Austin
»Du starrst mir auf den Hintern«, murmelte Gabe und stellte Austins Kaffee vor ihm ab.
Austin grinste. »Ich mag ihn. Er ist knackig und heiß und ich liebe es, mich in ihm zu vergraben.«
Gabes Lächeln war breit und erinnerte ihn an letzte Nacht in seinem Bett, in dem sie sich geneckt hatten, nachdem sie übereinander hergefallen waren. Herrgott, es war so leicht und schön mit ihm, und das erste Mal in seinem Leben erfuhr Austin, wie es war, mehrmals Sex mit dem gleichen Mann zu haben. Es hatte nicht lange gedauert, bis er festgestellt hatte, dass Gabe die langsamen Küsse am liebsten mochte. Er hatte ein Faible für seine Haare und durchwühlte sie, während Austin auf ihm lag und ihn fickte. Und er mochte es nicht, wenn Austin von ficken
sprach. Er nannte es immer miteinander schlafen
.
Gabe schlief am liebsten auf dem Bauch und wachte mitten in der Nacht auf, weil ihm die Decke fehlte, die Austin ihm irgendwann geklaut hatte. Austin hatte keinen Grund, damit aufzuhören, denn wenn er aufwachte, hatten sie heißen Sex,
küssten sich oder hielten sich einfach nur in den Armen. Das Klauen lohnte sich also.
»Ich kann sehen, woran du gerade denkst. Hör auf damit, du hältst mich vom Arbeiten ab.«
»Soweit ich weiß, besitzt Lionel ein Büro«, erwiderte Austin, an seinem Kaffee nippend. »Wie stehen die Chancen, dass ich dich auf seinem Schreibtisch vernaschen kann?«
»Wenn du mir vorher bei den Abrechnungen hilfst, dann nicht sehr schlecht.«
Niemals
, dachte Austin. »Vielleicht ein anderes Mal«, sagte er.
»Du bist kein Büromensch, was?«, fragte Gabe grinsend. Er sah sich nach allen Seiten um, ehe er sich über den Tresen lehnte und mit seinen Fingerspitzen kurz über Austins Handrücken strich, eine Berührung, die Schauer durch seinen Körper schickte, egal wie unschuldig sie außen auch aussehen mochte. Bevor Gabe sich zurückziehen konnte, ergriff Austin seine Hand und hielt sie fest.
Gabes Augenbrauen wanderten in die Höhe, ein Mundwinkel hob sich, seine Augen funkelten. »Man könnte uns sehen«, raunte er. Das Telefon in Gabes Hosentasche unterbrach ihren intensiven Blickkontakt. Austin seufzte leise, während Gabe das Handy hervorzog. Er starrte auf das Display, ehe er den Anruf entgegennahm.
»Was willst du?« Gabe lauschte und sein Blick wurde dunkler und dunkler, was Austin unruhig werden ließ. Er hatte einen Verdacht, wer der Anrufer sein könnte.
»Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich nicht mehr mit dir sprechen will«, sagte Gabe nun und bestätigte Austins Verdacht, dass sein ehrenloser, verlogener Ex-Freund in der Leitung war.
»Nein. Nein, das hat damit gar nichts zu tun«, sagte Gabe in diesem Moment. Er warf Austin einen kurzen Blick zu, dann ging er ins Büro nach hinten, wo Austin ihn nicht mehr hören konnte.
Mit donnerndem Herzen starrte Austin in seinen Kaffee. Warum wollte Gabe nicht vor ihm weitersprechen? Warum tat er so geheimnisvoll? Hatte er doch noch Gefühle für Andrew, das Schwein?
Austin wollte nicht mal darüber nachdenken, er wusste nur, dass er Gabe beschützen würde. Er hatte es nicht verdient, noch mal von diesem kleinen Widerling verletzt zu werden. Wenn es nötig war, würde er nach Portland – oder wohin auch immer – fahren und sich diesen Kerl vorknöpfen. Was fiel ihm eigentlich ein, Gabe zu belästigen?
Austin ballte die Hand zur Faust und begann mit seinem Fuß zu wippen. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis Gabe wieder aus dem Büro kam. Er hielt sein Handy noch immer in der Hand und drehte es von einer Seite auf die andere, sein Blick war nachdenklich.
»Schlechte Nachrichten?«, fragte Austin.
Gabe blinzelte, dann sah er ihn an, als würde er ihn heute das erste Mal wahrnehmen. Als hätten sie nicht in der Nacht miteinander im Bett gelegen, Sex gehabt, sich stundenlang geküsst. Als wären sie nicht heute Morgen miteinander schwimmen gewesen, um danach noch einen Quickie unter der Dusche zu haben. Als würde all das verdammt nochmal rein gar nichts bedeuten.
»Nein. Alles okay. Nur ein Lieferant«, sagte Gabe schließlich, und die Offensichtlichkeit seiner Lüge traf Austin tiefer als erwartet. Er überlegte, was er sagen, wie er reagieren sollte, doch dann tat er, was er immer tat: Er trat einen Schritt zurück.
Was Gabe mit Andrew besprach ging ihn nichts an. Selbst wenn sie sich wieder miteinander treffen würden, wäre das allein Gabes Sache. Sie fickten miteinander, hatten heißen, wirklich guten Sex, und das war auch das Einzige, was sie miteinander verband.
Er musste aufhören, die Tatsachen zu vermischen. Es gab kein Wir
zwischen ihnen, sondern nur ein Gabe
und ein Austin
, daran musste er denken. Das durfte er auf keinen Fall vergessen, auch wenn ihm das in Gabes Gegenwart zunehmend schwer fiel.
»Hey, machst du heute Nachmittag nach deiner Schicht einen Ausflug mit mir?«, fragte Austin. Er hatte Gabe schon vorher fragen wollen, und es gab keinen Grund für ihn, es jetzt nicht zu tun. Solange Gabe noch nicht zu Andrew zurückgekehrt war, mussten sie ihr Arrangement nicht beenden. Ein Ausflug auf den See war genau das Richtige.
»Eigentlich hatte ich heute schon Pläne«, sagte Gabe lächelnd.
Ach ja? Mit diesem kleinen, verlogenen Wichser, der dir das Herz gebrochen hat?
Die Frage lag ihm auf der Zunge, doch er stellte sie nicht.
»Okay, dann vielleicht morgen«, sagte er.
»Ich mache gern einen Ausflug mit dir, aber heute würde ich gern etwas anderes mit dir unternehmen.«
»Oh.« Kein Wichseralarm also.
»Okay. Was denn?«
»Komm einfach zu mir, sobald die Nacht einbricht.«
»Was ist denn das bitte für eine Zeitangabe?«, fragte Austin schmunzelnd. »Wenn die Nacht einbricht.
Soll ich vielleicht auch noch Kleine Feder
mitbringen, damit er uns den Regentanz aufführt?«
Gabe lächelte sanft. »Nein. Ich will heute niemand anderen sehen, nur dich.«
»Okay. Dann komme ich.« Er erhob sich, und trotz all seiner Vorsätze war es beängstigend, wie sehr er sich zusammenreißen musste, um nicht nochmal nach Gabes Hand zu greifen. Er räusperte sich. »Wir sehen uns bei Einbruch der Dunkelheit«, sagte er mit einem Zwinkern, dann verließ er das Diner.
Mit einem komischen Gefühl im Magen machte Austin sich auf den Weg zum Camp. Bis zu dem ominösen Treffen mit
Gabe würde es noch ein paar Stunden dauern, die er gut mit Renovierungsarbeiten verbringen konnte.
Jake und der Bauunternehmer Kellan Sanders hatten ihm Tipps gegeben, welche Arbeiten er am Haus bereits selbst durchführen konnte, bevor die eigentliche Sanierung begann. Das ganze Projekt war viel größer als er erwartet hatte, und trotzdem freute er sich darauf. Das erste Mal in seinem Leben war er dabei, etwas mit seinen eigenen Händen aufzubauen. Etwas Ehrliches und Großes.
Austin schnappte sich die Brechstange, die an der Wand gelehnt hatte, und begann, die altmodischen Holzleisten von den Wänden zu stemmen. Dahinter befand sich eine Betonwand, die er vielleicht mit einem Graffiti aufhübschen würde. Er war noch nicht weit gekommen, als sein Handy klingelte. Sein Sprachprogramm eröffnete ihm, dass Eric anrief.
»Dich ans Telefon zu bekommen ist dieser Tage gar nicht so einfach«, sagte Eric nun. Als Teamkollege der Seattle Pirates
kannte Austin ihn bereits viele Jahre. Außerdem war da die Sache mit seinem Geheimnis, die Eric durch einen Zufall vor zwei Jahren herausgefunden hatte. Schon damals hatte er überlegt, seine Karriere zu beenden, sich dann aber dagegen entschieden, nachdem Eric viele eindringliche Gespräche mit ihm geführt hatte.
Und er hatte sein Versprechen gehalten. Mit keinem Wort hatte er ihn verraten. Er behandelte ihn wie immer, und dafür war Austin ihm extrem dankbar.
»Es gibt eben Zeiten, in denen es klüger ist, das Handy auszuschalten.«
»Aber dir geht es gut? Die Pressekampagne war ziemlich übel.«
»Inzwischen sind die Arschlöcher wieder abgezogen.«
»Wie ist dieser … Gabriel damit umgegangen?«
»Gabe hat es mit Fassung getragen.« Austin lächelte unwillkürlich, als er an ihn dachte. Das passierte einfach so. Gabe brachte ihn zum Lächeln.
»Und ist er dein Freund?« Eric schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »So wie in Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage
?«
Austin lief mit dem Telefon in der Hand quer durch den Raum, dachte über Erics Frage nach, wollte schon nein
sagen, doch irgendwie … wenn ein Mann in seinem Leben überhaupt in Frage käme, dann wäre es wohl jemand wie Gabe.
»Eher so wie in Ein Freund mit gewissen Vorzügen
«, erwiderte Austin, auch wenn Gabe sich nach viel mehr anfühlte.
Eric lachte. »Dann hoffe ich mal, dass er das auch so sieht.«
»Sicher. Wir haben das miteinander besprochen. Ich bin kein Arschloch. Und jetzt mal zu dir: Wie ist das Trainingslager so?«
Eric erzählte ihm lang und ausschweifend über die neuen Trainingsmethoden, die der Coach eingeführt hatte. Dann unterhielten sie sich auch noch über ihren ehemaligen Teamkollegen Nate Jenkins, der im letzten Jahr in New York wegen Drogenbesitzes verhaftet worden war. Er war vor ein paar Tagen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Nach einer Weile verabschiedeten sie sich und Austin machte sich wieder an die Arbeit. Dieses Mal riss er mit viel mehr Kraft an den Holzleisten, weil es die einzige Art war, auf die er ein bisschen Dampf ablassen konnte. Er war neidisch auf Eric, weil er hatte, was Austin nie wieder bekommen würde. Kein Trainingslager, keine absolute Erschöpfung, wenn der Coach einen mal wieder endlose Runden über den Platz gejagt hatte, keine zitternden, schmerzenden Muskeln und keine Teamkameraden an seiner Seite.
Als sein Telefon erneut klingelte und seinen Vater ankündigte, fluchte Austin.
»Was?«, zischte er in den Hörer.
»Austin?«
»Du hast meine Nummer gewählt, also ja, hier bin ich.« Austin holte tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Sein Vater konnte nichts für seinen inneren Aufruhr, oder dafür, dass er jetzt gerade am liebsten ebenfalls in Texas wäre um sich unter der sengenden Sonne braten zu lassen, während er Pässe warf und Angriffen auswich.
»Es klingt, als käme ich gerade ungelegen.« Die Stimme seines Vaters war immer ruhig und leise, bei ihm gab es keine Ausraster oder Gefühlsstürme. Dafür war schon immer Austin zuständig gewesen, nur um sich danach noch unpassender neben seinen Eltern zu fühlen.
»Was gibt es denn?«, fragte Austin seufzend. Er warf die Brechstange weg und verließ das Haus durch die noch immer kaputte bodentiefe Fensterscheibe. Den leeren Rahmen deckte er nachts mit Holzplatten ab.
»Deine Mutter und ich haben uns nur gefragt, ob es dir gut geht. Dein Austritt aus der NFL kam sehr überraschend für uns.«
»Sicher.« Die Nachfrage berührte ihn, weil er überhaupt nicht damit gerechnet hatte. Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Ein Jahr? Nachdem er Thanksgiving, Weihnachten und Neujahr geschwänzt hatte, musste es wirklich schon ein knappes Jahr sein.
»Keine Verletzungen?«
»Meine Achillessehne macht immer wieder ein paar Beschwerden, aber ich … es gab keinen bestimmten Grund für den Austritt«, log er. »Ich denke, ich hatte eine gute Spielzeit ohne größere Verletzungen. Man sollte sein Glück nicht überstrapazieren.«
Sein Vater schwieg eine Weile, so wie er es immer tat, weil er sich jedes Wort sorgfältig zurechtlegte. Dann sagte er: »Deine Mutter und ich sind froh. Wir haben bei jedem Spiel mitgefiebert. Manchmal war es ziemlich knapp.«
»Jedes Spiel?« Austin blinzelte, denn davon hatte er nichts gewusst. Das wäre vielleicht anders, hätten sie mehr Kontakt miteinander gehabt, aber so …
»Wir hatten Dauerkarten, Junge, denkst du, wir würden es uns entgehen lassen, dich spielen zu sehen?«
Austin stützte sich unwillkürlich an der Wand ab, weil er den Halt verlor. Die Aussage seines Dads brachte ihn völlig durcheinander. Sie hatten Dauerkarten und jedes Spiel gesehen, das er in Seattle bestritten hatte? Er fühlte sich schrecklich. Schrecklich für seine Ignoranz und für alles, was ihn ausmachte.
»Oh. Verstehe.«
»Und du hast jetzt einen Freund?«
Austin atmete tief durch. Wie oft würde er heute noch nach Gabe befragt werden?
»Du meinst wegen der Fotos?« Austin sah in die aufkommende Dämmerung hinaus.
»Ja.«
»Das war … ein Versehen«, sagte Austin dann leise. Jedes Mal, wenn er Gabe verleugnete, fühlte er sich etwas schrecklicher. Es kam ihm vor, als würde er etwas verstecken. Vor Gabe. Vor der Welt. Und vielleicht auch vor sich selbst.
»Verstehe.« Keiner von ihnen sagte etwas, und Austin wollte das Telefonat schon beenden, weil sich das Schweigen immer weiter ausdehnte und unangenehm wurde, doch da fuhr sein Vater fort: »Sollte sich das ändern, würden wir uns freuen, ihn kennenzulernen dürfen. Er sieht nett und freundlich aus.«
Austins Hals wurde eng. Er räusperte sich. »Sicher«, sagte er wieder. Und dann legte er auf, weil manchmal jedes Wort zu viel war, weil sogar Worte Gefühle auslösen konnten und er gerade nicht bereit dafür war. Vielleicht auch nie.