27. Die trockenen Gärten
Malia hatte nicht gedacht, dass tatsächlich Kundschaft kommen würde. Aus reiner Gewohnheit hatte sie ihre Pulver und Kräuter überprüft und mit einem langweiligen Tag gerechnet, den sie vor allem ihrer neuen Katze widmen wollte. Doch dann kündigte die Dienerin eine Fürstin mit einem unaussprechlich langen Namen an, und Malia sah sich zu ihrer Überraschung mit einer Kundin konfrontiert. Mit einer Frau in Samtgewändern, die mit klimpernden Ketten behängt war; sie hatte sich zudem mit baumelnden Ohrringen geschmückt und das nussbraune Haar zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt. Eine füllige Dame mittleren Alters, die dennoch nicht viel Raum einnahm. Alle ihre Gesten waren verhalten und geziert. Sie sah mehr zu der schlafenden Katze hinüber als in Malias Gesicht.
»Ähm, Zauberin ... Ihr wisst schon, wenn die Gärten nicht mehr so grünen und blühen wie früher ...« Den Rest konnte Malia nur erraten.
Es war das erste Mal, dass jemand »Ihr« und »Euch« zu ihr sagte. Wie zu jedem Zauberer. Unwillkürlich fühlte Malia sich geadelt, doch gleich darauf musste sie in die Niederungen der menschlichen Sorgen und Schwächen hinabsteigen.
»Die Tropfsteinhöhle ist auch nicht mehr das, was sie einmal war«, teilte ihr die Fürstin mit und warf ihr einen halb zornigen, halb verzagten Blick zu.
Es gab viel zu raten. Und eigentlich auch viel zu lachen, aber Malia lachte nicht über ihre Kunden. Höchstens ein heimliches Schmunzeln erlaubte sie sich.
Keine der Fürstinnen, der Prinzessinnen oder Gräfinnen konnte klar benennen, was ihr fehlte. Die meisten waren verheiratet und sehnten sich nach ein wenig mehr Schwung in ihrer Ehe. Oder nach einem Mittel, um sich einen feschen Liebhaber zu angeln. Ihnen war zuweilen auch nicht recht klar, was eine Liebeszauberin war, aber Malia erklärte geduldig, was sie mit Deiaras Kraft vermochte und was nicht.
Da waren Wüsten, die schon lange kein Wasser mehr gesehen hatten. Ausgetrocknete Teiche und dürre Flussbetten. Es war erstaunlich, zu wie viel Poesie diese vornehmen Frauen fähig waren. Auch Vergleiche mit diversen Obstsorten kamen vor.
Obwohl den Besucherinnen alles und jedes peinlich zu sein schien – »Ihr wisst schon«, flüsterten sie verschämt –, empfahlen sie Malia doch ganz offen weiter, und bald konnte diese sich vor »Ihr wisst schon«-Kundschaft kaum noch retten.
Wie merkwürdig, dachte sie manchmal. Sie tun, als müsste ich alles wissen. Dabei weiß ich im Grunde gar nichts. Meine Mutter hat mir beigebracht, wie man hilft. Ich weiß, wie ein Mann aussieht und was Männer und Frauen im Bett tun. Aber das ist auch schon alles. Was soll ich über Probleme wissen, die Paare haben, wenn die Phase der Verliebtheit vorbei ist? Ich habe ja noch nicht einmal erlebt, wie es ist, verliebt zu sein. Wahrscheinlich werde ich als alte Jungfer sterben.
Die Traurigkeit, die sie bei solchen Gedanken überkam, versuchte sie mit noch mehr Arbeit zu vertreiben. Doch besser wurde es davon nicht. Wer hätte gedacht, dass Liebe und auch Nicht-Liebe so traurig machen konnte? Manchmal, wenn das Glück sie überkam, wenn sie sang und in ihrem Zimmer tanzte, durchfuhr es sie wie ein Blitz: Und ich? Und was ist mit mir? Oh Deiara, was ist mit mir?
Manchmal wäre sie lieber unglücklich verliebt gewesen, hoffnungslos und unsterblich verliebt, als dazu verurteilt zu sein, überhaupt nichts zu empfinden. Zärtlichkeit – zu Schneewolke, die genüsslich schnurrte, wenn sie gekrault wurde. Herzliche Zuneigung – zu Graf Felias, den sie schon vermisste, wenn sie sich einen Tag nicht gesehen hatten. Was sie Königin Le-Iva gegenüber empfand, war schwerer in Worte zu fassen. Verehrung, mit einer Spur Mitleid? Verliebtheit war es jedenfalls nicht. Es hatte nichts damit zu tun, was ihre Kunden beschrieben, die Sehnsucht des Herzens und des Körpers, die sie als schmerzhaft und manchmal geradezu qualvoll erlebten. Es klang wie eine Krankheit, für die es nur eine einzige Heilungsmöglichkeit gab.
Eigentlich verrückt, sich diese Krankheit zu wünschen.
Drei Tage lang hatte sie schon gewartet. Jeden Abend, wenn sie zu Bett ging, wanderte ihr Blick durchs Zimmer, als könnte sie in den Schatten etwas entdecken, was nicht da war. Oder jemanden. Als könnte sie ihn aus den Schatten und der Unsichtbarkeit herausbefehlen.
Er kam nicht.
Und wie verrückt war es, sich zu wünschen, dass er erneut auftauchte? Er war gefährlich. Er zeigte ja nicht einmal sein Gesicht!
Trotzdem hätte sie gerne noch einmal mit ihm geredet. Es war ... interessant.
Er war interessant.
Und bewies es nicht, dass es noch andere Dinge gab als Verliebtheit und turtelnde Paare und hilfesuchende Eheleute? So etwas wie Freundschaft oder nur das Interesse an anderen Menschen – war nicht auch das wichtig und erfüllend?
Sie setzte sich aufrecht in ihr Bett, mit dem Rücken am Kopfteil, und nahm die Katze auf den Schoß. Schneewolke war schwer, ihre Krallen scharf und ihre Zähne überaus spitz, aber als sie schnurrte, spielte nichts davon eine Rolle. Malia grub die Finger in das dichte, weiche Fell.
Ihr waren die Augen längst zugefallen, als sie wieder hochschreckte. Es war dunkel im Zimmer, das Kaminfeuer heruntergebrannt. Der Schatten verschmolz mit dem Sessel.
Sie hörte ihn atmen.
»Nicht erschrecken«, sagte er leise.
»Wieder mal ein unangemessener Besuch?«
»Angemessenes Verhalten wird überbewertet.« Ein kleines Lächeln schwang in seinen Worten mit.
»Dann hast du nicht mal ein schlechtes Gewissen?« Sie kraulte Schneewolke weiter, die sich auf ihrem Schoß streckte. Die Katze würde rabiat werden, wenn sie sich über die Störung ärgerte. »Und überhaupt, meine Katze müsste dich jetzt eigentlich beißen. Sie verabscheut Besuch.«
»Deine Katze liebt mich«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Wir haben uns bereits miteinander bekanntgemacht.«
Wäre es nicht mitten in der Nacht gewesen und hätte er nicht einen dunklen Mantel getragen, der ihn mit den dunklen Gegenständen im Zimmer verschmelzen ließ, es hätte sich beinahe wie ein normales Gespräch angefühlt, dass sie mit einem anderen Palastbewohner führte. Malia musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie Angst vor ihm haben sollte.
Es war leichtsinnig, ihm zu vertrauen.
»Du warst in meinem Zimmer? Warum?« Es hatte nichts gefehlt. Nichts hatte an einem anderen Platz gestanden oder auf andere Weise verraten, dass jemand ihre Sachen durchwühlt hatte. »Hast du etwas Bestimmtes gesucht?«
»Ich habe nichts angefasst«, sagte er, als verwahrte er sich gegen einen Vorwurf, den sie ihm noch gar nicht gemacht hatte. »Außer der Katze, aber sie war aufdringlich. Ich hatte keine Wahl.«
»Ach.«
»Ja. Ehrlich.«
War ein Kriegermönch überhaupt zur Ehrlichkeit fähig? Sie mordeten. Sie forderten Tribut ein. Sie verbreiteten Angst und Schrecken. Wen kümmerte es, wenn sie auch noch logen?
»Was willst du dann hier?«
»Ich weiß nicht.« Er klang verwirrt.
Malia war nun hellwach. Sie fühlte sich wie während ihrer Arbeit, wenn sie einen Kunden hatte, der nicht recht mit der Sprache herauswollte. Der zu schüchtern war oder dem sein Anliegen zu peinlich war. Das bedeutete, sie musste Geduld haben.
Sie musste das Gespräch führen, ihm das Gefühl geben, sicher zu sein.
Es war absurd, denn er war keiner ihrer Kunden, und vielleicht war es ihre eigene Unsicherheit, sich so zu benehmen, als stünde sie in ihrer Kräuterkammer.
»Mein Tag war interessant«, sagte sie. »Allmählich trudeln auch männliche Kunden ein, und vorhin erst war ein Fürst bei mir, ich nenne natürlich keine Namen, der sich über die Kälte seiner Ehegattin beschwert hat. Ich habe ihm ein Mittel gegeben, das das Feuer wieder entfachen soll.«
»Das nenne ich einen erfolgreichen Tag. Hast du den Garten zum Blühen gebracht? Den Frühling eingeladen?«
Er wusste, wie sie mit ihren Kunden redete. Hitze stieg ihr in die Wangen. »Du darfst keine persönlichen Gespräche belauschen. Nicht über so etwas.«
»Nach Möglichkeit vermeide ich es auch. Aber es ist ... faszinierend.«
»Das ist es.« Sie konnte ein kleines Kichern nicht unterdrücken. »So weit ist es schon mit mir gekommen – ich denke in Gedichtzeilen.«
»Hast du das nicht schon immer? Du singst häufig. Ist das so viel anders?«
Das auch noch! Er hörte zu, wenn sie sang? Sie musste dringend, ganz dringend, das Thema wechseln.
»Erzähl mir von deinem Tag. Hast du den Streit der zwei Gräfinnen mitbekommen?«
Wieder dieses unsichtbare Lächeln. »Oh ja. Das war nicht zu überhören. Worum ging es denn da? Ich habe nicht verstanden, warum man sich wegen einer kleinen Verspätung so streiten kann.«
»Es ging nicht um die Verspätung. Es ging um einen Mann.«
»Den beide wollen? Sind sie nicht verheiratet?«
»Um einen Mann für ihre Töchter. Jede will besser dastehen, damit er ihre Tochter wählt.«
Der Mönch seufzte. »Das Leben in diesem Palast ist anstrengender, als ich jemals gedacht hätte.«
»Ich kann mir vorstellen, dass es im Kloster ruhiger ist.«
Sie dachte schon, sie hätte ihn mit der Erinnerung daran, wo er herkam, verschreckt, denn er antwortete eine ganze Weile nicht. Dann sagte er: »Die Berge, ja. Oben in den Bergen ist es sehr still. Der Wind ist laut. Er singt oder pfeift oder heult, aber die vielen Stimmen schweigen. Doch im Kloster ... nein. Ruhig ist es dort nicht.«
»Wie viele Mönche seid ihr?«
Diesmal lachte er wirklich. »Versuchst du, mich für die Königin auszuhorchen?«
Einen Moment lang hatte dieser Gedanke sie durchzuckt – dass sie die Gelegenheit hatte, Informationen zu sammeln, die sich im kommenden Krieg als wichtig erweisen könnten.
»Das wäre dumm von mir.«
»Ja, das wäre es.«
Sie musste das Gespräch rasch wieder in andere Bahnen lenken. »Ich wäre nicht traurig, wenn ich der Königin helfen könnte. Sie ist ein guter Mensch. Aber ich habe nicht deshalb gefragt. Ich versuche nur zu verstehen, wie euer Leben oben im Gebirge aussieht. Ich dachte, es wäre kalt und einsam, und ihr Mönche schleicht stumm und grimmig umher und malt Eisblumen an die Wände.«
»Das ist ... nein, so ist es nicht.« Und dann lachte er wieder.
Sie kannte niemanden, der ein so schönes Lachen hatte. Es war noch schöner als seine gewöhnliche Stimme.
»Wie ist es dann?«
»Keioron verlangt nicht, dass wir schweigen. Wir üben uns im Kampf, das verschlingt viele Stunden des Tages. Wir reden miteinander. Wir schließen Freundschaften. Wir tun viele Dinge gemeinsam. Essen. Wache halten.«
»Beten?«
»Nein«, sagte er. »Nur der Prinz kann mit Keioron reden.«
»Im Palast ist man der Ansicht, dass nur der Prinz so mächtig sein kann, unentdeckt durch Räume voller Wachen und Zauberer zu wandern und Muster in adelige Haut zu ritzen.«
»Fragst du mich etwa, ob ich Prinz Tagoron bin?«
»Das würde mir im Traum nicht einfallen. Du wärst sicherlich erzürnt über eine solche Frage.«
»Deshalb wirst du sie nicht stellen.«
»Nein, werde ich nicht. Außerdem müsste ich dann Ihr und Euch sagen wie zu den anderen Adligen, und das ist auf Dauer sehr anstrengend.« Schneewolke hob den Kopf und mauzte unwillig. Offenbar hatte Malia zu heftig in ihr Fell gegriffen. »Oh, tut mir leid, meine Süße.«
Der Mönch hockte reglos im Sessel. Sie wünschte sich Licht. Sie wünschte sich, er würde ihr sein Gesicht zeigen. Passte es zu dieser schönen Stimme, zu diesem vollkommenen Lachen?
»Und was wäre so schlimm daran, mir deinen Namen zu sagen? Selbst wenn du der Prinz wärst, würde es der Königin nichts nützen, das mit Sicherheit zu wissen. Ihre Wachen würden es nie wagen, dich fangen zu wollen. Ihre Zauberer ... nun, das weiß ich nicht sicher. Meister Eridan hält sich für unbesiegbar.«
»Solltest du mir solche Dinge verraten?«
»Du wohnst sozusagen hier im Palast. Ich denke, das weißt du längst.«
Vielleicht nickte er. Wäre es nur nicht so verflucht dunkel gewesen.
Schneewolke beruhigte sich wieder. Malia ließ ihre Finger durch den warmen Pelz gleiten. Der Mönch saß im Sessel und schwieg, doch es war eine schöne Stille. Warm und angenehm wie Badewasser. Es war beinahe so, wie mit Graf Felias in der Wanne zu sitzen.
Sie musste eingeschlafen sein, denn als sie die Augen aufschlug, schien die Morgensonne durchs Fenster. Schneewolke schlief an ihre Hüfte gekuschelt, und der Mönch war fort.