22. Deiaras Kraft
Malia schüttelte Felias’ Hand ab und rannte zu der zusammengekrümmten Gestalt des Zauberers. Er rührte sich nicht; obwohl er nicht weit geflogen war, hatte es ihn hart getroffen. Der Lichtstrahl war ihm förmlich ins Gesicht explodiert. Der Mann mit dem Hut – nun ohne Hut – versuchte gerade stöhnend, sich aufzurappeln und aus dem Schnee zu befreien. Mit schwacher Stimme rief er um Hilfe. Als er erkannte, wer da auf ihn zurannte, stieß er einen erschrockenen Schrei aus und hob schützend die Arme.
»Malia!«, schrie Felias. »Komm, du kannst ihnen nicht helfen!«
Es konnte nicht sein, dass sie gerade eben einen Mann umgebracht hatte. »Bei den Göttern, er ist doch nicht tot, oder?«
Sie schenkte dem hutlosen Kerl keine weitere Beachtung, sondern kniete sich neben den Zauberer in den Schnee. Er war jünger, als sie gedacht hatte, kaum älter als sie. Götter, nein! Das war irgendjemandes Sohn, jemandes Bruder, jemandes Ehemann womöglich, jemandes Freund. Seine Haare waren angesengt und als sie seine Hände aufhob, um nach seinem Puls zu fühlen, erschrak sie, denn Brandblasen bedeckten seine Hände. Sein Brustkorb hob und senkte sich.
»Er lebt, den Göttern sei Dank!«
»Aber wir nicht mehr lange«, sagte Felias hinter ihr.
Sie blickte sich um. Ihre Gefährten hatten die Gelegenheit zur Flucht nicht genutzt. Felias stand neben ihr und machte eine besorgte Miene, Asati und Cario kümmerten sich um den Mann im Schnee. Der Fürst reichte ihm die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen.
»Alles in Ordnung, Eure Majestät?«, fragte er.
Und nun sah Malia, dass der Mann im dunklen Mantel gar kein Mann war. Der Hut hatte vorhin das Gesicht der Königin verborgen, der weite Umhang ihre Gestalt. Bei allen tausend Göttern, sie hatte fast die Königin umgebracht!
Wortlos griff Le-Iva nach Carios Hand. Sobald sie wieder auf beiden Beinen stand, klopfte sie sich den Schnee von den Hosen und kam zu Malia herüber. Ihre Augen waren groß und dunkel, ihre Haare hatten sich aus dem Knoten gelöst, den sie unter dem Hut getragen hatte. Sie wirkte verwirrt, was an dem Sturz liegen konnte. Wütend schien sie nicht zu sein.
»Warum hast du mich nicht getötet?«, verlangte die Königin zu wissen.
»Ich, ähm … Eure Majestät, es tut mir so leid! Ich hatte nie die Absicht, Euch zu schaden.« Vor lauter Verlegenheit wusste Malia nicht, was sie sagen sollte. »Ich bin eine Liebeszauberin, ich helfe, ich töte nicht.«
»Und was war das eben mit Vinox? Ist er nicht tot?« Die Königin beugte sich über den jungen Zauberer.
»Nein, Eure Majestät, glücklicherweise atmet er noch. Er braucht sofort einen Heiler, und er muss schleunigst ins Warme. Ich kann ihm ein Mittel zur Stärkung anrühren und eine Salbe für die Verbrennungen.«
Le-Iva zog die Brauen hoch, dann ließ sie den Blick über die restlichen Verschwörer wandern. »Was ist hier eigentlich los?«, fragte sie. »Ihr flieht aus der Zelle, ihr kämpft gegen meine Soldaten, vor mir liegt einer der fähigsten Adepten vom Roten See – und dann lungert ihr bloß herum und macht dumme Gesichter?«
Malia hätte sich nicht träumen lassen, dass sie einmal der Königin persönlich gegenüberstehen würde. Von Angesicht zu Angesicht. Le-Iva war ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Asatis Beschreibung passte, aber das war auch schon alles. Die Königin hatte schulterlanges dunkles Haar und ein strenges Gesicht mit einem etwas zu kantigen Kiefer. Ihre Kleidung war schlicht – da war selbst Graf Felias mit mehr Diamanten behängt als die Königin von Berrin. An einer silbernen Kette um ihren Hals baumelte ein kleiner Anhänger in Form eines Baumes, sonst trug Le-Iva keinen Schmuck.
»Wer will es mir erklären? Ihr, Fürst Cario? Du, Asati? Ihr, werter Graf? Oder …« Sie schaute Malia ins Gesicht, »oder du, Zauberin? Ja, von dir möchte ich hören, warum du alle meine Soldaten hinweggefegt hast, aber mein Leben verschonst.«
»Dafür ist keine Zeit. Erst müssen wir uns um diesen Mann kümmern«, sagte Malia. »Vinox heißt er? Er darf hier nicht im Schnee liegen bleiben. Könnte irgendjemand bitte mal mit anfassen, damit wir ihn nach drinnen bringen können?«
In diesem Moment war ihr gar nicht bewusst, dass es unerhört war, nicht auf die Frage der Königin zu antworten. Dem Verletzten zu helfen war das Wichtigste, alles andere konnte warten. Selbst die Königin.
Le-Iva nickte den Männern zu und ging voran. Cario und Felias packten den Bewusstlosen und schleppten ihn zu einer der Nebentüren des Palastes. Asati stand eine Weile verloren da und folgte ihnen dann mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht. Weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, schloss Malia sich ihr an.
»Bist du wahnsinnig?«, zischte Asati.
»Was? Wieso?«, flüsterte Malia zurück. »Dieser Zauberer stirbt sonst!«
Asati schnappte nach Luft. »Man spricht nicht einfach so mit der Königin! Du musst warten, bis sie dich anspricht, du darfst sie nicht unterbrechen und du kannst nicht einfach das Kommando übernehmen!«
»Ich lasse niemanden sterben!«
Die Königin hatte sie offenbar gehört, denn sie drehte sich zu ihnen um. »Dieser Zauberer ist dir also wichtig, Mädchen. Kennst du Vinox etwa?«
Le-Iva hatte kluge, aufmerksame Augen. Malia war sich sicher, dass ihr so schnell nichts entging.
»Nein, bis vorhin habe ich ihn noch nie gesehen. Verhaftet hat mich ein anderer Zauberer. Aber es ist mein Beruf, Menschen zu helfen, und nicht, ihnen zu schaden.« Und leiser fügte sie hinzu: »Ich habe Euch nicht vergiftet. Es waren nur Kräuter und ein Segensgebet. Das Gebet ist dabei das Wichtigste. Und ich wusste nicht, dass das Mittel für Euch bestimmt war.« Sie verkniff es sich, ein »Bitte, glaubt mir« anzufügen. Entweder die Königin glaubte ihr oder nicht.
»Majestät«, sagte Asati. »Ich …«
»Still!«, fuhr Le-Iva sie an.
Sie hatten nun den Bogengang erreicht, hinter dem die innere Tür von zwei Wachen eilig geöffnet wurde.
»Bringt den Verletzten dort hinein«, wies Le-Iva Cario und Felias an und zeigte auf eine weitere Tür. Dann wandte sie sich an die Wächter. »Diese drei sollen im Salon warten. Während du, Zauberin, zu dem Kranken gehst. Du wolltest dich um ihn kümmern? Nun, dann tu es.«
Die Königin folgte Malia in das Zimmer, in dem der immer noch bewusstlose Vinox auf einer schlichten Bettstatt lag.
Die Anwesenheit der Königin machte Malia nervös, außerdem wurde ihr immer stärker ihre Müdigkeit bewusst. Sie musste sich sammeln und sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Ein Diener brachte zwei prall gefüllte Säcke, in denen sie ihre Utensilien vorfand. Natürlich war alles durcheinandergeraten. Ein paar Flaschen waren zerbrochen, verschiedene Gerüche mischten sich und alles war klebrig und verschmiert und kral.
Dennoch bemühte Malia sich, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Als würde sie jeden zweiten Tag versuchen, einen ohnmächtigen Zauberer zu heilen, den sie aus Versehen fast ins Grab gebracht hatte.
Es waren nicht nur die Kräuter. Es waren nie allein die Pflanzen. Genauso wichtig waren die Worte. Genauso wichtig war der Wille zu helfen. Zum Glück fühlte sie diesem Zauberer gegenüber keinen Groll – er hatte bloß versucht, die Flüchtlinge aufzuhalten. Wenn sie hingegen an diesen anderen Magier dachte, den breitschultrigen Hünen, der alle ihre Sachen gestohlen und die mehrtägige Aufräumarbeit zunichtegemacht hatte, wurde sie immer noch wütend. Dem Kerl gegenüber würde sie weitaus weniger gleichmütig gegenübertreten.
Ihre Stimme zitterte leicht, als sie sang. Erst nach einigen Versen gelang es ihr, die Gegenwart der Königin nahezu auszublenden.
»Sing, oh sing von den Acht.
Von Hako und Gowin,
von Sommer und Frucht;
Jarinder, dem Frühling,
der den Neuanfang sucht.«
Zuversicht auszuströmen, während man nicht einmal wusste, was vom eigenen Leben und der eigenen Zukunft übrig war, fiel ihr gar nicht so schwer, wie sie gedacht hätte. Malia hatte keine Ahnung, was die Königin vorhatte, aber in diesem Moment war das nicht wichtig. Da zählte nur der junge Mann, der bewusstlos im Krankenbett lag.
»Wie hat es für Euch ausgesehen, Meister Eridan, Meister Jadden?«
Was?, wollte Malia schon fragen, da wurde ihr bewusst, dass Königin Le-Iva nicht mit ihr sprach. Das Rätsel wurde kurz darauf gelöst, als zwei Zauberer in weißen Roben das Zimmer betraten. Mit dabei war der große, schwarzhaarige Zauberer, den sie so leidenschaftlich verabscheute; den anderen, älteren Mann kannte sie nicht.
Die Zauberer mussten sie durch eine Öffnung in der Wand oder dergleichen beobachtet haben, denn der Unbekannte sagte: »Es scheint alles in Ordnung zu sein. Diese Pülverchen und der Singsang richten jedenfalls keinen Schaden an.« Er untersuchte den Bewusstlosen kurz und nickte bedeutungsvoll.
Die Königin entließ ihn und wandte sich an den schwarzhaarigen Zauberer, auf dessen Meinung sie offenbar große Stücke hielt.
»Sie ist keine richtige Zauberin«, sagte er. Dabei sah er die Königin an und ignorierte Malia. »Sie ist Priesterin.«
»Was? Was bin ich?«
»Welcher Gottheit?«, fragte die Königin. »Könnt Ihr das erkennen, Meister Eridan?«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Eridan. »Zu wem betest du, Mädchen?«
Sowohl die Königin als auch der Zauberer starrten sie an. Malia wäre am liebsten im Erdboden versunken.
»Wieso? Ich bin keine Priesterin! Ich rufe niemandes Namen an, wenn ich singe und die Worte spreche. Ich mache bloß das, was ich von meiner Mutter gelernt habe, ich gehöre zu keiner Priesterschaft.«
»Dann bist du eine niedere Zauberin«, entschied Meister Eridan streng. »Du kennst doch den Unterschied zwischen einem Zauberer und einem Priester? Zwischen einem niederen Priester und einem höheren?«
Das war leicht. »Höhere Priester dienen einem der Acht, so wie die Eismönche. Niedere Priester dienen den geringeren Gottheiten. Und die Zauberer ... was haben die Zauberer mit den Göttern zu tun?«
Er schüttelte den Kopf, und Malia kam sich sehr dumm vor; nicht, dass sie sich als Mädchen aus der Südstadt nicht schon unwürdig genug gefühlt hätte.
»Es kommt nicht auf die Worte an oder darauf, was ich singe, sondern auf die Einstellung.«
»Natürlich kommt es auf die Worte an und darauf, wenn du anrufst.« Eridans kühler Blick unter den buschigen Brauen blieb streng und herablassend. »Weißt du denn gar nichts? Jeder Priester und jeder Mönch erhält seine Kraft von dem Gott, dem er dient. Die höheren Götter gehen eifersüchtig mit ihrer Kraft um und geben sie nur ihren treuesten Anhängern. Es gibt jedoch einige niedere Gottheiten, die ihre Macht verschwenderisch über die ganze Erde ausbreiten, sodass sie jedem zur Verfügung steht, der es versteht, sich ihrer zu bedienen. Denen mag es gleichgültig sein, ob man ihrer gedenkt oder nicht. Was auch immer diese Götter sich davon versprechen, die Zahl ihrer Anbeter vergrößern sie auf diese Weise wohl kaum.«
Die Verachtung, die in seinen Worten mitschwang, ärgerte Malia, zumal sie sie unwillkürlich als persönliche Beleidigung empfand – und als Beleidigung der Gottheit, die sie heilen und Herzen zusammenfügen ließ.
»Ich bin eine Liebeszauberin!«, entgegnete sie möglichst würdevoll. »Warum sollte es keine Götter geben, die sich ganz uneigennützig daran erfreuen, wenn es den Menschen gut geht?«
Eridan lachte über ihre Unwissenheit. Es war kein heiteres Lachen. »Uneigennützig? Oh, glaub mir, einen Preis muss jeder bezahlen. Und wenn es deine Kunden sind, die Schicksal spielen möchten. Denn das ist es doch, was du tust – du verzauberst die Herzen der Menschen, damit sie zu willenlosen Bettpartnern werden!«
Dieser Mann warf ihr vor, dass sie nichts wusste? Ganz offensichtlich hatte auch er keine Ahnung, wovon er da sprach. »Nein! Nein, so ist es ganz und gar nicht. Mein Zauber wirkt nur auf Herzen, die schon zueinandergehören. Ich verstärke ein Band, das bereits existiert. Ich überwinde Hemmungen und Ängste, aber ich kann keine Liebe schaffen, wenn sie nicht schon im Herzen wohnt.«
Die Königin wirkte überrascht. »Das klingt für mich nach Deiara. Könnte es ihre Kraft sein, die du nutzt?«
»Ich weiß nicht. Wer ist Deiara?« Hatte Fürst Cario diese Göttin nicht gerade vorhin erst erwähnt? Er hatte eine Geschichte über sie erzählt. Er hatte auf seinen Reisen ein Wüstenvolk besucht, dass sie verehrte. Daher kannte wohl auch Le-Iva diesen Namen.
»Sollte sie mir Hilfe schicken – auf diese Weise?« Die Königin musterte sie nachdenklich. Dann schickte sie den Zauberer mit einer kaum sichtbaren Handbewegung aus dem Raum. Eridan schien das ganz und gar nicht zu schmecken, denn seine Brauen zogen sich unheilvoll zusammen.
»Ich soll Euch mit einer fremden, offenkundig gefährlichen Priesterin allein lassen, Eure Majestät?«
»Sie ist nicht feindselig«, sagte die Königin. »Und ja, ich bestehe darauf.«
Seine Miene wurde noch finsterer, aber er gehorchte und verließ das Zimmer.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Malias Herz begann aufgeregt zu klopfen, als Le-Iva sie musterte und ihr mit ihren dunklen Augen bis auf den Grund der Seele zu blicken schien.
»Gehen wir davon aus, dass du deine Macht von Deiara beziehst. Was ist der Preis?«, fragte sie. »Was verlangt sie von dir?«
Malia zögerte; sie war sich nicht sicher, was genau die Königin meinte. Kalissa hatte nie darüber gesprochen, dass man etwas bezahlen musste, wenn man die Magie nutzte.
»Vielleicht … dass ich meine eigene Liebe immer noch nicht gefunden habe? Könnte das der Preis sein? Glaubt Ihr, ich bin dazu verurteilt, selbst immer einsam zu sein?«
»Nicht einmal die Göttin vermag auf eigene Freude zu verzichten. Das würde ihr nicht ähnlich sehen. Sie teilt diese Freude aus, freigiebig wie der Sommer.«
»Deiaras Freude … ich glaube, ich weiß, wovon Ihr sprecht. Wenn ich jemandem helfen konnte, ist das Glück, das ich empfange, unglaublich«, sagte Malia, obwohl Le-Iva nicht danach gefragt hatte. Es gelang ihr einfach nicht, sich angemessen zu verhalten. »Doch was ich dafür opfern muss … Vielleicht, dass ich mir selbst nicht helfen kann? Meint Ihr das? Nichts, was ich für mich tue, gelingt, auch wenn es eigentlich um Dinge geht, die nichts mit Zauberei zu tun haben sollten. Ich kann mir nicht einmal einen Tee gegen Halsschmerzen kochen oder mir einen Wadenwickel gegen Fieber anlegen. Könnte das eine Art Opfer sein, das die Göttin von mir verlangt?« Sie war immer noch nicht davon überzeugt, dass ihre Magie von dieser Göttin kam.
»Weil du so viel verschenkst, muss auch alles, was du empfängst, ein Geschenk sein«, sagte Le-Iva. Dann fügte sie hinzu: »Du bist frei. Du kannst gehen, wenn du möchtest.«
Das kam so unerwartet, dass Malia es kaum fassen konnte. »Aber … und meine Freunde? Gilt das auch für sie?«
»Baroness Asati hat also deine Dienste in Anspruch genommen. Welche Ironie, sich an Deiara zu wenden … Die dunkleren Götter tun den Herzen der Menschen und ihrem Körper Gewalt an, aber diese Art von Zauber wird man bei Deiara nicht finden. Sie hält unsere Gefühle sehr behutsam in ihren Händen. Um eine Königin zu erobern, muss man schon stärkere Geschütze auffahren. Und das ist alles? Euer ganzer Plan? Kein Mordversuch, kein Anschlag, nur …«
»Nur Baroness Asatis Hoffnung«, ergänzte Malia.
Die Königin öffnete die Tür des Krankenzimmers. Davor wartete der schwarzmähnige Zauberer.
»Da ist ja unsere kleine Priesterin. Mich würde trotzdem interessieren, wie du die Zellentür geöffnet, sämtliche Wachen ausgeschaltet und Adept Vinox niedergestreckt hast. Einen Feuermagier! Das wiederum ist mit ein bisschen Liebeszauber nicht zu bewerkstelligen. Meinen anderen Feuerzauberer haben die Mönche umgebracht, aber trotz ihrer mörderischen Fähigkeiten haben sie wesentlich länger dafür gebraucht. Erkläre mir das.«
»Die Tür war bereits offen und Wachen waren keine zu sehen.«
Le-Iva und Eridan wechselten einen Blick. »Der Mönch?«, fragte die Königin zweifelnd. »Aber warum sollte er das tun?«
»Um Verwirrung zu stiften«, meinte der Zauberer. »Und um uns vor Augen zu halten, dass niemand sicher ist – nicht einmal unsere Gefangenen.«
»Und er?« Die Königin wies auf den Verletzten, der gerade stöhnend zu sich kam.
»Schutzwälle sind mitunter tückisch«, erklärte der Zauberer. »Es war seine eigene Kraft, die ihn niedergestreckt hat.«
»Du hast einen Schutzwall errichtet, Mädchen?«, fragte Le-Iva.
»Was ist ein Schutzwall?« Noch etwas, von dem sie nichts wusste.
»Deiara kämpft nicht«, sagte Le-Iva. »Sie ist keine Kriegsgöttin. Und ich habe den Schlag gespürt. Davon werde ich ein paar blaue Flecken zurückbehalten.«
Jetzt war Malia auch noch verantwortlich für die blauen Flecken der Königin. »Ich habe den Feuerstrahl nur abgewehrt, ohne darüber nachzudenken«, verteidigte sie sich. »Ich habe die Hände gehoben und ... Ich glaube, es ist wie ein Spiegel, versteht Ihr? Ich habe die Kraft nur zurückgeworfen.« Sie gähnte verstohlen, während sie ihre Flaschen sortierte. »Ich kann Euch etwas mischen, das den Schmerz lindert.«
»Das passt schon eher zu Deiara«, murmelte die Königin. »Es klingt … interessant. Du bist ein erstaunliches Mädchen. Vielleicht solltest du doch noch ein Weilchen hierbleiben. Mir kommen da ein paar Ideen.«
Die Bitte einer Königin schlug man nicht ab. »Natürlich, Majestät.« Malia verbeugte sich; ihr kam in den Sinn, dass sie bisher vielleicht etwas zu vertraulich mit der Herrscherin von Berrin geredet hatte. »Darf ich jetzt zu meinen Freunden?«
Glück pulste durch ihre Adern, als sie den drei anderen Gefangenen ihre Freiheit verkünden durfte.
Später erst fiel ihr auf, dass Meister Eridan nicht erklärt hatte, worin denn nun der Unterschied zwischen Priestern und Zauberern bestand. Woher kamen die Fähigkeiten der Zauberer – stammten sie ebenfalls von den Göttern? Doch wie sollte das möglich sein, wenn diese nur ihren Priestern und erklärten Dienern diese Gnade erwiesen?