Prolog

»Habt ihr sonst noch jemanden hier draußen getötet?«

Ich sah, wie die kleine schwarzhaarige Braut – Maes Schwester – den Präs fragte, ob wir sonst noch jemanden in dieser gottverfluchten Sektenhölle umgebracht hatten.

Der Präs nickte.

»Wo ist er?«, wollte sie wissen.

Der Präs gab keine Antwort. Mein Kopf fing zu zucken an und meine Haut prickelte, als sie ihre grünen Augen ein wenig zusammenkniff.

»Bitte! Ich muss ihn sehen!«, rief sie. Sie war knallrot geworden, obwohl sie ein blasser Typ war, und ihre Hände begannen zu zittern.

Der Präs deutete in den Wald, und in null Komma nichts flitzte sie zu den Bäumen. Ich biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, als ich sie losrennen sah.

Viking lehnte sich so zu mir, dass er mich gerade noch nicht berührte. Mich fasste man besser nicht an, das wusste er. »Du hast den Wichser zugerichtet, als wärst du Freddy Krueger, stimmt’s, Bruder?«

Ich starrte weiter in die Bäume und sah das Kleid der Braut in der Ferne verschwinden.

»Flame?«, drängte Viking.

Ich knirschte mit den Zähnen, dachte daran, wie ich den Scheißkerl mit meinen Messern durchbohrt hatte, und knurrte: »Den habe ich so richtig geschnetzelt. Dieser Wichser hat es verdient, auf diese Weise zu sterben.«

»Das heißt also ja. Freddy Krueger hat dir ja schon immer imponiert.«

Aber ich gab Viking keine Antwort. Ich sagte nichts darauf, weil die schwarzhaarige Braut sich auf den Weg zurück machte. Den ganzen Weg über beobachtete ich sie. Ich zählte jeden ihrer Schritte, als sie näher kam. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf …

Ich sah, wie ihr Brustkorb sich hob und senkte: Sie atmete schwer. Verdammt schwer. Sie war doch nicht etwa sauer, weil der Typ tot war?

»Schwester?« Mae lief zu ihr hin, aber die grünen Augen der Kleinen waren auf den Präs fixiert.

»Wer hat ihn getötet?«, fragte sie und drängte sich an Mae vorbei. Ihr Gesicht wandte sich einem Bruder nach dem anderen zu, als sie jedem einzelnen in die Augen blickte.

Und ich konnte nichts anderes tun, als sie anzustarren. Ich zuckte und spürte, wie mein Blut zu kochen anfing.

Der Wichser hatte den Tod verdient. Ich hatte einen Mordsständer gehabt, als ich dem Scheißkerl beim Sterben zusah. Ich hatte zugesehen, wie das Leben aus seinen Augen gewichen war. Ich hatte sein Blut fließen sehen. Und ich hatte es geliebt.

Und dann kam sie bei mir an. Die zierliche Braut stand vor mir, sie war viel kleiner als ich, und diese großen grünen Augen blickten genau in meine. »Warst du es?«, fragte sie.

Das Blut rauschte schneller durch meine Adern, und ich nickte. »Ja, ich habe den Kerl kaltgemacht«, spuckte ich aus.

Ich versteifte mich und meine Muskeln zuckten, als ich darauf wartete, dass sie den Scheißkerl verteidigte. Dass sie mir erzählte, ich wäre böse, im Irrtum und ein Mörder – alles lauter Mist, den ich schon wusste.

Aber noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, kam ein Aufschrei aus ihrer Kehle, und sie machte einen Satz und warf die Arme um mich. Mein Herz donnerte los wie eine verdammte Kanone, und meine Hände ballten sich zu Fäusten und schossen in die Höhe, als ihre Hände meine Haut berührten.

Niemand durfte mich anfassen. Keine verdammte Berührung von niemandem. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, zählte ich und wartete darauf, dass ich ihr wehtat. Ich wartete auf den Schmerz … acht, neun, zehn, elf … Mein Blick huschte nach unten, als ich bei elf ankam, und ich rechnete damit, ihren Schmerz zu sehen.

Elf.

Aber sie blieb unverletzt.

Elf.

Ich war über elf hinaus.

Ihre Arme umschlangen meine Taille noch fester, und ich schaute geschockt nach unten. Ich sah ihr dichtes schwarzes Haar. Ich sah, wie ihr Rücken sich mit ihren Atemzügen hob und senkte.

»Danke«, wisperte sie und drückte ihre Wange an meine Brust. »Ich danke dir vielmals.«

Mir fror buchstäblich die Lunge ein, als sie mir dankte. Doch ich begriff es nicht. So wie immer. Ich kapierte absolut gar nichts.

Wieso tat ihr meine Berührung nicht weh?

Wieso dankte sie mir?

Dann umklammerten ihre Arme mich noch fester, und ich wollte ihren Rücken berühren. Verdammt, ich wollte sie wirklich anfassen.

Mein Herz hämmerte immer noch vom Rausch des Tötens, meine Ader am Hals pochte, und ich machte die Augen für einen Moment zu. Ich zwang meine Arme nach unten, atmete tief durch und drückte die Hände auf ihren Rücken. Als ich ihr Kleid berührte, holte ich tief Luft und spürte, wie ihr Körper unter meinen Handflächen zuckte.

Fast ließ ich sie wieder los, denn es machte mich wahnsinnig, sie in meinen Armen zu spüren. Aber das war schnell vorbei, als ich etwas Nasses auf meiner Brust spürte, auf meiner Haut, und sie schluchzte: »Du hast mich befreit. Du hast mich von ihm befreit.«

Bei ihren Worten kniff ich die Augen wieder zu. Mein Herz jagte los, doch das Lodern in meinem Blut, die Hitze in meinem Körper – war eingedämmt.

Die Flammen würden nie aufhören zu lodern.

Die brannten bis in alle verdammte Ewigkeit.

Aber bei ihr …

Ich wollte sie fester halten.

Ich wollte sie enger an mich drücken, doch da nahm sie die Arme von mir und wich zurück.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, als ich sie zurückweichen sah, und dann, bevor sie ihre Schwestern erreichte, drehte sie sich zu mir um und fragte: »Wie heißt du?« Ihre Stimme bebte, als hätte sie Angst. Aber sie ließ mich nicht aus den Augen. Ihr Blick brannte sich förmlich in meine Augen und ließ mein Herz hämmern.

Und ich dachte an diese Frage. Wie ich heiße …

»Flame«, antwortete ich und verdrängte meinen anderen Namen ganz weit aus meinem Gedächtnis – den Namen, den ich nicht ertragen konnte.

Ich erstarrte, als sie den Blick senkte und lächelte. Meine Fingernägel gruben sich in meine Handfläche, also konnte ich auch versuchen, bei diesem Lächeln ruhig zu bleiben. »Ich werde dir ewig dankbar sein, Flame. Ich stehe für immer in deiner Schuld.«

Ich stieß die Luft aus, als sie sich umdrehte und davonging, doch ich konnte nicht aufhören, sie anzusehen.

Mein Blick fiel auf meine Hände, und ich starrte auf meine Handfläche. Ich hatte sie berührt. Ich hatte sie berührt, und ich hatte ihr dabei nicht wehgetan.

Dann wurde es mir schwer ums Herz. Denn die Flammen loderten immer noch unter meiner Haut. Ich konnte sie fühlen. Und wenn ich sie noch einmal anfasste, tat ich ihr vielleicht weh.

»Fuck, bist du in Ordnung, Mann?« AK stand vor mir. Er stand zwischen mir und der schwarzhaarigen Kleinen.

Ich hob die Hände, Handflächen nach oben. »Ich habe sie angefasst«, flüsterte ich. »Ich habe sie echt angefasst.«

AK nickte. »Ich weiß, Bruder. Geht’s dir gut? Du drehst jetzt aber nicht durch und gehst auf sie los, oder? Spielst nicht mit dem Gedanken, ihr die Kehle durchzuschneiden?«

Ich ging einen Schritt zur Seite, schaute über AKs Schulter und fragte: »Wie war ihr Name? Was hat Mae noch mal gesagt, wie sie heißt?«

AK warf auch einen Blick hinter sich und meinte: »Maddie, glaube ich.« Er holte tief Luft. »Ja, Maddie.«

Maddie, dachte ich und flüsterte dann hörbar ihren Namen. »Maddie …«

Wenige Stunden später kehrten wir zur Basis zurück, wo die Brüder aus den anderen Staaten zusammen mit den meisten aus unserem Club die Nacht durch tranken und vögelten. Doch ich hatte bloß noch Augen für Maddie. Ich konnte nur sie am Fenster von Styx’ Apartment sehen, wo sie Position bezogen hatte. Ich trank nicht und rauchte nicht, sondern sah zu, wie sie am Fenstersims saß und mich ihrerseits beobachtete.

Ich tigerte unter ihrem Fenster hin und her, bis AK und Viking mich nach Hause zu meiner Hütte schleppten. Doch ich bekam sie nicht aus meinem Kopf, verdammt. Im Geiste sah ich die ganze Zeit nur grüne Augen und lange schwarze Haare. Und ich fühlte ihre Arme um meine Taille.

Ich packte meine Messer, stürmte durch die Tür und rannte den ganzen verdammten Weg zurück zum Quartier. Ich brach zwischen den Bäumen durch und rannte, bis ich am Fenster von Styx’ Apartment ankam … und blieb dann wie angewurzelt stehen.

Maddie saß noch immer an dem verdammten Fenster.

Mein Herz hämmerte los, als ich sie anstarrte.

Dann schaute sie nach unten und starrte mich an.

Ich sah, wie ihr der Mund offen stehen blieb.

Ich sah, wie ihre grünen Augen groß wurden.

Ich sah, wie sie die Hand an die Scheibe presste.

Und ich sah, wie ihre Lippen formten: »Flame …«

Ich umklammerte die Messer an meiner Seite und stürmte vorwärts. Ich fing an, vor ihrem Zimmer hin und her zu tigern. Denn niemand würde je wieder in ihre Nähe kommen. Keiner würde ihr je wieder wehtun. Und wenn doch, würde dieser Jemand sterben.

Sterben unter meinen verdammten Klingen.

Denn sie gehörte mir.

Die schwarzhaarige Kleine namens Maddie war mein.