Kapitel 24

Maddie

Als der nächste Morgen anbrach, fiel das Licht durch die dünnen Vorhänge am Fenster. Ich öffnete blinzelnd die Augen und fühlte mich sofort geborgen. Zwei starke Arme hielten mich fest, und meine Wange lag an warmer Haut.

Ich lächelte.

Und mir ging das Herz auf.

Flame. Ich schlief neben Flame. Und was noch besser war: Er schlief bei mir. Er schlief … in einem Bett, so wie er es verdiente. Ich schloss die Augen, lauschte seinen regelmäßigen, langsamen Atemzügen und war zufrieden.

Ich lag da, blickte in das Licht, das ins Schlafzimmer hereinfiel, und dachte zurück an letzte Nacht. An alles. Prophet Cain, der uns freiließ, wie ich Flame sah, der kam, um mich nach Hause zu bringen, an seinen Kuss auf dem Motorrad, dann daran, wie wir uns geliebt hatten, wie Flame aufgehört hatte, doch wir beide einen Weg fanden, bis zum Ende zu gehen. Mir wurde es schwer ums Herz, als ich mich erinnerte, wie er mir von seinem Bruder erzählt hatte, von seiner Mutter und diesem schrecklichen Mann, den er als Vater gehabt hatte. Kein Wunder, dass er so sehr glaubte, seine Berührung könnte Schmerz zufügen. Seine Mama hatte sich das Leben genommen, wahrscheinlich weil sein Vater sie so schlecht behandelt hatte, und sein Bruder war an Vernachlässigung gestorben. Sein ganzes Leben lang war ihm immer gesagt worden, dass er böse sei. Und er war doch so viel mehr. So viel mehr als er selbst zu sein glaubte.

Ich dachte an jenen ersten Tag, an dem er in dieser Hütte aufgewacht war. Als er glaubte, dass jemand hinter mir stünde und mir wehtun wolle. Und Flame hatte ihn von mir abgelenkt, um mich zu retten. Er hatte ihn abgelenkt, indem er geschwächt wie er war zu der Falltür taumelte, die er in den Boden gebaut hatte, wo er sich selbst befriedigt und dabei zugleich mit dem Messer geschnitten hatte. Nur dass in diesem Akt keine Lust lag. Und jetzt wusste ich, dass er jede Nacht wieder durchlebte, wie sein Vater ihn missbrauchte, und dass er sich an seines Vaters Stelle die Schnitte beibrachte. Er war in dem Glauben aufgewachsen, dass seine Erlösung durch Schmerz geschehen musste. Sein Sperma – bloß ein weiteres Austreiben des Bösen, das in seinem Leib lebte.

Und dann die Zahl elf. Alles elfmal. Sein Leben maß sich in elf Einheiten. Flame durchlebte immer wieder die Schnitte durch das Messer seines Vaters, ebenso wie die letzten elf Atemzüge im kurzen tragischen Leben seines kleinen Bruders.

Instinktiv hielten meine Arme um seine Taille ihn fester. Geweckt von meiner Berührung spürte ich, wie Flame sich unter mir rührte und ihm der Atem stockte, während seine Hände hastig über meinen Rücken glitten. Er vergewisserte sich, dass ich wirklich hier war.

Ich hob den Kopf und schaute in die eindringlichen dunklen Augen, die ich so sehr liebte. »Guten Morgen«, begrüßte ich ihn und spürte Röte auf mein Gesicht steigen. Flames Blick glitt über meinen nackten Körper, und er rührte sich.

»Maddie«, antwortete er. Ich schob mich langsam auf ihm nach oben, um seinen Mund zu erreichen. Ich vergewisserte mich, dass ihm mein Kuss willkommen war – und an seinen leicht geöffneten Lippen sah ich, dass es so war – beugte mich vor und drückte vorsichtig meine Lippen auf seine.

Es war dasselbe kostbare Gefühl wie in der Nacht zuvor, und in meinem Bauch flatterten dieselben Schmetterlinge wie bei unserem ersten Kuss. Ich löste mich wieder, strich ihm übers Haar und fragte: »Geht es dir gut?«

Flames Blick blieb auf meinen Mund fixiert, und er nickte. »Ja.«

Ein Lächeln spielte um meinen Mund, und ich fragte: »Und, hast du geschlafen?«

Flame atmete erleichtert aus und antwortete: »Ja. Tue ich immer, wenn du hier bist.«

»Dann sollst du immer schlafen«, hauchte ich leise. Ich fühlte Flames Stöhnen, als sein harter Schaft sich an mein Bein presste. Mein Herz flatterte, und ich sehnte mich nach seiner Berührung.

»Flame?«, fragte ich leise und betrachtete seine Hand auf meiner. »Würdest du mit mir baden?«

Seine Nasenflügel bebten, begleitet von einem einzelnen knappen Nicken. Ich löste mich aus seinen Armen und glitt vom Bett. Als mich der kühle Wind einhüllte, fühlte ich mich urplötzlich sehr nackt. Ich bedeckte den Oberkörper mit den Armen, doch Flames Hand zog sie weg. »Nicht«, befahl er, und ich wurde wieder rot.

Ich spürte, wie sein Blick mir folgte, als ich ins Wohnzimmer ging, schnurstracks ins Badezimmer marschierte und Wasser einlaufen ließ. Der Dampf des warmen Wassers stieg wie Nebel ins Zimmer. Gedankenverloren lehnte ich mich ans Waschbecken und wartete darauf, dass die Wanne volllief. Flame erschien in der Tür. Sein großer tätowierter Körper war nackt, und seine schweren Muskeln spielten bei jedem Schritt.

Mir blieb die Luft weg, als sein Blick meinem begegnete. Und zwischen meinen Beinen stieg dieses vertraute warme Gefühl von Verlangen auf. Flame kam ins Badezimmer und blieb genau vor mir stehen. Er hob die Hand und strich mir das Haar aus dem Gesicht. Zwischen den Fingern hielt er eine Strähne. »Dein Haar habe ich schon immer gemocht.«

Ich lächelte, streckte die Hand aus und strich über die Haut unter seinen Augen. »Und ich habe schon immer deine Augen gemocht.« Flame stieß die Luft durch die Nase aus. Ich trat noch näher auf ihn zu und sagte: »Und jetzt liebe ich sie … genau wie ich dich liebe.«

Flames Hand in meinem Haar hielt inne und er schloss die Augen, als müsse er dieses Bekenntnis von meinen Lippen unbedingt hören. Mir ging das Herz auf, und ich nahm seine Hand. Flame öffnete die Augen, und ich führte ihn zu der inzwischen vollen Wanne und drehte das Wasser ab.

Ich führte ihn um mich herum und bedeutete ihm, zuerst in die Wanne zu steigen. Er stieg hinein, worauf die große Wanne plötzlich klein wirkte, und streckte dann die Hand nach mir aus, damit ich ihm folgte. Ohne Zögern legte ich meine Hand in seine und stieg in die Wanne. Sofort zog Flame mich in seine Arme und gab einen tiefen frohen Seufzer von sich.

Wir saßen minutenlang schweigend da und genossen das lindernde Wasser, dann griff ich nach der Seife und schäumte sie in den Händen auf. Ich drehte mich um und fragte: »Darf ich dich waschen?«

Flame nickte, und ich legte die Hände auf seine tätowierte und narbenbedeckte Haut, begann ihn zu waschen und zeigte ihm mit meiner Berührung, wie viel er mir bedeutete. Ich seifte ihm Arme und Brustkorb ein. Und die ganze Zeit über wandte er den Blick nicht von mir ab. Dann, als meine Hände sich über seinen festen Bauch bewegten, nahm er mein Handgelenk. In Panik blickte ich auf, aber sein sanfter Gesichtsausdruck linderte meine Sorge sofort wieder. Ich wartete darauf, dass er etwas sagte, und schließlich meinte er heiser: »So hat sich noch nie jemand um mich gekümmert.«

Es brach mir das Herz, denn so schwierig mein Leben auch gewesen war, hatte ich doch immer die Zuneigung meiner Schwestern gehabt, auch wenn ich davor zurückgeschreckt war. Was dagegen Flame anging … gab es niemanden.

Ich beugte mich vor, bis meine Brüste sich an seinen harten Oberkörper pressten, und sagte: »Das ist Vergangenheit. Denn ich werde mich für den Rest unseres Lebens um dich kümmern. Du bist mein Flame. Ich werde dich immer pflegen. Mehr als du je wissen wirst.«

Flames Augen loderten auf, und mit seinen Händen fest in meinem Haar führte er meinen Mund an seinen. Der Kuss begann süß und scheu, aber es dauerte nicht lange, bis eine unglaubliche Hitze zwischen uns aufstieg. Seine Hände wanderten von meinem Gesicht nach unten über meinen Rücken, meine Hüften und landeten an meinen Oberschenkeln. Ich konnte seinen harten Schaft spüren, der sich an mich drückte, als er die Hüften bewegte. Ein langes Stöhnen drang aus seinem Mund, und ich ließ ihn meine Beine um seine Hüften legen. Mit einem atemlosen Stöhnen löste ich meinen Mund von Flames, drückte meine Stirn an seine und legte meine zitternden Hände an seine Wangen.

»Tu es, Flame. Ich will dich wieder in mir spüren. Ich brauche dich in mir.«

Besorgnis leuchtete in seinem Gesicht auf. »Konzentriere dich einfach auf mich, Flame. Es braucht keinen Schmerz. Keine Angst. Nur uns, erinnerst du dich?«

Flame stöhnte und verlagerte seine Position, während er mit einer Hand meine Taille hielt. Als ich ihn zwischen meinen Beinen spürte, erstarrte er, und seine Muskeln spannten sich an. Ich sah, wie er die Augen zukniff und wieder durchlebte, was auch immer für ein Bild ihn zurückhielt. Aber ich senkte mich auf ihn. Seine Augen gingen ruckartig auf, als er mich so unglaublich ausfüllte.

»Maddie«, stöhnte er, als er sich bis zum Anschlag in mich versenkte. Ich saß auf ihm, hielt sein Gesicht in den Händen, und seine Arme hielten meine Taille.

Und wir beide atmeten.

Dann fühlte ich es. Den Frieden und die Liebe, von der Lilah mir erzählt hatte, dass sie sie mit Ky erfahren hatte. Und ich wusste, etwas so Kostbares konnte nicht falsch sein. Ich wusste, ein Mensch, der so liebevoll und fürsorglich war wie Flame, konnte kein Sünder sein. In seinem Blut brannten keine Flammen. Nur Liebe für mich, und das war genug – immer genug.

Ich hob die Hüften und begann mich zu bewegen. Das wundervolle Gefühl von ihm in mir entfachte meine Seele. Flame bewegte sich mit mir, und der Ausdruck in seinem Gesicht von Schmerz und Lust zugleich ließ mich noch mehr nach seiner Berührung brennen.

Ich führte meinen Mund an seinen, unsere Lippen verschmolzen miteinander und Flames warme Zunge schob sich sofort in meinen Mund. Unsere Körper bewegten sich in perfektem Einklang, und Flames Mund eroberte mich.

Und es dauerte nicht lang, bis sich in meinem Unterleib eine Spannung aufbaute. Flames Lippen lösten sich von mir. Er gab ein langes Stöhnen von sich, und seine Wärme erfasste mich auch von innen, während ich im blendenden Licht schier zersprang. Ich hielt mich an seinem Nacken fest und fürchtete, ich würde davonschweben, wenn ich ihn losließ.

Meine Augen gingen flatternd auf, ich sank an seine Brust und atmete den frischen Duft seiner Haut ein. Sofort legte er die Hand um mich und zog mich an sich. Ich spürte, wie er sich entspannte, und er flüsterte: »Ich liebe dich.«

Ich lächelte an seiner Brust und antwortete: »Und ich dich, Flame.«

Er seufzte und flüsterte: »Mein.«

Und ich lächelte noch mehr.

Minuten vergingen, als wir danach dalagen. Dann fiel mir etwas ein, worüber ich nachgedacht hatte. Mein Finger fuhr das Tattoo auf Flames Brust nach, und ich fragte: »Flame?«

»Mmm?«, antwortete er und kämmte mit den Händen träge durch mein Haar.

»Was ist danach passiert?«

Flame erstarrte, und ich wusste, sein Schweigen bedeutete, dass er meine Frage nicht verstand. Ich hob den Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen, und fragte: »Nachdem dein Vater euch verlassen hat und … und dein Bruder starb … was ist dann passiert?«

Flames Augen wurden schmal. Ich wusste, er versuchte sich zu erinnern. »Ich erinnere mich nicht sehr deutlich, aber jemand kam und hat uns gefunden. Ich glaube, wir waren ziemlich lange in diesem Drecksloch. Und ich erinnere mich, dass es jemand war, den wir kannten, bin allerdings nicht sicher, wer. Meine Erinnerung an den Tag ist sehr verschwommen. Man nahm mir meinen Bruder aus den Armen. Ich weiß noch, dass ich versucht habe, ihn festzuhalten, weil ich ihn nicht verlieren wollte, doch ich hatte nicht die Kraft zu kämpfen. Dann setzte man mich in ein Auto. Wir fuhren sehr lange, aber ich war zu müde und hungrig, um mich an viel von der Reise zu erinnern.«

Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie er seinen toten Bruder festhielt und nicht loslassen wollte. Und nur Gott allein weiß, in welchem Zustand sie sich befunden hatten. In welchem Zustand sein kleiner Bruder gewesen sein musste, gehalten in Flames dünnen, schwachen Armen.

Seine Hände strichen mir nun schneller übers Haar. Mir war sofort klar, dass ihm etwas Schmerz bereitete. Ich wusste, er streichelte mein Haar, wenn er Kraft brauchte.

»Sie brachten mich zu einem großen Gebäude. Es war dunkel, und sie ließen mich an der Tür zurück. Ich denke, ich muss eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, lag ich in einem Bett, das ich nicht kannte. Ein Mann kam herein und wollte mit mir reden. Aber er legte mir die Hand auf den Arm, und ich schrie. Ich stieß ihn weg und erzählte ihm von den Flammen. Ich erzählte ihm von dem Bösen in meinem Blut und kratzte mir die Handgelenke auf, um ihm zu zeigen, dass ich sie zu vertreiben versuchte.« Flames Augen blickten nun ins Leere, ganz versunken in seiner Erinnerung. »Aber er verstand mich nicht. Ich konnte ihm nicht begreiflich machen, was los war. Genau wie bei allen anderen drückte ich immer irgendwas falsch aus. Etwas, das andere ängstigte, aufbrachte oder wütend machte.«

»Flame«, flüsterte ich, doch er war nach wie vor da, in seinem Kopf, »sie haben mich an einen anderen Ort gebracht. In ein Krankenhaus, denke ich. Aber da hat es mir nicht gefallen. Sie haben mir Medikamente gespritzt, die mich betäubten, weil ich immer versuchte, an die Flammen zu kommen. Dann konnte ich sie nicht mehr spüren, wusste allerdings, dass sie da waren. Sie fesselten mich, damit ich die Flammen nicht vertreiben konnte. Den ganzen Tag, jeden Tag, jahrelang, brannte ich von innen. Ich hasse es, gefesselt zu werden.«

Flame sah mir in die Augen und erklärte: »Die Flammen taten die ganze Zeit weh. Aber sie ließen nicht zu, dass ich sie freiließ. Sie ließen mich allein in einem Zimmer, an ein Bett gefesselt, und ließen zu, dass mich die Flammen lebendig verbrannten.«

»Wie bist du dann freigekommen?«, fragte ich. Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder Flame, wie er Wochen zuvor auf dem Bett gelegen und um sich geschlagen hatte, um sich zu befreien. Und dann sein Gesichtsausdruck, als ich ihn mit seinem Messer schnitt. Denn er war dort hingelegt worden und hatte sich gefühlt, als würden die Flammen ihn bei lebendigem Leib verbrennen.

»Sie haben jemanden bei mir im Zimmer untergebracht. Leute kamen und besuchten ihn. Und dann war da dieser eine Kerl, der ständig zu mir rüberkam. Die Ärzte hatten mir Betäubungsmittel gespritzt, aber ich erinnerte mich immer an sein Gesicht. Er hatte dunkles Haar und trug stets Leder. Ich konnte immer das Leder riechen.« Flame holte tief Luft, und ich konnte sein Herz rasen hören. »Dann eines Nachts brach der Typ in den Lederklamotten bei uns ein und hat den anderen Mann, der bei mir im Zimmer lag, befreit. Ich hörte, wie er das Fenster in unserem Zimmer öffnete und sie dann beide abhauten. Aber dann spürte ich, dass etwas meine Fesseln löste, und als ich nach unten schauen konnte, war ich vom Bett losgebunden. Und das Fenster war immer noch offen.«

Mein Körper war angespannt, als ich ihm zuhörte, und ich drängte ihn: »Und dann? Was ist dann passiert? Wer war der Mann, der dich befreit hat?«

Flames Finger strich über meine Wange, und er sagte: »Was dann passierte, weiß ich nicht genau, wegen der Medikamente, aber ich weiß noch, dass ich aus dem Fenster kletterte und wegrannte. Ich weiß nicht wie lange, doch am Ende landete ich in einer Gasse, denn ich brauchte Schlaf. Als ich aufwachte, wusste ich allerdings nicht, wohin ich gehen sollte. Aber ich hatte mein Messer. Das Messer, das ich all die Jahre hatte verstecken können, das ich unter die Matratze geschnallt hatte. Das Messer, mit dem Paps jede Nacht meinen Rücken bearbeitet hatte.

Ich schnitt mir in die Arme, als ich Schritte kommen hörte. Ich erstarrte und packte fest das Messer. Als ich aufsah, war es der Typ, der mich befreit hatte. Er und ein größerer Kerl mit langem roten Haar. Sie hatten beide Ledersachen an und den Teufel auf den Rücken gemalt.«

Meine Augen wurden groß, und ich flüsterte: »Viking … das lange rote Haar? War das Viking?«

Flame nickte und fuhr fort: »Und AK. AK war der, der mich befreit hatte. Der Mann in dem anderen Bett war sein älterer Bruder gewesen. Sie waren alle Hangmen.«

»Und er hat dich wiedergefunden. Er kam zurück, um dich zu suchen?«

Flame nickte. »Ja. Da war ich siebzehn.« Er schaute mir in die Augen und sagte: »Ich war siebzehn … siebzehn, als ich die Finsternis umarmte. Siebzehn, als ich zu Flame wurde. Styx’ alter Herr gab mir den Namen, weil ich ihm erzählte, dass ich mir in die Arme schnitt, um sie aus meinem Körper zu vertreiben. Er stellte keine weiteren Fragen. Er hat mich einfach akzeptiert.«

»Flame«, flüsterte ich und küsste das orangefarbene Flammentattoo auf seiner Brust. Doch dann fragte ich neugierig: »Wie hast du all die Tattoos und Piercings bekommen, wenn du Berührungen nicht erträgst?«

»Ich wollte sie, damit die Menschen sich von mir fernhalten. Damit sie schon von außen sehen konnten, was im Inneren lebt.« Flame spannte sich an und fuhr fort: »Und sie waren schmerzhaft. Tank hat sie gemacht. Überall am Körper, drei Tage lang ohne Pause. Viking und AK sorgten dafür, dass ich die ganze Zeit bewusstlos war. Und dann, als ich aufwachte, war ich dieses Ich. Ich war Flame. Nicht mehr Josiah William Cade.«

Ich betrachtete die Tattoos, und ich verstand. Sie hielten die Leute fern. Damit ihn niemand anfasste. Sie hielten die Leute fern, bevor sie beschlossen, wegzubleiben.

Jedes Wort aus seinem Mund schien sich in meine Eingeweide zu bohren.

»Flame«, flüsterte ich und drückte ihm einen letzten Kuss auf die Haut. Dann fragte ich: »Und was ist passiert, nachdem AK und Viking dich gefunden haben?«

»AK brachte mich zu Styx’ altem Herrn, dem damaligen Präs, und sie haben mich aufgenommen. Ihnen war total egal, dass ich mich selbst verletzte. Ihnen war auch total egal, dass ich anders war. Sie haben mich einfach so aufgenommen. Und ich bin nie mehr gegangen.«

»Und AK und Viking …?«

»Sind meine Brüder. Sie … verstehen mich. Sie wissen, wie sie mit mir reden müssen. Sie haben mich gerettet. Das haben sie wirklich. Ich verdanke ihnen alles. Selbst wenn AK mit den Truppen auf Tour war, hielt er immer Kontakt zu mir. Kümmerte sich um mich, so gut er konnte.«

Ich bekam einen Kloß im Hals, schob mich an Flame nach oben und drückte meine Lippen auf seine. Plötzlich waren draußen Stimmen zu hören. Frohes und herzliches Gelächter. Es war Flames Familie. Was sie auch zu meiner Familie machte.

»Sie sind laut«, bemerkte ich lächelnd.

Flame nickte, und mir ging das Herz auf, als ich sah, wie seine Lippen amüsiert zuckten. »Sind sie immer. Vor allem Viking. Ky verpasst ihm eine Menge Kopfnüsse, um ihn zum Schweigen zu bringen. Aber das hilft nie lange.«

Und dann, zu meiner Überraschung, brach ich in Lachen aus. Flame stockte der Atem, und dann setzte er sich auf und drückte mich an sich. Ich quietschte überrascht auf, nahm seinen Kopf in die Hände und fragte: »Geht es dir gut?«

Flame nickte an meiner Brust und sagte: »Ich mag es, wenn du lachst.«

Ich seufzte und flüsterte: »Und ich liebe dich einfach auf jede Art.«

Und Flame hielt mich noch fester.

Ich verließ das Schlafzimmer in meinem langen weißen Kleid, das Haar nach hinten gebunden. Ich sah Flame neben dem Feuer an der Wand sitzen, sein Messer in der Hand. Er starrte auf die Falltür im Boden hinten im Zimmer. Er trug wieder seine schwarze Lederhose, schwarze Stiefel und nur seine Kutte. Er sah so gut aus, dass ich dachte, mir müsste das Herz zerspringen.

Wieder war draußen lärmendes Gelächter zu hören. Flame hob den Kopf. Ich hielt die Hand hoch und versuchte meine Besorgnis zu verbergen. Meine Besorgnis, weil er auf diese Tür gestarrt hatte.

Flame stand auf und kam zu mir. Ohne Zögern schob sich seine Hand in meine. »Du willst wirklich nach draußen gehen?«, fragte er, und ich nickte.

»Ich bin schon viel zu lange drinnen geblieben. Mit dir an meiner Seite fühle ich mich sicher, und sie sind deine Freunde. Deine Brüder.«

Flame ging mit mir zur Tür. Als wir auf die Lichtung vor den drei Hütten traten, sah ich, dass der ganze Club da war, eingeschlossen Mae und Lilah mit Styx und Ky.

Alle tranken und aßen Gegrilltes, als Viking plötzlich aufblickte. »Flame!«, rief er und zwinkerte dann mir zu. »Kleine.«

Alle wurden wieder still, und ich schmiegte mich an Flames Seite, verlegen von ihrer Aufmerksamkeit. Seine großen starken Arme legten sich um meine Schultern, um mich an sich zu drücken, und ich fühlte mich sofort geborgen.

Flame ging mit mir zusammen zu den anderen. Je näher wir kamen, umso mehr wurden die Stimmen wieder wie zuvor.

»Maddie?« Ich blickte auf und sah Mae und Lilah mit Beauty und Letti zusammensitzen. Ich winkte. Flame sah mich an und fragte: »Hast du Hunger?«

Ich nickte an seiner Brust und sagte: »Ich warte bei Mae und Lilah.«

Flames Arm schien sich anzuspannen, als wolle er mich nicht recht loslassen, bis Viking seinen Namen rief. »Flame, lass deine Braut mal für eine Minute lang los und komm dir ein Steak holen! Du hast ganz schön abgenommen, und ich habe keinen Bock darauf, der größte und gemeinste Wichser hier im Club zu sein.«

»Da mach dir mal keine Sorgen, Vike. Dafür ist Tanner ja bereits da«, antwortete Tank darauf. Viking fing an, sein T-Shirt auszuziehen. »Sind wir schon wieder so weit, Bruder? Ich schwöre dir, du erzählst bloß deswegen ständig so einen Mist, um mich dazu zu bringen, dass ich mich ausziehe. Fährst du auf meinen hübschen Arsch ab? Kriegst du bei Beauty nicht, was du brauchst?«

Die Brüder fingen an zu lachen, und Flame ließ mich widerstrebend los, um zum Grill zu gehen. Ich drehte mich zu Mae und Lilah um, als ich sah, dass AK rechts von mir aus seiner Hütte kam. Ich war so überwältigt von Dankbarkeit für diesen Mann, dass ich zu ihm hinlief und rot wurde, als ein Lächeln in sein Gesicht trat. »Hey, Madds …«

Ich schnitt ihm das Wort ab, indem ich die Arme um seine Taille schlang. AK erstarrte. Da ich unfähig war, seine Berührung lange zu ertragen, trat ich zurück und sagte mit gesenktem Blick: »Danke.«

AK bückte sich zu mir auf Augenhöhe, und in seinem Gesicht stand Verwirrung. »Wofür?«

Ich spürte die stille Erwartung hinter uns. Vorsichtig trat ich einen Schritt vor und flüsterte: »Dafür, dass du ihn gerettet hast. Dass du ihm eine Familie gegeben hast … dass du ihn gerettet hast, sodass er eines Tages mich retten konnte.«

AK machte große Augen und schluckte. »Er hat es dir erzählt?«, fragte er, eindeutig bestürzt.

Ich nickte. »Er hat mir alles erzählt.«

AK fuhr sich durchs Haar. »Fuck«, rief er.

»Er … er hat Glück, dass er dich in seinem Leben hat«, fuhr ich fort und wandte mich dann hastig ab.

Plötzlich griff mich AK am Arm. Als ich ihm in die Augen sah, fragte er drängend: »Geht es ihm jetzt gut, Madds? Ist er raus aus der Hölle, in der er war?«

Ich warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Flame den Blick auf AKs Hand auf meinem Arm fixierte. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, aber sich nicht wegbewegt.

AK trat einen Schritt zurück und nahm die Hand fort. »Fast, glaube ich«, beteuerte ich. Als ich ihm antwortete, kam mir das Bild von Flame in den Sinn, wie er auf diese Falltür starrte, mit diesem Messer in der Hand.

»Shit. Er hat es verdient, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ein für alle Mal.« AK grinste und meinte: »Wenigstens hat er jetzt dich, Madds. Wenigstens hat er jetzt endlich dich.«

Damit ging AK zu seinen Brüdern. Ich sah, wie Flame einen Schritt machte, um zu mir zu gehen, aber ich streckte die Hand aus und schüttelte den Kopf. »Es geht mir gut«, formte ich mit den Lippen. Flame blieb wie angewurzelt stehen.

»Maddie?« Ich folgte dem Klang der Stimme, und da kamen Mae und Lilah auf mich zu. Mae zeigte auf eine Stelle im Gras, abseits von allen anderen, und ich setzte mich dorthin. Mae und Lilah gesellten sich zu mir.

Mae warf einen Blick über die Schulter zu Flame, sah mich dann erneut an und lächelte. »Du kommst nicht wieder zu mir nach Hause, nicht wahr?«

Ich wurde rot und schüttelte den Kopf.

Lilahs Hand fand meine. »Ich freue mich wirklich für dich, Maddie. Du verdienst es, glücklich zu sein.«

Tränen brannten mir in den Augen, und ich sagte: »Das bin ich.« Und als ich aufblickte, zitterte meine Unterlippe. »Ich bin überglücklich. Und Flame auch.« Mae und Lilah teilten meine Tränen mit mir. Ich lachte vor Freude, beugte mich vor und legte meine Hand auf Maes Bauch. »Vor allem jetzt, wo ich Tante werde.«

»Tante Maddie«, flüsterte Mae, hob meine Hand an ihren Mund und drückte einen Kuss darauf.

Dann fragte Mae: »War er sanft mit dir, Maddie? Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich kenne dich. Ich weiß, du wirst nicht darüber sprechen. Doch ich … ich muss einfach wissen, dass er gut zu dir war.«

Mein Herzschlag stolperte bei ihrer Frage, ich sah sie allerdings an, nickte und flüsterte: »Ja. Er war total lieb.«

Maes Tränen tropften auf ihre Oberschenkel, und sie antwortete: »Das ist gut, Maddie. Das ist wirklich gut.«

Ich blickte zu Mae, dann zu Lilah, und mein Herz empfand so viel Glück, weil ich nun wusste, was Liebe war. Ich hob den Kopf zum Himmel, schloss die Augen und sandte einen Wunsch zu Gott, dass meine Bella auch glücklich sein möge. Endlich glücklich, dass die Schwestern, um deren Rettung sie so sehr gekämpft hatte, alle wahre Liebe gefunden hatten.

Liebe in vollkommener Form.