mit dir als seinem Botschafter. Nach dem Angriff der Männer des Teufels, bei denen du fünf Jahre deines Lebens verbracht hast, erhoffen sie sich Führung von dir.« Judah beugte sich vor, bis ich seinen Blick erwiderte, und betonte: »Wir brauchen Ordnung. Unserer Glaubenswelt und unseren Bräuchen muss Ehre erwiesen werden, sonst werden unsere Anhänger deinem Urteil nicht vertrauen. Mit dem Klan auf unserer Seite werden wir finanziell wachsen. Wir sind vor der Außenwelt geschützt. Jetzt ist es Zeit, sich auf das zu konzentrieren, was innerhalb unserer Mauern ist. Tausende warten darauf, dass deine Führerschaft sichtbar wird. Predigten sind nicht genug. Du musst mehr Heilige Kreise anführen und endlich bei den Göttlichen Teilhaben erscheinen.«
Judahs Worte waren richtig. Mein Onkel hatte diese Zeremonien durchgeführt, und unsere Anhänger hatten nie an ihm gezweifelt. Und ich wusste, dass ich gemäß unseren Traditionen diese Praktiken leiten musste. Unsere Glaubensvorstellungen gründeten sich auf sexuellen Genuss, auch wenn ich diesen noch nie selbst erfahren hatte.
»Bruder?«, beharrte Judah.
Ich nickte. »Ich werde sie leiten«, stimmte ich zu und kämpfte dabei gegen meinen inneren Willen an, der mich etwas anderes lehren wollte.
Ein breites Grinsen trat in Judahs Gesicht. »Perfekt«, sagte er und seufzte erleichtert. »Und glaube mir, nach heute wirst du daran teilnehmen wollen.«
Ich runzelte wieder die Stirn. Doch alles, was mir immer wieder durch den Kopf ging, waren Maes Worte … Willst du damit sagen, dass du noch nie an einem Austausch zwischen Bruder und Schwester teilgenommen hast? …
Der Van fuhr weiter, und ich schaute aus dem Fenster und schloss dann die Augen. Ich betete zum Herrn, dass er mir helfen möge, durch diesen Albtraum zu steuern.
Eine Stunde später bog Bruder Luke in eine Seitenstraße ein – ein Schotterweg, der zu einem vertrauten Ort führte.
»Warum sind wir hier?«, fragte ich Judah.
»Du kennst den Ort?« Er schien überrascht.
Ich nickte. »Judah, was …«
»Du hast so lange gewartet, Bruder. Nur noch ein paar Minuten und du wirst sehen, was ich für dich getan habe.«
Ich schaute aus dem Fenster auf die Geisterstadt, die wir früher für Übergabeaktionen bei den Hangmen genutzt hatten, und die Beklemmung drehte mir den Magen um. Hier gab es nichts. Nichts als verfallene Gebäude und Dreck.
Ich blieb schweigend sitzen, als wir uns einer finsteren alten Fabrik näherten. Davor stand ein Van, sonst nichts. Als unser Van anhielt, kamen zwei Männer aus der Fabrik.
Sie waren ganz in Schwarz gekleidet. Sie gehörten nicht zur Gemeinde. Ich kannte sie nicht.
Der größere der beiden hob das Kinn, als wir aus dem Van stiegen. »Judah?«, fragte er, doch ich schüttelte den Kopf und zeigte auf meinen Bruder. Der Mann grinste. »Fuck. Ist schwer, euch zwei auseinanderzuhalten.«
Judah trat vor und übernahm die Führung. »Ist alles gut gegangen?«
»Wie am Schnürchen«, antwortete der Mann. »Unsere Männer sind rein und haben die Leiche entsorgt. Bis irgendwer auftaucht, ist nichts mehr übrig. Total verschwunden. Die Aufzeichnungen, mit wem sie sich getroffen hat, wurden gelöscht. Alle Spuren sind beseitigt. Genau dafür hat uns der Großmeister des Klans bezahlt. Wir machen unsere Sache richtig. Deshalb hat er uns auf den Job angesetzt.«
Bezahlte Handlanger, ging mir auf. Aber wofür brauchte Judah bezahlte Handlanger?
»Und die Fracht?«, fragte Judah.
»In der Fabrik. Mit dem Mädchen.«
Judahs Augen leuchteten wieder auf. Ich fragte mich, was ihn so in Erregung versetzte. Dann drehte er sich zu mir um. »Bereit für deine Überraschung?«
Ich nickte vorsichtig. Judah und ich folgten den Männern zur Fabrik. Schweigen herrschte, als wir gingen. Der Mann, mit dem Judah gesprochen hatte, sperrte die große Tür des Fabrikgebäudes auf und zog sie in Sekundenschnelle weit auf. Trübes Licht von Öllampen fiel auf die Schotterstraße, und wir traten ein. Zuerst sah ich nichts als ein altes, leeres Fabrikgebäude. Dann, ganz hinten, konnte ich ein junges Mädchen sehen, das eine Waffe auf jemanden gerichtet hielt, der sich hinter einer hölzernen Trennwand befand.
Oh Gott, dachte ich. Das Mädchen sah aus, als wäre es gerade dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre alt. Und sie gehörte zu uns: Sie trug das einheitlich graue Kleid unserer Gemeinde und die weiße Haube.
Die Handlanger drehten sich um und grinsten. »Wollte sich keine Sekunde lang von der Stelle rühren. Sagte, sie sei ein Soldat im Heiligen Krieg, und dass sie ihren Posten nicht verlassen würde, bis ihr kommt.«
Ich blickte das Mädchen mit schmalen Augen an und versuchte zu erkennen, wer sie war. Ich erkannte sie nicht, doch als ich mich zu Judah wandte, sah ich, dass er sie musterte. Er betrachtete sie, als sei sie sein Ein und Alles. So wie er Phebe immer angesehen hatte …
Oh nein …
»Bruder Judah.« Die weibliche Stimme gehörte dem jungen Mädchen. Als ich meine Aufmerksamkeit auf den hinteren Bereich der Fabrik richtete, lief das junge Mädchen auf Judah zu und warf ihm augenblicklich die Arme um die Taille. Judah legte die Arme um ihren Rücken und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Es wurde mir schwer ums Herz, als ich meinen Bruder ansah, meinen vierundzwanzigjährigen Zwillingsbruder, der die Kleine von sich hielt und die Lippen auf ihren Mund drückte. Geschockt sah ich zu, wie er dann den Kuss löste und sie zu mir drehte. Sofort schlug sie die Augen nieder und neigte den Kopf. »Prophet, es ist mir eine Ehre, dich zu treffen.«
Ich sah Judah an, der stolz lächelte. »Das ist Sarai, Bruder. Meine Gefährtin. Ist sie nicht wunderschön?«
Mir fehlten die Worte, und Judah trat näher. »Sie war ein wesentlicher Teil meines Plans, dich zu überraschen.« Judah nahm Sarais Hand. »Du hast deine Sache gut gemacht, meine Liebe.«
Ihre blauen Augen richteten sich funkelnd auf meinen Bruder, und dann verzog sie die Lippen. »Sie sind Huren. Sie alle. Die Männer, mit denen sie leben, die Männer des Teufels, sie sind unrein, Sünder der schlimmsten Sorte. Ich empfand die ganze Zeit, die ich bei ihnen war, Übelkeit. Aber ich blieb stark für die Sache. Ich habe mich auf unseren Plan konzentriert. Und sie haben nicht eine Sekunde lang an mir gezweifelt.«
Judah drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel, legte den Arm um ihre Schulter und versprach: »Ihre Zweifel werden exorziert werden, wenn wir heimkehren. Man wird sie bestrafen, und dich wird man preisen. Warte nur, bis unsere Anhänger hören, was du für sie getan hast.«
Ich hörte zu, wie Judah zu Sarai sprach. Und ich sah zu, als er sie zu der hölzernen Trennwand geleitete. Doch alles, was ich in meinem Kopf hörte, war: Sie sind Huren. Sie alle. Die Männer, mit denen sie leben, die Männer des Teufels, sie sind unrein, Sünder der schlimmsten Sorte …
Nein, dachte ich mit pochendem Herzen. Er würde sich nicht meinen Anweisungen widersetzen. Er war nicht losgegangen und hatte die Mädchen zurückgeholt, nicht bevor wir stark waren, nicht bevor wir bereit waren; er hatte doch sicher nicht …
»Komm, Bruder«, sagte Judah und lächelte mir zu, während er hinter die Trennwand blickte. »Ich habe hier etwas, das du sehen musst.«
Meine Beine fühlten sich an, als würden sie totes Gewicht tragen, als ich zu ihm ging. Und als ich die Trennwand erreichte, hörte ich jemanden nach Luft schnappen und blickte nach links.
Mir blieb die Luft weg, als ich sie sah, und mein Puls jagte los wie der Teufel. Sie sah noch ganz genauso aus. Langes schwarzes Haar, unvergleichlich reine und helle weiße Haut und eisblaue Augen. Pupillen, die mich nun unnatürlich geweitet ansahen.
Und es war, als sei es erst gestern gewesen, seit ich sie gesehen hatte. Es war, als hätten wir erst gestern zusammen in meinem Zimmer gesessen, Filme angesehen und auf der Couch gelegen.
»Mae«, flüsterte ich und trat einen Schritt vor.
Doch Mae zuckte zurück, als ich auf sie zuging, und die Schwestern an ihrer Seite drückten sich noch enger an sie. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie alle völlig verängstigt waren. Dass Mae Angst vor mir hatte.
Vor mir.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und Judah stand neben mir. Ich sah, wie Mae zwischen Judah und mir hin und her blickte, als könne sie nicht glauben, wer vor ihr stand. »Das ist dein Geschenk?«, fragte ich Judah leise. »Du hast die Verfluchten von den Hangmen zurückgeholt, und das ohne meine Erlaubnis?«
Judahs Hand wurde hart wie Eisen, und ich hörte, wie er scharf Luft holte, als er meinen Tonfall hörte. »Du brauchst eine Ehefrau, Bruder. Und ich wusste, dass du nur sie nehmen würdest.« Er zeigte auf Mae und stieß hervor: »Salome. Die dem Propheten bestimmte Frau.« Judah seufzte, fuhr jedoch fort: »Ich weiß, du hast gesagt, wir sollen warten, aber wir stehen unter dem Schutz des Herrn. Und du brauchst eine Frau.« Er zeigte auf Mae. »Du brauchst sie.«
Mae schloss die Augen, als sie das hörte, und ich trat noch einen Schritt vor und schüttelte Judahs Hand ab. »Lasst uns allein«, sagte ich zu Judah und Bruder Luke, der hinter uns gewartet hatte.
»Aber, Cain …«
»Ich sagte, lasst uns allein!«, rief ich und warf einen Blick über die Schulter, um meinem Bruder in die Augen zu sehen. Er biss die Zähne zusammen, als er mich anstarrte, doch dann drehte er sich um, verließ die Fabrik und nahm das Kind und die Männer mit.
Nachdem sie gegangen waren, fuhr ich mir mit den Händen durchs Haar. Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Dieses Kind – ein Kind, mit dem er Sex gehabt hatte – ins Quartier der Hangmen zu schicken, um die Verfluchten zurückzuholen. Wir waren nicht stark genug. Und Styx würde die geballte Wut von Hades über die Gemeinde bringen, wenn er bemerkte, dass sie verschwunden war. Alle drei waren hier, und der Präs würde nicht lange brauchen, um herauszufinden, wohin sie gebracht worden waren. Ich wollte sie ja holen, aber zur rechten Zeit. Doch noch nicht jetzt.
Nicht jetzt, verdammt!
»Cain?« Maes leise bebende Stimme ließ mich erstarren, und ich atmete aus und drehte mich zu Mae um, die mich ansah. Ihre Schwestern hielten fest ihre Hände, doch sie ließ sie los, um aufzustehen.
»Mae, nein!«, rief die Blonde. Und als ich auf sie herabblickte, drehte sich mir der Magen um. Ihr langes Haar war abgeschnitten worden, und als sie den Kopf hob, konnte ich eine lange Narbe sehen, die über ihre Wange lief.
Aber dann stand Mae plötzlich vor mir, und mir wurde es schwer ums Herz. Sie nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie hob die Hand und strich sich eine lange Haarsträhne hinters Ohr. Dann blickten ihre blauen Augen zu mir auf, und ich stand da wie auf der Stelle erstarrt.
»Was … was wirst du mit uns tun?«, fragte sie. Ich konnte sehen, dass sie furchtbare Angst hatte. Ihre Stimme bebte … alles an ihr bebte. »Wird man uns töten? Bringt man uns zurück zur Gemeinde und hält Gericht über uns?«
Ich wollte etwas sagen, doch das da vor mir war Mae. Es war Mae.
Sie schluckte und flehte dann: »Bitte … bitte lass uns gehen. Tu uns nicht weh.«
Mein Herz hämmerte laut, als die Hände zu ihrem Bauch glitten. Sie senkte den Blick, und als sie wieder aufsah, standen Tränen in ihren Augen. Ich konnte nicht glauben, wie schön sie immer noch war, und wie meine Eingeweide sich nach wie vor verkrampften, wenn sie in meiner Nähe war. Doch mein Blick fiel immer wieder zurück auf ihre Hände, die behutsam auf ihrem Bauch lagen.
Dann bemerkte ich den Ring. Mir war, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen, als ich fragte: »Du bist verheiratet? Mit Styx?«
Maes Augen zuckten, als ich ihren Mann erwähnte, und dann schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht«, antwortete sie angstvoll, und ihre Augen zuckten bei meinem Tonfall. »Aber eines Tages werden wir den Bund der Ehe schließen. Im Augenblick sind wir zufrieden damit, verlobt zu sein.« Mae zeigte hinter sich auf Lilah. »Aber Lilah ist mit Ky verheiratet. Und Maddie …«, Mae zeigte über die andere Schulter, »sie gehört nun zu Flame.«
Meine Pupillen weiteten sich, als ich Maes kleine Schwester ansah. Sie war jetzt mit Flame zusammen? Flame …? Flame, der schnurstracks bei uns einfallen würde, wenn er herausfand, dass sie verschwunden war. Flame, der uns verdammt noch mal alle abschlachten würde.
Mae sah mich wieder an, doch dieses Mal sah ich die Fassungslosigkeit in ihrem Blick. Ich sah ihre Angst. Ich sah die vorgetäuschte Stärke vor ihren Schwestern, aber sie sammelte genug Mut, um zu sagen: »Ich habe immer an dich geglaubt, Rider.« Sie schüttelte den Kopf, als sie den Namen aussprach. »Ich meine, Cain«, korrigierte sie sich hastig.
»Ich wusste, dass es dir bestimmt war, der Prophet zu sein. Aber ich habe immer geglaubt, dass du tief im Inneren ein guter Mensch bist.« Mae blickte hinter sich auf Delilah, deren blaue Augen ins Nichts zu starren schienen, als sei sie gelähmt vor Angst. »Selbst als deine Männer kamen, um mich zu holen, und dabei irrtümlich Lilah entführten, hast du sie angefleht, ihre Sünden zu bekennen, so hat sie es mir erzählt. Sie hat mir erzählt, sie wusste, dass du sie zu retten versucht hast. Dass es die anderen Männer deines Vertrauens waren, die sie verletzt und geschändet haben.«
Bei der Enthüllung wimmerte Delilah hinter Mae. Mir gefror das Blut in den Adern.
»Aber ein junges Mädchen einzuschleusen. Ein junges unschuldiges Mädchen, das so sehr unter der Kontrolle des Ordens steht, in unser Zuhause zu schicken, ein Mädchen, das einen unschuldigen Menschen getötet hat, um uns hierher, zu dir, zu bringen … also, das ist absolut nicht der Rider, den ich einst kannte.«
»Mae«, bat ich und wollte die Hand ausstrecken. Doch sie drückte nur noch fester die Hände auf den Bauch. »Wieso hältst du dir so den Bauch?«, fragte ich barsch.
Mae holte Luft, straffte die Schultern und sagte: »Ich kann dich nicht heiraten, Cain. Ich bin nicht rein, wie die Schrift es vorschreibt.« Sie schluckte, kämpfte die Tränen nieder und sagte: »Ich bin schwanger. Von Styx.«
Delilah und Magdalene hinter ihr schnappten nach Luft, aber alles, was ich empfand, war ein Schlag in die Magengrube. Mir blieb die Luft weg, allerdings konnte ich den Blick nicht von Maes Händen auf ihrem Bauch wenden.
Ein Schluchzen kam aus ihrem Mund, und sie sagte: »Und er weiß es noch nicht einmal. Ich habe es selbst erst herausgefunden und muss es ihm noch sagen.« Ihre blauen Augen füllten sich mit Tränen, die ihr über die Wangen liefen. »Und jetzt wurden wir entführt. Ich erwarte ein Kind. Ich bin endlich rundum glücklich, und nun wurden wir gekidnappt und zu dir gebracht!« Mae schüttelte den Kopf und sagte: »Wann wird das aufhören? Wann werdet ihr in dieser Gemeinde begreifen, dass wir nicht euch gehören! Wir sind nicht Teil dieses Glaubens. Wir sind gegangen. Wir sind gegangen und haben nicht den Wunsch, je zurückzukehren! Und wann wirst du begreifen, dass ich nicht dazu bestimmt bin, die Frau des Propheten zu sein!«
»Nein«, widersprach ich kopfschüttelnd und trat einen Schritt zurück. »Du bist dazu bestimmt, mein zu sein. Die Schrift sagt es!«
Mae starrte mich absolut fassungslos an, und dann flüsterte sie: »Nein, Cain. Ich gehöre Styx. So war es immer, und ich werde auf ewig ihm gehören. Die Prophezeiung meint nicht mich. Ich bin nicht die Eine, die du heiraten musst. Noch Lilah oder Maddie. Kannst du das nicht begreifen? Kannst du nicht endlich verstehen, dass wir nicht dir gehören! Wir sind nichts Besonderes. Wir sind nicht anders als jede andere Frau auf diesem Planeten. Es war ein seniler alter Mann, der das alles aus dem Nichts heraus verkündet hat. Etwas, das einzig und allein auf unserem Aussehen basiert. Gott hat uns nicht hervorgehoben. Keine Einzige von uns!«
Ich ging in die Hocke, und mir war, als sei mein Kopf voller Lärm und mein Herz dagegen leer, ebenso wie meine Rolle in diesem Leben. Ich fühlte Maes Blick schwer auf mir ruhen und sah auf. Sie hatte die Hand an ihre Stirn gedrückt. »Das läuft alles falsch. Nichts von alldem ist, was man mich zu glauben erzogen hat. Und sie alle haben die Augen auf mich gerichtet. Sie alle folgen meiner Führung. Und sie glauben, dass ich dich heiraten soll.«
Mae ließ niedergeschlagen den Kopf hängen.
Delilahs blondes Haar hinter Mae erregte meine Aufmerksamkeit. Ich stand auf und eilte an Delilah vorbei, die sich an die Holzwand drückte und angstvoll zurückwich.
»Was wurde dir angetan?«, fragte ich. Delilah sackte nach hinten und fing zu zittern an. Mit einem Blick über die Schulter sah ich Judah vor der Fabrik auf und ab gehen, und mir war klar, meine Zeit war begrenzt. »Was hat man dir bei deinem Strafgericht angetan? Was ist auf dem Hügel der Verdammnis mit dir geschehen?«
Tränen liefen Delilah über die Wangen, doch da antwortete Mae hinter mir: »Sie haben sie vergewaltigt, Cain. Immer wieder, bevor sie sie auf einen Scheiterhaufen fesselten und den anzündeten. Sie wollten sie wie eine Hexe verbrennen. Dein Bruder verpasste ihr neununddreißig Peitschenhiebe, deren Narben nach wie vor auf ihrem Rücken zu sehen sind. Im Wesentlichen, Cain, haben sie sie stundenlang gefoltert, und du hast nichts getan, um das aufzuhalten. Du hast die Verantwortung abgelehnt und zugelassen, dass sie sie malträtieren wie Tiere, nur weil sie sadistisches Vergnügen daran fanden. Unsere Schrift lehrt nicht, was sie durchgemacht hat. Man kann es nicht einmal daraus schlussfolgern.«
Ich wandte den Blick nicht von Delilah ab, während Maes Worte mich zerrissen, und ich fragte: »Ist das wahr? Stimmt es, was Mae mir da sagt?« Delilah hob den Kopf.
»Ja«, flüsterte sie, doch ich musste die Antwort gar nicht hören, um zu wissen, dass sie mich nicht angelogen hatte. Ich konnte es in ihren Augen sehen. Judah, meine Männer, hatten ihr genau das angetan, wovon Phebe behauptet hatte, es sei die Wahrheit.
Ich fuhr mir durchs Haar und sah Mae an. In ihren blauen Augen standen nur Schmerz und Enttäuschung. »Ich wusste nicht, dass sie das tun würden. Ich habe das nicht als ihre Bestrafung verkündet.«
Maes Blick fiel liebevoll auf Delilah, und sie beharrte: »Aber du hast nichts getan, um es zu verhindern. Du hast es deinem Bruder überlassen, seine eigene Form von Bestrafung durchzuführen, so hat Lilah es mir zumindest erzählt. Und das hat er getan. Du hast ihm freie Hand gelassen, eine unschuldige Frau zu foltern.«
»Ich hätte das nicht zugelassen, wenn ich gewusst hätte, dass er von der Heiligen Schrift abweicht. Judah und ich sind zusammen aufgewachsen. Wir teilen denselben Glauben. Ich vertraute darauf, dass er dasselbe tun würde, was ich getan hätte.«
Mae senkte den Blick und fragte mit totenbleichem Gesicht: »Dann hast auch du ein Kind als Gefährtin? Du hattest auch Sex mit Kindern?« Sie wischte eine Träne weg. »So wie es uns allen erging. Hast auch du ein kleines Kind erweckt? Sarai ist erst vierzehn, aber wie es aussieht, ist sie die Hauptgefährtin deines Bruders. Teilst du diesen Glauben auch? Nach allem, was ich dir über mich erzählt habe, über das, was wir alle durchlitten haben? Kannst du aufrichtig glauben, dass Gott dies von seinem auserwählten Volk verlangt?«
Ich senkte den Kopf, denn Maes ausgesprochene Wahrheiten trafen mich tiefer als jeder Dolch es könnte. »Du weißt, dass es nicht so ist.« Ich schüttelte den Kopf und kam mir wie ein Narr vor. »Ich habe auf dich gewartet. Ich bin rein und habe auf dich gewartet. Aber jetzt …« Ich verstummte und schaute auf ihren Bauch.
Mae schlang schützend die Arme um ihre Mitte und fragte: »Was willst du nun mit uns anfangen? Was willst du mit meinem Baby anstellen? Bitte lass uns gehen, Cain … bitte, wenn du noch nicht ganz verdorben bist, dann lass uns einfach gehen. Nimm mir nicht meine Familie … bitte …«
Ich starrte Mae an, und Zorn machte sich in mir breit. Zorn, weil sie mit mir hätte zusammen sein sollen und es nicht war. Zorn, weil Judah mir ins Gesicht gelogen hatte, als ich ihn fragte, welche Bestrafung er Delilah zugefügt hatte. Und Zorn auf mich selbst, weil ich nicht jeden Teil der alltäglichen Praktiken der Gemeinde kannte. Weil ich nicht wusste, was Judah zuließ, wenn er eine Göttliche Teilhabe abhielt. Weil ich nicht wusste, dass er Sex mit Kindern gehabt hatte. Weil ich nicht wusste, dass seine Gefährtin ein vierzehnjähriges Kind war, das er bei den Hangmen eingeschleust hatte, ohne meine Erlaubnis. Und dann sein Plan, die Verfluchten zu mir zu bringen, obwohl er wusste, dass wir noch nicht stark genug waren, um uns gegen die Hangmen zu verteidigen, wenn sie uns angriffen, was sie jetzt auf jeden Fall tun würden.
Da bemerkte ich plötzlich etwas anderes … mir fiel eine Handtasche an der Holzwand auf, und mir rutschte das Herz in die Hose. Ich stürmte zu der Tasche neben Delilah, hob sie auf und zog den Reißverschluss auf. Ich schob die Hand hinein und fühlte nur Sekunden später ihr Handy in meiner Hand.
Ich wurde blass.
Mit geballten Fäusten rief ich: »Judah!«
Judah kam hereingelaufen, und Sarai folgte ihm. Ich deutete auf sie und befahl: »Raus! Nach dir habe ich nicht gerufen! Du hast kein Recht, auf meinen Ruf zu antworten!«
Sarai wurde blass, doch dann rannte sie wieder nach draußen. Judah sah mich an, und seine Lippen verzogen sich zu einem stolzen Lächeln. Das machte mich bloß noch wütender, und ich trat einen Schritt auf ihn zu. »Lass den Van bereit machen«, befahl ich.
Judah blickte auf die Schwestern herab und fragte: »Und was ist mit ihnen?«
Ich wollte mich an Judah vorbeidrängen, aber er hielt mich am Arm fest. »Was tust du?«, fragte er leise, doch ich hörte den Zorn in seiner Stimme.
»Ich lasse sie gehen«, antwortete ich kurz angebunden.
»Du tust was?«, fragte Judah wütend und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
»Ich lasse sie gehen. Sie gehören nicht länger zu uns nach Neu Zion. Sie sind verheiratet und bekommen Kinder mit anderen Männern. Wenn der Herr wollte, dass sie bei uns leben, hätte er das nie zugelassen.«
Judah packte mich wieder am Arm. »Dann gewinnen die Männer des Teufels. Wenn wir sie nicht als Ehefrauen nutzen können, dann nehmen wir sie uns zur Vergeltung. Sie sind auf unser heiliges Land eingedrungen und haben unseren Onkel getötet. Sie müssen bezahlen. Wir befinden uns im Krieg!«
Wut wallte in mir auf, und ich presste die Handflächen auf Judahs Brust und schubste ihn an die nahe Holzwand.
Judahs Pupillen weiteten sich, und ich hob das Handy in meiner Hand. »Weißt du, was das ist, Bruder?«
Judah sah das Handy mit schmalen Augen an. »Ein Telefon.«
Ich hielt es ihm noch dichter vor die Nase und fauchte: »Es ist ein Handy. Ein Handy mit GPS. Ein GPS-Signal, das die Hangmen zu hundert Prozent verfolgen werden. Ein GPS-Signal, das ihnen genau angezeigt haben wird, wo wir sind, und wenn ich recht habe, dann werden sie jeden verdammten Moment hier sein.«
Judah wurde blass, als ich ihn losließ. Er warf einen Blick auf die Schwestern und meinte: »Na und? Vernichte das Handy, und wir holen sie heim. Wir können sie nicht einfach zurückgeben!«
Ich sah meinen Bruder an, als sei er dumm. »Und du denkst, dass sie dann nicht bei uns einfallen werden? Sie wissen, wo wir sind, Judah! So naiv kannst du doch nicht sein!«
Seine Miene wurde frostig. »Der Herr ist auf unserer Seite. Wenn sie uns angreifen, werden wir obsiegen.«
In diesem Moment wurde mir klar, wie weltfremd Judah wirklich war. Er hatte keine Ahnung, was er getan hatte. Keine verdammte Ahnung! Ich starrte ihm ins Gesicht und sagte: »Ich bin der Prophet, Judah. Ich. Und ich treffe hier die Entscheidungen. Es war keine gute Idee von dir, hinter meinem Rücken deine Kindhure bei den Hangmen einzuschleusen. Und es war keine gute Idee von dir, je zu glauben, besser als ich zu wissen, was das Beste für unsere Anhänger ist.«
Als ich hörte, dass das verängstigte Wimmern der Schwestern hinter uns lauter wurde, packte ich meinen Bruder am Arm und zerrte ihn nach draußen. Ich ging an Bruder Luke vorbei, neben dem Sarai stand, und bedeutete beiden mit einer Kopfbewegung, in den Van zu steigen. Bruder Luke runzelte die Stirn, doch etwas in meinem Gesichtsausdruck musste ihn überzeugt haben, keine Fragen zu stellen.
Ich hörte, wie Bruder Luke und Sarai hinten in den Wagen stiegen. Mein Zorn wuchs, und ich schleuderte Judah gegen die Seitenwand des Vans.
»Cain! Was …«, wollte er aufbegehren, aber ich drückte ihm die Hand um die Kehle und schnitt ihm das Wort ab.
»Es war keine gute Idee von dir, mir direkt ins Gesicht zu lügen. Ich habe dich gefragt, ob du dich an die Schrift gehalten hast bei der Verfluchten Delilah, und du hast es mir geschworen.« Ich beugte mich vor und drückte fester zu. Als ich sah, dass Judahs Wangen rot wurden, fuhr ich fort: »Aber du hast gelogen. Mein Zwilling, mein eigen Fleisch und Blut, hat mir ins Gesicht gelogen.«
Sein Mund bewegte sich, doch keine Worte kamen heraus, bis er schließlich hervorwürgte: »Wir mussten unseren Anhängern eine starke Botschaft senden. Wir mussten ihnen zeigen, was geschieht, wenn sie sich vom rechten Weg abwenden, so wie sie es getan hat.«
Ich knallte seinen Kopf rücklings an die Metallwand des Vans. »Aber das war nicht deine Entscheidung, sondern meine. Als Prophet von Neu Zion lag diese Entscheidung bei mir.« Ich lockerte meinen Griff ein wenig und sagte: »Ich liebe dich. Du bist meine einzige Familie. Aber hintergehe mich nicht, Bruder. Und lüge mich verdammt noch mal nie wieder an.«
Ich trat einen Schritt zurück und ließ den Arm sinken. Judah sackte an die Wand des Vans und schnappte nach Luft. Ich nahm wieder das Handy, warf es zu Boden und trat mit dem Stiefel darauf, bis es vollständig zerstört war.
Dann wollte ich wieder in die Fabrik, doch da spuckte Judah aus: »Lass sie nicht gehen, Bruder. Zerstöre nicht alles, wofür ich gearbeitet habe.«
Ich erstarrte, und dann drehte ich mich langsam um und schüttelte den Kopf. »Du weißt nichts, Judah. Du glaubtest, du würdest Gutes tun, indem du diese Frauen hierherbringst, aber deine Naivität hat uns direkt in eine Todesfalle geführt.« Ich hielt ihm den Finger vors Gesicht. »Das hier geht auf dich. Du hast töricht gehandelt, und wir müssen auf der Stelle verschwinden, denn sonst, glaube mir, wird bis morgen früh nichts mehr von uns übrig sein.«
Damit stürmte ich zurück zur Fabrik, als Judah mir nachrief: »Du fürchtest sie, Cain. Ich sehe die Angst aus dir strömen. Du fürchtest die Männer des Teufels.«
Ich blieb wie angewurzelt stehen, drehte mich aber nicht um, als ich antwortete: »Und das solltest du auch, Judah. Du bist ihnen nie begegnet. Du hast nie unter ihnen gelebt. Und du hast keine Ahnung, wie leicht sie dir das Leben nehmen würden.« Ich atmete tief durch, um mich zu sammeln, und fuhr fort: »Wie ich schon sagte, Judah. Du bist naiv. Du weißt nichts über die Außenwelt. Verdammt überhaupt nichts.«
Dann ging ich weiter, immer schneller, und näherte mich Mae und ihren Schwestern. Sie starrten mich ängstlich und verwirrt an. Die Jüngste zitterte. Sie blickte sich in der verlassenen alten Fabrik um und fragte: »Willst du uns jetzt töten?«
Angst strahlte in Wellen von ihr ab, und ich fragte mich, wie in aller Welt sie zu Flame gehören konnte. Ich fuhr mir übers Gesicht und schüttelte den Kopf: »Nein.«
Ich wollte Mae noch ein Mal ins Gesicht sehen, drehte mich zu ihr um und hatte plötzlich das Gefühl, überhaupt keine Energie mehr zu haben. In ihren Augen standen Tränen, und sie fragte ungläubig: »Du lässt uns gehen? Wirklich?«
Meine Schultern sanken herab, als ich die erleichterte Freude in ihrer Stimme hörte. »Es war nie mein Plan, euch zu entführen.« Ich warf die leere Handtasche zu Boden. »In deinem Handy befand sich zweifellos ein GPS. Ich nehme an, dass eure Männer bald hier sein werden.«
Ein letztes Mal nahm ich Maes Züge in mich auf und drehte mich dann zum Van um, als ich hörte: »Rider?«
Ich schloss die Augen, als ich den Namen hörte, denn in diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, wieder Rider zu sein. Ich warf einen Blick hinter mich. Mae war aufgestanden. Ihre Kutte mit dem Schriftzug »Eigentum von Styx« darauf starrte mir genau ins Gesicht und jagte mir eine Woge grimmiger Wut durch den Leib. Ihr langes schwarzes Haar wehte im Wind, und ich dachte daran, dass sie nie schöner ausgesehen hatte als genau in diesem Augenblick.
»Es gibt noch Hoffnung für dich«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Ich lachte freudlos auf und schüttelte den Kopf.
»Es ist wahr«, drängte sie. »Der Weg zu deiner Erlösung liegt direkt vor dir.« Sie zeigte auf ihre Schwestern. »Das hier, unsere Freilassung, ist ein Anfang.« Ihre Hand strich über ihren Bauch, und sie fuhr fort: »Sei, wer du wirklich bist, nicht der Mann, der du so unbedingt sein willst. Denn dein wahres Ich ist besser. Ein weit besserer Mann.«
Mein Herzschlag setzte aus bei ihren Worten, doch ohne zu antworten, wandte ich mich ab und verließ die Fabrik.
Ich ging zu den bezahlten Handlangern hinüber und sagte: »Es kommen mehr von unseren Männern, um die Frauen zu holen; unser Van ist voll.«
Ich sah, wie sie die Stirn runzelten, und dann trat einer vor und fragte: »Du hast das Geld? Die Abmachung hieß Zahlung bei Lieferung.«
Mir war klar, dass wir zusehen mussten, auf der Stelle hier wegzukommen, und ich betete zu Gott, er möge mir vergeben, was ich nun tun würde. »Die Männer, die nach mir kommen, bringen es mit. Ihr bekommt das Geld, wenn sie die Mädchen holen.« Plötzlich ging mir das Bild von Flame durch den Kopf. Wenn Maes Schwester seine Braut war, dann stand diesen Männern ein entsetzlicher Tod bevor.
Die Männer nickten; sie glaubten mir jedes Wort. Ich sprang in den Van. Der leere Fahrersitz wartete auf mich.
Ich blickte nicht zurück, als ich auf die dunkle Straße einbog. Ich blickte nicht zurück zu den Männern, die ich höchstwahrscheinlich gerade zum Tod verurteilt hatte. Und ich wechselte auf dem Rückweg zur Gemeinde kein Wort mit Judah, Bruder Luke oder dem Mädchen.
Es war das erste Mal in vierundzwanzig Jahren, dass ich Judah hasste.