9. Die Ratsversammlung
Die Königin brachte ihre Liebhaberinnen nicht zu einer politischen Versammlung mit. Dass Asati einen Platz in den oberen Rängen der großen Ratshalle besaß, lag nur an ihrem Familiennamen. Sie war eine Wilda. Und die Bank der Familie Wilda war die zweite von oben, links neben den Marmorstufen. Das Holz war schwarz vom Alter, das Wappen derer von Wilda mehrfach in die Rückenlehne eingraviert – ein Greif mit einer Sonne auf dem Haupt und einer Krone in den ausgestreckten Krallen. Die Lehne war hart und unbequem, und die Sitzkissen rochen muffig. Eine Staubwolke waberte unter ihren Oberschenkeln hervor, obwohl Asati sich in weiser Voraussicht äußerst langsam darauf heruntergelassen hatte.
Nicht ihre Vorfahren, jedoch deren Verwandte hatten auf dem Thron von Berrin gesessen. Hier ein Bruder, dort eine Tante. Sie waren kein Zweig am Baum der königlichen Familie Vandi, doch hin und wieder war einer zum Gemahl oder zur Gemahlin des Throninhabers aufgestiegen und hatte das Blut derer von Wilda in den königlichen Brunnen gegossen. Sozusagen.
In den Geschichten waren sie weise Ratgeber und kampferprobte Militärführer gewesen, die rechte Hand von Königen und geschätzte Mitglieder des Stadtrats. In jenem Schreckensjahr des Schnees, zwei Jahrhunderte in der Vergangenheit, als die Lawinen von den Bergen herabgekommen und die Hälfte der Stadt unter sich begraben hatten, waren es die Barone von Wilda gewesen, die ihr Heim für die Verwundeten und die Hungernden geöffnet hatten. Von Mätressen erzählte man den Kindern der Familie nichts – was nicht heißen musste, dass es sie nicht gegeben hatte. Asati stellte sich gerne vor, dass sie nicht die erste und einzige Wilda war, die im königlichen Bett gelandet war, ohne eine Krone zu tragen.
Die gewölbte Decke war bunt bemalt. Die Szenen zeigten die Gründung von Berrin – in dicke Pelze und Leder gehüllte Krieger, die mit Schwertern und Lanzen bewaffnet ins Tal hinunterstürmten, das in die Mitte der großen Kuppel gemalt war. Ihnen traten Wilde entgegen, deren verzerrte Gesichter mit den glühenden Augen und den langen Zähnen mehr bösartigen Ungeheuern ähnelten als richtigen Menschen.
Die meisten Reihen waren mittlerweile besetzt, gedämpftes Getuschel füllte die Halle. Asati, die von ihrem Platz aus den Eingang nicht im Blick hatte, musste warten, bis die Neuankömmlinge den freien Raum vor dem Rednerpult und der Bank der drei Vorsitzenden erreicht hatten und von dort aus die Treppe zu den Rängen in Angriff nahmen. Doch die Stimme ihrer Mutter hörte sie bereits heraus, lange bevor diese den Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte.
Baronin Magala von Wilda schwebte in einem Pulk von Freundinnen und Nachbarinnen herein, strahlend in ihrem weißen Pelzmantel und den bunten Federn im Haar, grüßte huldvoll nach rechts und links und kam dann schnaufend die Treppe herauf.
Natürlich hatte sie sich ein eigenes Sitzkissen mitgebracht. Das muffige Polster, das auf ihrem Platz lag, wischte sie mit der Spitze des Zeigefingers auf den Boden und schob es mit dem Fuß unter die Bankreihe vor ihnen. Erst nachdem sie sich umständlich niedergelassen hatte, richtete sie das Wort an Asati.
»Tochter.«
»Mutter«, sagte Asati.
Magala drehte sich halb zu ihr um und nahm sie genau in Augenschein. »Deine Haut war schon mal besser. Du solltest das Duftwasser benutzen, das ich dir geschickt habe.«
»Die Königin mag es nicht.«
Daraufhin gab die Baronin nur ein empörtes Schnauben von sich. »Du solltest mehr auf dein Äußeres achten. Deine Haare sehen aus, als hättest du mit deiner Zofe gerauft. Und was ist das da an deinen Ohren? So läufst du herum? Wo sind die Ohrringe, die Le-Iva dir geschenkt hat? Die solltest du tragen.«
Asati zuckte wie jedes Mal innerlich zusammen, wenn ihre Mutter die Königin beim Vornamen nannte. Als hätte sie das Recht dazu. Als hätte sie das Recht auf irgendetwas, nur weil Asati das Bett der Königin teilte.
»Was ist mit dem Vorsitz?«
Das war der letzte Auftrag gewesen, den ihre Mutter ihr gegeben hatte – einen der Sitze im Ratssaal für ihre Familie zu ergattern.
»Das ist unmöglich, Mutter, und das habe ich Euch schon beim letzten Mal gesagt. Es gibt drei Vorsitzende. Erst wenn einer von ihnen stirbt, wird die Königin einen neuen Sprecher ernennen.«
»Papperlapapp. Sie ist die Königin. Sie kann ernennen, wen sie will.«
Magala war nicht dumm; sie musste wissen, dass es nicht so einfach war.
»Ich kann absolut nichts tun«, sagte Asati.
»Die Wildas waren einmal wichtig in dieser Stadt. Wir hatten etwas zu sagen. Wir haben die Versammlungen gelenkt und dafür gesorgt, dass die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Dein Vater wartet seit dreißig Jahren auf diesen Sitz, er sollte längst ihm gehören.«
Als das letzte Mal einer der Vorsitzenden gestorben war und ein Ersatz nötig wurde, war Asati noch nicht an Le-Ivas Seite gewesen. Es war ungerecht, ihr die Schuld dafür zu geben, dass die Königin ihre Familie damals nicht berücksichtigt hatte.
»Ich weiß, Mutter. Tut mir leid.«
Magala drückte ihr etwas in die Hand. »Sei vorsichtig damit«, flüsterte sie.
Ein Glasfläschchen. »Gesichtswasser?«
»Sei nicht dumm. Das ist nicht für dich. Für deine sogenannten Freundinnen. Wie heißt sie – Drajina?«
Ihre Mutter tat nur so, als könnte sie sich die Namen der königlichen Mätressen nicht merken, da war Asati sich ziemlich sicher. »Meinst du Gandria oder Vandija?« Die silberblonde Gandria war zurzeit Le-Ivas zweite Favoritin, was der Baronin natürlich ein Dorn im Auge war.
»Was ist das?«, zischte sie. »Ich werde niemanden vergiften!«
»Das ist kein tödliches Gift, Dummerchen. Es sorgt nur für Pusteln. Ich habe es von einem der Zauberer.«
»Nein, Mutter, ich werde gewiss nicht ...« Magala schloss ihre Finger um das Fläschchen.
Die Vorsitzenden nahmen ihre Plätze ein. Links Herzogin Vilja von Rinn, eine grauhaarige Dame in der Uniform einer hochrangigen Offizierin. Ihre Jacke war mit Orden und Bändern geschmückt, einer ihrer Ärmel leer, da sie in der Schlacht am Schwarzen Tor ihren rechten Arm verloren hatte. In der Mitte Herzog Runart von Wassergrund, ein kahlköpfiger feister Mann, der längst zu breit und zu schwer für die Bank der Ratssprecher geworden war. Er hatte seine besten Zeiten längst hinter sich, wie Asati fand, und als Erster würde er gewiss schon bald abgelöst werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit durch Fürst Cario von Jenin, der rechts saß und spätestens innerhalb der nächsten zwei, drei Jahre den mittleren Platz errungen haben würde. Mit Anfang vierzig war er sehr jung für einen Ratssprecher, er war ehrgeizig und skrupellos und jetzt schon einer der engsten Vertrauten der Königin.
Magala musterte ihn mit unverhohlenem Hass. »Vor dem musst du dich hüten, Kind. Er will König werden. Du musst alles tun, um das zu verhindern.«
»König?« Asati unterdrückte ein Lachen. Cario von Jenin war ein attraktiver Mann mit dunklen Haaren, einem sauber gestutzten kurzen Bart und der aufrechten Haltung des ausgebildeten Soldaten. Seit er die Königin vor ein paar Jahren auf ihren Reisen in den Süden und Osten jenseits des Roten Sees begleitet hatte, war er aus ihrer Nähe kaum mehr wegzudenken. »Er wird ganz gewiss nicht König. Le-Iva ist gegen seine Reize immun.«
»Das wird sie nicht daran hindern, die Entscheidungen zu treffen, die ihrem Stand angemessen sind. Sie braucht einen Erben, und das weiß sie. Den könnte Fürst Cario ihr schenken. Sie ist bald zu alt für Kinder. Ihre Zeit läuft ab, sie muss sich beeilen.«
Würde Le-Iva wirklich so etwas tun? Sich für einen Ehemann entscheiden, um die Thronfolge zu sichern? Noch wäre die Königin in der Lage, ein Kind zu bekommen, aber nicht mehr lange. Asati hatte Carios unaufhaltsamen Aufstieg im Rat bisher mit Sorge und leichtem Ärger betrachtet; er war einfach zu gut in allem, was er unternahm. Doch daran, dass er den Platz an Le-Ivas Seite erobern könnte, hatte sie dabei nicht gedacht. Die Vorlieben der Königin waren kein Geheimnis. Würde Le-Iva wirklich eine solche Entscheidung treffen, zum Wohle des Königreichs, auch wenn es ihr missfiel, das Bett mit einem Mann zu teilen?
Ja, sie würde. Asati kannte die Königin gut genug, um das zu wissen. Nicht dauerhaft, nicht öfter als nötig, aber es war denkbar. Sie hatte es schon einmal getan. Sie hatte einen Mann geheiratet und ein Kind von ihm bekommen und dann beide verloren.
»Verflucht«, murmelte sie.
Der Erste Sprecher, Herzog Runart, ergriff das Wort, um die Sitzung einzuleiten. Das hinderte Magala nicht daran, weiter mit ihrer Tochter zu flüstern.
»Du musst schneller sein, Asati. Du musst Le-Iva dazu bringen, dich zu heiraten, bevor er es tun kann.«
»Ich? Ich bin eine Frau. Sie kann mich nicht heiraten.«
»Sie kann die Gesetze ändern, so wie sie will. Der Rat frisst ihr aus der Hand.«
»Mutter. Wenn Fürst Cario es darauf angelegt hat, habe ich keine Chance gegen ihn.«
Die Königin wusste Pflicht und Vergnügen zu trennen. Keine ihrer Mätressen hatte echten politischen Einfluss. Le-Iva überhäufte ihre Mädchen mit Schmuck und Kleidern und wertvollen Geschenken, aber sobald es um ihre Macht ging, wurde die Königin äußerst vorsichtig und wog sorgfältig ab, was sie wem gewährte.
»Natürlich hast du das«, wisperte Magala. »Niemand ist so schön und klug wie du. Du würdest eine wunderbare Königin abgeben.«
»Zwei Königinnen ohne einen Erben?«
»Du bist jung. Du kannst viele Kinder bekommen. Was zählt es, ob sie aus dem Hause Vandi stammen? Es wären die Kinder einer Königin. Du wärst gewiss nicht die Erste, die fremdes Blut auf den Thron bringt.«
Asati hätte die Luftschlösser, die ihre Mutter baute, mit ein paar guten Argumenten rasch einstürzen lassen können, doch die Leute in der Bank vor ihr zischten bereits, daher beschloss sie, lieber ganz auf eine Antwort zu verzichten.
Herzog Runart war in seiner umständlichen Art gerade mit der Begrüßung fertig geworden und übergab das Wort an die Herzogin, die sich erfreulich kurz und knapp zu fassen verstand. Sie peitschte die diversen Tagungspunkte durch, als hätte sie etwas Besseres zu tun als Berriner Stadtpolitik. Ohne zeitraubende Diskussionen folgte eine Abstimmung nach der anderen. Eine leichte Zollerhöhung für Webstoffe aus Groß-Dogat, dafür geringere Steuern für die heimische Schneiderzunft, strengere Regeln, was den dreijährigen Schulunterricht für die ärmeren Schichten aus der Südstadt betraf, wo immer noch viele Familien die Pflicht zu umgehen versuchten, ihre Kinder der Obhut der Schulmeister zu unterstellen. Hierüber hatte es früher häufig Streit gegeben – nicht alle Adligen waren darüber glücklich, dass jeder Bettler lesen und schreiben lernen sollte. Doch irgendwann hatte Königin Le-Iva ein Machtwort gesprochen, und seitdem war die grundsätzliche Frage, ob alle Berriner etwas lernen sollten, entschieden.
Sie war selbst als Kind arm gewesen und hatte nicht gewusst, dass königliches Blut in ihren Adern floss. Der letzte Spross des Hauses Vandi, das letzte Blatt am magischen Baum. Wer wusste schon, welches Bettlerkind sich als wichtig für das Königreich herausstellen könnte?
»Nun kommen wir zum achten Punkt auf unserer ...« Herzogin Vilja unterbrach sich, als die hinteren Türen des Ratssaals aufgestoßen wurden und zehn Soldaten mit Adlerfedern auf ihren Helmen hereinrauschten und sich zu beiden Seiten der Türen aufstellten. Sie stampften mit ihren geschmückten Hellebarden auf den Boden. Dann betrat die Königin den Saal.
Asati war nicht überrascht. Sie hatte gewusst, dass Le-Iva heute die Versammlung besuchen würde. Dennoch war es ein kleiner Schock, ihre Geliebte dort unten zu sehen. Wie jedes Mal, wenn sie die Königin von weitem erblickte, war es zuerst der Prunk, der ins Auge fiel. Heute trug Le-Iva die Uniformjacke mit den goldenen Troddeln und dem golddurchwirkten Kragen, eins ihrer Lieblingsstücke. Die Uniform war echt, sie hatte sie in der Schlacht am Schwarzen Tor getragen, und noch heute konnte man die geflickten Risse, die von einem Schwertstreich herrührten, sehen. Der dunkelblaue Samtrock mit den Perlenschnüren wirkte dagegen elegant und königlich. Wie schaffte sie es, zugleich wie eine Kriegerin und wie eine reiche, arrogante Adlige aufzutreten? Ihr schwarzes Haar hatte sie auf ihrem Kopf aufgetürmt und mit glitzernden Schnüren umwickelt. Sie mochte keine klassische Schönheit sein und es war nichts Liebliches an ihr, aber Asatis Herz machte einen Satz. Für sie gab es keine aufregendere Frau als diese.
»Wir werden angegriffen«, sagte die Königin. Ihre Stimme erklang laut und klar im ganzen Saal. »Der Palast ist ein Ziel. Ich bin ein Ziel. Berrin befindet sich im Krieg.«
Nach dem ersten erschrockenen Schweigen setzte Gemurmel ein. Mit einer Handbewegung brachte Le-Iva die Versammlung zur Ruhe.
»Die Eismönche haben Blut vergossen. Das werde ich nicht länger hinnehmen. Wir haben versucht, im Frieden mit dem Orden zu leben. Damit ist nun Schluss. Sie haben uns den Krieg erklärt, und darauf werden wir antworten.«
Die Königin hatte ihre Ankündigung noch auf der Schwelle gemacht. Nun trat sie ans Rednerpult. Die Herzogin neigte den Kopf und kehrte zu ihrer Bank zurück, wo sie mit Runart zu tuscheln begann.
»Wir werden antworten«, wiederholte Le-Iva. »Wir stehen auf und zeigen ihnen, dass wir auf Gewalt mit Gewalt antworten, dass wir Blutvergießen mit Blutvergießen ahnden und dass wir Spott mit Gelächter begegnen. Der Palast rüstet sich zum Krieg gegen den Orden.« Sie blickte über die Ränge hinweg, in die vielen Gesichter. »Steht Berrin mir zur Seite?«
Asati spürte, wie ihre Mutter sich neben ihr versteifte. »Sie will gegen den Orden kämpfen? Das ist Wahnsinn. Das wird der Rat nicht zulassen. Das darf der Rat nicht zulassen! Sie zieht den Zorn der Götter auf uns alle herab!«
Mit dieser Meinung stand sie nicht allein da. Das Raunen wurde lauter, als die Königin sich umwandte und zu der erhöhten Sitzbank schritt, die stets für sie und ihre engsten Angehörigen und Berater reserviert war. Das Wappen des Königshauses, der Baum Vandi, prangte rot und golden auf der schwarzen Rückenlehne der Bank. Es kam nur zu besonderen Anlässen vor, dass die Königin persönlich an einer Ratsversammlung teilnahm. Sie saß dort allein, ohne Gemahl oder Kinder, ohne Berater oder wenigstens eine Schwester. Asati wünschte sich, neben Le-Iva zu sitzen, ihre Hand auf Le-Ivas Hand zu legen, sie zu drücken zum Zeichen, dass sie da war, dass sie zu ihr hielt, dass sie verstand.
Das tat sie, wenigstens ansatzweise.
Die Furcht, die im Palast umging. Der Mönch, der die blutigen Eisblumen hinterließ. Ein Geist, der lautlos durch die Nacht schlich. Es fühlte sich nicht an wie Krieg, nicht für Asati, die nie einen Krieg erlebt hatte, aber vielleicht war es ganz ähnlich. Die Angst davor, dass der Feind zuschlug. Das atemlose Lauschen in die Dunkelheit. Die Hilflosigkeit und der daraus resultierende Wunsch, die Waffen zu schärfen.
Herzog Runart trat ans Rednerpult und erteilte den Mitgliedern der Versammlung das Wort. Mit dem Redestab zeigte er nacheinander auf denjenigen, der an der Reihe war und sich äußern durfte.
Die Anwesenden waren nicht erfreut. Im Gegenteil. Vor der Königin wagten sie nicht, offen zu sprechen – sie verhüllten ihre Ablehnung in blumige Worte, aber der Tenor war klar. Berrin wollte keinen Krieg. Berrin wollte nichts mit den Eismönchen zu tun haben, und erst recht wollte Berrin sie nicht noch mehr verärgern als ohnehin schon.
»Wenn die Götter ihre Boten schicken, haben sie ihre Gründe«, sagte eine Gräfin aus den vorderen Bänken. War das nicht die Gräfin von Krawin, eine Freundin von Asatis Mutter? »Wir mögen diese Gründe nicht immer nachvollziehen. Damit will ich keineswegs sagen, dass ein Fehlverhalten vorliegen würde. Ich behaupte nicht, der Palast habe den Gott des Eises beleidigt. Doch die Götter verstehen unsere Worte oder unsere Taten nicht unbedingt so, wie wir sie gemeint haben. Da bleibt uns nur, um Vergebung zu bitten. Vielleicht ist sogar das eine oder andere Opfer nötig, um den Gott wieder gnädig zu stimmen.«
Zustimmendes Gemurmel ertönte, nur unterbrochen von Le-Ivas lautem Gelächter. »Gnädig?«, rief sie. »Keioron ist nicht gnädig. Niemals. Weder zu seinen Feinden noch zu seinen Anhängern. Wir werden nicht vor seiner abscheulichen Fratze auf die Knie fallen.«
Man konnte hören, wie sämtliche Zuhörer die Luft anhielten.
»Eure Majestät«, sagte der Herzog und schluckte. »Das ist Blasphemie.«
Die Königin stand auf. »Blasphemie? Der Gott des Eises erwartet ... was? Huldigung? Geschenke? Gebete? Er hat uns den Krieg erklärt, und ich nehme die Herausforderung an. Wir spucken ihm vor die Füße. Steht Berrin auf meiner Seite?«
»Ah, Eure Majestät.« Herzog Runart verneigte sich, doch er wirkte entschlossen. »Ihr habt die Versammlung gehört. Ihr habt die Meinung des Adels zu Eurem Vorhaben vernommen. Wir stehen zu Euch, unserer Königin, doch gegen einen Gott in den Krieg zu ziehen, das ist der Anfang vom Ende. Ich fürchte ...«
»Steht Berrin auf meiner Seite?«, fragte die Königin mit lauter Stimme. »Steht meine Stadt hinter mir?«
»Wir führen jetzt die Abstimmung durch«, sagte der Herzog. »Wer dafür ist, möge aufstehen.«
Bleierne Stille lag über dem Saal. Als Tochter hatte Asati kein eigenes Stimmrecht; das besaßen ihre Mutter und ihr Vater. Ungeduldig stieß sie Magala mit dem Ellbogen an. »Wollt Ihr nicht endlich aufstehen, Mutter?«
»Das ist Wahnsinn«, zischte die Baronin. »Gegen die Götter selbst? Die Königin ist verrückt. Das ist das Ende des Hauses Vandi. Geistige Umnachtung und Verwirrung.«
»Ich habe etwas zu sagen.« Fürst Cario war aufgestanden – als Einziger im ganzen Saal. »Es ist keine Abstimmung nötig, wenn das Kriegsrecht erklärt wurde. Und Berrin wurde, wie Ihr alle gehört habt, der Krieg erklärt.« Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Dafür gibt es zahlreiche Zeugen. Der Palast und unsere Königin persönlich wurden vom Feind angegriffen. Keiorons Orden ist gegen uns in die Schlacht gezogen. Die Konsequenzen daraus sind eindeutig und gesetzlich vorgeschrieben: Mit sofortiger Wirkung ist der Sprecherrat von seinen Aufgaben entbunden. Die alleinige Befehlsgewalt liegt bei der Krone. Die Maßnahmen, die gegen den Feind zu treffen sind, stehen in Kriegszeiten nicht zur Abstimmung, sondern unterliegen der Autorität der obersten Befehlshaberin.« Er trat vor und verneigte sich vor Le-Iva. »Eure Majestät. Die Ratsversammlung ist hiermit aufgelöst. Die Schatzkammer ist zu Eurer Verfügung geöffnet. Berrin steht hinter Euch.«