28. Katze und Käfer
»Willst du wohl stillstehen, dummes Biest!«
Ke-Achan schimpfte mit der Ziege, die ihm schon wieder auf den Fuß getreten war. »Ein wenig Respekt würde dir ganz guttun, hast du gehört?«
Basdin lachte leise. Kopfschüttelnd sah er zu. »Du müsstest das nicht tun.«
»Natürlich muss ich das. Jeder Bruder melkt hin und wieder die Ziegen. Ich bin nichts Besseres. Außerdem mache ich es gerne.«
»Du genießt es, dich mit diesen stinkenden Viechern abzugeben?«
Ke-Achan kraulte die Ziege am Kopf. »Sie mag mich. Manchmal vergisst sie es bloß.« Er nahm den Krug mit der warmen Milch und stand auf. »Wo sind die anderen? Wieder Zauberer jagen?«
»Sie geben einfach nicht auf. Le-Iva schickt sie immer wieder hier rauf. Wie lange soll das noch so weitergehen? Warum beenden wir es nicht ein für alle Mal?«
Ke-Achan legte die Hand auf seinen Arm. »Weil es nicht zu Ende gehen soll. Nicht so schnell.«
Vor dem Stall begegnete ihm Torlin. Seit Ke-Achan ihn vor der Gier des Gottes gerettet hatte, verhielt der Junge sich merkwürdig. Ob er ihn erkannt hatte?, fragte sich Ke-Achan nicht zum ersten Mal. Torlin ließ keinen dummen Spruch los, musterte ihn aber zwischen den Wimpern hindurch mit einem langen, finsteren Blick.
»Ziegenmilch?«, bot Ke-Achan ihm freundlich an.
»Danke, nein. Ich habe heute schon genug Nahrung zu mir genommen.«
»Kein Schluck zu viel, wie? Was fürchtest du? Dass du fett und verweichlicht wirst?«
Torlin knurrte etwas Unverständliches. Leise lächelnd ging Ke-Achan weiter. War er in dem Alter auch so gewesen? So hingegeben an den Gott, dass ihm das kleinste Vergnügen wie der allerschlimmste Verrat vorgekommen war? Als ein Vergehen, auf das die Todesstrafe stand?
Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
Ein Bild trat vor seine Augen: Malia, tanzend, die Arme erhoben, die Wangen gerötet, leicht zerzaust, das Haar über den Augen ... Warum dachte er ausgerechnet jetzt an sie? Weil er über Verbrechen nachgesonnen hatte, die den Tod nach sich zogen?
Dabei war er doch gehorsam. Er ging in den Palast und erschreckte die Königin. Er tat genau das, was er sollte.
Als er später mit einem Schlauch voller Ziegenmilch den Berg hinunterstieg, musste er sich eingestehen, dass er gar nichts dagegen hatte, Keiorons Krieg auf diese Weise zu führen. Die Königin und sämtliche Zauberer zu töten hätte das alles zwar beendet, aber ihm auch jeden Grund genommen, in den Palast zu gehen und die blonde Zauberin zu beobachten oder, wenn er sein Glück herausforderte, mit ihr zu reden.
Heute war sie noch nicht da. Die Katze wartete schon auf ihre Milch und die gewohnten Streicheleinheiten und schmiegte sich hingebungsvoll an seine Knie. Sie schnurrte verzückt. Angefaucht wurde er schon lange nicht mehr. Wenn er sich überlegte, wen er lieber mochte, die Klosterziegen oder die Himmelskatze, war die Antwort nicht schwer. Malias samtfellige Katze war schon beinahe ein ausreichender Grund, um sich in den Palast zu schleichen. Beinahe.
***
Sie biss sich vor Konzentration auf die Zunge. Trotzdem gelang es wieder nicht, unter ihren Händen auch nur den kleinsten Schild entstehen zu lassen.
Galahar, der Adept, der zu ihrer Schulung abbestellt war, verzog missbilligend den Mund.
»Es ist doch ganz einfach. Warum kapierst du es nicht? Du breitest deine Hände aus, lässt die Kraft fließen und wölbst sie zu einer Kuppel.«
Malia breitete die Hände aus. Aber weiter kam sie nicht, auch wenn sie alles genauso machte, wie Galahar es befahl. Er hatte ihr ein weißes Gewand mit einem goldenen Streifen versprochen, die Kleidung eines Adepten, wenn sie es schaffte, aber es klappte einfach nicht. Außerdem war sie eine Priesterin, hatte Eridan behauptet, keine Zauberin. Warum sie trotzdem Unterricht bei einem Zauberer erhielt, noch dazu bei einem Jungen, der selbst ein Lehrling war, hatte Le-Iva ihr nicht erklärt. Man konnte eine Königin nicht dazu zwingen, einem irgendetwas zu erklären.
Galahar fuhr sich durch die wirren braunen Locken, die auf seinem Kopf wucherten, und seufzte überlaut. »So schwer ist es doch wohl nicht. Schau her. Siehst du den kleinen Käfer hier?«
Auf dem Pflaster glänzte eine winzige Kuppel, die aussah wie eine umgestülpte Glasschüssel. Der grünlich schillernde Käfer darunter lief auf der Suche nach einem Ausweg am Rand der Schüssel entlang, immer im Kreis. So hatte er sich sein Erwachen aus der Winterstarre gewiss nicht vorgestellt. Die immer mutigere Frühlingssonne hatte nicht nur die ersten Blumen, sondern auch eine stetig wachsende Anzahl aufgeregter Bienen und Käfer geweckt, die freudetaumelnd umherflogen, gegen Fensterscheiben stießen und sich in den Vorhängen verfingen oder, schlimmer noch, in den Haaren kreischender Damen. Der Frühling war tückisch, denn das lang ersehnte Licht versprach Wärme, die allzu rasch wieder schwand. Malias Unterricht hatte vor etlichen Stunden begonnen, als es im Hof neben der hohen Mauer angenehm warm gewesen war, doch mittlerweile wehte ein kalter Wind, und sie war bis auf die Knochen durchgefroren.
Möglicherweise spürte Galahar die Kälte nicht. Sie hatte ihm gestern nichts ausgemacht und auch nicht die Tage davor, obwohl sein Mantel nicht gerade dick aussah, während Malia in dem gefütterten Wollumhang, den Felias ihr geschenkt hatte, erbärmlich zitterte.
»Hörst du mir überhaupt zu, Mädchen?«
Sie fand diese vertrauliche Anrede unverschämt, doch sie sollte froh und dankbar sein, dass sie etwas lernen durfte, deshalb bejahte sie mit klappernden Zähnen.
»Mit einer Schildwand kannst du dich vor Angriffen schützen. Mit einer Schildkuppel wie dieser kannst du deine Feinde dauerhaft von dir fernhalten. Wenn du dazu in der Lage wärst, jedenfalls. Auf diese Weise könntest du sogar einen Mönch fangen und der Königin eine Freude machen.«
»Einen Mönch fangen? Wie wunderbar.« War das der Grund für den Unterricht? Einen der Eiskrieger zu fangen war schon vor Wochen Le-Ivas erklärtes Ziel gewesen. Malia betrachtete den Käfer, der verzweifelt versuchte, aus seinem Gefängnis zu entkommen. Sie dachte an den Mönch, an ihren Mönch. An die Nächte, in denen er an ihrem Bett saß und mit ihr plauderte, als seien sie seit jeher Freunde gewesen. Natürlich hatte sie ihm nichts von den Unterweisungen durch den jungen Adepten verraten, und er hatte nicht danach gefragt, doch gewiss hatte er mitbekommen, was sie hier versuchte.
Bestimmt lachte er insgeheim über sie und ihre vergeblichen Bemühungen. »Wenn es so einfach ist, warum hat dann bisher kein Zauberer einen Eismönch gefangen?«
»Ich bin nicht mächtig genug«, gab Galahar widerstrebend zu. »Aber Königin Le-Iva scheint zu glauben, dass du es bist. Warum auch immer.«
Das dachte er also? Dass sie den Auftrag hatte, einen Mönch zu fangen?
Sie hatte geglaubt, es sei ein Geheimnis.
An einem Gefangenen hätte sie den Herzenstrank ausprobieren können. Keine schlechte Idee eigentlich. Wenn sie nur leider nicht völlig unfähig gewesen wäre, einen magischen Schild zu errichten.
»Was ist Magie?«, fragte er.
»Ich verstehe nicht, was du meinst.« Er war nur ein Adept, sie musste ihm keine übergroße Höflichkeit erweisen. Andererseits war er ihr Lehrer. Es wäre falsch gewesen, ihn zu schlagen, obwohl sie ständig Lust dazu hatte.
»Und du kannst es nicht beherrschen, weil du es nicht verstehst. Also?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Streng dich an.«
»Ähm ... eine Kraft. Eine Art Kraft.«
»In dir? In der Luft? Wo ist sie, wo nimmst du sie her? Kommt sie zu dir oder musst du sie rufen? Was ist sie? Wie ist sie?« Er seufzte schwer, als sie keinerlei Anstalten machte, ihm zu antworten. »Natürlich kann ich dir nicht in ein paar Stunden beibringen, was wir im Archiv mühsam lernen. Doch da du eine Priesterin bist, solltest du nicht dieselben Schwierigkeiten haben wie die echten Zauberer. Deine Göttin gibt, du musst nur zugreifen. Es ist anders als bei uns, die wir ...«, er zögerte, »stehlen.«
Malia hatte mit so einigem gerechnet – damit gewiss nicht. »Stehlen? Ihr Zauberer stehlt die Magie? Wem?«
»Niemandem«, sagte er schroff. »Doch wir müssen sie der Welt mühsam abringen. Stell dir die Kraft vor wie Fäden, die durch die Luft fliegen, und die wir sammeln müssen. Und nicht mit einem Schmetterlingsnetz, sondern mit einer Pinzette, denn jeder von uns kann nur die Fäden sehen, die für ihn bestimmt sind.«
»Und wie kann man wissen, welche das sind?«
»Jeder von uns wurde berührt«, sagte er, diesmal leiser und nachdenklicher. »Schon als Kind, meistens jedenfalls. Jeder Zauberer hat es irgendwann gespürt. Und er ist auf die Suche nach mehr davon gegangen. Im Archiv lernen wir, die Fäden zu erkennen, die für uns bestimmt sind. Wir lesen, wir forschen in den alten Büchern nach dem Namen und den Zeichen dieser speziellen Kraft. Darin liegt auch das verborgen, was wir damit tun können. Jede Kraft ist anders. Nicht jede eignet sich zum Heilen oder zum Kämpfen. Manche lässt den Zauberer fliegen oder befähigt ihn dazu, Gedanken zu lesen oder in fremden Sprachen zu sprechen oder ...« Er brach ab, als hätte er schon zu viel gesagt. »Es ist mühsam. Es dauert lange, sowohl die richtigen Fäden zu erkennen als auch herauszufinden, wie man sie einsetzen kann und wie nicht. Manche Zauberer haben die Fäden gemischt. Einige konnten ihre Kraft dadurch mehren, bei anderen führte es zur Katastrophe. Letztendlich endet es immer im Wahnsinn, deshalb sollte man es lassen. Wir versuchen, aus unseren Fehlern zu lernen. Wir sind alle Lernende.«
Sie hätte niemals erwartet, dass ein Zauberer zugab, nicht alles zu wissen, auch wenn er bloß ein Adept war. Es beeindruckte sie gegen ihren Willen. Und zum ersten Mal verstand sie, was an Zauberern so gefährlich war. Man wusste nie, was sie vermochten. Die Krieger des Ordens waren berechenbar, da sie alle dieselbe Kraft nutzten. Doch ein Magier konnte wer weiß etwas bewirken.
»Dann ist es möglich, dass deine Kraft es dir ermöglicht, einen solchen Schild aufzubauen, und meine nicht?«
»Das wäre es, wenn wir uns nicht ziemlich sicher wären, dass du eine Priesterin Deiaras bist. Es gibt nicht sehr viel, was wir über Deiara wissen, doch die Fähigkeit, einen Schild zu erzeugen, sollte dazugehören. Wahre Liebe mag nicht als Waffe dienen können, doch sie hat ganz gewiss eine Schutzfunktion. Dir ist doch bewusst, warum die Königin mich zu deinem Mentor ernannt hat? Sie ist schon Priesterinnen begegnet, die Deiara dienen, in der Wüste. Sie kennt diese Kraft, und sie will sie nutzbar machen. Die Kraft, die ich benutze, beruht auf ähnlichen Prinzipien wie deine.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Was übrigens geheim ist.«
»Das heißt, ihr Zauberer redet niemals über die Art eurer Kraft? Nicht einmal untereinander?«
»Nein. Sonst wäre es anderen Magiern möglich, freie Kraftfäden zu stehlen, bevor wir es tun können. Je mehr man über sie weiß, umso leichter kann man sie erkennen. Wir sind ein misstrauisches, eifersüchtiges Volk. Deshalb würde ich dir niemals den Namen meiner Kraft verraten, selbst wenn ich ihn wüsste.«
»Ah. Schade.«
Er lächelte – zum ersten Mal wirkte es ehrlich. »Ja. In der Tat, es ist schade, aber so sind die Regeln der Zauberergilde. Nun, zurück zu deinem Schild. Versuch es.«
Der Käfer rührte sich nicht mehr. Galahar löste die unsichtbare Kuppel auf und hob das Insekt mit einem angewiderten Gesichtsausdruck in die Höhe. »Das war’s. Und das ist auch die Antwort darauf, warum du nie versuchen solltest, um dich selbst herum eine magische Kuppel zu errichten. Früher oder später wird dir die Luft ausgehen.«
»Ich schätze, die Gefahr besteht eher nicht.« Mittlerweile war Malia so entmutigt, so enttäuscht von sich, so müde, dass sie am liebsten alle Zauberer mit so einer riesigen magischen Kuppel bedeckt hätte, um sie ein für alle Mal los zu sein. Und die mörderischen Kriegermönche noch dazu. Und die Königin – ach, aber sobald sie an die Königin dachte, legte sich ihr Zorn wieder.
Galahar schleuderte den Käfer von sich, und Schneewolke stürzte sich darauf. Malia schrie auf, als der Zauberer mit einer raschen Handbewegung eine neue Kuppel erschuf.
»Nicht meine Katze!«
»So schnell wird sie schon nicht ersticken. Kannst du den Schild auflösen, um sie zu befreien?«
Dort, wo die Zauberkraft sich um Schneewolke wölbte, flimmerte die Luft. Als Malia sie berührte, versetzte es ihr einen Schlag. »Au!«
Hinter der irisierenden Schranke miaute die Katze. Malia sah es, obwohl sie nichts hörte. Verstört schaute die Himmelskatze sich in ihrem Gefängnis um.
»Schneewolke! Es wird alles gut!«
»Sie kann dich nicht hören«, erklärte der Zauberer. »Allerdings sieht sie dich. Heb den Schild auf.«
»Wie denn?«, rief Malia verzweifelt. Auch Schneewolke wurde von Panik übermannt. Sie öffnete das Maul; sicherlich maunzte sie laut und vorwurfsvoll, auch wenn kein Geräusch nach draußen drang. Die Botschaft war klar: Lässt du mich hier umkommen?
»Hör damit auf!«, schrie Malia.
Galahar zuckte die Achseln. Betont beiläufig strich er mit beiden Händen über die Kuppel, die sich wieder auflöste. Schneewolke wich Malias tröstenden Händen aus und stob davon.
»Der Schild, den man braucht, um einen bissigen Hund oder eine aggressive Katze von sich abzuhalten, ist relativ klein und einfach. In den Bergen kann es einem das Leben retten, wenn man von einem Berglöwen oder einer Schlange bedroht wird.« Galahar musterte Malia skeptisch. »Um einen Mönch darin einzuschließen, bedarf es allerdings etwas mehr. Meine Kuppel ist so stark, dass keine fremden Zauberkräfte sie auflösen können. In einem geschlossenen Raum mit Kraft dagegen anzugehen, ist überdies nicht ungefährlich. Die Rückschläge würden den Eingeschlossenen verbrennen, bevor er ersticken kann.«
Das erinnerte sie daran, wie sie die Kraft des Feuerzauberers gespiegelt hatte. Vielleicht stimmte es ja wirklich und ihre Fähigkeiten waren verwandt. Und sie wusste immer noch nicht, wie sie eine Kuppel herstellen sollte.
Er murmelte etwas in seinen Kragen, was gegen die Königin gerichtet zu sein schien, aber da Malia es kaum verstanden hatte, wollte sie es lieber nicht genauer wissen.
»Woher nimmt man denn die Kraft? Erklär es mir.«
»Woher? Sie ist da, verdammt noch mal! Wenn du sie nicht spüren kannst, ist das dein Problem. Zauberer wird nur, wer die Kraft fühlt und danach greift und sie zu seiner eigenen macht. Du bist eine Priesterin. Deine Göttin gibt dir Kraft, aber du kannst damit nicht machen, was du willst. Die Göttin gibt es dir vor. Das ist so bei der Kraft lebender Gottheiten.«
»Lebender Gottheiten?«
»Erst wenn ein Gott tot ist, wird seine Kraft frei. Dann kann man damit tun, was man will – je nachdem, wie viel man davon besitzt.«
Sie glaubte, sie hätte sich verhört. »Wenn ein Gott tot ist? Aber die Götter sind unsterblich!«
»Das glauben die meisten Menschen. Allein die Vorstellung macht ihnen Schwierigkeiten. Deshalb wirst du dir nie die Kraft nehmen können, so wie wir. Du bist auf das angewiesen, was man dir gibt. Du wirst nie eine richtige Zauberin sein. Mir reicht es! Soll die Königin jemand anders schicken. Ich habe Wichtigeres zu tun.« Er seufzte, dann straffte er die Schultern. »Das Schweben von Gegenständen. Das sollen wir ebenfalls üben. Die Königin meinte, das könnte eine deiner Gaben sein. Schweben und fliegen.«
»Fliegen? Ich?«
Malia konnte ihm mühelos ansehen, was er davon hielt.
»Also, versuch es.«
Sie weinte nicht. Erst später, in ihrem Zimmer, die Hände im Fell der Katze vergraben, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Sie konnte Lieder über ihren Pülverchen singen und die Augen müder Fürstinnen, die ihrer Jugend nachtrauerten, wieder zum Funkeln bringen. Aber die anderen Zauberer würden sie niemals für voll nehmen.
Als Liebeszauberin arbeitete Malia mit der Kraft einer lebendigen Göttin. Sie hatte keinen Zugang zu einer Macht, die durch die Luft waberte und nach der man greifen konnte, wenn man nur wollte und das Gespür dafür hatte.
Sie hatte es nicht. Allein die Vorstellung erfüllte sie mit Entsetzen.
Wenn nur Le-Iva nicht gewesen wäre. Le-Iva und ihr grenzenloses Vertrauen in sie. Und in Deiara.
»So schlimm?«
Felias setzte sich an ihr Bett und nahm ihre Hand in seine. »Wieder dieser eklige kleine Adept?«
Malia versuchte zu lächeln. »Er weigert sich, mir noch irgendetwas zu zeigen. Aber das macht nichts. Ich kann ihn sowieso nicht ausstehen. Ich dachte, jeder andere Lehrmeister wäre besser als Meister Eridan, aber das nehme ich wieder zurück.«
Felias kraulte Schneewolke, die auf leisen Pfoten angeschlichen kam und hoffnungsvoll maunzte.
»Aber eigentlich hab ich bloß Bauchweh.«
Er musterte sie stirnrunzelnd. »Bloß? Du bist ja ganz blass. Dir ist wirklich nicht gut, wie?«
»Ziemlich kral «, gab sie zu.
»Du könntest etwas einnehmen.«
»Das wirkt doch sowieso nicht bei mir.«
Der Graf sah von Malias schweißnasser Stirn zu ihrem Bord mit Krügen und Flaschen hinüber.
»Und wenn ich dir etwas anrühre? Würde das helfen?« Begeistert von seiner Idee sprang er auf. »Sag mir, was ich machen soll, und ich tu’s!«
Sie hatte keine Kraft, mit ihm zu streiten. »Frauenmantel«, flüsterte sie. »Gänsefingerkraut. Honigblatt … Fenchel …«
Felias folgte genau ihren Anweisungen. Er setzte den Kessel auf ihrer kleinen Kochstelle auf und fügte die Kräuter hinzu. Ein aromatischer Duft verbreitete sich im Raum.
»Hier.« Er reichte ihr die Tasse. »Ist es schlimm, wenn ich auch eine trinke? Das riecht so gut.«
»Bitte schön. Schaden wird es Euch nicht.«
Er setzte sich an ihr Bett. »Dann bin ich heute derjenige, bei dem nichts wirkt. Und du kannst erleben, wie es hilft.«
Sie nippten an dem heißen Tee.
»Verlass den Palast«, sagte Felias. »Komm zu mir. Niemand wird etwas sagen. Die Königin hält ihre schützende Hand über dich, sie wird dir die Erlaubnis nicht verweigern. Wir heiraten, und immer, wenn du Schmerzen hast, koche ich dir etwas Schönes.«
Sie lächelte. Diesen Traum wurde er einfach nicht los, dabei hatten sie schon so oft darüber gesprochen.
»Es heißt, nach dem ersten Kind ist man diese Krämpfe los.«
Er seufzte. »Tja, und damit kann ich nicht dienen.«
»Es wäre eben keine richtige Ehe.«
»Nein«, gab er zu. »Aber lass mich einfach ein bisschen weiterträumen, ja?«
»Ihr habt Kummer«, stellte sie fest.
Er seufzte wieder. Als hätte er schlimmere Schmerzen als sie. »Cario bereitet den Gegenschlag gegen den Orden vor und hat kaum Zeit für mich. Ich habe mir das wirklich anders vorgestellt. Am Anfang war es genauso, wie ich es mir gewünscht hatte. Wie in einem Traum … Doch jetzt? Kann die Liebe denn so schnell schwinden? Kann sie kommen und sich wieder verabschieden, in einem Augenblick?«
»Sie muss ewig halten«, sagte Malia mit Nachdruck. »Und nie, nie, niemals enden.«
»Ja«, sagte Felias leise. »So empfinde ich das auch.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Ich wünsche mir auch jemanden, der mich liebt«, flüsterte sie. »Immer und immer und immer.«
»Ich liebe dich. Aber nicht so, wie du geliebt werden möchtest.«
Sie drückte seine Hand.
»Komm trotzdem zu mir«, bat er. »Ich mache mir wirklich Sorgen um dich, Malia, wenn du hierbleibst. Die Mönche sind gefährlich, und Le-Iva hat dem Gott des Eises selbst den Krieg erklärt.«
»Der Mönch wird mir nichts tun.«
»Wie kannst du dir da sicher sein? Nur weil er dich bisher verschont hat, muss das nicht so bleiben. Er ist unsichtbar, unhörbar – was weiß irgendjemand darüber, was er treibt? Ich mache mir Sorgen, Liebes.«
»Ich habe Schneewolke. Mir passiert schon nichts. Ah.« Sie sank zurück ins Kissen. »Der Tee hilft. Es geht mir schon ein wenig besser.«
Felias streckte sich lang neben ihr aus, und sie legte den Kopf auf seinen Arm. »Mir auch«, sagte er leise. »Mir auch.«