Kapitel 29

Flame

»Und so kehrt der Psycho zurück … wieder mal!«

Ich brachte die Maschine im Hof des Quartiers zum Stehen. Viking heizte schon den Grill an, und alle Brüder und ihre Bräute waren am Trinken und amüsierten sich.

Ich stieg ab und hob Maddie vom Sattel. Ich stellte sie auf den Boden, und sofort sah sie zu den Männern, die bei Viking saßen. Ich folgte ihrem Blick, und da war er: Asher. Er saß auf dem Rand seines Stuhls neben AK. Und er beobachtete mich.

Maddie legte mir die Hand auf die Brust und sagte: »Geh zu ihm. Ich möchte meinen Schwestern gern Hallo sagen.«

Mein Herz raste los, aber ich senkte den Kopf zu Maddie. »Okay.«

Lächelnd ging sie auf Zehenspitzen und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Dann wich sie zurück und ging zu der Gruppe Frauen, die an der Seite standen.

Ich hörte einen Pfiff und schaute zu meinen Brüdern. Styx winkte mich heran. Ich holte tief Luft und ging zu den anderen, die auf ihren Stühlen saßen, aßen und sich ihren Drink hinter die Binde kippten.

Sofort drückte mir jemand eine Flasche Bier in die Hand. Ich machte den Verschluss auf, und Styx signalisierte: »Du hast deinen Kram in Ordnung gebracht, Bruder?«

Ich las seine Zeichensprache und nickte. Ky beugte sich vor und zeigte auf Asher. »Dein kleiner Bruder ist richtig gut, Flame. Schlauer kleiner Scheißer. Hat echt Hirnschmalz im Gegensatz zu so einigen anderen Dumpfbacken hier.«

Ich nickte wieder, ohne Asher anzusehen. Aber mich packte eine verdammte Riesenwelle voller Stolz. Asher war schlau. Er hatte eine Chance.

Ky lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schaute Styx schulterzuckend an, als ich nicht antwortete.

Tanner kam auf mich zu. Ich blickte dem fast einzigen Bruder hier, der so groß war wie ich, in die Augen, und er sagte: »Ich habe Little Ash mit neuen Papieren, einer Sozialversicherungsnummer und dem ganzen Kram versorgt. Dein alter Herr hat seine Geburt nie gemeldet. Gab keine Spur zu ihm. Aber jetzt gehört er zum Lone Star State, Bruder. Er meinte, er wurde von seiner Mama zu Hause unterrichtet, bis sie starb. Styx hat mir gesagt, ich soll ihm einen Tutor besorgen, um ihn upzudaten, was er alles verpasst hat, und nachdem ich mit dem Jungen gesprochen habe, wird das wohl gerade mal fünf Minuten brauchen. Wenn er so weit ist, habe ich einen Platz für ihn in einer guten Schule in der Nähe. Privat. Diskret. Klein. Dazu musste Geld durch ein paar Hände gehen, und es ist nicht alles so ganz legal, aber zumindest ist alles erledigt. Dein kleiner Bruder wird hierbleiben, Flame. Er ist jetzt das Baby der Hangmen. Wir geben ihm Rückendeckung. Gut so?«

Ich war total dankbar, fand aber einfach nicht die passenden Worte, um darauf zu antworten. Der Junge hatte was beigebracht bekommen. Er hatte tatsächlich Unterricht erhalten. Das war mehr, als ich je gehabt hatte, und darüber war ich wahnsinnig froh.

Tanner nickte mir zu und setzte sich hin. Dann wurde es total still. Ich zog das Etikett von meiner Bierflasche und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Daraufhin atmete ich ganz tief durch und schaute zu Asher. Seine Aufmerksamkeit hatte ich schon. Er beobachtete mich immer noch, und seine Augen sahen so sehr wie die von Isaiah und meine aus, dass es schon surreal war.

Irgendwer räusperte sich, und ich drehte mich ruckartig um und wies mit dem Kopf zu den Bäumen. »Komm mit«, befahl ich. Ashers Augen wurden groß.

Ich wartete nicht, bis er aufstand, sondern nahm einen Schluck von meinem Bier und stampfte durch den Haufen Clubschlampen durch, die hier herumhingen, zum Hügel. Von hier oben konnte man den Wald überblicken, der das Quartier umgab, bis zu den leeren Landflächen dahinter.

Zuerst hörte ich Ashers schlurfende Schritte, dann seine tiefen Atemzüge. Ohne einen Blick zurück schnippte ich mit der Hand: »Setz dich.«

Ich zählte sechs Sekunden, bis er sich neben mir hinsetzte. Nicht zu nahe, ungefähr eine Armlänge weg. Und er sagte nichts zu mir, sondern saß nur mit niedergeschlagenen Augen da, den Blick zu Boden gerichtet.

Ich dachte an Maddie und mich in dieser verdammten Kirche. Und ich sagte mir, dass dieser Junge, mein Fleisch und Blut, nirgendwohin gehen würde. Dass er hierbleiben und ich ihn nicht verletzen würde. Ich dachte es, versuchte es, in meinen Kopf zu kriegen, aber es war echt schwer, das alles zu glauben.

Ich trank noch einen Schluck Bier, senkte dann die Flasche und fragte: »Dir geht’s gut?«

Asher spannte sich an und nickte dann. »Ja.«

Ich blinzelte und versuchte mir zu überlegen, was ich als Nächstes sagen sollte, und fragte schließlich: »AK ist gut zu dir?«

Noch ein Nicken und noch ein: »Ja.«

Ich wusste, das hier lief gerade nicht besonders gut. Ich konnte mit anderen Leuten einfach nicht reden. Ich konnte einfach nichts richtig sagen. Asher schaute hinaus über den Wald, aber ich schaute nach links und musterte sein Gesicht. Und ich sah mich darin. Ich sah das Kind, das ich mal gewesen war. Und genau wie ich war Asher in diesem Keller gefangen gewesen … und weiß der Teufel was noch.

»Ich bin nicht gut im Reden«, platzte ich abrupt heraus. Asher drehte das Gesicht zu mir und schluckte. »Ich meine, ich bin nicht gut im Reden. Gar nicht. Ich kann andere Leute nicht lesen, so wie alle anderen das können. Ich bin nicht gut mit Gefühlen von Leuten oder so was, oder mit meinen eigenen. Ich … ich versaue es immer, wenn ich was sagen will, und dann werden die Leute richtig sauer, und am Ende werde ich scheißwütend. Es geht einfach alles total schief. Jedes verdammte Mal.«

»Ich weiß, Flame.«

Ich runzelte die Stirn. »Du weißt es?«

»Viking und AK haben mir erklärt, dass … dass du anders bist als die anderen. Dass du anders redest als die meisten.« Er schluckte und sagte: »Sie haben mir erklärt, wie ich mit dir sprechen soll. Deshalb versteh ich das.«

Ich warf einen Blick zurück zu AK und Viking. Viking machte gerade wieder Blödsinn wie immer, aber AK beobachtete uns aufmerksam. Ich nickte ihm zu, und er hob grüßend sein Bier.

Asher fing an, Gras auszureißen, und als ich wieder von meinem Bier trank, fiel mir sein Haarschnitt auf. Sein dunkles Haar, geschnitten zu einem …

»Dein Haar sieht aus wie meins«, sagte ich. Asher erstarrte. »Du hast einen falschen Iro«, fuhr ich fort und fuhr mit der Hand durch meinen eigenen.

Ashers Gesicht wurde leuchtend rot. »Ja. Ich … alle sagen, dass ich so aussehe wie du.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich brauchte einen Haarschnitt, weil Paps mir nie die Haare geschnitten hat. Also habe ich gefragt, ob ich die gleiche Frisur wie du haben kann.«

»Das kapiere ich nicht. Wieso solltest du so aussehen wollen wie ich?«, fragte ich. Ashers Miene veränderte sich. Ich hatte auch keine Ahnung, wieso sein Gesichtsausdruck anders wurde. Ich konnte ihn nicht deuten.

»Weil … weil du mein Bruder bist«, sagte er leise. Ich erstarrte und spürte meinen Puls total schnell pochen. »Ich … ich hatte noch nie einen Bruder. Ich war immer allein. Aber ich habe mich oft gefragt, wie es wäre, wenn ich jemanden hätte, der bei mir ist. Paps hat pausenlos von dir geredet. Er hat schlimme Dinge gesagt, Sachen, die er in seinem total kranken Kopf geglaubt hat und die Pastor Hughes ihm erzählt hatte, aber ich habe nie darauf gehört. Ich habe das alles nie geglaubt. Er hat schlimme Dinge über mich gesagt, und ich wusste, dass die alle nicht wahr sind, also dachte ich, dass das über dich wahrscheinlich auch so ist.«

Als seine Worte zu mir durchdrangen, kam mir eine Frage über die Lippen: »Hat er dich angefasst? Dort, in dieser dreckigen Zelle?«

Asher erstarrte und ließ den Kopf hängen.

»Sag es mir«, drängte ich. »Ich muss es wissen.« Ich tippte mir an den Kopf. »Ich muss es wissen, weil das alles ist, woran ich da drin denke.«

»Er hat es versucht«, flüsterte Asher. »Jedes Mal, wenn er in die Zelle kam, hat er es versucht. Aber er hat es nie geschafft.«

»Das verstehe ich nicht«, antwortete ich, und mir fiel ein Stein vom Herzen, weil er den Jungen nicht vergewaltigt hatte. Er hatte Asher nicht vergewaltigt.

Dank sei Was-auch-immer.

»Es war die Trinkerei, denke ich. Nach dem Tod meiner Mama konnte er kaum noch laufen, als er mich zum ersten Mal in den Keller gesteckt hat. Er hat ihn nicht hochgekriegt, Flame. Darauf wurde er wütend und hat mich geschlagen.« Er streckte die Arme aus. »Am Anfang hat er sogar versucht, mich mit dem Messer aufzuschlitzen, aber als du aufgetaucht bist, hatte er sich schon fast zu Tode gesoffen.« Asher seufzte und sagte dann: »Die meiste Zeit hat er mich nur in den Keller gesperrt und einen Sünder geschimpft, während er mir von oben seinen Bibelkram gepredigt hat. Ich glaube, für recht viel mehr hatte er nicht mehr die Kraft.«

Ich holte scharf Luft, atmete dann langsam aus und spürte, wie meine ganze Sorge verschwand. »Das ist verdammt gut«, gestand ich. Asher senkte wieder den Kopf.

Er hob die Hand und fuhr sich durchs Haar. Als ich mein Bier fast leer hatte, meinte er: »Ich will aussehen wie du, weil ich so sein will wie du.«

Ich drehte ihm ruckartig den Kopf zu. »Wieso solltest du so sein wollen wie ich?«

Asher deutete auf mich. »Du bist riesengroß, stark und kannst auf dich selbst aufpassen.«

»Ich stemme einen Haufen Gewichte«, antwortete ich.

Asher schüttelte den Kopf. »Ich habe gesehen, was du mit unserem Paps gemacht hast. Und ich weiß, was du mit Pastor Hughes und dem Ältesten Paul gemacht hast.« Asher warf eine Handvoll Gras auf den Boden und sagte: »Ich habe oft davon geträumt, dass ich das mit Paps machen könnte, was du gemacht hast. Nach dem Tod meiner Mama, wenn er mich im Keller mit dem Schlagstock verprügelt hat, wollte ich ihm auch wehtun. Weil er mir meine Mama weggenommen hat. Meine Mama, Flame. Sie war eine so gute Frau. Aber zu schwach, um gegen ihn anzukommen.« Asher schniefte und wischte sich mit dem Unterarm hastig übers Gesicht.

Mein Kopf zuckte, und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Doch Asher riss sich zusammen und brachte heraus: »Und dann ist der große Bruder, von dem ich so gehofft habe, dass er zurückkommt und mich da rausholt, tatsächlich gekommen. Und du hast den Scheißkerl umgebracht. Du hast ihn getötet, sodass er nie wieder jemandem wehtun kann.« Asher riss wieder Grashalme aus und sagte: »Deshalb will ich so sein wie du. Ich will nie wieder von jemandem verletzt werden. Ich will auf mich aufpassen können, so wie du. Ich will mich wehren können, gegen Leute wie ihn.«

Ich schätzte Ashers Größe ab und wusste, wenn er so alt war wie ich jetzt, wäre er auch ein echt großer Kerl, aber alles, was ich antwortete, war ein Versprechen: »Dich wird nie wieder jemand anrühren. Du hast mich und einen Haufen Hangmen hinter dir. Und mit uns legt sich keiner an. Keiner.«

Asher schwieg, und dann senkte er den Kopf und seine Atemzüge wurden anders. Ich drehte mich um, in Panik, was zur Hölle jetzt falsch war, und da sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte. Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht, und da sagte er: »Danke.«

Ich stieß die Luft aus, beugte mich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie, barg den Kopf in den Händen und kam mir vor wie der schlechteste Bruder überhaupt. »Asher, ich ertrage keine Berührungen. Fuck, ich kann nicht … ich kann nicht …«

»Weiß ich«, unterbrach er mich und wischte sich die Wangen trocken.

»Echt?«, fragte ich heiser und hasste mich selbst, weil ich so verkorkst im Kopf war.

»Ja, AK hat es mir erklärt. Flame, er hat mir alles über dich erzählt. Ich habe immer nach dir gefragt, also hat er sich mit mir hingesetzt und es mir erzählt. Ich will dich bloß besser kennen. Und du bist nie wirklich aus deiner Hütte gekommen oder hast auch nur mit mir geredet.« Er zögerte und fuhr dann fort: »Aber ich weiß, dass du Berührungen nicht aushältst. AK war da sehr deutlich.«

»Stimmt«, war alles, was ich antworten konnte.

Asher schaute hinter sich und dann wieder zu mir. »Aber Maddie kann dich anfassen.« Ich erstarrte. Mit angehaltenem Atem nickte ich. »Ist alles gut«, antwortete er schnell. Dann wurde er knallrot und sagte: »Sie ist wirklich hübsch. Und … und ich bin froh, dass sie dich anfassen kann. Ich bin froh, dass du sie hast.«

Maddies Gesicht tauchte in meinem Kopf auf, und ich sagte: »Sie ist total wunderschön. Sie ist mein Ein und Alles.«

»Ja«, sagte Asher, und sein Gesicht wurde noch röter. »Und, Flame? Nennst du mich Little Ash? So nennen mich alle Brüder inzwischen. Viking meinte, es wäre mein Clubname … und … ich mag ihn. Fühlt sich neu an, anders, als wäre ich jemand anders. Asher erinnert mich einfach an …«

»Hab’s kapiert«, unterbrach ich ihn, denn ich wusste, dass ich den Scheißnamen Josiah genauso sehr hasste wie er den Namen Asher, wenn nicht noch mehr.

»Danke«, antwortete Little Ash, und wir schwiegen wieder. Gerade als ich aufstehen wollte, weil ich nicht wusste, was ich noch sagen sollte, meinte Little Ash: »Ich finde die ganzen Motorräder hier echt toll.«

Ich setzte mich wieder aufs Gras und meinte: »Ich bin gut mit Motorrädern. Vor allem Harleys und Choppers.«

Little Ash lächelte mich an und sagte: »AK hat erzählt, du kannst so eine komplett aus dem Nichts zusammenbauen.«

»Stimmt.«

Little Ash senkte den Kopf, hob ihn dann wieder, und sein Gesicht hatte einen neuen Ausdruck. »Würdest du mir eine bauen, Flame? Vike meinte, er würde mir beibringen, wie man fährt, aber dass ich dazu eine Maschine brauche. Er riet mir, mit dir darüber zu reden.«

»Ja, ich kann dir eine bauen«, antwortete ich.

»Eine Fat Boy in Schwarz und Chrom? So wie deine, mit Flammen an der Seite? AK hat mir gezeigt, wie man mit dem Internet umgeht. Ich habe alles über die Maschinen gelesen und wie man sie baut. Ich wollte verstehen, wie du sie in deiner Werkstatt gebaut hast. Und dann hat AK erzählt, dass du die Bemalung auch individuell machen kannst. Er hat mir erzählt, dass du deine Harley gemacht hast.« Er drehte den Kopf weg und sagte: »Ich bin hingegangen und habe sie mir angeschaut, als ich mal nachts nicht schlafen konnte. Und ich habe sie geliebt. Die Flammen und Schädel an der Seite. Das sieht total cool aus, Flame. Also, wenn das geht, möchte ich gern eine haben, die genauso aussieht. Genau wie deine.«

Ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus, und ich sagte rau: »Alles, was du willst.«

»Gut«, antwortete Little Ash und lächelte.

Ich fragte mich stirnrunzelnd, wieso er lächelte, und da fragte er: »Und kann ich zusehen, wenn du sie baust? In dieser Werkstatt, die du hinten hast?«

Ich fragte mich, wieso in aller Welt er das wollte. Doch ich zuckte mit den Schultern und meinte: »Klar. Mir hat noch nie jemand zugesehen, aber … ja, klar.«

»Gut«, sagte Little Ash wieder, und diesmal klang seine Stimme kräftiger. Er riss weiter Grashalme aus. »Und, Flame?«

»Ja?«

»Ich lebe gern bei AK. Ich verstehe, dass du nicht so gut mit Leuten um dich herum klarkommst, außer Maddie. Ich weiß, dass du deinen Freiraum brauchst, aber, was meinst du, ob ich vielleicht so ab und zu mal bei dir vorbeischauen könnte? Nur so, du weißt schon, um ein bisschen mit dir herumzuhängen?«

Ich hatte einen Kloß im Hals bei der Vorstellung, meinen Bruder in meinem Haus zu haben. Meinen Bruder. »Klar.«

Little Ash atmete lang gezogen aus, lehnte sich dann zurück und sagte: »Ich denke … ich denke, hier wird es mir gefallen, Flame. Ich denke, ich … ich denke, es wird mir gefallen, einen großen Bruder zu haben.«

Mein Herz hämmerte wie verrückt, und weil ich nicht wusste, was zum Teufel ich sonst sagen sollte, sagte ich einfach bloß: »Ja.«

Maddie

Ich hatte zugesehen, als Flame Asher gerufen hatte, sich zu ihm zu setzen. Und ich hatte bemerkt, wie sein Rücken sich versteift und er sich mühsam durch eine Unterhaltung gearbeitet hatte. Ich sah zu, und mein Herz füllte sich mit Glück.

»Ich mag diesen Blick von dir, Maddie.« Ich schaute nach links und sah Mae ins Gesicht. Ihre blauen Augen schimmerten, als ich ihre Hand nahm.

»Zum ersten Mal im Leben gefällt es mir, ich zu sein.«

»Wegen Flame?«, fragte Mae.

Ich dachte über ihre Frage nach. »Hauptsächlich, ja. Er hat mich zum Leben erweckt. Doch durch ihn fühle ich mich mehr im Frieden mit mir selbst. Ergibt das Sinn?«

Mae legte die Hand auf ihren leicht gerundeten Bauch und antwortete: »Ich weiß genau, was du meinst.«

Ich hob den Kopf zum Himmel, umarmte seine Weite und sagte: »Ich habe mich nie für einen starken Menschen gehalten. Aber es ist erstaunlich, wie viel innere Kraft man doch hat, wenn ein geliebter Mensch geschwächt ist und es darauf ankommt, dass man ihn unterstützt. Wie viel Mut man aufbringen kann, wenn der geliebte Mensch sich darauf verlässt, dass man ihn auffängt. Und wie viel Glück eine Seele in sich haben kann, wenn man jemanden in sein Herz lässt.«

»Maddie«, hauchte Mae, »das verstehe ich vollkommen.«

Ich lächelte meiner Schwester zu. »Du wirst eine fantastische Mutter, Mae.«

Maes Lächeln verschwand, und sie ließ ein wenig den Kopf hängen. »Glaubst du?«, fragte sie nervös. »Wir hatten nie eine, Maddie. Woher soll ich wissen, wie man eine gute Mutter ist?«

Ich drückte Maes Hand. »Du hattest vielleicht keine Mutter, aber ich schon.«

Mae runzelte die Stirn. »Nein, hattest du nicht, Maddie. Bei dir war es wie bei mir und Bella. Wir haben unsere Eltern nie gekannt.«

»Doch, hatte ich«, widersprach ich. Mae schüttelte protestierend den Kopf. Doch ich unterbrach sie und erklärte: »Ich hatte dich.«

Mae blieb geschockt der Mund offen stehen, und sie flüsterte: »Maddie.«

»Du wirst die beste aller Mütter sein, Mae. Denn du und Bella habt mich mit einem Übermaß an Liebe überschüttet. Damals wusste ich nicht, wie ich meine Gefühle ausdrücken sollte, noch konnte ich euch sagen oder zeigen, wie viel ihr mir bedeutet. Aber jetzt sehe ich es.«

Eine Träne lief langsam über Maes Wange, und sie fragte: »Aber jetzt hast du deinen Weg gefunden?«

»Ja«, antwortete ich und sah Flame zu mir kommen, Asher an seiner Seite. »Auf jeden Fall.«

Als Flame uns erreichte, stand ich auf und streckte die Hand aus. Er nahm sie froh, und ich sah seine Anspannung, weil er nicht bei mir gewesen war, sofort verschwinden.

Asher stand verlegen neben ihm, und ich warf ihm ein Lächeln zu. »Hallo, Asher.«

»Es heißt Little Ash«, korrigierte Flame abrupt. Und als ich ihm ins Gesicht sah, verstand ich wieso.

»Entschuldige, Little Ash«, korrigierte ich mich.

»Alles gut, danke«, antwortete Little Ash schüchtern.

Darauf hob Flame ruckartig den Kopf zu einem jungen Hangman, der gerade vorbeikam. »Du!«, rief er. Der junge Mann erstarrte zur Salzsäule, und als er Flame sah, fielen ihm förmlich die Augen aus dem Kopf. »Komm her«, befahl Flame.

Smiler stand von seinem Stuhl gegenüber im Hof auf und kam zu uns. »Yo, Flame. Was willst du von meinem Cousin?«

Flame starrte den Jungen an und fragte fordernd: »Name?«

»Slash. Ich bin der neue Anwärter«, antwortete der Junge ziemlich nervös.

»Wie alt bist du?«

Der junge Mann wippte auf den Füßen. »Achtzehn.«

Flame zeigte auf Little Ash. »Das ist Little Ash. Du zeigst ihm alles hier. Du passt gut auf ihn auf. Ihr zwei seid die jüngsten hier, und genau so wird es sein.«

Slash wandte sich zu Little Ash und nickte. »Willst du mitkommen, Mann? Ich kann dich herumführen.«

Little Ash antwortete mit einem Nicken und folgte Slash, die Hände in die Taschen seiner Jeans geschoben. Smiler warf Flame kopfschüttelnd einen Blick zu und ging zurück zu den anderen. Dann rief Flame: »Slash?«

Slash drehte sich um, und Flame deutete auf Little Ash. »Er ist mein kleiner Bruder. Wenn du ihm was tust, schlitze ich dir die Kehle auf.«

Slash wurde blass, nickte und machte, dass er wegkam. Als Little Ash den Kopf drehte, um ihm zu folgen, sah ich ein winziges Lächeln um seine Lippen spielen.

Ich drückte mich an Flames Brust, und gerade da kam Lilah auf den Hof. Als sie mich bei Mae stehen sah, kam sie gleich herüber, drückte mich an sich und gab Mae danach einen Kuss auf die Wange.

Hinter uns kam Ky heran.

»Süße«, sagte er lächelnd und zwinkerte seiner Frau zu. Dann blieb er an Lilahs Seite stehen, legte den Arm um ihre Schulter und bog sie nach hinten, um sie zu küssen. Lilah lachte an seinem Mund.

Es dauerte nicht lange, bis Styx neben Mae auftauchte, den Arm schützend um ihre Taille und seine Hand flach auf ihren Bauch legte.

Widerstrebend nahm er die Hand wieder weg und fing an, Zeichen zu geben, und meine Schwester und Ky beteiligten sich an der Unterhaltung. Doch ich schenkte dem keine Beachtung, sondern sah mich im Hof um, betrachtete diese neue, fremdartige Familie, in der ich mich wiedergefunden hatte, und fühlte mich sicher in Flames Armen, die inzwischen um meine Schultern lagen. Dann fiel mein Blick auf das Fenster von Styx’ Apartment. Das Apartment über dem Quartier, in dem ich gewohnt hatte. Und ich erinnerte mich an jene frühen Nächte nach der Flucht aus der Gemeinde, als ich am Fenster saß und hinunterschaute zu den Männern, die meiner Überzeugung nach böse waren.

Alle bis auf einen … der Mann mit den dunklen Augen, der vor meinem Fenster hin und her lief, den Blick auf mich fixiert, während ich die Hand an die Scheibe presste und mir wünschte, ich hätte die Kraft, mit ihm zu sprechen.

Ich drückte einen Kuss auf Flames Arm, und als ich sein Kinn an meinem Kopf ruhen fühlte, beschloss ich, dass es mir gefiel, hier unten zu sein, mein Leben zu leben, eins mit Flames Herzen und geborgen in seiner Umarmung.

Das gefiel mir viel besser.

Wirklich viel besser.