Das feindselige Schweigen hing lastend im Raum, aber die beiden Männer starrten einander an. Der Lüfter des Computers auf Ericksons Schreibtisch setzte sich surrend in Bewegung. Irgendwo draußen heulte der Motor einer teuren Limousine auf, als Lauren aus der Garage setzte und mit Vollgas das Grundstück verließ.
»Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas passieren würde«, sagte Erickson.
»Bei dir hätten alle Alarmglocken schrillen müssen, aber es war dir schlicht und einfach egal. Du wolltest nur deinen Hintern retten.«
Erickson zuckte die Achseln. »Vielleicht.«
»Wenn Serena etwas zustößt, mache ich dich fertig.«
»Da wirst du dich hinten anstellen müssen.«
»Mehr hast du nicht zu sagen?«
»Hör mal, ich dachte wirklich nicht, dass es so laufen würde. Du weißt so gut wie ich, dass die meisten Erpresser nicht gewalttätig sind. Im Grunde ihres Herzens sind sie Feiglinge. Ich dachte, dieser Bursche hat eine Schwäche für Serena, oder die beiden stecken unter einer Decke. Sie war neu in Duluth. Ich wusste nichts über sie.«
Stride glaubte ihm kein Wort, aber das spielte keine Rolle. Er verdrängte seine Wut. »Hast du irgendeine Vorstellung, wer dieser Typ sein könnte?«
»Nein, das habe ich doch schon gesagt.«
»Und Serena?«
»Mir hat sie jedenfalls nichts davon gesagt.«
»Wie hat er mit dir Kontakt aufgenommen?«
»Beim ersten Mal rief er hier zu Hause an«, erwiderte Erickson.
»Wann war das?«
»Letzten Dienstag.«
»Und was hat er gesagt?«, fragte Stride.
»Er wusste von meiner Affäre mit Tanjy.«
»Und was wollte er?«
»Zehntausend Dollar, sonst würden die Presse und Lauren von meiner Affäre erfahren.«
»Hat er gesagt, warum Serena das Geld übergeben sollte?«
»Nein. Er meinte nur, ich würde die Drecksarbeit bestimmt nicht selber machen wollen. Deswegen bräuchte ich einen Vermittler. Keine Ahnung, woher er sie kannte und warum er ausgerechnet sie wollte.«
»Woher wusste er von dir und Tanjy?«
»Ich hab keinen blassen Schimmer.«
»Was geschah dann?«
»Ich zahlte, und das war’s. Serena überbrachte das Geld. Ein paar Tage später spielte er ihr ein höchst eindeutiges Foto von mir und Tanjy im Grassy Point Park zu. Diesmal kam ich nicht mehr so billig davon.«
»Woher hatte er die Aufnahme?«
»Keine Ahnung. Das habe ich auch Serena gesagt. Tanjy hat die Bilder mit dem Selbstauslöser ihrer Kamera gemacht, aber ich hatte die Fotos von ihrem Computer gelöscht. Der Kerl hätte sie niemals finden dürfen.«
»Waren die Aufnahmen sonst noch irgendwo gespeichert? Auf deinem PC zum Beispiel?«
»Nein. Ich hatte sie für Tanjy von ihrer Digitalkamera auf ihren Rechner geladen. Meines Wissens war das die einzige Kopie. Sie hätte sie bestimmt niemandem gezeigt. Als wir uns im November nach dieser Vergewaltigungsstory trennten, habe ich die Bilder gelöscht.«
»Es wäre also denkbar, dass sie die Aufnahmen wiederhergestellt hat.«
»Tanjy? Die konnte ihren Rechner ohne Handbuch noch nicht mal einschalten.«
»Irgendwer muss es aber getan haben. Außer, der Typ ist auf die Fotos gestoßen, bevor du sie gelöscht hast.«
»Und warum hat er dann mit der Erpressung so lange gewartet?«
Stride nickte.
Die Logik war ihm noch nicht klar, aber er hatte das Gefühl, kurz vor einer wichtigen Entdeckung zu stehen. Der Erpresser musste Zugriff auf Tanjys Computer gehabt haben.
»Und wenn wir es mit einem Hacker zu tun haben?«, fragte er. »Mit jemandem, der E-Mails abfängt und über eine Internetverbindung oder ein drahtloses Netzwerk eindringt?«
Sein Adrenalinspiegel stieg schlagartig an, als er daran dachte, was dieser Erpresser noch alles gewusst hatte. Mitchell Brandt und seine Insidergeschäfte. Termine, Transaktionen, Beträge, hatte Brandt gesagt. Der Sexklub, über den Sonia auf ihrem Rechner genaue Aufzeichnungen führte. Fotos von Tanjy und Dan, die auf Tanjys Computer gespeichert waren.
»Der Kerl kann sich nicht von außen in Tanjys Rechner eingehackt haben«, sagte Erickson. »Irgendwer muss in ihrer Wohnung gewesen sein.«
Stride dachte an seinen Besuch in der Wohnung und an den Jungen, der Tanjy von seinem Schlafzimmerfenster aus beobachtet hatte. Wie hatte er noch geheißen?
Doug? Duke?
So einfach, wie man durch das Fenster ins Haus kam, war es durchaus denkbar, dass sich dieses Bürschchen mehrfach dort herumgetrieben hatte. Vielleicht hatte er irgendwann den Rechner hochgefahren und war dabei auf eine Goldmine gestoßen.
Ein aufregender Gedanke, den er aber gleich wieder verwarf. Selbst wenn eine Verbindung zwischen Tanjy und dem Jungen bestand, erklärte das nicht, wie er an die Informationen über Mitchell Brandt und Sonia Bezac gekommen war.
Dann fiel ihm ein, was Erickson gesagt hatte. »Wie kannst du dir so sicher sein, dass sich niemand in ihren Rechner eingehackt hat?«
»Weil ich dafür gesorgt habe, dass sie eine bombensichere Firewall installiert hatte«, erwiderte Erickson. »Ich wusste, was für Zeug sie gespeichert hatte, und wollte nicht, dass sich jemand bei ihr bediente.«
»Du hast doch gesagt, sie hatte keine Ahnung von Computern.«
»Natürlich nicht. Die Firewall haben die Leute von Byte Patrol für sie konfiguriert.«
Stride ging plötzlich ein Licht auf. »Byte Patrol? Das ist die Firma mit den lila Vans und T-Shirts?«
»Ja. Die sind überall in der Stadt unterwegs.«
Steinchen für Steinchen ordnete sich das Mosaik zum Bild.
Vor seinem geistigen Auge sah er den lilafarbenen Ordner neben dem Computer in Tanjy Powells Schlafzimmer.
Er erinnerte sich, wie Sonia ihm im Haus der Bezacs von dem hackersicheren System erzählte, das Byte Patrol für sie installiert hatte.
Und Mitchell Brandts geniale Recherche-Software war von Byte Patrol entwickelt worden.
Nun fiel ihm auch wieder ein, wie Sonia den Techniker im lila T-Shirt in der Boutique heruntergeputzt hatte.
Einen riesigen Mann, dessen Pratzen über die Tastatur flogen. Stride versuchte, sich das Gesicht vorzustellen, aber er wusste nur noch, wie der Techniker seinem Blick begegnet war und ihm zugezwinkert hatte.
Weil er genau gewusst hatte, wer Stride war, und sich auf dessen Kosten amüsierte.
Das war der Mann, der wusste, was sich auf den Rechnern verbarg.
Der Mann, der in der Stadt die Strippen zog und Geheimnisse verhökerte.
Der Mann, der Maggie vergewaltigt hatte.
Stride dachte daran, dass sich Eric bei Tony Wells nach den typischen Merkmalen eines Vergewaltigers erkundigt hatte.
Der Mann, mit dem Eric in jener Nacht verabredet gewesen war.
Der Mann, der Serena in seiner Gewalt hatte.