Kapitel 25

Flame

Drei Tage später …

Ich wachte auf und sah, dass es draußen noch dunkel war. Ich streckte die Hände nach Maddie aus. Als ich merkte, dass sie nicht neben mir lag, sprang ich in Panik aus unserem Bett. Meine kalten Füße trafen auf den Boden, und ich rannte sofort ins Wohnzimmer. Dort angekommen, wurde es mir schwer ums Herz: Maddie saß auf der Falltür im Boden – dieser verdammten Falltür, und sie hielt dieses verdammte Messer in der Hand.

»Nein!«, rief ich dröhnend und eilte zu ihr. Maddie blickte auf, als sie meine Stimme hörte, und krabbelte sofort von der Tür weg, bis ihr Rücken auf die Wand traf. Dann, zum ersten Mal seit drei Tagen, spürte ich, wie die Flammen unter meiner Haut erwachten. Die Flammen, die sich die ganze Zeit nicht gerührt hatten, erwachten wieder zum Leben.

Ich fing an hin und her zu laufen, und mich packte der Drang, mein Messer zu holen. Dann …

»Flame?« Maddies sanfte Stimme brachte mich abrupt zum Stehen. Ich rang um Atem, um mich wieder zu beruhigen. Ich schaute nach unten, wo sie saß. Aber sie war aufgestanden. Und sie hielt dieses verdammte Messer in der Hand.

Und aus irgendeinem Grund entflammte der Gedanke mein Blut, dass sie dieses verdammte Messer in der Hand hielt. Weil es sein Messer war. Und das tat nichts anderes als Menschen zu verletzen. Es war mein verdammter Fluch.

»Gib mir das Messer«, forderte ich sie barsch auf, doch Maddie wich zurück, das Messer weiter in der Hand. »Maddie …«

»Warst du je wieder dort?«, fiel sie mir ins Wort.

Ich runzelte die Stirn. Maddie holte scharf Luft und kam näher. »Warst du je wieder in dem Haus, in dem du aufgewachsen bist?«

Ich stieß den Atem aus, als sie von diesem verdammten Haus redete. Ich ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf.

Maddie kam noch näher. »Weißt du, wohin dein Vater gegangen ist? Weißt du, was aus ihm geworden ist?«

Ich zuckte zusammen, als sich der Gedanke an Paps in mein Hirn bohrte. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe keine verdammte Ahnung, was aus dem Mistkerl geworden ist«, knurrte ich. Darauf hob Maddie das Messer und hielt es mir hin.

Dann ging sie zurück ins Schlafzimmer, und ich sah ihr nach. Ich schaute auf die rostige alte Klinge in meiner Hand, und alle Gefühle von damals, als ich in diesem verdammten Höllenloch gefangen war, kamen wie eine Flutwelle zurück. Ich schaute zur Falltür. Sie war beim Bau der Hütte mit eingebaut worden. Die Tür, die mich daran erinnerte, dass ich böse war. Ein Ort, um die Flammen auszulöschen.

Ein Ort, an dem er mich immer wieder vögeln konnte …

Plötzlich war mir übel.

Ich ließ das Messer fallen, taumelte ins Schlafzimmer zurück und fand Maddie auf dem Bett. Sie saß dort, nackt, die Arme um die angezogenen Knie gelegt. Und sie weinte.

»Maddie«, flüsterte ich und ging langsam zu ihr.

Sie hob den Kopf und sagte: »Es gab zwei Dinge in meinem Leben, um die ich immer betete. Zwei Dinge, bei denen ich mir vorstellte, wenn ich sie nur erreichen könnte, dann wäre ich frei.« Maddie wischte sich über die Wangen. »Ich wollte, dass Moses stirbt. Ich wollte über ihm stehen und wissen, dass er tot ist. Und ich wollte mich geborgen fühlen. Ich wollte mich von Herzen sicher fühlen. Ich wollte Gewissheit haben, dass ich nie wieder verletzt werde.« Sie schniefte. Dann blickte sie mir direkt in die Augen und betonte: »Und du hast mir beides geschenkt. Genau genommen hast du mir mehr gegeben, als ich mir gewünscht hatte. Denn du hast mir auch dich geschenkt. Ich habe mich in dich verliebt. Und ich kann dich berühren. Ich kann dich lieben, und ich weiß ganz und gar, dass ich nicht verletzt werde.«

Mir drehte sich der Magen um, und es schnürte mir die Kehle zu. Dann sagte sie: »Du lebst in einer Welt, in der du nicht weißt, ob dein Peiniger tot oder lebendig ist. Du lebtest in einem Haus, das die Methoden widerspiegelt, unter denen du gelitten hast.« Sie hob den Kopf und fragte: »Natürlich kann deine zerbrochene Seele nicht wieder ganz … vollständig … ungebrochen werden. Weil du mit der Unsicherheit lebst, bist du nicht wirklich frei.«

Ich hasste es, sie weinen zu sehen, also ging ich zögernd näher und flüsterte: »Maddie.«

In meinen eigenen Ohren konnte ich meine tiefe Stimme brechen hören. Maddie streckte die angezogenen Beine aus und breitete die Arme aus. »Komm zu mir«, hauchte sie. Ich eilte zum Bett, legte mich neben sie und drückte sie an mich.

Ich hielt sie fest, während sie in meinen Armen weinte. Aber ich konnte nur daran denken, was sie gesagt hatte. Ich hatte keine Ahnung, was aus Paps geworden war, nachdem ich weg war. Was war aus unserem Haus geworden? Was war mit Isaiahs Leiche passiert?

Dann dachte ich an die Falltür in meinem Wohnzimmer. Die zu öffnen oder hindurchzusteigen ich nie den Mut gehabt hatte. Aber sie war das, was ich behielt, um nie zu vergessen, was ich war – falsch. Böse. Dass ich Finsternis war. Dass ich der verdammte Tod war.

Sogar nachdem ich aus dem Haus war und danach im Krankenhaus packte er mich immer noch und vögelte mir die Sünde aus dem Leib, in meinem Kopf … bis Maddie gekommen war. Denn sie machte alles besser. Nicht mehr von meinem Paps über der Falltür gevögelt werden. Keine Kirche. Keine Schlangen. Keine Schreie … kein Schmerz …

Ich hielt Maddie fester, und schließlich schlief sie ein. Aber ich konnte nicht. Alles, was ich in meinem Kopf sah, war Finsternis: Isaiah, der in meinen Armen starb, meine Mama, die durch die Bodenbretter nach meinen Fingern griff, dann das Bild, wie sie auf dem Bett verblutete, das Messer neben sich, der whiskeygetränkte Atem meines Paps’, der über meinen Rücken wehte.

Und meine Muskeln spannten sich an, mein Blut wurde heiß, und ich hatte bloß einen Gedanken …

… der Wichser verdiente es zu sterben …

Zu sterben durch meine Hand, mit meinen Klingen …

»Noch zwei Käufer weniger. Das heißt, der Klan lässt die verdammten Muskeln spielen. Wir halten die Füße still, um zu sehen, wie ihr nächster Zug aussieht, aber wenn das so weitergeht, dann wird es Krieg geben, ob Rider die Mädchen jetzt hat gehen lassen oder nicht.«

Ich sah zu, wie Styx Zeichen gab, und hörte Ky übersetzen: »Tanner, hast du noch mehr Infos?«

Tanner schüttelte den Kopf. »Sie halten sich bedeckt in Sachen Technik. Aber ihr Neuer hat es nicht geschafft, alle Konten zu verstecken. Und da fließt ein Mordshaufen Geld von einem privaten Offshore-Konto. Israeli.« Tanner zuckte mit den Schultern. »Muss die Sekte sein. Und die bringen ein paar echt harte Waffen auf US-Boden.«

Ich versteifte mich, als von der Scheißsekte die Rede war. Styx warf Ky einen Blick zu. In den Gesichtern der Brüder sah ich denselben Zorn.

Dann schauten beide zu mir.

Denn nun hatte ich auch eine Frau, wie sie. Ich hatte Maddie. Ich hatte das gleiche Verlangen nach Rache an diesem beschissenen Pädophilenring im Blut wie der Präs und der VP.

»Wir behalten unsere Domäne weiter im Auge. Aber jetzt sind die Spielregeln anders. Landry und Gouverneur Ayers haben einen langen Arm. Das halbe FBI steht auf ihrer Lohnliste, und die andere Hälfte steht auf unserer. Da könnte eine echt interessante Fahrt vor uns liegen.«

Alle Brüder nickten. Dann signalisierte Styx: »Sonst noch was?«

Ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam, und hob das Kinn. »Ich muss mir eine Woche freinehmen, vielleicht auch länger, Präs. Es gibt eine Sache in einem anderen Bundesstaat, um die ich mich kümmern muss.«

Ich ließ Styx nicht aus den Augen, doch ich konnte spüren, dass alle anderen Brüder mich musterten. Seit ich bei den Hangmen war, hatte ich das Quartier ausschließlich verlassen, wenn es um Angelegenheiten der Hangmen ging. Das hier war wirklich eine Premiere.

Styx runzelte die Stirn und signalisierte dann: »Wo?«

Zähneknirschend zwang ich mich zu antworten: »West Virginia.«

Ky lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Und was zur Hölle will einer da draußen in den Appalachen? Mir fällt echt nichts ein, was mich in die Scheißgegend ziehen würde.«

Ich wandte mich an den VP und sagte: »Mein alter Herr.«

Kys hübsche blaue Jungenaugen wurden groß, aber aus seinem Mund kam nichts raus. Als ich mich am Tisch umsah, stellte ich fest, dass alle Brüder mich mit offenem Mund anstarrten.

Tank rutschte auf seinem Stuhl herum. »Du hast einen alten Herrn, Flame?«

Ich blinzelte, um das Bild des Scheißkerls aus meinem Kopf zu vertreiben, antwortete jedoch: »Früher mal.« Tank nickte langsam.

Styx lehnte sich vor und signalisierte: »Kommt Maddie mit?«

Ich krallte die Hände in die Tischplatte und spuckte aus: »Ja.«

Styx sah Ky an und signalisierte dann: »Hat sie Schutz? Wirst du Blut vergießen?«

»Vielleicht. Wahrscheinlich. Abso-fucking-lut«, antwortete ich. »Aber Maddie ist bei mir, an meiner Seite, auf meiner Maschine, und sie schläft neben mir. Sie ist mein Mädchen, sie gehört mir, und ich entscheide, was zum Teufel jetzt mit ihr wird, nicht du. Sagt dir das genug?«

Styx’ harte Miene veränderte sich nicht, doch dann hob er die Hände und signalisierte: »Genehmigt. Du kriegst alle verdammte Zeit, die du brauchst. Aber tu Madds nichts. Ich will nicht, dass meine Mae sich aufregt, weil ihre Schwester mitten in deinem Psychotrip verletzt wird. Ja?«

Ich nickte. Als Styx schon den Richterhammer heben wollte, beugten sich AK und Viking vor. AK hob die Hand und sagte: »Für die Zeit werde ich auch frei brauchen, Präs.«

Styx antwortete: »Habe auch nichts anderes erwartet.«

Damit schlug er den Richterhammer auf den Tisch, und alle Brüder verließen den Saal. Ich konzentrierte mich hingegen auf AK und Vike, die auf ihren Stühlen warteten.

Vike klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch und meinte: »Du dachtest doch nicht, dass du ohne uns gehst, oder? Wir sind das verdammte Psychotrio. Du gehst nirgendwo allein hin.«

»Wird eine verdammt lange Fahrt«, antwortete ich.

»In deine Vergangenheit, wie es aussieht«, mischte sich AK ein. Ich sah, wie er die Stirn runzelte. »Dein alter Herr, Flame? West Virginia? Wie in aller Welt bist du von West-Pampa-Nirgendwo aus in Texas gelandet?«

Ich starrte auf den Tisch und sagte: »Ich denke, in Austin gab es Spezialisten für meinen Kopf. Keine Ahnung. Die Erinnerung ist undeutlich. Ich hatte zu viele Medikamente im Blut. Aber offensichtlich wurde ich irgendwann zwischen acht und siebzehn Jahren dorthin geschickt.«

AK nickte und fragte dann weiter: »Also gehen wir deinen alten Herrn aufschlitzen? So eine Art von Fahrt?«

Ich knirschte mit den Zähnen und atmete durch die Nase. »Ja«, war alles, was ich herausbrachte. »Schlimmste Sorte.«

Viking fing meinen Blick auf und strich sich über den Bart. »Ist er der Grund für …?« Er zeigte auf das Messer in meiner Hand und dann auf die Narben an meinem Arm. Ich nickte, und er lehnte sich zurück. »Na dann, wann geht’s los? Ich bin so ganz plötzlich total scharf auf West Virginia.«

»Heute«, verkündete ich.

»Und deine Kleine …?«, fragte Vike.

»Kommt auf jeden Fall mit«, knurrte ich.

AK schüttelte den Kopf. »Das ist ein harter Weg und ein verdammt langer dazu. Und so wie ich das sehe, wird das Treffen mit dem allerliebsten Daddy nicht gerade ein Picknick. Ist es okay für dich, wenn deine ängstliche Kleine dich so sieht? Voll im Flame-Modus?«

Ich dachte an Maddie, und mein Herz füllte sich mit Stolz. »Sie versteht mich. Sie versteht, was ich tun muss. Sie ist stärker als sie aussieht. Sie kann das aushalten.« Ich fuhr mit dem Finger über einen Knoten in der Tischplatte. »Sie weiß, wer ich bin … sie kennt beide Seiten von mir. Sie ist auf jeden Fall stark genug.«

AK schüttelte den Kopf und lachte. »Das ist sie auf jeden Fall, Bruder. Eine echte Knirpskriegerin.«

»Oh ja, mit tollen Titten und einem Knackpo. Die ist ein Volltreffer, Bruder«, meinte Viking und wackelte mit den Augenbrauen. »Wer hätte gedacht, dass der verkorkste Narbenmann unter uns die heißeste Braut abkriegt? Das Leben ist wirklich unfair.«

Ich ließ den Kopf hängen, als ich an Maddies sanfte grüne Augen dachte, und gestand: »Ich muss sie bei mir haben, die ganze Zeit. Die ganze verdammte Zeit.« Ich schlug mir mit der Faust auf die Brust. »Verdammt, ich kriege keine Luft, wenn sie nicht da ist. Ich brauche es, dass sie bei mir schläft. Ich brauche sie, um die Flammen wegzuhalten.« Ich zog die Fingernägel über die Narben an meinem Arm. »Sie wird mich nie mehr verlassen. Wird immer bei mir sein, Brüder. Sie gehört mir, mein Leben lang.«

»Fuck«, flüsterte Viking, »Das war’s mit dem Psycho.«

Ich hob ruckartig den Kopf, aber der Wichser grinste mich doch tatsächlich an. AK stand auf und zog Viking mit sich. »Also, Flame, auf ins Land der Berge und geplatzten Träume?«

Ich sprang auf und stürmte aus dem Clubhaus. Mit zuckendem Blick und geballten Fäusten machte ich mich auf den Weg zu meiner Hütte.