33. Paul – Tod ist (k)ein Freund

21. August, Oberammergau, Pfarrheim

Seine Hand schmerzte, seine Augen auch. Paul legte das Handy auf den Tisch, blinzelte mehrmals. Whats-App ließ er geöffnet, den Chat mit Theres. Die Statusanzeige unter ihrem Namen bewies, dass sie online war. Antworte endlich, Res. Er ärgerte sich. Schwachsinn. Er schaltete das Display schwarz und stieß das Smartphone von sich. Ich hätt vorhin einfach noch vorbeischauen sollen.

Seine Hand fuhr Richtung Weinglas, stoppte, er griff nach der Schorle. Paul schloss die Augen und wanderte durch seine Erinnerung zurück zu dem Abend von Tios Unfall, dann zu dem Besuch bei ihren Eltern und durch jedes Wort, das er auf dem Weg dorthin mit Theres gesprochen hatte.

Die Klingel riss ihn zurück in seine Wohnstube. Ein Fingertipp auf sein Handy zeigte, es war kurz nach neun. »Wer …?« Die Türglocke schrillte durch den Rest der Worte. Er überlegte. Um diese Zeit brachte kein Besucher Gutes. Trauer, Schmerz, Menschen, die jemanden verloren hatten, den sie lieben, oder die dabei waren, diesen zu verlieren.

Erneut die Klingel. Am Lichtschalter zögerte er kurz, schließlich tippte er darauf. Er blinzelte gegen die Helligkeit an und bemerkte durch das Milchglas der Tür eine Bewegung in den Schatten. Dann war der Türgriff in seiner Hand. Theres stand vor ihm. Das Erste aus ihrem Mund seit ihrer letzten Begegnung überraschte ihn nicht – Stille.

Er trat zur Seite und sie an ihm vorbei. Ihre Schritte donnerten durch den Flur wie der Takt eines Songs. Die Tür knallte ins Schloss und zwischen die Schritte, denen er in den Wohnraum folgte.

Theres wandte sich ab und dann ihm wieder zu. Anders als sonst lehnte sie sich einfach gegen die Tischkante, statt die Gläser zu holen oder Platz zu nehmen.

»Was?«, sagte er.

»Paul«, sagte sie. »Ich hab keine Bedienungsanleitung gefunden.«

»Was? Wofür?«

»Fürs Leben«, sagte sie. »Zefix noch mal, für dich.« Theres zeigte auf ihn, sich und den Raum dazwischen. »Ich bin narrert auf dich, und dann schreibst du, wie schlecht’s um die Brunnerin steht. Und was weiter mit Tio ist, weiß keiner.«

»Braucht’s also erst den Boandlkramer, damit sich eine Metzgerin bewegt?«

Sie hob entschuldigend die Hände. »Leuchtreklame exklusiv vom Tod versteh sogar ich. Wie deppert, wütend zu sein, wenn’s vielleicht kein Morgen gibt. Nicht miteinander zu reden ist Zeitverschwendung.«

Er musterte sie. Sie zuckte mit den Schultern. »Und Zeitverschwendung ist ungut. Nicht mit dir reden besonders. Ich dacht, ich wart diesmal nicht erst ein paar Jahre, bis wir das beilegen. Ich weiß, das war arg bei Tios Eltern.«

»Wenn’s nur das wär …« Sein Handy auf dem Tisch klingelte. »Himmel.« Er griff danach.

Theres wich zur Seite. »Um diese Zeit bedeutet das nix Gutes, oder?«

Die angezeigte Nummer erkannte Paul wieder. Die tränenerstickte Stimme am anderen Ende der Leitung bestätigte, was er vermutete. Ohne ein Wort zu sagen, lauschte er und beobachtete, wie sich Theres’ Miene veränderte. Bedauern las er darin, aber auch, dass sie verstand.

Er drückte sein Handy fester ans Ohr, murmelte hinein. »Beileid.« Er sah, wie ihre Lippen sich zeitversetzt bewegten. Er räusperte sich. »Ich bin gleich da.« Dann legte er auf.

»Der Boandlkramer? Wen hat er heimgeholt?«

Paul fuhr sich mit dem Finger den Kragen entlang. »Felix’ Oma, wie erwartet. Wenigstens war heut noch mal die ganze Familie zusammen bei ihr.«

Theres legte den Kopf zur Seite, furchte die Stirn. Sie sah irritiert aus, und in ihren Augen war dieses Funkeln, wie immer, wenn noch ein Gedanke aufblitzte. »Aber … warte mal.«

Er trat auf Theres zu. »Theres, du weißt, wie es ist. Ich meld mich.«

»Ich weiß, wie’s ist.« Theres nickte, sie hob die Hand und drehte sich zum Ausgang. »Wir sprechen morgen.«

An der Haustür sah er ihr nach, sah ihre Konturen mit der Nacht verschmelzen. Paul klappte den Kragen der schwarzen Jacke hoch und sperrte ab. »Timing ist alles.«