Gabe
Die Sonne schien warm auf seinen Rücken, das Wasser plätscherte gegen die Bootswand und Austin lag neben ihm. Nach ihrem Date am vergangenen Abend war Austin nicht mehr nach Hause gegangen. Sie waren noch lang auf der Terrasse geblieben. Später, nach einem Spaziergang mit Mac, bei dem sie Händchen gehalten hatten, waren sie zusammen mit einer weiteren Flasche Champagner in sein Schlafzimmer umgezogen, hatten sich geliebt, gekichert und das Date ausklingen lassen. Gabe hatte schon viele Dates gehabt, aber der gestrige Abend hatte ihm neue Erkenntnisse gebracht. Erstens: Das war das beste Date, das er jemals gehabt hatte. Zweitens: Austin hatte noch viel mehr Dates verdient, denn so wie seine Augen geleuchtet hatten, schien es ihm wahnsinnig gut gefallen zu haben.
Heute aber war er schweigsam gewesen, und Gabe beobachtete ihn schon seit einer Weile unauffällig. Am Anfang war er sich nicht sicher gewesen, aber inzwischen war er es doch, dass Austin über etwas nachdachte. Sein Schweigen war von
Spannung erfüllt und er machte immer wieder leise Geräusche, die am ehesten einem Seufzen glichen.
»Okay, erzähl es mir«, sagte Gabe irgendwann. Er setzte sich in den Schneidersitz und sah auf Austin hinunter. Mit den Fingern fuhr er über Austins flachen Bauch und streichelte seine warme Haut. Er berührte ihn einfach unheimlich gern.
Austin wandte den Kopf und sah ihn fragend an. »Was denn?«
»Das, was dich beschäftigt. Du denkst über irgendetwas nach. Manchmal hilft es, darüber zu sprechen.«
Austin lächelte und schüttelte den Kopf. »Das ist unheimlich, das ist dir klar, oder? Du solltest mich nicht so gut kennen.«
»Sorry. Ich bin gut darin, zwischen den Zeilen zu lesen.« Auch wenn er wusste, dass er es nicht tun sollte, beugte er sich vor und gab Austin einen Kuss auf den Mund. Einfach, weil er es konnte. Und weil er süchtig nach seinem Geschmack war. Als er sich wieder zurückziehen wollte, fasste Austin in seinen Nacken und hielt ihn an Ort und Stelle. Er intensivierte den Kuss und ein Feuerwerk explodierte in Gabes Bauch. Irgendwann entzog er sich seinen magischen Lippen, rückte seinen Schritt zurecht und räusperte sich. »Das genügt erstmal.«
Austin grinste. »Unten gibt es ein Bett. Ich bin mir sicher, dass Jake und Ethan es schon ausgiebig getestet haben, es dürfte also ficktauglich sein.«
Gabe verzog das Gesicht. »Du lenkst ab. Und du benutzt das F-Wort.«
Austin verdrehte die Augen. Er legte sich wieder auf den Rücken und starrte in den Himmel. »Ich hatte nie viel mit meinen Eltern zu tun«, sagte er irgendwann.
»Abgesehen davon, dass du bei ihnen gewohnt hast und aufgewachsen bist?« Gabe drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf einer Hand ab. »Erzähl weiter.«
Austin ließ sich wieder Zeit, er schien jedes Wort genau abzuwägen, dann sagte er: »Mein Vater hat mich gestern angerufen, bevor ich zu dir gekommen bin. Er versucht mich schon seit ein paar Wochen zu erreichen und … auch wenn das kein gutes Licht auf mich wirft, so habe ich bisher jeden Anruf ignoriert.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat sich vergewissert, dass es mir gut geht und … er hat mir ein paar Sachen erzählt, von denen ich nichts wusste.«
»Was für Sachen?«
»Dass sie Dauerkarten für die Pirates
hatten und jedes Spiel gesehen haben, in dem ich gespielt habe.«
»Ich finde das nicht komisch. Sie sind deine Eltern.«
Austin seufzte. »Ja. Sicher. Aber … sie sind … Football ist kein Teil ihrer Welt. Sie umgeben sich mit unglaublich klugen Themen, sie forschen, schreiben Bücher, sie machen all die Dinge, die mich niemals interessierten, und irgendwie habe ich nicht damit gerechnet, dass sie …«, Austin hielt inne und seufzte, »dass sie überhaupt wissen, dass es mich gibt und was ich so tue.«
Gabes Herz wurde schwer, als er hörte, wie Austin sich selbst und seine Wichtigkeit abwertete. Verstand er denn nicht, was für ein wundervoller Mensch er war? Dass es keine Last war, Zeit mit ihm zu verbringen oder sich für ihn zu interessieren? »Austin, ich glaube, du könntest von Beruf professioneller Pokemon-Spieler sein und sie würden sich trotzdem dafür interessieren. So funktioniert dieses Eltern-Ding. Du bist ihr Herzschlag und wirst es immer sein, daran kannst du nichts ändern. Ich glaube, ich mag deine Eltern. Wie kommst du darauf, dass es sie nicht interessieren könnte? Du bist einer der begabtesten Sportler ganz Amerikas. Sie werden unglaublich stolz auf dich sein.«
Austin drehte sich auf den Rücken und legte einen Arm über die Augen. »Ich habe nie darüber nachgedacht«, murmelte er.
Gabe beugte sich vor und setzte einen Kuss auf Austins Lippen, ehe er fragte: »Ist er mitgegangen? Zu deinen Spielen? Damals, als du noch jünger warst?«
»Immer. Meistens hatte er ein Notizbuch bei sich und hat vermutlich irgendwelche Theorien aufgestellt. Ich denke nicht, dass er besonders viel von den Spielen mitbekommen hat, aber er war da. Er kannte meine Ergebnisse, alle Statistiken, er war da
. Auch meine Mom. Aber ich habe mich trotzdem immer gefühlt, als würden wir auf zwei verschiedenen Planeten leben.«
»Vielleicht solltest du ihnen eine zweite Chance geben. Sie neu kennenlernen. Du bist nicht mehr der vierzehnjährige Austin, der sich von seinen Eltern unverstanden fühlt, sondern ein erwachsener Mann.«
Austin schien über seine Worte nachzudenken und schwieg. Er überraschte Gabe, als er plötzlich nach seiner Hand griff und ihre Finger miteinander verwob. »Ich habe mich so daran gewöhnt, allein zu sein, dass es ein komisches Gefühl ist, zu wissen, dass sie unbemerkt immer da waren.«
Gabes Herz wurde schwer, als ihm klar wurde, was für ein isoliertes Leben Austin geführt haben musste. Inmitten seiner Teamkameraden und des Footballvereins war er ein unerforschter Planet. War das nie jemandem aufgefallen?
Und fiel es Austin auf, dass es jetzt nicht mehr so war? Dass es jetzt Gabe gab, der da war, ihm zuhörte, mit ihm das Bett teilte und seine Lieblingskaffeesorte kannte? Und wenn ja, warum war er dann noch bei ihm, wenn er doch so konsequent jeder Bindung aus dem Weg ging?
Du dummer Gefühlsmensch
, rügte sich Gabe. Denk nicht mal daran, und interpretiere nichts in sein Verhalten hinein. Sie hatten eine Abmachung, ganz klare Regeln, und Austin vertraute darauf, dass er sich daran hielt. Er wäre ein mieser Freund,
wenn er auf einmal auf eigene Faust die Spielregeln änderte und erwartete, dass Austin dasselbe tat.
»Es macht mich traurig, dass du so allein bist«, flüsterte Gabe nur, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
Sie schwiegen, hielten sich an den Händen und spürten dem Schaukeln des Bootes nach.
»Mit dir bin ich nicht allein, Gabe«, sagte Austin schließlich.
»Nein, bist du nicht.« Gabe konnte nicht widerstehen, er beugte sich wieder zu Austin und küsste ihn erneut, und als der seinen Kuss erwiderte, da pochte sein Herz ungestüm. Tu das nicht
.
»Okay, ich glaube, es wird Zeit, dass ich dir etwas zeige. Du hast es dir verdient«, sagte Gabe irgendwann. Er erhob sich, streckte den Rücken durch und betrachtete Austin, der sich auf seinen Ellenbogen abgestützt hatte und ihn fragend ansah.
»Was denn?«
»Eine Überraschung. Ein Abenteuer. Bist du bereit dafür?«
Austin machte große Augen und rutschte an den Rand der Sonnenliege. »Machst du Witze? Moment mal, wolltest du deshalb Mac nicht mitnehmen? Der arme Hund, er wird das Abenteuer verpassen.«
»Es ist sicherer für ihn, wenn er zu Hause auf uns wartet, denn uns stehen große Gefahren bevor. Wenn du nicht aufpasst, könnte dich unser Abenteuer das Leben kosten«, warnte Gabe und konnte sich ein diabolisches Grinsen nicht verkneifen.
Austin lachte und trat zu ihm. »Gefährlich ist mein zweiter Vorname.«
»Ich mache keinen Spaß. Du könntest dabei draufgehen, als Wasserleiche enden, bist du dir dessen bewusst?«
Austins Augenwinkel wiesen kleine Falten auf, als er ihn vergnügt angrinste. »Wir müssen also ins Wasser? Du machst es ganz schön spannend.« Er schob Gabe vor sich her, bis der mit dem Hintern gegen die Reling stieß. Seine warmen Hände lagen
auf Gabes Hüften, und er wäre auch sehr einverstanden damit, wenn Austin ihm jetzt einfach die Hose heruntergezogen hätte. Seine beginnende Erektion hätte laut Ja
geschrien.
»Wir könnten uns auch das Bett ansehen, von dem du vorhin gesprochen hast«, schlug Gabe grinsend vor. Er schrie auf, als Austin seiner Brust einen Schubs versetzte, er über Bord ging und im kalten Wasser landete. Er tauchte gerade noch rechtzeitig an die Oberfläche, um Austins trainierten Körper neben sich ins Wasser gleiten zu sehen.
»Du Idiot«, brummte Gabe, als Austin neben ihm auftauchte.
»Was denn? Du hast mich so heiß auf dieses Abenteuer gemacht, da wollte ich nicht noch ewig rumquatschen.«
»Wir könnten sterben, deshalb werde ich es dir doch nicht zeigen. Ich mag dich gern lebendig.« Gabe schob entschlossen die Unterlippe vor.
Austin stürzte sich lachend auf ihn und sie rangen eine Weile miteinander, ehe sie voneinander abließen und sich schweratmend ansahen.
Blickte Austin so auch andere Menschen an? So liebevoll und zärtlich? Berührte er sie so, wie er Gabe anfasste?
Himmel, ihm war wirklich nicht mehr zu helfen. Er musste sich am Riemen reißen, wenn er Austin nicht schneller wegjagen wollte als er auf drei zählen konnte.
»Komm mit«, sagte Gabe und schwamm los. Er hielt auf die hoch über ihnen aufragenden Felswände zu, die tausende von Jahren alt sein mussten.
»Was gibt es denn da?«, fragte Austin hinter ihm. Als sie nahe genug dran waren, hielt Gabe inne und trat auf der Stelle. »Es gibt dort unten einen Eingang, etwa anderthalb Meter unter der Wasseroberfläche. Wir werden durch einen Tunnel tauchen, der wirklich schmal ist, du musst die Arme an den Körper legen oder vor dich ausstrecken und mit den Beinen paddeln.«
Austins Augen funkelten von hier bis zum Mond, so heiß war er auf das Abenteuer.
»Du oder ich voraus?«
»Ich«, bestimmte Gabe. Er tauchte unter, fand den Eingang der Höhle problemlos und sah sich nach Austin um, der dicht hinter ihm schwamm und ihm jetzt den Daumen nach oben zeigte. Gabe nickte und erreichte den Tunnel, der sofort jede Helligkeit verschluckte. Er hatte die Hände vor sich ausgestreckt, damit er nicht versehentlich gegen einen Felsvorsprung schwamm, und durchquerte den Tunnel, der sich nach einigen Metern auf einmal erweiterte, sodass er seine Arme wieder frei bewegen konnten.
Gabe schwamm an die Wasseroberfläche und Austin tauchte im nächsten Moment neben ihm auf. Sie befanden sich in einer Höhle, die erstaunlich hoch war. Das Wasser glänzte hier drin wie Öl, das nur durch ihr Eindringen in Bewegung versetzt wurde. Irgendwo in der Decke befand sich ein Loch, durch das schales Tageslicht hereindrang. Es bündelte sich an einer Stelle am Rand, auf die Gabe nun zuhielt.
Austin folgte ihm, und nachdem Gabe auf einen Felsen geklettert war, drehte er sich um und zog ihn mit einem Ruck aus dem Wasser. Sie ließen sich nebeneinander auf den Felsen sinken und sahen sich um.
»Das ist einfach unglaublich, Gabe«, wisperte Austin, und selbst seiner gedämpften Stimme war die Begeisterung deutlich anzuhören. Gabe lächelte, weil er genau das bezweckt hatte. Austin zu überraschen, von seinem Kummer ablenken, ihn zum Staunen bringen.
Gabe wurde unwillkürlich von Austins Körper zu Boden gedrückt. Austin glitt über ihn, berührte ihn mit seiner Haut und seinen Händen und seinem Mund. Tausche Körper gegen Herz.
Er fuhr mit den Fingern durch seine Haare und verteilte Küsse
auf seinem Kinn und seinen Lippen. »Du
bist unglaublich«, murmelte Austin.
»Austin« Gabes Hals war furchtbar eng, als die ganzen Empfindungen auf ihn einprasselten, derer er sich gerade bewusst wurde. Tausche Körper gegen Herz.
Verdammt.
Austin stützte sich neben seinen Schultern mit den Händen ab und sah auf ihn hinunter. »Gabe?«
»Ja?«
»Tu das nicht. Geh nicht zurück zu deinem Ex.«
Gabe blinzelte, während Austins Worte in seinen Kopf sickerten. Andrew? Warum sprachen sie plötzlich über Andrew?
»Wie …?«
»Er hat dich angerufen, oder? Gestern. Im Diner.«
»Oh.« Gabe schluckte. »Ja«, sagte er dann.
»Ich will nicht, dass er dir nochmal wehtun kann, und ohne ihn zu kennen, ich denke, er wird es wieder schaffen.«
Gabe seufzte leise. »Ich weiß«, sagte er dann. »Es ist auch nicht, dass ich ihn als Person vermisse. Nicht mehr. Es ist vielmehr … alles, was er für mich und mein Leben bedeutet hat. Er verkörpert viele Träume, die ich mal hatte.«
»Du brauchst neue Träume«, murmelte Austin und küsste ihn.
Gabe wandte den Kopf ab und vergrub sein Gesicht an Austins Halsbeuge. Er atmete seinen unvergleichlichen Geruch ein, den er sogar auf seiner feuchten Haut deutlich wahrnehmen konnte. Körper … Herz …
Und genau in diesem Moment, in dem sie so nahe beieinander lagen, und irgendwie, auf eine komische Art Körper und Herz waren, genau in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass bereits geschehen war, was nicht hätte geschehen dürfen. Er liebte Austin. Er wusste, dass er ihn nicht haben konnte, dass Austin eine andere Art zu leben bevorzugte und dass sich ihre
Wege nach diesem Sommer trennen würden, aber jetzt und hier, da schlug sein Herz nur für ihn.
»Ich arbeite daran«, murmelte Gabe. Die Zärtlichkeit in Austins Stimme machte ihn traurig.
Er hatte sich in Austin verliebt. Gegen jede ihrer Regeln. Er konnte nichts dagegen tun. Er hatte
bereits neue Träume und die inkludierten einen Mann, der das nicht wollte.
Verdammt.
»Wir sollten uns so langsam auf den Rückweg machen.« Gabe schob sich unter Austin hervor und kletterte hastig an den Rand des Felsens. Er brauchte Abstand, unbedingt. Ohne Notiz von der Kälte des Wassers zu nehmen, glitt er hinein und wartete, bis Austin ihm gefolgt war.
Er räusperte sich. »Kann es losgehen?«
»Gabe, was …?«
»Wir sehen uns draußen.«