19. Kapitel
Austin
Gabe ging ihm aus dem Weg, das musste ihm niemand erklären, er verstand es auch so. Austin starrte seinen Kaffee an, den er sich eben im Marriotts geholt hatte, in der Hoffnung, dort auf Gabe zu treffen, der seit drei Tagen Ausreden erfand, warum sie sich nicht sehen konnten.
Seit Gabe ihm die Höhle gezeigt hatte, und sie danach vollkommen überstürzt in den Hafen von Crystal Lake zurückgekehrt waren, war alles komisch zwischen ihnen geworden. Und Austin hatte keine Ahnung, warum, denn er hatte keine Gelegenheit gehabt, mit Gabe zu sprechen. Keine Küsse, keine Umarmungen, kein Sex. Austin war frustriert, weil er sich an Gabes und Macs Gegenwart gewöhnt hatte, ob das nun gut war oder nicht, aber es war einfach so. Er wollte wieder nächtliche Spaziergänge durch Crystal Lake unternehmen, Gabe gegen einen Baum drücken und um den Verstand küssen. Er wollte in einem Knäuel aus Armen, Beinen und ekligem Hundeatem aufwachen. Er wollte wieder Teil ihres Rudels sein, herrgott, war das so schwer zu verstehen?
»Oh, hey«, sagte Ethan, der in diesem Moment um die Ecke gebogen kam und fast in ihn hinein gelaufen wäre. »Ich brauche auch einen«, sagte er und nickte zu Austins Kaffee. »Kann ich dich überreden, mich zu begleiten?«
»Oh … äh …«
Ethan legte den Kopf schief. »Dann stimmt es also?«
»Was denn?«
Ethan hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt und schob ihn nun zurück in Richtung Marriotts . Als sie vor der Tür standen, schüttelte Austin seine Hand ab. »Was stimmt?«
»Dass Gabe und du euch gestritten habt.«
»Blödsinn.« Austin verzog das Gesicht. »Wer erzählt denn sowas?«
»Jeder. Die ganze Stadt spricht über euch. Es braucht keine Reporter, die Leute kriegen auch so mit, dass ihr einander plötzlich aus dem Weg geht. Keine unauffälligen Umarmungen mehr, keine Bootsentführungen und heißen Küsse.«
Austin spürte, wie er errötete. »Ich hatte dich gefragt, ob ich das Boot ausborgen darf.«
»Stimmt.« Ethan grinste. »Aber ihr habt nicht unser Bett benutzt, oder?«
»Gott.« Austin zog eine Grimasse. »Eklig.«
Bevor er sich dagegen wehren konnte, schob Ethan ihn nun ins Diner und dirigierte ihn zu einer Sitznische, wo Austin sich niederließ. Nachdem Ethan sich an der Theke einen Kaffee bestellt und mit der Kellnerin geflirtet hatte, kam er zurück zu ihm.
»Versteckt er sich im Büro?«
»Viel Arbeit«, brummte Austin. »Hör mal, ich will nicht darüber sprechen. Nicht mit dir und schon gar nicht hier, wo sogar die Tassen Ohren zu haben scheinen.«
Ethan lächelte und legte einen Arm über die Sitzlehne. »So läuft das aber in Crystal Lake. Hier könnt ihr nichts für euch behalten. Nicht, wenn ihr neu seid und von allen mit Argusaugen beobachtet werdet. Das ist Teil von Crystal Lakes Charme.«
»Ich finde das nicht besonders charmant«, brummte Austin. »Ich nenne das aufdringlich. Neugierig. Penetrant.«
Ethan prostete ihm zu und nippte an seinem Kaffee, als sich die Tür des Marriotts öffnete und eine ganze Schar von Menschen mit sehr entschlossenen Schritten den Raum betrat. Austin zählte sechs Erwachsene und zwei Kinder, die in einer Traube stehenblieben und sich umsahen. Als sie Austin entdeckten, fluchte einer der jüngeren Männer.
Austin hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, aber er fühlte sich ein wenig bedroht. Ethan sah sich um, dann kam Bewegung in ihn.
»Was macht ihr denn hier? Himmel, Gabe hat kein Wort davon gesagt, dass ihr herkommen werdet.« Er erhob sich und umarmte nacheinander alle Menschen. Als er sich an den ältesten der Männer wandte, fiel es Austin wie Schuppen von den Augen. Das war Gabes Familie! Der Mann hatte die gleichen Augen wie Gabe, ihre Kopfform glich sich, und als er jetzt lachte und Ethan auf den Rücken klopfte, da entdeckte er sogar die gleichen Grübchen in den Wangen.
Austin erhob sich langsam und ging auf die Leute zu, auch wenn seine Handflächen schweißnass waren und sein Herzschlag sich mindestens vervierfacht hatte.
Die ältere Frau, deren dunkles Haar von silbernen Strähnen durchzogen wurde, wandte sich um und lächelte ihn an, ehe sie die Arme ausstreckte und ihn umarmte. Austin schluckte, denn damit hatte er keinesfalls gerechnet.
»Du bist Austin«, stellte die Frau fest. »Ich bin Gabes Mutter. Bitte nenn mich Becca. Und das ist mein Mann, Allen.«
»Mom?«
Alle Gesichter wandten sich zu Gabe, der scheinbar endlich die Tür gefunden hatte, die aus seinem Büro herausführte. Für Austin war er nicht herausgekommen, für seine Familie jedoch schon. Gabes Blick flackerte für einen Wimpernschlag zu ihm, dann konzentrierte er sich auf seine Eltern und Geschwister. Seine beiden Brüder umarmten ihn kräftig, während Sarah – seine Schwester – etwas zaghafter war. Als Gabe seine Nichten und Sarahs Mann begrüßte, wurde Austins Hals eng. Zu. Viel. Familie.
Er versuchte, sich unauffällig von der Gruppe zu entfernen, und aus dem Marriotts zu verschwinden, wurde aber durch Ethan daran gehindert, der plötzlich den Arm um seine Schulter legte und zischte: »Wag es ja nicht, jetzt zu verschwinden. Du konntest ihn ficken, dann kannst du dich auch seiner Familie stellen.« Dann lächelte er in die Runde. »Bleibt ihr zum Abendessen?«
Gabe verzog das Gesicht, als hätte er irgendwo schlimme Schmerzen, doch die Entscheidung fiel ohne ihn. Seine gesamte Familie nahm mit Freuden Ethans Einladung zum Barbecue an. Gabes Wohnung war viel zu klein, um so viele Personen zu verköstigen, und das Diner war noch einige Stunden im Gästebetrieb.
»Und du kommst auch mit«, raunte Ethan ihm zu. Er konnte wirklich ein mieser kleiner Drecksack sein.
»Ich wohne nicht mal mehr bei euch«, protestierte Austin leise.
Ethan drehte sich schwungvoll zu Gabe und seiner Familie herum. »Hey, stört es euch, wenn Austin mit uns isst?«
Becca legte den Kopf schief und schnalzte mit der Zunge. »Mach dich bitte nicht lächerlich. Wir wären beleidigt, wenn du nicht mitkommen würdest.« Sie lächelte.
Austin fügte sich in seine Rolle, vermied es dabei aber, Gabe anzusehen. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er wüsste, was mit ihm los war, was er falsch gemacht hatte oder was er ändern könnte.
Himmel, er konnte einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Das war doch einfach nicht mehr normal.
Austin errang einen kleinen Sieg, als er sagte, dass er zu Fuß zu Ethans Haus kommen würde und zu seinem Erstaunen schloss Gabe sich ihm an, weil er noch eine Runde mit Mac spazierengehen wollte.
Aha.
Keiner der anderen bot sich an, sie zu begleiten. Stattdessen stiegen sie fröhlich in ihre Autos und fuhren gemeinsam mit Ethan los.
Austin war überrascht, dass Gabe sich offenbar dazu entschieden hatte, das Schweigen zwischen ihnen aufzulösen. Sie gingen ein paar Schritte, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Als sie das Marriotts und die belebte Main Street hinter sich gelassen hatten, räusperte sich Gabe.
»Also … du musst nicht mitkommen«, sagte er schließlich. »Ich bin mir sicher, du hattest andere Pläne und … du musst dich nicht verpflichtet fühlen.«
»Ich hatte keine anderen Pläne«, widersprach Austin. Er wusste nicht, ob er wütend oder amüsiert sein sollte. Wütend, weil Gabe ihn gerade so hinstellte, als wäre er der Arsch, oder amüsiert, weil Gabe gerade dabei war, in seine Rolle zu schlüpfen. Sie stand ihm nicht besonders gut. »Zumindest hatte ich bis jetzt noch keine anderen Pläne. Wenn du mir allerdings verrätst, warum zur Hölle du mich seit drei Tagen ghostest, könnte sich das noch ändern.«
»Ich habe dich nicht geghostet«, widersprach Gabe.
»Du hast Ausreden erfunden, damit wir uns nicht sehen. Du bist nicht mal mehr schwimmen gegangen und hast die Wohnungstür nicht geöffnet, als ich geklopft habe.«
»Vielleicht war ich nicht da.«
Austin schnaubte. »Das Licht hat gebrannt und der Fernseher lief.« Abrupt blieb er stehen und funkelte Gabe an. »Was habe ich getan? Im einen Moment haben wir ein Date und im nächsten … im nächsten Moment behandelst du mich wie eine ansteckende Krankheit.«
Gabe seufzte. Er ging weiter, bückte sich im Gehen und hob einen Stock vom Boden auf. Er warf ihn ein paar Meter weit, und Mac stürmte davon, um ihn zu apportieren. »Ich … mir sind nur ein paar Dinge klargeworden.«
»Die da wären?«
»Dass du recht hattest.«
»Oh, ich habe gern recht. Und womit?«
»Damit, dass ich mich immer von meinen Gefühlen leiten lasse. Ich dachte, jetzt wäre alles anders, weil Andrew mich verletzt hat. Ich hatte erwartet, dass ich abgestumpft und nicht empfänglich für die Attraktivität von anderen Männern wäre, aber ich habe falsch gelegen.«
Austins Herz schlug so laut, dass es ihn wunderte, dass es nicht von allen Hauswänden als Echo zu ihm zurückgeworfen wurde. »Es ist nicht schlimm, einen anderen Mann schön zu finden. Du meinst mich damit, oder? Du findest mich attraktiv.«
»Ich fand dich sehr attraktiv, ja.«
»Vergangenheit. Du findest mich jetzt also nicht mehr attraktiv?«
»Doch. Du bist noch immer einer der schönsten Männer, die ich jemals kennengelernt habe.« Gabe unterbrach sich und sah für einen Augenblick in die Ferne, dann schaute er kurz zu ihm hinüber. »Ich finde dich nicht nur schön, sondern ich mag dich.«
»Toll. Ich mag dich auch. Aber sag mir eins: Behandelst du alle Menschen so, die du magst ? Denn du sendest falsche Signale, mein Freund. Du bist wirklich arschig zu mir gewesen.«
»Austin, ich mag dich«, wiederholte Gabe und betonte dabei dieses eine Wort besonders. »Ich mag dich sehr. Auf eine Art, auf die du nicht von einem anderen Menschen gemocht werden willst.« Gabe hielt inne, und Austin war nicht in der Lage etwas darauf zu erwidern. Das Blut rauschte in seinen Ohren und machte ihn taub und blind und vollkommen gefühllos.
Nein. Nein, Gabe, tu das nicht. Sag es nicht. Wenn du es erst ausgesprochen hast, dann …
»Ich habe mich in dich verliebt«, sagte Gabe in diesem Moment.
Austin hätte sich am liebsten schreiend auf den Boden geworfen, sich herumgewälzt und die Ohren zugehalten, damit er diese Worte nicht hören musste, damit er sich einreden konnte, dass es nicht ernst zwischen ihnen war, dass sie nicht mehr miteinander verband, als eine tolle Freundschaft und fantastischer Sex.
»Es tut mir leid«, fuhr Gabe fort. Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet, setzte einen Fuß vor den anderen und schwieg.
»Wir hatten einen Deal.« Das waren die einzigen Worte, die Austin herausbrachte, und ihm war klar, dass es nicht die waren, die Gabe gern gehört hätte. So etwas wollte man nicht hören, nachdem man dem anderen seine Liebe gestanden hatte, das wusste sogar ein emotionaler Vollpfosten wie Austin. Aber es kam ihm wie die einzige Möglichkeit vor, Gabe daran zu erinnern, dass er derjenige war, der einen Fehler gemacht hatte.
»Ich weiß. Aber Gefühle halten sich nicht an irgendwelche Deals. Gefühle machen, was sie wollen. Und … es ist sehr leicht, dich zu lieben, Austin, und auch wenn du mir jetzt dafür eine verpassen solltest, so werde ich es nicht zurücknehmen. Es ist leicht und wundervoll, dich zu lieben, und ich versuche hier gerade wirklich, der Erwachsene zu sein und zu tun, was wir vereinbart haben. Ich will mich von dir fern halten, damit es nicht noch schlimmer wird.«
»Noch schlimmer?« Austins Stimme war nur noch ein abgehacktes Flüstern. Warum nur schmerzte seine Brust so sehr? Stand er gerade vor seinem ersten Herzinfarkt? Konnte eine Liebeserklärung so etwas auslösen? Er ballte die linke Hand zu einer Faust, spürte aber keinen Schmerz und kein Kribbeln. Vielleicht doch kein Herzinfarkt, sondern einfach nur eine Panikattacke.
»Liebe kann wachsen, Austin. Wie eine kleine Pflanze. Man muss sie gießen und pflegen und dann wird es irgendwann ein großer Strauch mit tiefen Wurzeln. Ich glaube, mit dir könnte ich mir so etwas vorstellen, aber … ich respektiere deinen Wunsch. Ich habe nicht vor, dich umzustimmen, ich musste es dir nur einfach sagen. Es wäre besser, wenn wir uns eine Weile nicht mehr sehen. Es macht die Dinge einfacher.«
Austin nickte, obwohl er rein gar nichts verstand. In seinem Kopf herrschte nur Hitze und Leere und Endlichkeit. Es fühlte sich grausam an, obwohl Gabe all die richtigen Worte sagte, die Austin zu einem anderen Zeitpunkt sehr begrüßt hätte. Dann hätte er nämlich freundlich genickt, sich umgedreht und wäre gegangen, weil ja alles zwischen ihnen so erwachsen und geklärt war.
Aber jetzt schmerzte jedes von Gabes vernünftigen Worten in seinem Brustkorb und Hals, sie kosteten ihn Atemluft und die Fähigkeit, etwas darauf zu erwidern.
Sie gingen die Straße nebeneinander her, als wäre alles normal, nur dass sich absolut nichts normal anfühlte.
»Gabe!«
Gabe fuhr herum, während Austin einen Moment brauchte, um die Stimme zu lokalisieren. Er sah sich um und entdeckte einen Mann in ihrem Alter, der auf sie zugelaufen kam. Er hatte sandfarbenes, helles Haar, graublaue Augen und ein breites Lächeln im Gesicht, als er jetzt auf Gabe zutrat und ihn in eine Umarmung zog.
Austin wusste, wer dieser Mann war. Einfach so. Er wusste es einfach. Und er hätte zu keinem besseren Zeitpunkt nach Crystal Lake kommen können. Austin überbrückte die Entfernung zu Gabe und ihm, riss Arschloch Andrew an der Schulter zurück und verpasste ihm einen Kinnhaken, auf den er für den Rest seines Lebens stolz sein würde.
Andrew ging wie ein schlaffer Sack zu Boden und Austin nickte zufrieden. »Wie kannst du es wagen, auch nur einen Fuß nach Crystal Lake zu setzen?«, fuhr er ihn an.
»Okay, das reicht, Rambo.« Gabe schob sich zwischen Austin und seinen Ex-Freund, schirmte die jämmerliche Gurke gegen einen weiteren Schlag ab und half ihm beim Aufstehen.
»Was tust du da?«, fragte Austin fassungslos.
»Ich benehme mich erwachsen, hast du das schon vergessen?« Gabe hob eine Augenbraue und sah ihn herausfordernd an. »Du musst dort entlang, wenn mich nicht alles täuscht.« Gabe deutete in die entgegengesetzte Richtung von Ethans Haus, und zu einem anderen Zeitpunkt hätte Austin die Gelegenheit vielleicht genutzt, aber nicht heute. Heute würde er dafür sorgen, dass Andrew Armleuchter nicht noch weiter auf Gabes Herz herumtrampelte.
»Tut mir leid, aber deine Mom hat mich zum Essen eingeladen und ich habe wirklich großen Hunger.« Austin fuhr sich über den Bauch und zuckte mit den Schultern, dann deutete er auf den Lauch neben Gabe. »Er hingegen hat keine Einladung bekommen.«
»Er blutet«, sagte Gabe mit fester Stimme. »Er kommt mit.«
Austin starrte Gabe fassungslos an, während der Kretin ihm einen triumphierenden Blick zuwarf und sich dann an Gabe klammerte. Die beiden gingen voraus und Austin folgte ihnen kopfschüttelnd, nicht bereit, Gabe diesem Honk einfach so auszuliefern.
Als sie Jakes und Ethans Haus erreichten, herrschte schon allgemeiner Trubel. Die Mädchen spielten mit Harlow und Leo Volleyball im hinteren Bereich des Gartens, während Ethan und Allen am Grill standen. Sie nippten beide an einem Glas Wasser, was Austin mehr als nett fand.
Ethan war trockener Alkoholiker und sein Umfeld schien sich sofort auf ihn einzustellen. Er winkte ihnen zu und zog unmerklich eine Augenbraue in die Höhe, als er Andrew neben Gabe entdeckte. Auch Gabes Vater schien nicht angetan von dem überraschenden Besuch zu sein.
»Andrew«, sagte Allen, und Austin freute sich über seinen pikierten Tonfall. »Was tust du hier?«
»Oh Himmel, was ist mit deiner Nase passiert?«, fragte Becca, die gerade aus dem Haus kam, eine große Salatschüssel in den Händen.
»Er ist gegen eine Straßenlaterne gelaufen«, sagte Gabe schnell und führte Andrew ins Haus.
»Ich hoffe, dass die Straßenlampe einen harten Schlag hatte«, sagte Allen nachdenklich und sah Austin dabei an.
Austin zuckte mit den Schultern. »Nicht hart genug, fürchte ich.«
Bis Gabe und Andrew wieder aus dem Haus kamen, hatte sich Gabes gesamte Familie sowie alle Emerson-Lelands an einer langen Reihe von aneinandergeschobenen Tischen versammelt. Brot, Salate und Süßkartoffelauflauf wurden herumgereicht, während Allen das Fleisch verteilte, dann begannen sie zu essen.
Austin beobachtete Gabe und Andrew unaufhörlich und mit stillem Groll. Die beiden saßen nebeneinander und unterhielten sich vollkommen normal. Sie passten überhaupt nicht zueinander. Während Gabe dunkel, groß und muskulös war, war Andrew Arschbacke eher schmal und schlank. Er besaß weder Gabes sportliche Figur, noch seine unwiderstehliche Ausstrahlung. Er war ein verdammtes Würstchen, und Austin fragte sich ernsthaft, wie Gabe es zehn Jahre an seiner Seite ausgehalten hatte. Hatten sie je so miteinander gefickt – miteinander geschlafen –, wie Gabe und er? Austin konnte sich kaum vorstellen, dass der Hipster dann noch auf beiden Beinen stehen würde.
Das war doch einfach lächerlich! Und was war eigentlich mit Gabes Familie los? Hatte keiner von ihnen bemerkt, was für ein falsches Spiel das Arschgesicht mit Gabe getrieben hatte? Er musste nur in sein kleines, verlogenes Gesicht sehen und ihm war alles klar!
Mac, der bereits während des gesamten Essens neben ihm auf dem Boden gelegen hatte, winselte jetzt leise. Austin ließ einen Fleischbrocken zu ihm hinunterfallen und erntete einen tadelnden Blick von Gabe.
Nett, dass er ihn überhaupt noch bemerkte, jetzt wo der Wicht wieder auf der Bildfläche aufgetaucht war.
»Hör auf ihn anzustarren, er wird deshalb nicht tot umfallen«, raunte Jake ihm unauffällig zu.
»Er sollte nicht hier sein. Warum kommt er ausgerechnet heute hierher, hm?« Austin schnaubte.
»Er kämpft. Das ist mehr, als andere tun«, erwiderte Jake. Er schob sich genüsslich ein Stück Fleisch in den Mund. Austin schnaubte. Das konnte doch nicht sein verdammter Ernst sein. Seit wann hatte eigentlich jeder das Gefühl, ihm vorhalten zu können, dass seine Entscheidungen falsch waren?
Das Essen zog sich in die Länge, Austin brachte keinen Bissen hinunter und verzichtete nur Ethan zuliebe auf sehr, sehr viel Alkohol, denn der hätte die Farce mit dem Gesichtsclown auf der anderen Seite des Tisches irgendwie erträglich gemacht.
Er wartete noch immer darauf, dass irgendwer aus Gabes Familie der Kragen platzte und sie das Milchgesicht endlich zur Schnecke machten. Stattdessen streiften ihn fragende Blicke und hin und wieder ein Stirnrunzeln.
Während Ethan und Austin sich später um das Entzünden des Lagerfeuers kümmerten, zeigte Jake Allen seine Werkstatt. Noah – einer von Gabes Brüdern –, folgte den beiden.
»Kann ich dich einen Moment sprechen?«
Austin sah sich um und entdeckte Gabes anderen Bruder – Sam – hinter sich. Er hob auffordernd die Augenbrauen, sein Blick war unglaublich streng. Soweit Austin mitbekommen hatte, war Sam Anwalt in Portland. Er konnte sich sehr genau vorstellen, wie er mit diesem Blick vor Gericht die gegnerische Partei auseinandernahm, was eine coole Sache war, wenn nicht in diesem Moment er der Gegner gewesen wäre.
Trotzdem nickte er, wischte sich die Hände an seiner Hose ab und folgte ihm in den hinteren Bereich des Grundstücks, wo sich der Parcours befand. Wie oft war er in den letzten Wochen über die Hindernisse gerannt, um seinen Kopf zu klären und sich von all seinen Ängsten und Zweifeln zu befreien? Und wie gut hatte es geklappt?
»Was willst du von ihm?«
Okay, Sam verlor keine Zeit und kam gleich zur Sache.
»Ich schätze, du sprichst von Gabe?«
»Natürlich spreche ich von meinem Bruder. Von wem denn sonst?«
Austin zuckte mit der Schulter. »Die Frage war eher rhetorisch. Zum Aufwärmen.«
»Du hast ihn mit diesen Fotos ganz schön in die Scheiße geritten. Gabe ist keiner von denen. Er steht nicht gern im Mittelpunkt.«
»Das weiß ich«, sagte Austin. Gabe war einer der fleißigsten, bescheidensten Menschen, die er jemals kennengelernt hatte. »Und die Sache mit der Presse ist auch nicht auf meinem Mist gewachsen. Vermutlich war mein plötzliches Karriereende schuld daran.«
»Und darf man fragen, warum du deine Karriere einfach so beendet hast?«
»Nein! Darf man nicht!«, zischte Austin. Nach allem, was am heutigen Abend passiert war, würde er sich nicht von Gabes Bruder provozieren lassen.
Sam seufzte. »Gabe ist erwachsen. Ich weiß das. Aber du hast ihn nicht gesehen, nach … nachdem es mit Andrew vorbei war. Er war nicht mehr er selbst. Und ich bin froh, dass es ihm besser zu gehen scheint. Trotzdem … solltest du ihm das Herz brechen, muss ich dich zerquetschen wie einen Käfer.«
Austin legte den Kopf schief. »Du drohst mir? Nachdem sich wochenlang niemand von euch einen Dreck um ihn geschert hat?« Er zeigte in Richtung des vorderen Bereichs, wo sich die anderen gerade aufhielten. »Ihr esst mit diesem Mistkerl an einem Tisch und tut so, als wäre nichts geschehen! Wie kannst du mir drohen und ihn akzeptieren? Er ist überhaupt schuld daran, dass es Gabe so schlecht ging!«
»Er war einen Großteil von Gabes Leben an seiner Seite und jeder hat eine zweite Chance verdient«, erklärte Sam mit stoischer Gelassenheit. »Wir wissen nicht, was vorgefallen ist, sind aber sicher, dass Gabe die für ihn richtige Entscheidung treffen wird.«
Austin schnaubte. »Was diesen Mistkerl betrifft, gibt es nur eine Entscheidung. Und ich sag dir was: Ich war an Gabes Seite. Ich habe seine Hand gehalten, und war ihm ein Freund. Ich war da.«
»Und wirst du auch bleiben? Oder schwingst du hier nur große Reden, weil du befürchtest, dass jemand dir dein Spielzeug wegnimmt?«
Sams gelassene Frage ließ Austin unwillkürlich zurückweichen. Seine Worte waren gewaltiger, als es jeder Faustschlag hätte sein können. Er starrte Sam an und der starrte zurück, und irgendwann nickte er. »Du musst nichts dazu sagen. Es ist nicht nötig, denn wir beide kennen die Antwort, nicht wahr? Austin Perkins bindet sich nicht.« Sam machte einen Schritt auf ihn zu. »Du solltest ihm keine Hoffnungen machen, die du nicht erfüllen kannst. Wenn dir etwas an ihm liegt, dann lässt du ihn los. Kein Fick der Welt ist es wert, dass du ihm wehtust.«
Sam wandte sich ab und ging wieder nach vorne zu den anderen, während Austin zurückblieb und sich fühlte, als hätte ihn gerade ein Holzstamm durchbohrt. Er trat mit der Schuhspitze gegen einen Stein und schnaubte. »Wir haben nicht gefickt, Arschloch. Wir haben miteinander geschlafen!«