3. Ein kleiner Liebeszauber
Malia war es leid, ihrem Kunden jeden Satz aus der Nase zu ziehen. Aber oft genug war sie dabei gewesen, wenn jemand das erste Mal eine Zauberin aufsuchte und erst seine Hemmungen überwinden musste, und sie hatte erlebt, wie geduldig und mitfühlend ihre Mutter stets gewesen war. Sei wie Kalissa, befahl sie sich. Ihre Mutter hätte ihn nicht gedrängt. Sie hätte Verständnis dafür gehabt, wie schwer es war, seine Sehnsüchte preiszugeben, Versagen einzugestehen, menschlich zu sein.
»Setzt Euch«, sagte sie; trotz ihrer guten Vorsätze kam es etwas zu schroff heraus. »Bitte schön. Ich kann Euch kalten Tee anbieten. Wir können gerne ein wenig plaudern, bis Ihr Euch traut, zur Sache zu kommen.«
Der Mann sah sich in dem vollgestopften Raum um. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte Malia hier nicht mehr aufgeräumt. In jenen Tagen hatte sie alles durchwühlt, um eine Arznei zu finden, die die Übelkeit abklingen ließ, den Durchfall stoppte, die Schmerzen linderte. Die Schränke standen noch offen. Flaschen und Säckchen mit trockenen Kräutern, Krüge voll Pulver und Knollen standen und lagen überall, auf dem Boden, dem Tisch, der schmalen Liege, wo Kalissa ihre Untersuchungen durchgeführt hatte.
»Ähm, machen wir doch ein bisschen Platz.« Hastig schob Malia die Gläser beiseite und legte einen hölzernen Schemel frei. Bei allen gnädigen Göttern, sie musste hier unbedingt Ordnung schaffen. Was sollte dieser Kerl über sie denken? Dass in der Südstadt alle in solchem Schmutz und einem so überbordenden Chaos lebten? Es hatte seinen Grund, warum sich nur selten jemand aus der Nordstadt hierher verirrte.
»Danke.« Er setzte sich und knetete seine Hut.
»Habt Ihr Euch den besorgt, um nicht aufzufallen?«
»Ist mir das wohl gelungen?«, fragte er besorgt. »Ich musste ein paar Mal fragen, um dieses Haus zu finden.«
»Das nächste Mal solltet Ihr andere Schuhe anziehen. Und Eure Hände verstecken. Und wenn Ihr sprecht … Nein, am besten sagt Ihr gar nichts.«
Er blickte sie erschrocken an.
»Aber immerhin seid Ihr hier.« Mach es ihm nicht so schwer, schalt die Stimme ihrer Mutter. Er hat Angst. Er hat Mut bewiesen, herzukommen, und viel ist nicht mehr davon übrig. Sei gnädig. »Ihr seid … verliebt?«, fragte sie vorsichtig.
»Ja«, antwortete er heiser. »Kannst du … gibt es irgendetwas …?« Er riss ein Stück von der Krempe des Hutes ab und betrachtete es fassungslos.
Fasziniert beobachtete Malia, wie sein Gesicht sich veränderte, wie für einen Moment eine Qual sichtbar wurde, die sie berührte. Die Adligen in ihren Schlössern kamen mit derselben Verzweiflung hergekrochen wie die Ärmeren.
»Weiß sie es?«, fragte sie. »Habt Ihr es ihr gesagt? Es sozusagen auf die konventionelle Art versucht?«
»Ich habe nie den Mut dazu gefunden.«
»Liebeszauber funktioniert anders, als die meisten denken. Ich kann Euch ein Mittel anrühren und ein paar Formeln darüber sprechen, aber im Grunde verstärke ich nur das, was bereits da ist, versteht Ihr?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Ich verhelfe der wahren Liebe zu ihrem Recht. Daher kann ich nur etwas für Euch tun, wenn irgendeine Verbindung von Euch zu diesem Mädchen besteht. Wenn sie bereits ein Auge auf Euch geworfen hat, sich aber nicht traut, das zu gestehen. Oder, wenn Ihr verheiratet seid und Eure Liebe sich abgekühlt hat, kann ich dafür sorgen, dass verlorengegangene Gefühle wieder aufflammen. Wenn Ihr eine Braut habt, die sich ziert, kann ich Euch dazu verhelfen, dass ein Bund, der um der Vernunft willen geschlossen wurde, sich in Leidenschaft und Glück verwandelt. Aber ich kann niemanden dazu bringen, sich in Euch zu verlieben, der nichts von Euch weiß oder Euch nicht wenigstens heimlich Aufmerksamkeit geschenkt hat.«
Der Fremde dachte darüber nach. »Eben das weiß ich nicht«, sagte er leise. »Ob … sie mir Aufmerksamkeit schenkt.«
»Und Ihr wollt sie auf keinen Fall fragen.«
»Nein.«
Malia seufzte. »Dann kann ich Euch nichts versprechen. Ich kann Euch etwas geben, aber möglicherweise wird es Euch überhaupt nichts nützen.«
»Aber ich hätte Gewissheit, oder?« In seiner Stimme schwang seine ganze Verzweiflung mit. »Wenn nichts passiert, dann weiß ich wenigstens Bescheid.«
Malia nickte. Lieber brachten die Leute den Mut auf, herzukommen, als den Mut, einem anderen Menschen ihre Liebe zu gestehen. Als wenn dieser Umweg das Risiko einer Abweisung hätte ausschalten können!
Sie stand auf und wühlte sich durch das Chaos im Zimmer.
»Soll ich mithelfen?«, fragte er kläglich.
»Ich finde hier nichts … Aber Ihr müsstet sowieso noch einmal wiederkommen. Bis dahin sollte ich das hier im Griff haben.« Sie schüttelte den Kopf über sich selbst.
»Ich muss wiederkommen? Geht es nicht auch anders? Sofort?«
»Wenn Ihr eine ganz bestimmte Frau von Euren Qualitäten überzeugen wollt, dann schon. Dazu müsste ich jedoch mehr über sie wissen. Es wäre hilfreich, wenn Ihr mir etwas von ihr bringen könntet – eine Haarsträhne, ein Schmuckstück, das sie auf der Haut trägt.«
»Das kann ich nicht«, sagte er mit belegter Stimme.
»Hm. Oder ich könnte Euch etwas geben, das man auf die Haut aufträgt und das Eure Anziehungskraft verstärkt. Aber das würde alle Mädchen anlocken, die Euch schon immer attraktiv fanden. Wohlgemerkt, nur die. Und es wirkt nur auf einer rein körperlichen Ebene. Es wird keine harten Herzen aufbrechen.«
Seine Miene hellte sich auf. »Aber dann würde ich sehen, ob diese spezielle Person dabei ist?«
»Damit wäre Euch schon gedient? Effektiver ist es in jedem Fall, wenn ich etwas anmische, was auf das Mädchen, das Ihr liebt, abgestimmt ist. Etwas, das einem hilft, die wahre Natur versteckter Gefühle zu entdecken. Falls sie diese Gefühle hat, wohlgemerkt.«
Der junge Mann runzelte die Stirn. »Dein erster Vorschlag gefällt mir schon ganz gut.«
Malia fischte einen Krug unter einem Haufen Bücher hervor, öffnete den Deckel und schnupperte daran. Sofort erfüllte ein lieblicher Duft das ganze Zimmer.
»Es ist noch gut, allerdings … Dann brauche ich noch … Wartet einen Moment.« Sie kramte in einer anderen Ecke herum, bis sie die Kräutersäckchen gefunden hatte, die sie für den Zauber benötigte. »Möglicherweise werdet Ihr Euch vor Verehrerinnen kaum retten können.«
»Ich muss es wissen. Nur das zählt.«
Malia gab ein paar Tropfen des Öls in ein leeres Fläschchen und fügte eine Handvoll Kräuter hinzu. »Es kann passieren, dass Ihr die Verbundenheit zu einem anderen Mädchen entdeckt. Dieser Zauber ist in gewisser Weise unberechenbar. Die Geschichte kann ganz anders ausgehen, als Ihr glaubt. Dann beschwert Euch nicht bei mir.« Sie schüttelte das kleine Gefäß sorgfältig, zog den Korken wieder heraus und gab durch einen Trichter ein rötliches Pulver hinzu. Das Öl schien aufzubrennen. Glühendes Rot durchzog es in Schlieren, während das Pulver sank.
Der Mann beobachtete die Prozedur fasziniert. Nein, nicht fasziniert – ängstlich, korrigierte sie sich.
Leise begann sie zu singen. Es sind nicht die Worte, hatte Kalissa ihr stets eingeschärft. Es ist die Haltung, die Offenheit des Herzens, die Hingabe an den Kreislauf des Lebens, an all das Schöne in der Welt.
»Sing, oh sing von den Acht.
Von Abend und Morgen,
von Blüten und Schnee,
von Herbst und Frühling,
von Tag und von Nacht.
Sing, oh sing von den Acht.
Von Hako und Gowin,
von Sommer und Frucht;
Jarinder, dem Frühling,
der den Neuanfang sucht.«
Die dunklen und die zwielichtigen Götter ließ sie bei dieser Art von Zauber stets weg. Kalissa mochte glauben, dass es nicht auf die Worte ankam, aber das tat es durchaus. Es war nicht nur die Melodie. Es waren das Licht und die Wärme und die Hoffnung. Liebe gedieh in der Wärme, nicht in winterlicher Kälte oder dem Versteckspiel von Masken oder der Jagd.
»So.« Sie drückte ihm das Fläschchen in die Hand. »Ihr müsst Euch damit einreiben. Es wird Euer eigenes Herz in Wallung bringen und hoffentlich auch das Eurer Angebeteten. Ich empfehle Euch, es kurz vor der Begegnung mit ihr anzuwenden, um nicht aus Versehen andere Verehrerinnen anzulocken, auf deren Zuneigung Ihr keinen Wert legt.«
Er nickte. Nun hatte er es eilig, fortzukommen. Sie öffnete ihm die Tür, und er stolperte durchs Wohnzimmer und hastete die dunkle Stiege hinunter.
Malia seufzte. In seiner Panik hatte der Adlige seinen Hut vergessen.
Ihr Vater spähte ins Zimmer. »Dem brannte es aber mächtig unter den Fußsohlen. Der arme Kerl. Wie viel hat er dir gegeben?«
Sie schlug sich vor die Stirn. »Er hat vergessen zu bezahlen. Er war wohl zu nervös.«
»Und du auch«, stellte Nio fest. »Nun ja, macht nichts. Dann kann dir auch niemand vorwerfen, dass du ohne Lizenz zauberst.«
»Oh doch. Auch wenn ich kein Geld einnehme, könnte ich schließlich schlimme Dinge anrichten.«
»Wenn er so krank war, wie er aussah, kann es wohl kaum schlimmer werden.«
»Er war nicht krank. Bloß verliebt.« Sie wurde bleich. »Bei den tausend Göttern, ich habe alles vergessen! Ich habe ihn nicht mal gefragt, ob er verheiratet ist – oder die Frau, die er haben will. Auf diese Weise kann man Ehen und Leben zerstören, hat Mutter immer gesagt. Und er hat mir garantiert nicht alles erzählt. Vielleicht ist seine Angebetete verheiratet, vergisst durch den Zauber ihren Gatten und wird sich diesem schönen Prinzen, oder was auch immer er ist, an den Hals werfen und die Sache endet mit einem tödlichen Duell.« Malia ließ sich auf den Hocker sinken, auf dem der unglückliche Kunde gesessen hatte.
»Dein erster Fall«, meinte ihr Vater nachsichtig. »Es wird schon nicht in einer Katastrophe enden, glaub mir. Die Götter sind mit den Liebenden. Und mit dir. Vor allem, wenn man mit reinem Herzen zu helfen versucht.«
Es hatte diesen Augenblick gegeben, kurz, aber intensiv, in dem sie mit dem armen Verliebten gefühlt hatte. In dem seine Sehnsucht ihre Sehnsucht gewesen war. Und wenn es klappte, wenn er und die Frau, die er liebte, tatsächlich auf diesem Weg zueinanderfanden, würde sie auch einen Teil ihres Glücks abbekommen.
Ihr Vater sah sie erwartungsvoll an, als würde sie schon jetzt gleich zu tanzen und zu singen anfangen.
»Ich muss aufräumen«, sagte sie.
»Dabei kann ich dir nicht helfen.« Kopfschüttelnd betrachtete er das Durcheinander und schauderte. Unordnung war für ihn kral
; er konnte sich nicht einmal nach einer zerbrochenen Tasse bücken. Malia hatte das lange nicht verstanden, bis ihre Mutter mit ihr über das Unsagbare gesprochen hatte. Und ihr gleichzeitig das einzige Rezept dagegen anvertraute: Wende dich ab. Denk nicht daran. Mach deinen Geist frei von kral
und fülle ihn mit Gesang.
Sing oder schweig,
triff die richtige Wahl.
Schweig von kral.
»Geh ruhig, Vater. Ich mach das schon.« Sie seufzte; Götter, es war so viel. »Besser gesagt, ich fange an.«
Er nickte. Ein Leuchten zog über sein Gesicht. »Ja, Malia. Fang an.«