13. Asatis Kummer
Es kam selten vor, dass Asati den Palast zu Fuß verließ. Doch heute mochte sie sich in keine der vornehmen Kutschen setzen, um sich in eins der hell erleuchteten Häuser bringen zu lassen, in dem die Adligen sich die Zeit mit Essen und Trinken vertrieben. Mit gesenktem Kopf trat sie durch das Tor, das die Wächter für sie öffneten, und vergrub die kalten Hände in den Taschen.
Es fühlte sich fast an, als wollte sie weglaufen. Aber das war unmöglich – wohin hätte sie gehen sollen? Sie ertappte sich dabei, dass sie sogar die gewöhnlichen Huren beneidete, weil sie aufhören konnten, wenn sie genug hatten; jedenfalls wollte sie das in diesem Moment glauben. Als Mätresse der Königin hatte sie diese Möglichkeit nicht. Der Herrscherin konnte sie nicht befehlen, sie in Ruhe zu lassen. Und sie darum zu bitten? Le-Iva in die Augen zu sehen und zu sagen: »Ich will nicht mehr?« Unmöglich.
Vielleicht würde die Königin sogar nicken und mit ihrer kühlen, arroganten Stimme sagen: »Wenn du meinst«, und sie nie wieder zu sich rufen.
Aber wollte sie das denn? Könnte sie das ertragen – Le-Iva nie wieder zu sehen, höchstens von ferne?
Wütend stapfte sie durch den Schnee.
Nein, im Gegenteil. Sie wollte die Königin für sich. Für sich alleine, ohne die anderen Mädchen, die Le-Iva ebenso wenig bedeuteten wie Asati. War sie nicht die Schönste von allen? Nein, zugegeben, das war sie nicht. Meree war so hübsch und süß, Vandija konnte man nur verehren, und Gandria ... oh Götter, jede von ihnen war einzigartig und liebenswert. Jede hatte ihre eigenen Hoffnungen. Jede empfand etwas für Le-Iva, auf ihre Art. Sie schienen die Aufmerksamkeit der Königin, die Geschenke und das luxuriöse Leben zu genießen, doch war es genug für sie? Asati hatte keine Ahnung, da sie niemals darüber sprachen. Es würde die Freundschaft zwischen ihnen für immer zerstören, wenn sie damit anfingen, in einander eine Bedrohung zu sehen.
Nach ihrer ersten Nacht mit der Königin hatte Asati doch tatsächlich gedacht, sie wäre etwas Besonderes. Ihre Eltern hatten sie herausgeputzt und mit auf den Empfang genommen. Der Ball, ihr erster Auftritt in den adeligen Kreisen, war so aufregend gewesen wie nichts zuvor. Die Musik, die Frauen in ihren aufwändigen Roben, die Männer in Gehröcken oder Uniform. Glänzende Degen, raschelnde Stoffe. Asati hatte sich an ihre Cousine Odiane gehalten, für die es bereits der zweite oder dritte Ball war. Flüsternd und kichernd hatten sie an der Seite gestanden und das Treiben beobachtet. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass die Königin nach schönen Frauen Ausschau hielt, sondern sich gedacht, dass sie einen heimlichen Liebhaber hatte. Darüber hatte sie schon öfter mit ihren Freundinnen getuschelt. Welche Königin würde so lange Witwe bleiben und sich nicht zumindest ein bisschen trösten lassen?
»Man nennt sie die Königin der Tränen«, wisperte Odiane, während sie am Rand der Tanzfläche standen und die prächtig angezogenen Männer und Frauen bewunderten. »Aber sie sieht nicht aus wie jemand, der ständig weint. Eher wie jemand, der niemals lacht.«
An jenem Abend erblickte Asati die Königin zum ersten Mal aus der Nähe.
Sie hatte sie schon das eine oder andere Mal durch die Stadt reiten sehen, umgeben von ihrer Garde. Oder in einer offenen Kutsche. Oder auf der Mauer, die den Palast umgab. Dunkles, flatterndes Haar, eine Uniform, das Glitzern von Gold oder edlen Steinen. Kampfgeist und Schönheit, das hatte sie bisher mit ihr verbunden.
Doch nun, als sie Le-Iva inmitten der Menge erblickte, umgeben von ihren engsten Vertrauten, wurden ihr die Knie weich.
Zwei Mädchen in langen, kostbaren Kleidern waren beständig in der Nähe der Königin. Und dieser dunkelhaarige, großgewachsene Mann, den Asati auf Anhieb hasste, weil er so selbstbewusst und gutaussehend war und weil er so vertraulich mit der Königin redete. Le-Iva hörte ihm zu und nickte und entgegnete etwas. Obwohl Asati sie von ihrem Platz aus nicht verstehen konnte, obwohl die Musik zu laut war und das Gedränge zu groß und das Stimmengewirr dazu verleitete, zu schreien, war sie sicher, dass es eine kluge Bemerkung gewesen war, denn der attraktive Dunkelhaarige lächelte und wirkte mit einem Mal gar nicht so unnahbar. Die Königin legte ihm ihre Hand auf den Arm.
Sie war nicht schön, nicht auf die Weise, wie Asati es erwartet hatte. Nicht hübsch wie die beiden Mädchen, die sich gerade durch die Menge drängten. Dazu waren Le-Ivas Gesichtszüge nicht ebenmäßig genug, ihre Nase zu markant, die Augen zu schmal, das Kinn zu kühn. Sie war nicht schön, wie Blumen schön waren oder Frühlingsregen oder Perlenketten. Sie war atemberaubend.
Stolz wie ein Raubvogel.
Wie sie da stand, neben dem Mann, der sie um mindestens einen Kopf überragte, wirkte sie nicht weniger groß als er. Eine Burg. Ein Wehrturm. Eine Kriegerin.
Das war die Königin der Tränen? Diese Frau dort, die mitten auf der Tanzfläche stand, ohne zu tanzen, sondern sich nur mit scharfem Blick umsah, verdiente einen anderen Namen.
»Ist das ihr Liebhaber?«, fragte Asati.
Ihre Cousine kicherte. »Wenn nicht, nehme ich ihn. Das ist Fürst Cario. Ist er nicht ein Anblick, den man nicht so schnell vergisst?«
Das war keine Antwort.
Und in diesem Moment hob die Königin von Berrin den Blick. Hatte sie Asatis neugieriges und bewunderndes Starren gespürt? Asati erschrak, sie fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, und sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wegschauen? Sich entschuldigen? Auf die Knie fallen? Sich verbeugen, obwohl sie so weit entfernt stand? Lächeln?
Trotz der sorgfältigen Erziehung, die ihre Mutter ihr hatte angedeihen lassen, hatte sie keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollte. Also erwiderte sie den Blick der Königin, während ihr Herz immer schneller schlug.
Eins der hübschen Mädchen kehrte zu Le-Iva zurück und reichte ihr einen reich verzierten Pokal, an dem die Königin nippte. Dann warf sie Asati einen letzten forschenden Blick zu und wandte sich wieder dem anregenden Gespräch mit dem attraktiven Fürsten zu.
Zwei junge Männer näherten sich und forderten Odiane und Asati zum Tanz auf. Sie nahmen beide an, auch Asati, obwohl sie immer noch verwirrt war, und während ihre Füße die erlernten Schritte tanzten, ohne dass sie darüber nachdenken musste, wanderte ihr Blick ebenfalls ohne ihr Zutun durch den Saal, auf der Suche nach der Königin. Es war, als hätten ihre Augen einen anderen Tanz erlernt, dessen Schritte sie nun ebenso gewissenhaft ausführten wie ihre Füße.
Der Offizier, in dessen Armen sie gelandet war, fragte sie ein wenig aus, nach ihrer Familie und ihren Brüdern, von denen er den älteren kannte, und Asati antwortete höflich und ausschweifend. Sie fing an zu plappern und unangemessen zu lachen, und auch das kannte sie nicht von sich.
Der junge Mann schien recht angetan von ihr, was seltsam war, da sie nur Unsinn redete und ihn kaum anschaute. Aus irgendeinem Grund schien er jedoch regelrecht verzaubert, und er bat sie um einen weiteren Tanz, den sie ihm auch gewährt hätte, wären nicht unvermittelt die beiden Mädchen aufgetaucht, die Asati zuvor an der Seite der Königin beobachtet hatte. Eine davon drängte sich dazwischen und ergatterte den nächsten Tanz, die andere fasste Asati am Ellbogen und führte sie von der Tanzfläche herunter.
»Seid Ihr nicht durstig, Baroness?«
»Ihr wisst, wer ich bin?«
»Niemand betritt diesen Saal, ohne dass wir wissen, wer er ist«, sagte das Mädchen, das kaum älter sein konnte als Asati. »Ich bin Gräfin Gandria vom Roten See.«
»Dann kennt Ihr meinen Bruder, der dort mit seiner Frau wohnt? Wir haben einen Landsitz am rotlonischen Ufer.«
»Gewiss kenne ich den jungen Herrn Baron«, sagte sie und lenkte Asati geschickt zwischen den Leuten hindurch, die in Grüppchen beieinanderstanden, redeten, tranken und von Tellern mit Delikatessen naschten. »Und ich hätte nicht gedacht, dass er eine so bezaubernde Schwester hat.«
Bevor Asati wusste, wie ihr geschah, hatten sie die Treppe erreicht und dann die Galerie, und hier oben befand sich ein Bereich, zu dem offenbar nicht jeder Zutritt hatte. Wächter mit ernsten Gesichtern standen herum, an den Tischen, die hinter Säulen und bizarr geformten Bäumen in kleinen Töpfen platziert waren und die Asati daher gar nicht gesehen hatte, saßen nur wenige Menschen, von denen sie niemanden mit Namen kannte. Sie sahen wichtig aus, und keiner von ihnen war je in Asatis Elternhaus zu Besuch gewesen. Am entferntesten Tisch saßen vier Zauberer in den typischen weißen Gewändern, ihre Kragen mit so viel Gold geschmückt, dass es sich bei ihnen um die mächtigsten Magier von ganz Berrin handeln musste. Offenbar hatten sie dem Wein schon gut zugesprochen, denn ihre Gesichter waren gerötet, sie lachten zu laut, und einer von ihnen kämpfte mit dem Schlaf und sackte gegen die Schulter seines Freundes.
An einem anderen Tisch saßen zwei Männer und zwei Frauen in Uniform. Hochrangige Offiziere, wenn nicht gar die Marschallin und ihr Stellvertreter persönlich. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie Asati gar nicht bemerkten, wobei sie Zuckerstückchen und Gebäckstangen auf dem Tisch gruppierten, als würden sie eine Schlacht nachstellen.
Am mittleren Tisch saß niemand außer einem gelangweilt dreinblickenden rothaarigen Mädchen, das Käse aß.
»Das ist Baroness Asati«, sagte Gräfin Gandria.
»Bitte schön«, sagte das Mädchen, ohne sich vorzustellen. »Die sind köstlich. Willst du auch?«
Asati, von dem Mangel an Förmlichkeit schockiert, setzte sich. Wahrscheinlich sah man ihr die Verwirrung an, denn Gandria schob ihr einen Becher Wein hin, die Rothaarige fuhr fort zu essen, und Asati tat es ihr schließlich nach, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Was tat sie hier oben, zwischen all den wichtigen Leuten?
»Wer sind die?«, wisperte sie nach dem ersten Becher, und Gandria tuschelte ihr alles ins Ohr – die Namen und die Ränge und ein paar kleine Anekdoten obendrein. Die Zauberer, die so wichtig und mächtig waren, dass sie außerhalb des Palastes gar keine Aufträge annahmen. Der Anführer der Palastwache. Die Marschallin. Ihr Vize. Und einer der höchstdotierten Veteranen. Asati schwirrte der Kopf von der Wichtigkeit dieser Leute.
Dann verstummten die Gespräche, denn die Königin war oben auf der Galerie erschienen. Asati versteifte sich vor Schreck. Normalerweise hätten sie jetzt alle aufstehen müssen, doch anscheinend war das an diesen Tischen nicht nötig. Die Königin nahm Platz, und alle anderen setzten ihr Gemurmel, ihr Lachen und Trinken fort.
Es war ihr Tisch, der mittlere, an den Le-Iva sich setzte. Gandria schenkte ihr ein, die Königin nickte freundlich, und dann war es beinahe, als wäre sie nicht da. Die Mädchen scherzten und lachten, sie tranken, sie ließen Asati trinken, sie aßen von den reich gefüllten Tellern, sie brachten Asati zum Mitlachen und zum Erzählen und entlockten ihr Geheimnisse, die sie nie zuvor mit jemandem geteilt hatte. Sie wollten wissen, ob sie einen heimlichen Freund hatte, ob sie verliebt war, ob ihr jemand unten im Saal gefiel – vielleicht der junge Mann, mit dem sie getanzt hatte? Asati sagte Nein und nippte an ihrem Becher und fühlte die ganze Zeit die Augen der Königin auf sich. Zwischendurch konnte sie nicht anders, als hinzusehen, diesem dunklen, nachdenklichen Blick zu begegnen.
Sie lächelte.
Sie konnte nichts dagegen tun, dass sie lächelte und immer mehr lächelte, dass ihre Wangen heiß waren, dass sich Wärme in ihr ausbreitete, dass sie an keinem anderen Ort der Welt lieber sein wollte als hier.
Irgendwann standen die Mädchen auf, fassten Asati bei der Hand, versprachen, ihr etwas zu zeigen. Sie war zu betrunken, um zu begreifen, um was es ging – Schmuck, ein Kleid, ein Kaninchen? Das war es, oder, das Schneekaninchen, das die rothaarige Meree in einem Käfig in ihrem Zimmer hielt?
Dieses Zimmer war das schönste, was Asati je gesehen hatte. Es ging über in eine Flucht von Räumen, üppig ausgestattet mit Teppichen und Vorhängen und Bildern, und überall war der Baum verewigt – gemalt, geschnitzt, gewebt, in Edelsteinmosaiken gelegt. Der knorrige, gekrümmte, wilde Baum.
Da begriff sie, dass sie sich nicht in Merees Palastwohnung befand, sondern dass dies die Gemächer der Königin waren. Sie drehte sich um. Die Mädchen waren fort, und nur noch Le-Iva war geblieben. Sie stand hinter ihr, mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, und schlagartig fühlte Asati sich nüchtern.
Sie versuchte zu knicksen, stolperte und wurde von kräftigen Armen aufgefangen.
Dann legten sich weiche Lippen auf ihre, eine fremde Zunge eroberte ihren Mund, und Asati stand nur da und ließ es geschehen, verwirrt und überwältigt. Von Le-Ivas Mund und ihren Händen, von Le-Ivas Duft, von Le-Ivas Geschmack. Von ihrer Schönheit, ihrer Kraft, ihrer Geschmeidigkeit. Als die Kleider fielen und das wunderschöne Kleid, das Asatis Mutter ausgesucht hatte, zu einem Haufen Stoff auf dem Boden zusammensank, als die Königin die Kämme und Spangen aus ihrem Haar löste, bis Asatis schwarzes Haar wie ein Schleier über ihren Rücken fiel. Und dann die Hände, die ihre Haut streichelten, ihren Körper erkundeten, ihn genossen, ihn weckten. Als all das passierte, war es für Asati, als wäre ein Traum wahr geworden, der schöner nicht hätte sein können.
Das war, bevor die Königin ging und sie allein in dem Zimmer zurückließ.
Bevor eine grauhaarige Dienerin erschien, die kein Wort sprach und Asati zurück in ihr Kleid half.
Bevor sie in den Saal geführt wurde und feststellte, wie spät es war und dass kaum noch jemand tanzte und ihre Eltern und Odiane längst nach Hause gefahren waren.
Bevor eine königliche Kutsche sie zurück zur Villa der Familie Wilda fuhr.
Bevor sie begriff, dass dies nicht der Beginn einer wunderbaren Liebesgeschichte war, dass diese Geschichte nicht einmal zur Tragödie taugte. Sie war der Königin aufgefallen, die Königin hatte sie zu sich ins Bett geholt, und das war es auch schon gewesen.
Mehr gab es nicht dazu zu sagen.
Die Wochen danach waren die schlimmsten. Zuerst die Tage, in denen die Hoffnung noch lebendig war. Sie erwartete, dass irgendwann eine Kutsche vor dem Haus stehen würde, dass Le-Iva sie holen ließ, doch nichts geschah. Ihre Mutter hatte wissen wollen, wo sie gewesen war, und sie erzählte nur, dass sie sich mit den Gesellschafterinnen der Königin angefreundet hätte. Magala schenkte ihr daraufhin einen wissenden Blick und sagte: »Du musst dich ihr zeigen, damit sie dich nicht vergisst.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, hatte Asati gesagt.
»Ich meine, dass meine kühnsten Träume in Erfüllung gehen. Meine Tochter und die Königin!«
Asati schnappte nach Luft. »Woher ...«
»Was?«, fragte ihre Mutter. »Die Vorlieben der Königin mögen in Berrin ein Geheimnis sein, jedoch nicht in ganz Berrin. Ich habe ein paar Bekannte, die da mehr wissen. Und dass du nie auch nur den Hauch von Interesse für die Söhne unserer Freunde aufgebracht hast, ist mir schon vor Jahren aufgefallen. Du siehst immer nur den Mädchen hinterher.«
Das machte sie sprachlos, da es ihr selbst nie bewusst gewesen war. Die jungen Adligen, die in regelmäßigen Abständen ins Haus schneiten, waren langweilig und sprachen immerzu über sich selbst. Asati hatte gedacht, dass schon noch irgendwann jemand auftauchen würde, der ihr kaltes Herz erwärmen könnte. Sie war nie auf die Idee gekommen, es könnte an ihr liegen.
»Die Königin«, murmelte ihre Mutter versonnen. »Oh, ich wusste, du würdest ihr auffallen! Du warst die Schönste auf dem Ball!«
Doch trotz dieser hoffnungsvollen Worte passierte gar nichts. Kein Brief, kein Bote, keine Kutsche, nichts.
Diese Tage, die sie wartete, die schlaflosen Nächte. Die Spaziergänge an der Schlossmauer, immer in der Hoffnung, schwarzes Haar im Wind flattern zu sehen. Die Sehnsucht nach Le-Ivas Duft und ihren kundigen Händen und ihrem verlockenden Mund, der Hunger nach weicher Haut und den festen Muskeln darunter und dem dunklen Raubvogelblick.
Die Wochen, in denen die Hoffnung erst zerfiel und dann starb. Ihr Vater, der von all dem nichts mitbekommen hatte, lud auffällig oft Bekannte ein, die Söhne im passenden Alter hatten.
»Vielleicht müssen wir uns etwas anderes überlegen«, sagte Magala.
Erst als fast ein halbes Jahr vergangen war, hielt eine Kutsche mit dem königlichen Wappen des Baumes vor dem Haus der Wildas. Ein Wächter mit stoischer Miene klopfte an und bat Asati mitzukommen. Ihre Mutter sah aus dem Fenster, bekam Schluckauf, als sie die Kutsche erkannte, und ordnete rasch Asatis Haare, kniff ihr in die Wangen und unterdrückte einen Freudenschrei.
Asati würde jenen Moment nie vergessen – als sie in die Kutsche stieg, in der Erwartung, in den Palast gefahren zu werden, und da saß die Königin auf der Bank gegenüber. Eine aufgeräumte, heitere Königin in einem leichten Ledermantel und in derben Hosen, die Füße in schweren Stiefeln.
»Wir gehen auf die Jagd«, sagte Le-Iva und lächelte. Oh, dieses Lächeln! Oh, verdammt, diese kleinen Grübchen zu beiden Seiten ihrer Mundwinkel, und wie ihre Augen strahlten, und es war keine Traurigkeit darin zu lesen, kein grimmiger Ernst, nur Vorfreude.
Oh, verflucht.
Asati konnte nicht anders, als zurückzulächeln.
Sie war so wütend. So schrecklich wütend, weil die vergangenen Wochen eine einzige Qual gewesen waren. Was sie durchgemacht hatte, war an Grausamkeit kaum zu überbieten, oder?
Aber die Königin war die Königin, und Asati hätte nicht Nein gesagt, sie hätte es gar nicht gekonnt, selbst wenn sie sich getraut hätte. Nur der Gedanke an Le-Iva genügte, um ihre ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Um sie mit schmerzhaftem Glück zu erfüllen.
»Wohin fahren wir?«, wagte sie zu fragen.
»In die Täler von Berl, dort, wo die Quelle entspringt. Dort gibt es wilde Ziegen, Springböcke und Silberschafe. Es ist schwieriges Gelände, wo uns Pferde nichts nützen. Wir müssen gutes Schuhwerk tragen und stundenlang auf der Lauer liegen.« Le-Iva grinste, und es war dieses Grinsen, das Asati in einen Abgrund stürzte, aus dem sie nie wieder herausfinden sollte.
Nach dem Jagdausflug zog sie in den Palast. Sie bekam eine Flucht an Zimmern. Le-Iva überschüttete sie mit Geschenken und mit ihrer Aufmerksamkeit, und Asati hatte gedacht, es würde einfach werden, die anderen auszustechen und das Herz der Königin zu erobern.
Das war es nicht.
Le-Iva liebte sie nicht. Immer noch nicht. Es war fraglich, ob sie überhaupt irgendwen oder irgendetwas liebte.