26. Le-Ivas Plan
»Was hast du mit der Königin gemacht?«
Asati stürmte in Malias Zimmer, ohne anzuklopfen oder sich anmelden zu lassen. Ihre Augen sprühten Funken.
»Meint Ihr das Veilchen?«, fragte Malia. »Das hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie hätte sagen können: Halt, auf die Knie, ich bin die Königin. Hätte sie doch? Aber sie wollte sich ja unbedingt prügeln, also gebt mir nicht die Schuld.«
»Ich spreche nicht davon.« Die Mätresse warf ihr langes dunkles Haar zurück. Sie war so schön, einschüchternd schön, doch Malia hatte gelernt, hinter die Masken zu sehen. Die Wut und Verzweiflung dieser Frau hatten etwas Erschreckendes. »Sie hat sich verändert. Du kanntest sie vorher nicht. Le-Iva, die Traurige. Le-Iva, die Düstere. Es sieht ihr gar nicht ähnlich, jemanden an ihre Tafel einzuladen und beim Essen zu plaudern und zu lachen, so wie sie es mit dir tut. Dass sie sich prügelt. Dass sie die Pferde aus dem Stall holt und sich mit ihren Soldaten Rennen liefert. Dabei hat sie sie seit Jahren vernachlässigt, beide, ihre Pferde wie auch ihre Wächter. Wieso lacht sie wieder? Wieso besucht sie nacheinander die fürstlichen Familien und sieht sich einen Wurf Tüpfelkatzen an? Wir sprechen hier von Königin Le-Iva!«
»Setzt Euch.« Malia wies auf ihren gepolsterten Besuchersessel.
Asati warf sich auf den Sitz und schlug die Hände vors Gesicht. »Sag es mir. Ist sie in dich verliebt? Hast du sie mit einem Trank verzaubert? Hast du meinen Einfall mit dem Trank gegen mich gewandt?«
»Ich kann keinen Zauber wirken, der mich selbst mit einschließt.« Malia versuchte, ganz ruhig zu bleiben. Betrachte sie als eine Kundin, die mit ihrer Verzweiflung und ihrem Kummer zu dir kommt, befahl sie sich. Als eine enttäuschte Kundin; der erste Versuch ist fehlgeschlagen. »Und ich würde es nie wagen, die Königin zu verzaubern. Nicht«, fügte sie etwas strenger hinzu, »wenn ich weiß, um wen es geht.«
Asati seufzte. »Verlieben kann sie sich aber trotzdem.«
»Königin Le-Iva liebt mich nicht. Nicht so, wie Ihr denkt.«
»Ach, und wie liebt sie dich dann?«
War es vermessen zu behaupten, dass so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen bestand? Dass sie Verbündete waren, ungleiche Verbündete zwar, aber immerhin?
»Es ist Deiara«, versuchte Malia zu erklären. »Die Göttin, die sie verehrt. Ich bin ihre Verbindung zu Deiara.«
»Die Göttin der wahren Liebe. Oh ja«, flüsterte Asati trostlos. »Und wenn sie es ist, die Le-Iva mit dir verbindet – braucht es weiterer Fragen? Aber lass dir eins gesagt sein: Sie wird dir das Herz brechen. Egal was du tust, um sie zu halten, es wird dir nicht gelingen. Sie trauert immer noch König Avi nach, und selbst wenn du sie zum Lachen bringen kannst, ändert das überhaupt nichts. Falls du hoch hinauf willst, wirst du umso tiefer fallen. Also lass sie in Ruhe!«
Nachdenklich betrachtete Malia die schöne Adlige. »Waren Le-Iva und Avi so sehr ineinander verliebt, dass sie den Verlust nach all den Jahren immer noch nicht verschmerzt hat? Und was ist eigentlich mit dem König passiert? Ich weiß nur, dass er jung gestorben ist und dass sie seitdem um ihn trauert.«
»Woher soll ich das wissen?« Asati hob die Hände. »Niemand weiß das. Wahrscheinlich war er krank. Er ist verschwunden, und ...«
»Verschwunden? Nicht gestorben?«
»Das weiß ich doch nicht.«
Malia runzelte die Stirn. »Wie seltsam. Hat sie nach ihm suchen lassen?«
Asati zuckte die Achseln. »So alt bin ich nicht, dass ich darüber Bescheid wüsste. Wie lange ist das her? Zwanzig Jahre, fünfundzwanzig?« Sie begegnete Malias Blick, und ihre Feindseligkeit wandelte sich in Staunen. »Du meinst … Le-Iva würde vielleicht wieder lieben können, wenn sie mit Sicherheit wüsste, dass ihr Gemahl tot ist?«
»Ich habe nichts gesagt.«
»Aber du hast es gedacht. Ich habe es in deinen Augen gelesen.«
»In Königin Le-Ivas Herzen ist Hoffnung«, sagte Malia. »Ich bin für sie eine Kriegerin, die sie in die Schlacht schicken will. Eine Priesterin, die ein paar entscheidende Dinge tun kann – vielleicht. Sie glaubt daran, dass ein Sieg möglich ist. Das erste Mal seit langer, langer Zeit. Mehr kann ich Euch nicht sagen. Aber sie hat mich nie angefasst. Verwechselt Hoffnung nicht mit Liebe, Baroness.«
Asati lachte ungläubig auf. »Ein Sieg? Wie könnte man gegen die Götter siegen? Du bist vielleicht die Priesterin einer Göttin, aber was soll eine unbedeutende Liebesgöttin, deren Namen kaum jemand kennt, gegen einen der großen Acht ausrichten?«
»Ich behaupte nicht, dass Deiara mich geschickt hat«, sagte Malia vorsichtig. »Ich wusste gar nicht, dass die Art von Zauberei, die ich betreibe, auf ihrer Kraft beruht. Doch die Königin sieht darin ein Zeichen.«
Lange Zeit sagte Asati nichts und betrachtete nur ihre Hände. Die goldenen Ringe, die lackierten Fingernägel, die Perlenbänder über dem Handrücken.
»Was meinst du«, fragte sie schließlich, »wenn ich Le-Iva den Beweis brächte, dass ihr geliebter König tot ist – hätte meine Liebe eine Chance? Hat Deiara dir irgendetwas darüber mitgeteilt?«
Sie spricht nicht mit mir, wollte Malia antworten. Ich bin kein Orakel, nicht einmal eine richtige Priesterin. Ich benutze eine Kraft, über die ich kaum etwas weiß. Die Hoffnung der Königin, dass ich ihr gegen den mächtigen Eisgott helfen könnte, ist geradezu lächerlich. Nur ein Wahnsinniger würde sich widersetzen, wenn einer der höchsten Götter ihm die Kriegermönche auf den Hals hetzt, und dazu auch noch eine kleine Liebeszauberin als Geheimwaffe betrachten.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht sagen, ob es Euch weiterbringen würde. Beim besten Willen nicht.«
»Aber ihr könnte es helfen«, murmelte Asati. »Vielleicht … aber kommt es darauf an? Was sie tun würde, wenn sie wüsste, dass sie wirklich frei ist?«
Malia hatte das Gefühl, dass die Luft in ihrem Zimmer sich veränderte. Die zornige Verzweiflung, die Asati mitgebracht hatte, wich einer Entschlossenheit, die etwas Strahlendes an sich hatte. Immer noch lag Zorn darin. Immer noch Verzweiflung. Aber so, wie die Königin sich der Hoffnung zugewandt hatte, richtete auch Asati ihren Blick auf etwas Neues: auf einen Weg.
»Wenn ich ihr beweise, dass ich sie wirklich liebe … dass es mir um sie geht und nicht um den Thron … vielleicht erreicht das ihr Herz.«
»Ihr wollt also den verschollenen König suchen?« Malia hätte nie gedacht, dass ihr Gespräch in diese Richtung gehen würde. »Und was, wenn Ihr ihn tatsächlich findet?«
Asati lachte gequält auf. »Dann wird es erst richtig spannend, nicht wahr?«
Malia stand auf und holte eine Karaffe von ihrer Kommode. Sie goss sich und der Baroness von der dunkelroten Flüssigkeit ein.
»Ist das ein Zaubertrank oder bloß Wein?«
»Wein, mit Gewürzen versetzt. Nur zur Beruhigung der Nerven und zur Stärkung des Gemüts. Ich habe mir sagen lassen, es wirkt ganz gut.«
»Nur bei dir nicht.« Asati schüttelte bedauernd den Kopf. Sie schnupperte an ihrem Glas und atmete dann tief ein. »Beruhigung und Stärkung. Nun denn.«
***
»Wer hätte gedacht, dass du mich eines Tages in den Palast einladen würdest?« Graf Felias hatte ein Gastgeschenk mitgebracht – einen blauen Umhang aus feiner, weicher Wolle.
Malia drückte sie beide an sich, den Grafen wie auch den Umhang. »Ihr seid noch nie zuvor im Palast gewesen?«
»Im Kerker.« Er hatte Grübchen, wenn er lächelte. »Auch das war eine besondere Erfahrung, die ich dir verdanke.« Er blickte an ihr vorbei ins Zimmer. »Oh, und wer ist das?«
»Das ist Schneewolke. Die Königin hat sie mir geschenkt.«
Mitten im Raum streckte sich eine große, gefleckte Katze auf dem Teppich aus. Sie war mindestens dreimal so groß wie eine gewöhnliche Straßenkatze; ihr getupftes Fell schimmerte blausilbern.
»Eine Himmelskatze«, wisperte der Graf ehrfürchtig.
»Ich dachte, sie heißen Tüpfelkatzen?«
»Es gibt viele Bezeichnungen für sie. Da sie aus den Bergen stammen, die bis an den Himmel reichen, nennt man sie Himmelskatzen. In Berrin dürfte es nur wenige Exemplare davon geben. Es ist mir nie gelungen, eine zu kaufen.«
Malia biss sich auf die Lippe. »Le-Iva gibt mir zu viel, oder?«
»Ich beginne mir langsam ein bisschen Sorgen zu machen, was sie eigentlich von dir will«, meinte Felias.
Zu niemandem durfte sie über Königin Le-Ivas Pläne reden. Vor allem nicht hier im Palast, wo die Kriegermönche in jedem Winkel hocken konnten.
»Sie ist eine Anhängerin der Göttin, von der ich meine Kraft beziehe«, erklärte sie.
»Hm.« Felias’ skeptische Miene wurde wieder weich, als er die Katze betrachtete. »Wunderschön. Wie zahm ist sie?«
»Ich bin dabei, sie an mich zu gewöhnen. Sie faucht alle Fremden an. Ich glaube, ich weiß, warum ich sie bekommen habe, obwohl die Königin es nicht gesagt hat. Sie hofft wohl, dass diese Katze den Kriegermönch davon abhält, in mein Zimmer zu kommen.«
Darüber sollte sie nicht mit Leuten sprechen, die nicht im Palast wohnten, doch der Graf war ohnehin längst eingeweiht. Dass manch einer erwachte und seine Haut verziert vorfand – oder das Fenster. Oder die Tür. Oder eins der Möbelstücke. Überall blühten Eisblumen auf, und wer sie zu Gesicht bekam, dem wurde kalt ums Herz. Nach und nach leerte sich der Palast, da vielen adeligen Dauergästen spontan eingefallen war, dass sie in Berrin oder draußen in den anderen Tälern oder gar unten in der lonischen Provinz am Roten See noch ein Haus besaßen, um das sie sich dringend kümmern mussten.
Schneewolke sprang auf den Tisch und reckte sich ausgiebig.
Felias streckte die Hand nach der Katze aus, doch diese riss das Maul auf und zeigte ihre spitzen weißen Zähne.
»Sie können einem den Arm zerfleischen«, warnte Malia ihn. »Ihr müsst sie vorsichtig an Euch gewöhnen. Nächstes Mal klauen wir ein paar Leckerbissen von der königlichen Tafel, denen sie nicht widerstehen kann. Die Mühe lohnt sich. Die Königin hat mir gesagt, Tüpfelkatzen vergessen niemals jemanden, der ihnen etwas Gutes getan hat. Sie sind treu wie Hunde. Und ausgezeichnete Wächter. Und durchaus gefährliche Angreifer.«
»Dann bist du hier ja sicher«, meinte der Graf nachdenklich. »Obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich mir dennoch ein wenig Sorgen mache.«
»Niemand hält mich im Palast fest«, versicherte Malia. »Ich könnte gehen – aber wohin? Zurück zu meinem Vater?«
»Oder zu mir? Das Angebot steht immer noch.«
»Seid mir nicht böse, Graf Felias. Ich könnte niemals heiraten, um andere zu täuschen. Würde ich mich damit nicht am meisten betrügen? Wenn ich Deiara diene, der Göttin der wahren Liebe – glaubt Ihr nicht auch, dass ich auf meine wahre Liebe warten muss?«
***
Der Mönch hinter der Wand konnte nicht verstehen, was sie miteinander sprachen. Sie flüsterten, das Mädchen und ihr Freund, der schöne Graf. Was würde Ke-Achan zu sehen bekommen, wenn er blieb?
Er wollte es nicht sehen. Es hätte ihm nichts ausmachen müssen, rein gar nichts. Hatte er nicht schon Dinge hier im Palast beobachtet, die einem Mann, der allem abgeschworen hatte, unfassbar vorkamen?
Aber was die junge blonde Zauberin trieb, wollte er gar nicht wissen. Ke-Achan wandte sich ab und floh.