3. Kapitel
Austin
Er konnte schlecht mit dem Alleinsein umgehen, das spürte er jetzt, als er ruhelos über Jakes und Ethans Grundstück wanderte. Er hatte vorhin schon die Schreinerei inspiziert, den wild wuchernden Garten mit dem kleinen Teich, und den Trainingsparcours im hinteren Teil des Grundstücks. Und weil er nicht ausgeglichen , dafür aber sehr, sehr gelangweilt war, schlüpfte er in Trainingssachen und ging nach draußen. Nachdem er sich die einzelnen Hindernisse angesehen hatte, stellte er den Timer an seiner Smartwatch und rannte los. Er erkletterte Plattformen, zog sich an Seilen nach oben und sprang über einen Graben, ehe er sich unter tief gespannten Seilen hindurchschlängelte und durch Reifen hüpfte. Es dauerte keine zwei Minuten und er war vollkommen durchgeschwitzt. Mit den Battle Ropes trainierte er auch sonst gern, weshalb er sich dort einen Moment länger aufhielt, ehe er Klimmzüge machte, bis seine Arme brannten und zitterten. Die Liegestütze waren vergleichsweise einfach und auch die Eimer mit gefülltem Sand gut zu stemmen. Er wollte gerade eine zweite Runde dranhängen, als ihn eine Bewegung im Augenwinkel innehalten ließ. Er entdeckte zuerst Mac mit dem schwarz gepunkteten Fell, der aus dem Unterholz sprang, ehe eine größere Gestalt folgte.
Austin betrachtete Gabe, der sich trotz seiner Größe anmutig über im Weg liegende Hindernisse hinweg bewegte. Mac sprang mit heraushängender Zunge um ihn herum, und Gabe griff in seine Bauchtasche und gab ihm vermutlich ein Leckerli. Die beiden wirkten perfekt aufeinander eingespielt, und Austin spürte einen kleinen Stich in seiner Brust.
Aha. Jetzt war er also schon neidisch auf einen Hund, der sein Herrchen zu einem Lauf begleitete. Ging’s eigentlich noch peinlicher?
Gabe war zwar dankbar für seine Hilfe gewesen, doch Austin hatte das vage Gefühl, dass er keinen besonderen Wert auf seine Gesellschaft legte. Aber vielleicht war er auch einfach nur schüchtern und tat sich schwer damit, neue Bekanntschaften zu knüpfen.
Mac und Gabe verschwanden aus seinem Sichtfeld und Austin war wieder allein. Er seufzte und kickte mit der Schuhspitze in den Boden. Allein. In Seattle und wo auch immer er sonst mit seinem Team gewesen war, war er niemals allein gewesen. Und jetzt stand er hier und wusste nicht, was er mit all der freien Zeit anfangen sollte. Langeweile war das komischste, niederdrückenste Gefühl aller Zeiten. Er mochte es nicht.
Vielleicht würde es sich anders anfühlen, wenn er das Ende seiner Karriere aus eigenem Antrieb heraus bekanntgegeben hätte und nicht nur aufgrund der Kündigung seiner Assistentin. Er hätte noch ein paar gute Jahre vor sich gehabt, und jetzt stand er hier. Allein und gelangweilt. Er war verdammte sechsunddreißig Jahre alt und fühlte sich, als wäre sein Leben demnächst vorbei.
Er wandte sich um, holte aus und stieß den Sandeimer mit einem gezielten Tritt um.
Fuck.
Niemand könnte ihn dafür verklagen, dass er frühmorgens in den See stieg, um zu schwimmen. Es könnte sich einfach um ein neues Hobby handeln.
Er war heute Morgen sehr früh aufgestanden, hatte sich auf den Weg zum Marriotts gemacht und dort wie ein verrückter Stalker gewartet, bis Gabe um kurz nach vier Uhr aus seinem Appartement getreten und zielstrebig zum See hinuntergegangen war. Austin folgte ihm etwas langsamer, und nachdem Gabe beinahe lautlos ins Wasser geglitten war, tat er es ihm gleich. Er war erstaunt, wie schnell Gabe schwamm, denn er hatte tatsächlich seine liebe Mühe, ihm zu folgen und zu ihm aufzuschließen. Als professioneller Sportler war er es nicht gewohnt, dass jemand besser in Form war als er selbst.
»In Vermont darf jeder eine Waffe tragen. Wusstest du das? Ich hätte dich abknallen können, weil du mich verfolgst.« Gabe drehte sich vollkommen überraschend auf den Rücken und sah durch die Dunkelheit zu ihm.
»Wo hättest du die Waffe verstecken sollen? Glaub mir, unter dem Neoprenanzug wäre sie mir aufgefallen, so eng wie der ist.«
»Offenes Waffenrecht«, sagte Gabe nur, und schwamm weiter.
»Trotzdem«, beharrte Austin und bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Er spürte, wie sein Brustkorb sich wegen der ungewohnten Belastung zusammenzog, vergrößerte aber gleichzeitig seine Bemühungen, mit Gabes kraftvollen Schwimmzügen mitzuhalten.
»Ich trainiere immer allein.«
»Abgesehen von Mac«, fügte Austin hinzu. Sie waren nun beinahe auf gleicher Höhe und sein Körper passte sich an die Anstrengung an. Wenn er das öfter machte, würde er sich auch so einen sexy Neoprenanzug anschaffen müssen. Die Kälte des Wassers war nicht besonders angenehm.
»Wenn du hier draußen einen Krampf kriegst, wirst du leider ertrinken, denn ich muss meine Pace halten.«
Austin lachte auf und schluckte unabsichtlich einen Schwall Wasser. Bis er fertig gehustet hatte, war Gabe ihm schon wieder einiges voraus. Austin ließ sich davon nicht beeindrucken, er liebte sportliche Herausforderungen, außerdem machte ihm Gabes bissige Art gute Laune.
»Noch nicht ertrunken?«, hakte Gabe nach, als Austin zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Das hebe ich mir für ein anderes Mal auf. Der gefakte Hustenanfall reicht für heute.«
»Gefaked. Hmhm.«
»Du schwimmst also am liebsten allein. Warum? Ich trainiere immer lieber im Team.«
»Das ist der Grund, warum du in einer Teamsportart gespielt hast und ich nicht. Ich bin einfach gern allein. Ganz allein «, fügte er bedeutungsvoll hinzu. Im nächsten Moment wechselte er seinen Schwimmstil von Kraulen zu Schmetterling.
Da konnte Austin nicht mithalten, weshalb er weiter kraulte und Gabe im Auge behielt. Er bewunderte seine Kraft und gleichzeitige Eleganz, wie er sich durchs Wasser bewegte. Als hätte sein Körper unerschöpfliche Reserven, als wäre er ein Motor, der ohne große Anstrengung seine Touren drehte.
Nach einer Weile hielt Gabe inne und wartete auf Austin. »Immer noch nicht genug?«
Austin sah auf seine Uhr. »Da du in fünfundvierzig Minuten das Marriotts eröffnest, werte ich das als Fangfrage, weil du den gleichen Weg nochmal zurückschwimmen musst.«
Gabe verdrehte die Augen und schwamm ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei. Sie erreichten eine halbe Stunde später das Ufer, und Austin war ein klitzekleines bisschen erschöpft. Sein Coach war zwar immer offen für alternative Trainingsmethoden gewesen, aber als Quarterback war eine andere Art zu trainieren wichtiger. Gabe war ein Ausdauer-Sportler, Austins Stärke bestand aus explosiver Kraft und Schnelligkeit.
»War gar nicht so schlimm, oder? Schwimmst du jeden Tag?«
Gabe hatte nach dem Handtuch gegriffen, das er auf eine Bank gelegt hatte, und trocknete sich nun das Gesicht ab, hielt dann aber inne. »Ich weiß nicht, was daran so schwer zu verstehen ist. Ich trainiere lieber allein.«
»Okay. Dann könnten wir zusammen laufen«, schlug Austin vor. »Ein Fahrrad habe ich nicht, aber das kann ich auftreiben.«
»Ich gehe ins Fitnesscenter zum Fahrradfahren weil die Umgebung hier nicht geeignet ist. Und mit dem Laufen ist es wie mit dem Schwimmen.«
»Lieber allein?«, riet Austin. Er zog die Nase kraus, weil er Gabe einfach nicht verstand. Er behandelte ihn, als hätte er etwas falsch gemacht. Als würde er ihn für etwas bestrafen, obwohl Austin sich ganz sicher war, dass er nichts anderes als nett gewesen war.
Gabe hatte sich bereits abgewandt und hielt auf das Marriotts zu, als Austin pfiff. »Hey, Gabe, behandelt man so einen Menschen, der einem aus der Patsche geholfen hat? Ich frage für einen Freund!«, rief er ihm hinterher. Gabe blieb kurz stehen, doch dann ging er weiter, ohne sich nochmals zu ihm umzudrehen.
Austin sah ihm grinsend hinterher, ehe er sich beschwingten Schrittes auf den Heimweg machte. Der Morgen war doch gar nicht so schlecht gelaufen. Er hatte mit einem netten Kerl Sport gemacht, er war nicht ertrunken und auch nicht erschossen worden.
Die Euphorie der körperlichen Betätigung nahm Schritt für Schritt ab, und als er in Ethans Haus ankam, war nichts mehr davon übrig. Er stellte sich für mindestens eine halbe Stunde unter die heiße Dusche, und als er später die Sprachfunktion seines Handys aktivierte, teilte die monotone Stimme ihm mit, dass er dreizehn verpasste Anrufe hatte. Die meisten waren von seinen Teamkameraden. Sie waren gestern im Trainingslager angekommen und hatten inzwischen vermutlich vernommen, dass er nicht weiter für die Seattle Pirates und auch für keinen anderen Verein spielte. Er hatte es nicht mal über sich gebracht, seinen Teamkameraden die Nachricht persönlich zu überbringen, sondern sich feige und heimlich aus dem Staub gemacht. Austin runzelte die Stirn, als sich auch ein Anruf seines Vaters in der Liste wiederfand.
Da sie nur äußerst selten miteinander Kontakt hatten, war das wirklich etwas Besonderes. Er hoffte, dass er ihm auf die Mailbox gesprochen hatte, doch das war nicht der Fall. Austin würde ihn später zurückrufen müssen.
Er legte das Telefon zur Seite und seine Gedanken schweiften augenblicklich zu den Seattle Pirates zurück. Wenn seine Teamkameraden es wussten, würde es nicht lange dauern, bis auch die Presse Wind davon bekam, und den Zirkus wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Es war manchmal schon während der Saison schwer aushaltbar gewesen, wenn er bei jedem Schritt darauf achten musste, was er tat oder sagte. Er war ein besonderes Lieblingsopfer der Journalisten, weil er aus seiner Bisexualität zu keinem Zeitpunkt ein Geheimnis gemacht hatte, was wirklich außergewöhnlich in der NFL war. Soweit er wusste, gab es keinen anderen aktiven, geouteten Spieler. Er selbst hatte nie einen Sinn darin gesehen, sich zu verstecken. Außerdem war es doch so: Die Presse hatte so viel damit zu tun, ihn wegen seiner offen gelebten Sexualität zu verfolgen, dass sie gar nicht mitbekamen, welche anderen Geheimnisse Austin vor ihnen verbarg.
Gabe
Keine Männergeschichten. Nur du und Mac, das Marriotts, ein paar Wochen durchatmen.
Gabe seufzte. Seine Vorsätze waren ganz klar, doch die waren gar nicht so leicht einzuhalten, wenn plötzlich ein attraktiver Kerl wie Austin Perkins in sein Leben geschossen kam.
Ob es ihm schwergefallen war, Austins perfekt trainierten, fast nackten Körper zu ignorieren? Hölle, ja! Er hätte Austin liebend gern noch viel länger angestarrt, jeden einzelnen, sichtbaren, gut ausgebildeten Muskel mit den Augen verehrt, aber … Gabe hatte seine Lektion gelernt. Auch wenn er Austin als Mann attraktiv fand, bedeutete das nicht, dass sie sich näherkommen mussten. Er war hier, um Urlaub zu machen, und Gabe musste das Marriotts führen.
Es spielte keine Rolle, wer Austin war, wie er aussah oder was er tat. Nicht für Gabe.
Ja, Gabe kannte Austin, er hatte ihn oft in den Medien verfolgt, da er ein Fan der Pirates war und natürlich die Spieler und auch oberflächlich ihre Hintergründe kannte. Austin war ein Pressemagnet gewesen. Wenn es einen Sexskandal, Fotos einer exzessiven Party, oder wenn es eine Scheidung gab, dann konnte man sich ziemlich sicher sein, dass Austin in irgendeiner Weise darin verwickelt war. Er zog Chaos und Ärger an. Gabe hatte schon mehr als einmal Pressefotos von ihm gesehen, auf denen er lächelnd und winkend aus einem Club spazierte, eine hübsche Frau oder einen attraktiven Mann an seiner Seite. Manchmal auch beides.
Austin war alles, was Gabe verabscheute. Und auch, wenn er es ihm nicht so deutlich zeigen wollte, konnte er nicht anders. Vermutlich war das seine Art, sich selbst zu schützen, denn das Problem war: Austin war attraktiv, und er hatte eine anziehende Art. Und er war hier, zusammen mit ihm in Crystal Lake, und irgendwie … es gab nicht sonderlich viel Ablenkung, also dachte er zwangsläufig an den Mann.
»Kaffee!« Eine Frau stürzte durch die Tür des Marriotts . Ihre Haare waren ungemacht, sie trug eine locker sitzende Sporthose und ihr T-Shirt wies ein paar fragwürdige Flecken an den Schultern auf. Auf ihrem Arm hing ein schreiendes Baby. »Bitte. Kaffee«, wiederholte sie und klang wie eine Verdurstende.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Gabe langsam. Er war nicht in der Lage, sich von seinem Platz zu rühren. Er sah nur das Baby, und alle Gedanken an Austin zerplatzten wie eine Seifenblase. Der Geruch von süßer, perfekter Babyhaut traktierte seine Riechnerven und ihm wurde kurz schwindelig. Der Säugling steckte in einem hellblauen Strampelanzug, über dem Kragen lockten sich ein paar wenige dunkle Haare, und seine Beine strampelten wütend.
»Ich. Brauche. Kaffee.« Der Gesichtsausdruck der unbekannten Frau verwandelte sich langsam zu einer sehr ernsten, bedrohlichen Maske, ehe sie um den Tresen herumkam und ihm das Baby hinhielt. »Hier. Nehmen Sie ihn. Ich mache es selbst.«
Ohne darüber nachzudenken griff er nach dem kleinen Körper, der sich jetzt an seine Brust schmiegte, als gehörte er genau dort hin. Gabe verfolgte die routinierten Bewegungen der Frau, die die vollautomatische Kaffeemaschine bediente und gleich darauf einen perfekten Espresso in der Hand hielt. Als wäre es ein Shot, kippte sie ihn mit einer schnellen Bewegung herunter, dann gab sie ein Seufzen von sich, das aus dem Grund ihrer Seele zu kommen schien.
Gabe schaukelte das Baby leicht hin und her, als Mac aus dem Büro auftauchte. Gabe ging in die Knie und Mac vergrub seine Nase an dem wütenden kleinen Babykörper. Gabe lächelte und streichelte ihm über den Kopf. Mac war ein guter Hund. Er hatte einen natürlichen Beschützerinstinkt und war sanft zu kleinen, verletzlichen Wesen.
Ein Stich fuhr durch Gabes Körper, denn es hätte alles so gut sein können.
»So. Gut. Wenn Sie jemandem davon erzählen, werde ich alles abstreiten.« Die Frau durchbrach seine Gedanken mit ernster Stimme.
Gabe richtete sich wieder auf. »Ich werde nichts erzählen, ich habe Angst vor Ihnen«, erwiderte er. Auf keinen Fall würde er sich mit dieser Frau anlegen. Und wenn doch, dann musste er dafür sorgen, dass er immer genug Kaffee bei sich hatte, denn das Getränk schien sie zu beruhigen.
»Können Sie ihn noch halten? Nur einen Moment. Ich bin Monica.« Die Frau fuhr sich durch ihre dunklen Haare und holte tief Luft, ehe sie verschiedene Bewegungen machte, um sich zu dehnen.
»Harter Tag?«
Sie linste auf die Wanduhr. »Es ist neun Uhr. Ich bin erschöpft. Ich wusste nicht, dass Mutter zu sein heißt, dass man nie mehr schlafen darf. Und auch nicht duschen. Und dass meine Brüste schmerzen.« Sie rieb sich über ihre große Oberweite und verzog das Gesicht. »Und offenbar ist mein Filter kaputtgegangen, deshalb erzähle ich Ihnen gerade Sachen, die man wildfremden Menschen nicht erzählen sollte.«
»Ich heiße Gabe und das ist Mac«, sagte er lächelnd.
»Oh, gut. Jetzt kennen wir einander. Darf ich weiter über meinen Atombusen sprechen, der demnächst explodiert, wenn ich das Baby nicht bald anlege?«
Gabe lachte. »Oder du sagst mir, wie dieses entzückende Baby heißt.«
»Brady.« Monicas Stimme wurde jetzt weich, was Gabe sagte, dass sie vielleicht erschöpft und müde war, ihr Kind dennoch liebte.
»Monica, wie wäre es, wenn du Brady und mich ein bisschen arbeiten lässt und in der Zwischenzeit duschen gehst. Und wenn du zurückkommst, mache ich dir einen koffeinfreien Kaffee, der dich in den Himmel schicken wird.«
»Dusche klingt traumhaft, koffeinfrei nicht.« Monica verzog das Gesicht. »Ich kann das Baby nicht einfach bei dir lassen. Ich meine … ich kenne dich nicht wirklich. Auch wenn du Brady beruhigt hast, was mir seit dreitausend Stunden nicht gelungen ist …« Monica biss sich auf die Unterlippe und in ihren Augen glitzerten Tränen.
»Das hat nichts zu bedeuten«, tröstete Gabe sie.
Tracy kam im selben Moment aus der Küche, schob sich an ihm vorbei und zog Monica in ihre Arme. »Habe ich also richtig gehört«, sagte sie lachend. »Wie schön, euch beide zu sehen. Monica hat früher hier gearbeitet«, erklärte Tracy an Gabe gewandt. Sie kam näher zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und inspizierte Brady, der nicht länger herumzappelte, sondern ruhig an Gabes Brust lag und leise Geräusche von sich gab, die einfach nur niedlich waren.
»Er schläft gleich ein.« Monica seufzte. »Wie hast du das gemacht?«
»Denk nicht drüber nach. Das war bestimmt meine Männlichkeit, die ihm Sicherheit und Schutz verspricht.«
Monica lachte auf. »Du Arsch.« Sie ging nach draußen und hantierte am Kinderwagen herum, dann kam sie wieder herein. »Wenn du es wirklich ernst meinst, dann lasse ich Brady hier. Nur kurz. Und ich schwöre dir, wenn du …«
»Er ist okay«, warf Tracy ein.
Monica sah ihn an, dann nickte sie. »Wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, werde ich dich zerstückeln und im See versenken.«
»Okay. Verstanden. Du wirst mich nicht zerstückeln müssen, ich bin der Babyflüsterer. Was ist das?« Gabe betrachtete misstrauisch das meterlange Tuch, das Monica vor ihm auseinanderfaltete.
»Ein Tragetuch. Es ist genial, so kann Brady schlafen und du hast weiterhin beide Hände frei. Aber pass um Himmels willen mit dem Kaffee auf.«
Gabe schnaubte. »Ich bin kein Idiot. Also binde mir jetzt dieses Dings um, damit ich weiterarbeiten und du duschen gehen kannst.«
Unter Tracys und Macs interessierten Blicken, ließ er sich von Monica einpacken wie ein Geschenk. Er musste sich drehen, Brady anheben, ein Arme nach dem anderen verdrehen, und irgendwann war Monica fertig.
»Du kannst ihn jetzt loslassen.«
»Bist du dir sicher?«
Monica lachte. »Ja. Bin ich. Komm schon. Lass los.«
Gabe löste ganz langsam seine Hände von Bradys Rücken und war erleichtert, dass er nicht herunterfiel. Das Tuch schien ihn wirklich zu halten.
»Du wirst ein Auge auf ihn haben, oder?«, fragte Monica Tracy.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Tracy lächelnd. »Ich bin hier und werde das Baby vor dem großen, bösen Mann beschützen.«
Gabe schnaubte. »Ich stehe hier und kann euch hören.«
»Das hoffe ich. Denk an den See«, mahnte Monica.
»Geh jetzt!«, sagte Gabe lachend.
»Okay, bis später!«, sagte Monica langsam. Ihr Zögern war ihr bei jedem Schritt anzumerken, den sie sich von Brady entfernte, aber kaum war sie draußen, rannte sie los. Sie rannte, so schnell ihre Beine sie trugen und war im nächsten Moment verschwunden.
Gabe warf einen Blick zu Tracy. »Denkst du, sie kommt wieder?«
Tracy verschwand lachend in die Küche, während Gabe sich langsam hin und her wiegte. Die Wärme des Babykörpers und sein Geruch gingen auf ihn über. Jemand, der noch nie an einem Baby geschnuppert hatte, würde ihn nicht verstehen.
Dieses Baby in den Armen zu halten war die Erfüllung seiner geheimsten Wünsche. Es war wundervoll, und fühlte sich genau so an, wie er es sich immer ausgemalt hatte, bevor alles kaputtgegangen war.
Gabe zwang sich, seine Gedanken nicht in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Vielmehr wollte er die Zeit mit Brady genießen. Da einige Tische besetzt waren, schnappte er sich die Kaffeekanne und machte die Runde, die heute viel länger dauerte. Alle wollten Brady betrachten und unterhielten sich mit ihm, als wäre er der Vater.
Als er irgendwann zum Tresen zurückkehrte, bemerkte er Austin, der auf einem der Barhocker Platz genommen hatte und ihn aufmerksam betrachtete. »Das ging jetzt aber schnell«, sagte er trocken und nickte zu Brady. »Hast du ihn per Overnight Express bestellt?«
»Witzig. Wirklich witzig«, erwiderte Gabe. Zu seiner imaginären Liste, die neben seinem fantastischen Aussehen auch noch seine Hilfsbereitschaft enthielt, fügte er Humor hinzu. Austin hatte Humor. Austin war ein witziger, hilfsbereiter Kerl, der gut aussah. Er war verloren, und er wusste ganz genau, woran das lag. Das Baby war schuld. Es war der Duft, den es ausströmte. Der machte alles und jeden weicher. Es war eine geniale Erfindung der Natur. Sobald ein Baby in der Nähe war, sprachen die Menschen leiser, die Schutzschilde sanken und man fühlte sich benebelt von Liebe und Beschützerinstinkt. Dieses verdammte Baby.
»Okay. Ich brauche einen sehr großen Kaffee und ein Frühstück. Irgendwas, das mir Energie gibt.«
Gabe nickte zu der Tafel, auf der die verfügbaren Speisen standen. »Such dir etwas aus.«
»Heute vertraue ich auf die Empfehlung des Chefs«, erwiderte Austin grinsend, ohne auch nur einen Blick auf die Liste zu werfen.
Gabe seufzte. »Tracy? Austin hätte gern die Marriotts -Plate.«
»Was ist das?«
»Von allem etwas«, erwiderte Gabe und schenkte Austin eine Tasse Kaffee ein. »Sonst noch etwas?«
»Ja. Wann hast du heute Feierabend? Ich wollte dir etwas zeigen.« Austin sah ihn abwartend an, sein Gesicht von einem Lächeln erhellt, das irgendwie zu ihm zu gehören schien.
»Ich muss heute lange arbeiten. Sehr lange«, sagte Gabe ausweichend. Abstand, das war es, was er brauchte.
»Aber irgendwann bist du fertig. Wann denn?«
»Das kann ich noch nicht sagen.«
Austin legte den Kopf schief. »Warum tust du so geheimnisvoll?«
Gabe seufzte. Trotz Babygeruch war es vielleicht an der Zeit, Austin klar zu verstehen zu geben, wo sie standen.
»Okay, also … ich bin dir wirklich dankbar, dass du mir im Diner ausgeholfen hast. Wirklich. Aber … ich glaube nicht, dass wir beide allzu viel Zeit miteinander verbringen sollten.«
»Oh, das klingt nach einer Abfuhr. Erzähl mir alles darüber«, sagte Austin amüsiert.
»Ich habe hier viel zu tun und werde auch nicht lange in Crystal Lake bleiben, also …«
»Verstehe. Du hast vor, viel zu arbeiten?«
»Deshalb bin ich hier.«
»Keine Freizeit, abgesehen von deinen morgendlichen Schwimmrunden und den Läufen mit Mac?«
»Also …«
Austin beugte sich vor. »So wie ich das sehe, gibt es eine Menge Gründe, warum wir beide befreundet sein sollten.«
Tracy kam aus der Küche und stellte Austins Frühstück vor ihm auf den Tresen. »Guten Appetit«, sagte sie mit einem Zwinkern und verschwand wieder.
»Willst du auch was haben?«, fragte Austin Gabe.
»Nein, danke.«
»Du musst essen. Stillen kann sehr anstrengend für den Körper sein«, murmelte Austin.
Gabe warf ihm einen verärgerten Blick zu. Er gab neues Kaffeepulver in die Kaffeemaschine und schaltete sie ein, als Austin das Gespräch wieder aufnahm.
»Wir beide, das passt einfach. Wir sind die Neuen, kennen hier noch niemanden, machen gern Sport«, begann Austin mit seiner Aufzählung. »Soweit ich es gesehen habe, sind wir außerdem die attraktivsten Kerle hier, und das allein ist schon Grund genug, Dinge miteinander zu unternehmen.«
»Kannst du bitte einfach essen?«, fragte Gabe genervt. Er wollte ganz sicher nicht mit Austin über Attraktivität sprechen. »Außerdem kenne ich viele Menschen hier. Tracy und Lou und Brady. Und Monica.«
Austin hörte natürlich nicht auf ihn. Er schob sich eine Gabel Rührei in den Mund und sprach weiter: »Wir sind beide etwa im gleichen Alter.« Er legte den Kopf schief, und Gabe versuchte nicht auf seine funkelnden Augen zu achten.
»Wie alt bist du eigentlich?«
Gabe seufzte. »Vierunddreißig.«
»Siehst du? Ich bin sechsunddreißig.«
»Ich weiß!«, zischte Gabe.
Austin hob eine Augenbraue an. »Ach ja? Bist du etwa ein Fan?« Er grinste vergnügt. Dieses ganze Gespräch schien ihm unglaublich viel Spaß zu machen.
»Willst du noch Kaffee?«
»Nein, danke, ich habe noch. Tracy? Das Frühstück ist fantastisch!«
»Danke, mein Lieber«, rief Tracy aus der Küche zurück. Gabe verdrehte die Augen.
»Okay, außerdem mag ich Hunde. Ich mag deinen Hund.«
Gabe sah auf Mac hinunter, der nicht mehr ins Büro zurückgekehrt war, sondern es sich in einer Ecke hinter der Theke bequem gemacht hatte. Er schien zu spüren, dass gerade von ihm gesprochen wurde, denn sein Schwanz begann auf und ab zu wippen.
»Kein Interesse«, sagte Gabe dann.
Austin seufzte. »Noch nie hat jemand meine Freundschaft so rüde zurückgewiesen. Was ist los mit dir? Bist du einer dieser introvertierten Kerle, die am liebsten allein auf ihrem Sofa sitzen und The Big Bang Theory schauen?«
»Erstens: Es gibt nichts an dieser Serie auszusetzen, also bitte keine dummen Witze darüber. Und zweitens: Ich bin nicht hierhergekommen, um Freundschaften zu knüpfen, sondern weil ich arbeiten muss. Ich bin nicht auf der Suche nach neuen Menschen, die ich kennenlernen will, und nur zur Info: Mac mag es nicht, von Fremden gestreichelt zu werden.« Als wollte er Gabes Rede bekräftigen, wählte Brady genau diesen Moment, um sich im Tuch zu winden und leise, jammervolle Laute von sich zu geben.
»Oh. Zeit für die nächste Milchlieferung«, scherzte Austin. Er hatte inzwischen seinen Teller geleert und betupfte seine Lippen mit der Serviette. »Ernsthaft. Du musst aufpassen, mit wem du dich einlässt, das ist bestimmt ansteckend.«
»Austin!« Gabe mühte sich damit ab, Brady aus der engen Umwicklung des Tragetuchs zu befreien. Monica hatte sich verdammt viel Mühe damit gegeben, das Baby an seinem Körper zu befestigen. Es war beinahe unmöglich …
»Halt ihn fest«, sagte Austin plötzlich hinter ihm. »Hast du?«
»Ja.« Gabe schluckte und spürte, wie Austin hinter ihm am Knoten herumzog, den Monica vorhin gebunden hatte. Im nächsten Moment fielen die Enden des Tuches zu Boden.
»Warte, nicht bewegen, sonst stolperst du noch«, warnte Austin. Umsichtig wickelte er ihn aus dem Tuch, dabei kam er einmal ins Straucheln und stützte sich unwillkürlich an Gabes Schulter ab. Die Gänsehaut, die sich daraufhin auf seinem Körper ausbreitete, kam bestimmt nicht von seiner Berührung. Auf keinen Fall.
Gabe räusperte sich und trat einen Schritt zur Seite, als Austin das Tuch zusammengefaltet hatte. »Danke.«
»Kein Ding. Und wen haben wir denn da?«, fragte er in diesem Augenblick, drehte sich zu Mac um, der begeistert aufsprang und schwanzwedelnd seine Berührungen genoss. »Ja, es ist erschreckend, wie ungern du berührt wirst, du süßer, süßer Hund!«, lobte Austin ihn und klopfte seine Seite. Als er sich wieder aufrichtete, warf er Gabe einen vergnügten Blick zu. »Eine richtig menschenscheue Bestie hast du da.«
»Austin …«
»Ach, ich lass dich jetzt in Ruhe. Hey! Tracy! Wann ist deine Schicht zu Ende?«, rief Austin in die Küche.
»Um drei Uhr!«, rief sie zurück.
»Und Gabes?«
»Auch.«
Austin grinste. »Drei Uhr also. Vielleicht werde ich da sein. Vielleicht auch nicht.«
»Ich habe noch einiges zu erledigen und muss …«
»Keine Sorge, Papa Bär, ich werde mich nicht aufdrängen. Du solltest aber dringend an deinen sozialen Fähigkeiten arbeiten. Na ja, tust du ja eigentlich schon. Brady steht dir ganz gut. Aber wenn du mal Lust darauf hast, mit einem erwachsenen Kerl abzuhängen, dann weißt du ja, wo du mich findest.« Er warf Gabe einen letzten feixenden Blick zu, legte viel zu viel Geld auf den Tresen und verschwand aus dem Diner. Gabe starrte ihm hinterher, nicht sicher, ob er wütend oder erstaunt sein sollte.