Kapitel 10

Maggie saß in einem überdimensionalen Sessel, der sie noch kleiner wirken ließ, als sie ohnehin war. Ihr schwarzes Haar war ungewaschen. Sie war barfuß, hatte die Beine an die Brust gezogen und die Hände über den Knien verschränkt. Die gelben Flammen des Feuers spiegelten sich in ihren Augen, die starr in die Ferne blickten.

»Riechst du es?«, fragte sie und schnupperte.

Serena roch gar nichts. »Was?«

»Schweiß von den vielen Polizisten. Sekundenkleber für die Fingerabdrücke. Zwei Tage ist es jetzt schon her, und ich kann es immer noch riechen.«

Serena hielt das für Einbildung, aber das behielt sie für sich. »Bist du hungrig?«

»Nicht besonders.«

»Ich habe geräucherte Forelle im Auto.«

Maggie verzog das Gesicht. »Igitt.«

»Igitt? Durch dich habe ich das Zeug erst kennengelernt.«

»In letzter Zeit schmeckt es mir nicht mehr«, erklärte Maggie.

Serena hatte sich auf einem Sofa in Maggies Fernsehzimmer ausgestreckt, das mit der Walnussvertäfelung und dem Hirschkopf an der Wand besser zu einem Mann gepasst hätte. Die Möbel waren mit schwarzem Leder bezogen. In einer Ecke tickte eine Standuhr, und das Holzfeuer erwärmte einen halbkreisförmigen Raum rund um den Kamin. Serena war schon seit fast einer Stunde da, aber sie sprachen nur sporadisch.

»Jonny tut es leid, dass er nicht kommen konnte«, sagte sie.

»Ja, ich bin eine Aussätzige«, meinte Maggie. »Wer mir zu nahe kommt, könnte sich anstecken.«

»Wenn er sich hinter den Kulissen für dich einsetzen kann, wird er das tun«, sagte Serena.

»Was kann er schon machen? Abel Teitscher ist der Boss.«

Serena wusste, dass das stimmte. »Hat Teitscher mit dir gesprochen?«

»O ja. Gestern. Drei Stunden lang. Er hat mich behandelt, als wäre ich eine stadtbekannte Drogendealerin. Am liebsten würde er mich an die Wand nageln, wie den Hirsch da oben. Erlegt und ausgestopft. Für Abel ist es ein Déjà-vu-Erlebnis. Seine Partnerin Nicole hat vor einer Weile ihren Mann erschossen, also muss ich es auch getan haben.«

»Vielleicht verweigerst du besser die Aussage«, riet Serena.

»Schon, aber was würdest du von einer Verdächtigen halten, die nichts sagt und sich sofort einen Anwalt nimmt?«

»Schuldig.«

»Genau. Da ich nichts getan habe, kann mir die Wahrheit nicht schaden, habe ich mir gedacht. Deswegen habe ich Abels Fragen beantwortet, obwohl ich weiß, dass das dumm war. Heute habe ich Archie Gale angerufen. Der hat mir genau das Gleiche gesagt. Ab sofort mache ich meinen Mund nur noch auf, wenn mein Anwalt dabei ist.«

»Teitscher ist Dan Erickson direkt unterstellt«, sagte Serena.

»Noch besser. Mein Kopf auf dem Tablett, das wäre ein schönes Abschiedsgeschenk für Dan und Lauren.«

»Wenn du eine Privatdetektivin brauchst, um eigene Ermittlungen anzustellen, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung«, erbot sich Serena.

Maggie lächelte und pfiff die Titelmelodie von Drei Engel für Charlie.

»Sehr witzig«, meinte Serena.

»Welche wärst du am liebsten?«, fragte Maggie.

»Jaclyn Smith. Kühl bis ans Herz.«

»Mir ist Farrah Fawcett lieber.«

»Klar, du bist die geborene Blondine.«

Maggie grinste breit.

»Im Ernst, soll ich irgendwas für dich herausfinden?«, hakte Serena nach.

»Ich rede mit Archie Gale und melde mich bei dir. Wenn man plötzlich auf der anderen Seite steht, gelten andere Regeln. Alles, was wir über Eric herausfinden, kann sich zu meinem Nachteil auswirken.«

»Und was ist mit dir?«, fragte Serena.

»Was soll mit mir sein?«

»Irgendwelche alten Fälle. Leute, die du ins Gefängnis gebracht hast. Will sich jemand an dir rächen?«

Maggie kräuselte die Nase. »Ich kann mich an keinen Fall mit einer persönlichen Komponente erinnern.«

»Vielleicht nicht von deiner Seite. Der Täter hat das möglicherweise anders gesehen.«

»Hast du schon mal erlebt, dass ein Verbrecher dir etwas antun wollte?«, wollte Maggie wissen.

Serena nickte. »Mehrfach. Die Killer in Las Vegas mögen wohl keine offenen Rechnungen. Das muss der Einfluss der Mafia sein. Einen Typen habe ich wegen schwerer Körperverletzung hinter Gitter gebracht, weil er versucht hatte, seine Freundin zu Hackfleisch zu verarbeiten. Tommy Luck nannte sich der Kerl. Hübscher Name, was? Als Tommy wieder frei war, versuchte er, sich zu revanchieren.«

»Hat er dich angegriffen?«

»So weit ist es nicht gekommen«, sagte Serena. »Er lauerte mir auf, wanderte aber wegen Schutzgelderpressung in den Knast, bevor er zuschlagen konnte. In seiner Wohnung wurden überall Fotos von mir gefunden. Den meisten hatte er die Augen ausgekratzt. Auf anderen hatte er meinen Körper mit einem Messer aufgeschlitzt und mit roter Farbe beschmiert.«

»Was ist aus ihm geworden?«

»Er sitzt wieder.«

»Ich glaube nicht, dass es in meiner Vergangenheit einen Tommy Luck gibt«, meinte Maggie.

»Dann muss jemand anderer einen Grund gehabt haben, Eric zu töten.«

»Freut mich, dass du so denkst. Die meisten Leute glauben, alles würde auf mich hinweisen. Ich habe ihn umgebracht, weil er eine Affäre hatte. Oder ich habe ihn umgebracht, weil ich eine Affäre hatte.« Maggie zog den Kopf ein und strich sich das Haar aus der Stirn.

Serena wollte sie nicht allzu sehr bedrängen. »Hör mal, es ist doch offensichtlich, dass ihr beide Probleme hattet.«

»Darüber darf ich nicht sprechen. Mein Anwalt würde mich umbringen.«

»Was mich angeht, hat dieses Gespräch nie stattgefunden, das weißt du. Seit Wochen beschäftigt dich irgendwas. Hatte es mit Eric zu tun? Hatte er eine andere?«

Maggie verdrehte die Augen. »Eric hatte mit Frauen dasselbe Problem wie andere mit Kartoffelchips. Er konnte einfach nicht aufhören.«

»Und was ist mit dir? Hattest du eine Affäre?«

Maggie legte das Kinn auf die Knie und warf Serena einen schrägen Blick zu. »Zumindest dachte Eric das.«

»So?«

»Er war davon überzeugt, dass ich etwas mit Stride hatte.«

Ein heikles Thema.

»Ich weiß, was du für Jonny empfindest«, sagte Serena leise.

»Und ich weiß, was er für dich empfindet.«

Eine Spur von Bitterkeit lag in ihrer Stimme. Die beiden Frauen waren Freundinnen geworden, aber Serena wusste, dass Maggie daran zu knabbern hatte, wie schnell Jonny sein Leben für Serena über den Haufen geworfen hatte. Für Maggie war er nicht dazu bereit gewesen, nicht einmal nach dem Tod seiner ersten Frau.

Serena war ebenfalls eifersüchtig. Wenn sie zu dritt waren, kam sie sich manchmal ausgeschlossen vor, weil Maggie und Stride so vertraut miteinander waren und auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblicken konnten.

»Ich darf das eigentlich gar nicht sagen«, setzte Maggie hinzu. »Falls Eric mich im Verdacht hatte, ihn zu betrügen, wäre das ein zusätzliches Mordmotiv für mich.«

»Aber du hattest doch nichts mit Stride.«

»Nein, aber es hätte gereicht, wenn Eric davon überzeugt war. Vielleicht hätte er sich scheiden lassen, ohne mir auch nur einen Cent zu zahlen. Teitscher würde diese Theorie gefallen.«

»Wollte Eric dich verlassen? War das das Problem?«

Maggie schnaubte verächtlich. »Nein, das ist ja die Ironie dabei. Eric wollte unbedingt, dass wir uns versöhnen. Er hatte sich bei mir entschuldigt und mir versprochen, mich nie wieder zu betrügen. Es tat ihm alles furchtbar leid. Süß, was?«

»Aber?«

»Ich wollte ihn verlassen. Aber ich wollte ihn nicht umbringen, ich wollte mich scheiden lassen, Serena. Am Mittwochabend wollte ich mit ihm darüber reden.«

»Willst du mir sagen, warum?«

»Es gab Dinge, mit denen ich mich nicht abfinden konnte«, erklärte Maggie.

»Wie was zum Beispiel?«

Maggie schüttelte den Kopf. »Darüber will ich nicht reden.«

So leicht ließ sich Serena nicht abspeisen.

»Vor ein paar Monaten hast du mich in Bezug auf Sex was gefragt. Ich habe den Eindruck, dass Eric dich zu Dingen überreden wollte, die dir zuwider waren.«

»Lassen wir das. Bitte.« Ihre Stimme wurde lauter.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Serena. »Bist du in Therapie?«

»Wieso glaubst du, dass ich eine Therapie brauche?«

»Komm schon, Maggie.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich war seit Thanksgiving nicht mehr bei Tony Wells.«

»Warum nicht?«

»Über die Fehlgeburten bin ich hinweg. Mir geht es gut. Dieser Teil meines Lebens ist für mich abgeschlossen.«

»Gar nichts ist abgeschlossen«, sagte Serena frustriert. »Du warst so aufgebracht, dass du dich scheiden lassen wolltest, und jetzt hat jemand deinen Ehemann getötet.«

»Klar, da braucht man natürlich Psychotherapie«, meinte Maggie. Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. »Das hilft bestimmt. Vielleicht findet er noch ein weiteres Motiv. Wenn ich verrückt bin, können sie mich nicht verurteilen.«

»Das habe ich nicht gemeint.«

»Ich weiß.« Maggie hob resigniert die Hände. »Tut mir leid, dass ich so unausstehlich bin. Wenn ich so weit bin, melde ich mich wieder bei Tony Wells. Versprochen. Aber im Augenblick kann ich mich einfach nicht damit auseinandersetzen.«