Kapitel 1

Flame

Heute …

Nein. Nein. NEIN!

Ich rannte über den Kiesweg zu meiner Hütte und konnte die verdammten verkorksten Gedanken einfach nicht aus meinem Kopf bekommen. Die haben sie. Die werden ihr wehtun.

Ich trieb meine Beine härter an. Die Muskeln protestierten vor Schmerz, immer noch geschwächt von den Wochen, die ich ans Krankenhausbett gefesselt verbracht hatte, aber ich musste zu Maddie. Sie brauchte mich, um die aufzuhalten. Sie brauchte mich, damit ich die davon abhielt, ihr auch wehzutun.

Ich hatte eine Kugel für sie abgefangen. Als Lilah nach ihrer Rettung aus der Gemeinde durchgedreht war und aus Versehen die Waffe in ihrer Hand abgefeuert hatte – die direkt auf Maddie gerichtet gewesen war –, hatte ich sie in Sicherheit bringen müssen. Ich hatte ihr das Leben retten müssen.

Doch es war alles umsonst, denn jetzt hatten die sie in dieser Kirche.

Ich kam zu meiner Hütte, riss die Tür auf und stürmte ins Wohnzimmer. Auf dem Tresen lagen die Schlüssel zu meiner Maschine; ich nahm sie an mich und rannte raus zum Motorrad.

Als ich den Ständer hochkickte, sah ich Viking und AK den Hügel runter auf mich zurennen. Sie schrien mir zu, ich solle anhalten, aber ich konnte nicht. Ich musste zu Maddie. Ich konnte sie nicht dort lassen, bei diesen Leuten.

Nicht sie.

Nicht Maddie.

Nicht meine Maddie!

Der Hinterreifen schlitterte auf dem Kies, als ich wie ein Berserker auf die Schotterstraße raste. Ich hörte ein Motorrad, das mir in der Ferne folgte, doch ich hielt nicht an. Die Worte von Kys Braut bohrten sich in mein Hirn.

Maddie ist in der Erlöserkirche … Sie geht schon seit einer Weile dorthin. Wir alle.

Ich fuhr schneller. Ich wusste nicht, ob ich zu spät kam. Aber ich wusste, wenn ich nicht hinfuhr, konnte es zu spät sein. Die würden sie zum Schreien bringen. Und ich konnte sie nicht schreien hören. Schreien konnte ich nicht ertragen. Es brachte mein Blut in Wallung, die Flammen unter meiner Haut zum Lodern und ging mir nicht aus dem Kopf.

Meine Hände am Lenker der Harley zitterten, während ich mir alle Mühe gab, nicht vor lauter Wut zu explodieren. Ich dachte an Maddies grüne Augen. Ihre blasse Haut. Ihr langes schwarzes Haar. Und dann sah ich sie in meiner Vorstellung nur noch voller Blut, zu Boden gedrückt und verletzt vor mir. Und ich konnte sie im Geiste schreien hören. Ich konnte diese grünen Augen weit aufgerissen sehen, konnte sie weinen sehen, während man sie fesselte. Während all die Leute in der Kirche sie festbanden und ihr Schmerzen zufügten.

Und ich konnte sie nicht retten. Konnte es beim besten Willen nicht. Ein Mensch mehr … noch ein Mensch, der mir genommen wurde. Weil ich nicht da war, um sie zu schützen.

Ich umklammerte den Lenker meiner Harley und ließ einen Schrei aus meiner lädierten Kehle. Und ich trieb die Maschine immer härter, bis ich die Straßen der Innenstadt erreichte. Ich fuhr über jede rote Ampel, raste durch jede Straße, jede Kreuzung.

Dann noch zweimal rechts und das Scheißding kam in Sicht.

Weiß.

Prachtvoll.

Ein gottverdammtes Haus des Bösen, verkleidet als gut.

Die Erlöserkirche.

Und da drin war meine Maddie.

Schlitternd kam ich davor zum Stehen und stieg von der Maschine. Meine Stiefel trafen auf den Asphalt, und ich kämpfte gegen das Hämmern in meinem Kopf an, weil ich dieser Scheißhölle so nahe war. Ich hatte immer noch die Medikamente aus dem Krankenhaus im Blut, aber mir blieb keine Wahl, als das durchzuziehen.

Ich schaute auf meine offenen Handflächen: Meine Hände zitterten, und meine Beinmuskeln verkrampften sich. Und als wäre ich ein verdammtes Weichei, blickte ich die steilen weißen Stufen hinauf und konnte mich nicht vom Fleck rühren.

Und dann sah ich ihn, vor meinem inneren Auge, wie er vor mir stand und mir befahl, zur Kirchentür zu gehen. Ich sah den kalten Blick seiner Augen, als er auf mich herabsah, die Lippen voll Abscheu verzogen.

Sünder. Ein Sünder bist du, Junge, zischte er. Die Erinnerung war viel zu echt, und mir rutschte das Herz in die Hose. Du musst dein Blut von den Flammen reinigen. Du musst deine finstere Seele vom Bösen reinigen.

Ich schnappte nach Luft und musste mich am Sattel meiner Maschine festhalten, weil ich dachte, meine Beine würden unter der Erinnerung einknicken. Ich wollte der Erinnerung nicht nachgeben. Ich wollte nicht dorthin zurück. Ich wollte sein verdammtes Gesicht nicht in meiner Erinnerung sehen. Aber was ich wollte, war einen Scheiß wert. Weil er immer da war. Er erwischte mich immer. Er ließ mich nie in Ruhe.

Hinter mir war das Dröhnen einer anderen Harley zu hören, und ich ließ die Hände sinken. Ohne nach hinten zu schauen, wusste ich, dass es AK und Viking waren. Sie würden versuchen, mich aufzuhalten. Ich wusste es, weil sie nicht begriffen, was hinter diesen Holztüren passieren würde, wo niemand es sehen konnte.

Ich richtete mich auf und starrte wieder hoch zur Kirche. Ich zwang meine Beine, sich zu bewegen, und ging zum Fuß der steilen Treppe. Aber weiter konnte ich nicht. Ich wollte meine Beine weiter zwingen, diese erste verdammte Stufe hinauf, doch sie wollten nicht. Sie gehorchten nicht. Ich Weichei hatte zu viel verdammte Angst, mich dem zu stellen, was hinter diesen Türen war.

Ich senkte den Kopf und schlug mir mit dem Handballen an den Schädel. »Mach schon!«, befahl ich mir. »Beweg dich, du verdammtes Weichei!«

Aber ich konnte die Stufen nicht hochsteigen. Also tigerte ich auf dem Gehweg hin und her. Ich lief vor und zurück, vor und zurück, und mein Kopf war viel zu voll. Beschissene Bilder im Kopf. Warnschreie im Hirn.

»Die werden Maddie wehtun. Die tun Maddie weh«, sagte ich mir vor. Und die Flammen in mir brannten noch heißer.

Ich rang nach Luft, während ich immer schneller hin und her tigerte und wieder Maddies Gesicht in Gedanken vor mir sah.

Ich würde sie da verdammt noch mal rausholen, koste es was es wolle.