Kapitel Elf

Barako kannte die Feinde, die da auf sie zukamen. Vor einigen Tagen waren diese Wesen noch ihre Freunde gewesen und sie hatte sich darauf vorbereitet, mit ihnen zusammen zur Stadt der Hungrigen Nacht zu marschieren. Sie hatte vorgehabt, an ihrer Seite zu kämpfen. Und jetzt griffen die Samurai, die mit Haru aufgebrochen waren, sie an, um sie zu vernichten.

Die Samurai, oder das, was von ihnen übrig war.

Ihre Rüstungen waren zerstört, zerbrochen unter den Schlägen, die sie getötet hatten. Keiner von ihnen hatte sich einfach geschlagen gegeben. Sie mussten tapfer gekämpft haben. Dennoch tröstete dieser Gedanke Barako nicht, denn diese Heldentode hatten nur noch hungrigere Geistwesen erschaffen. Die Samurai waren Zombies mit totenbleicher, grauer Haut und offenen Wunden, an denen die Hautlappen beim Laufen schlackerten. Ihre Körper waren blutleer. Die Gesichter waren welk und faltig, als ob sie Jahrzehnte älter geworden wären, als es Sterblichen normalerweise zustand. Die Verwesung zeichnete sich bereits deutlich ab. Die Zeit mochte hier in der Stadt der Hungrigen Nacht bedeutungslos sein, der Verfall war es nicht. Die Krieger, die höchstens seit wenigen Tagen tot waren, sahen aus, als wären sie bereits seit ewigen Zeiten in der Stadt gefangen.

Das Schlimmste war, dass Barako sie erkannte, jedes einzelne schrumpelige, verwesende Gesicht. Sie hätte jedes der Monster, die auf das Tor zuliefen, beim Namen nennen können, wusste, welche Eigenschaften die Männer und Frauen, die sie einst gewesen waren, gehabt hatten. Sie kannte den Klang ihres Lachens, wusste, wie sie sich im Kampf hielten, wie hingebungsvoll und ehrenhaft sie waren.

Aber all ihr Wissen war hinfällig. Jetzt blieben nur noch diese Spottbilder dessen, was diese Sterblichen einst gewesen waren.

Zumindest wünschte sie, dass sonst nichts mehr übrig war. Sie wollte einfach hoffen, dass ihre Seelen es geschafft hatten, ins Jenseits überzutreten und nicht auf alle Ewigkeit an diesem Ort verdammt waren.

Aber was sie hoffte, spielte hier und jetzt keine Rolle. Es kam nur auf ihren Streithammer an.

Die Waffe war alt. Barako hatte sie von ihrer Mutter erhalten, die ihn wiederum von ihrer Großmutter hatte, und so ging es schon seit Generationen. Sie war mit feierlichen Riten geweiht worden, wann immer sie von der Mutter an die Tochter weitergereicht worden war. In den Schattenlanden hatte sie Barako schon oft das Leben gerettet. Die Waffe wurde von allen unreinen Wesen gefürchtet.

Weniger als dreißig Zombiesamurai stürmten aus den Schatten, um das Tor anzugreifen. Mehr als doppelt so viele lebende Krieger warteten auf sie. Aber die Zombies waren nicht allein gekommen. Hinter ihnen lief eine Horde Skelette, die Monster, die sie getötet und in Kreaturen der Schattenlande verwandelt hatten. Auch Harus Samurai würden irgendwann werden wie sie. An den Skeletten befand sich fast kein Fleisch mehr. Vereinzelt hingen ledrige Hautfetzen oder Muskelfasern von den Knochen. Reste der Rüstungen klebten daran. Einige der Skelette trugen Helme, anderen hingen Brustpanzer an einem einzelnen Riemen über der Schulter und schwangen beim Laufen hin und her. Manche trugen noch einen Stiefel, wiederum andere sogar zwei. Allen war gerade genug geblieben, dass man erkennen konnte, was sie einst gewesen waren. Sie waren nur noch Knochen, aber sie waren einmal Samurai gewesen und sie hassten alle, die noch welche waren.

Die Zombies stürmten zum Tor. Barako trat vor die Öffnung und schwang ihren Hammer. An der Spitze der Zombies war Hino, ein guter Krieger, den Barako mochte und dem sie vertraute. Sie selbst hatte ihn ausgebildet und Ochiba hatte ihn Haru zugewiesen, damit der beste und weiseste Samurai unter ihm diente, um seiner Torheit Einhalt zu gebieten und ihm seine Stärke zu leihen. Einen Augenblick lang sah Barako in das verzerrte Gesicht ihres Freundes und wusste, dass es kein Zufall war, dass Hino die Armee der Untoten anführte. Was auch immer über die Stadt der Hungrigen Nacht regierte, hatte diese Wahl getroffen, in dem Wissen, welchen Effekt es haben würde.

Aber es machte keinen Unterschied, wer dieser Zombie war. Barako kannte sich mit solchen Monstern aus. Wenn sie ihnen schon keinen Frieden schenken konnte, dann wenigstens Vernichtung.

Sie trat vor, holte aus und schmetterte ihren Hammer auf Hinos Schädel. Der Kopf platzte in einer Wolke aus Knochenfragmenten und vertrockneter Hirnmasse. Barako nutzte den Schwung ihres Schlags, um sich einen halben Schritt zurücktragen zu lassen. Dann trat sie wieder vor und schwang diesmal in die andere Richtung. Sie traf einen anderen Zombie in die Seite. Die Wucht ihres Schlags stieß ihn gegen seinen Nebenmann und beide gingen in einem Haufen knochiger Gliedmaßen zu Boden.

Ochiba hatte sich im gleichen Moment wie Barako in die Schlacht gestürzt. Sie schlängelte sich durch die Zombies hindurch und hieb mit ihrem Katana zu. Dabei hielt sie keinen Moment inne. Es war alles eine flüssige Bewegung, eine gewundene Spirale, die in die Zombies einstach und sich wieder zurückzog, vor und zurück. Dabei traf sie immer die ungeschützten Stellen. Ihre Klinge schnitt in Hälse, enthauptete die Gegner oder schlitzte ihnen die Brust auf. Ochibas Schwert war genauso wertvoll und geweiht wie Barakos Hammer. Das unreine Fleisch kokelte bei der Berührung des gesegneten Stahls. Und Ochiba kämpfte mit derselben grimmigen Entschlossenheit. Auch sie schlug, ohne zu zögern, auf das ein, was einst ihre Freunde gewesen waren.

Barako war der Donner. Ochiba war der Blitz. Zusammen waren sie der Sturm. Ihr Angriff war ebenso präzise wie erbarmungslos. Der Ansturm der Horrorgestalten geriet ins Stocken.

Aber das Tor stand nun weit offen. Andere Zombies schoben sich nach vorn und standen der Front aus Samurai gegenüber. Die sechzig Krieger drangen in geordnetem Zorn auf den Feind ein. Sie rächten ihre Kameraden, indem sie ihre Körper zerstörten. Nicht alle Waffen waren geheiligte Familienerbstücke, aber Junji hatte jedes Schwert und jeden Hammer gesegnet und alle Krieger riefen ihre Ahnen um Schutz an, während sie sich auf die Zombies stürzten.

Im Turm ertönte noch einmal das Horn, das Seele und Erde erbeben ließ.

»Hört Ihr, wie wütend er ist?«, schrie Ochiba. »Wie frustriert?«

»Der Feind ist uns in die Falle getappt!«, rief Barako ihren Kämpfern zu. »Treibt sie in die Enge und lasst niemanden vorbei! Wir sind im Vorteil!« Sie parierte einen Schwerthieb mit einem Aufwärtsschwinger, schlug dem Zombie das Katana aus der Hand und schmetterte ihm dann den Hammer auf den Kopf. Der Schlag trieb dem Monster den Schädel zwischen die Schulterblätter und zertrümmerte ihm das Rückgrat. Der Zombie fiel, zuckte noch einmal im Schnee und blieb dann liegen.

Sie konnten die Untoten am Tor aufhalten. Die Stadt der Hungrigen Nacht hatte versucht, sie hineinzulocken, aber sie hatten sie stattdessen herauskommen lassen. Jetzt hatten sie den Feind in eine Lage gebracht, in der Überzahl keine Rolle spielte. Sie konnten das Tor beinahe unendlich lange halten.

Das reichte aber nicht.

»Siehst du ihn?«, rief Ochiba Barako zu, während sie dem Schlag eines Zombies auswich. Die Toten waren ungeschickt. Von ihren Fähigkeiten als Lebende war nicht mehr viel zu merken und selbst dann wäre Ochiba zu schnell für sie gewesen. Sie duckte sich unter dem ausgestreckten Arm des Zombies, schwang ihr Schwert nach oben und hieb ihn entzwei.

»Er ist nicht hier«, antwortete Barako. Sie hatten bereits den größten Teil von Harus Truppe besiegt, aber von ihm selbst war keine Spur zu sehen. Jetzt ging es gegen die Flut an Skeletten, die das Tor erreicht hatte. »Und Ishiko habe ich auch nicht gesehen.«

Zwei Skelettkrieger bedrängten sie von beiden Seiten. Ihre Kiefer standen offen und atemlose Schreie klangen ihr in den Ohren. Sie brummte angeekelt. Mit zwei Schlägen zertrümmerte sie dem einen den Brustkorb und pulverisierte den Schädel des anderen.

»Dann müssen wir sie suchen.« Ochiba wirbelte und schwang ihr Schwert. Sie war ein tödlicher Schemen. Hinter ihr brachen die in Stücke geschlagenen Schreckgestalten zusammen.

»Zum Turm?«, fragte Barako.

»Zum Turm, und zwar schnell. Daizu, Goemon, Nahomi!«, rief Ochiba. »Mit Barako und mir. Ihr anderen verteidigt das Tor.«

Die drei Samurai, die sie beim Namen genannt hatte, traten vor. Sie waren schnell. Sie stammten aus Ochibas Truppe und kämpften auf ähnliche Weise wie sie.

»Jetzt!«, befahl Ochiba.

Barako rannte vor, stieß Skelette mit den Schultern zur Seite, rammte sie mit ihrer Rüstung und ließ den Hammer kreisen. So schlug sie eine Bresche in die Horde. Ochiba und die drei Samurai stürmten ihr voran und schnitten sich den Weg frei, wobei sie Dutzende Skelette zerhackten. Barako bildete die Nachhut.

Zur gleichen Zeit griff der Rest der Kompanie das Tor an, als ob sie jetzt die Stadt einnehmen wollten. Die Monster reagierten auf die Bedrohung und verteidigten das Tor, wobei sie sich auf die größere Anzahl Feinde konzentrierten. Dieser Fehler ermöglichte es der kleinen Gruppe, durchzubrechen und auf die Straßen zu laufen. Binnen weniger Augenblicke erhob sich ein Klagelaut. Die Toten schrien nach ihrer entkommenen Beute. Aber sie hatten das Rennen bereits verloren.

Die fünf Samurai tauchten ins Dunkle ein. Ochiba sprintete voran und die anderen hielten Schritt. Dabei behielt sie stets den großen Turm im Blick, dessen nun wieder giftgrünes Licht sie ärgerlich anfunkelte. An jeder Kreuzung wählte Ochiba ihren Weg, ohne zu zögern, und Barako traute ihren Instinkten. Sie wussten zwar nicht, wo lang, aber sie durften nicht stehen bleiben. Wenn sie schnell genug waren, hatten die Streitkräfte der Stadt vielleicht nicht genug Zeit, einen Hinterhalt vorzubereiten.

Sie nutzten kleinere Türme als Wegweiser, Orientierungspunkte auf dem Weg zur Mitte dieser finsteren Ruine. Um sie herum war der Weg gesäumt von Strukturen, die wie Felseruptionen aussahen. Sie warfen Schatten tief wie Ozeane. Darin erklang das Klappern von Knochen und der anklagende Schrei der Toten, bevor die Skelette aus der Dunkelheit in das leichenblasse Licht des Mondes traten.

Ochibas Risikobereitschaft zahlte sich aus. Es war nur eine geringe Anzahl untoter Samurai und die Gruppe konnte sie beiseitefegen, ohne auch nur langsamer zu werden. Ochiba hielt sich so viel sie konnte im Licht auf. Es war kein tröstliches, Sicherheit verheißendes Licht, dachte Barako. Es war ein Licht des Verhängnisses und der Verzweiflung. Aber es sorgte für ausgeglichene Verhältnisse. Hier konnten die Krieger aus Morgenröte erkennen, was sie zu töten versuchte.

Sie kamen dem Turm immer näher. Das schreckliche Horn dröhnte noch einmal. Es rief die Schreckgestalten zum Kampf. Aber Barako meinte, dass es auch ein Wutschrei war. Jeder Hornstoß durchdrang sie bis ins Mark, doch sie lief weiter. Euer Gebrüll drückt nur eure Machtlosigkeit aus. Ihr könnt uns nicht aufhalten.

Die Straßen waren gewunden, verdreht, ineinander verschlungen. Sie waren völlig verworren und führten in völlig unerklärlichen Wegen im Kreis. Immer und immer wieder stellten die Samurai fest, dass sie sich plötzlich von ihrem Ziel wegbewegten. Aber Ochiba zögerte nie. Sie rannten und rannten und trotz der Rückschläge kamen sie dem Turm immer näher, so sehr er auch gegen sie wütete.

Schließlich kamen sie vor seinen Mauern an, während das Horn ein weiteres Mal erklang.

Vom Turm aus verteilten sich die Schneewehen in der Stadt. Der Mond beschien das riesige Gebäude, von dessen Spitze das grüne Licht grell erstrahlte. In diesem toten weißen und grünen Licht entstand der Schnee. Er hing von den Giebeln wie lange, ausgefranste Vorhänge und fiel vom Turm herab, um sich über der Stadt auszubreiten. Von hier aus erreichte der unnatürliche Schnee jeden Winkel.

Der Turm war ebenso massiv wie hoch. Die Giebel waren zerklüftet und grotesk, wie die Klauen von Reptilien. Sie waren beinahe so breit wie Flügel, als könnte der Turm jeden Moment in die Luft aufsteigen und seinen Schatten über ein neues Land werfen. Er wirkte, als wäre er nicht gebaut, sondern von unten durch die Erde getrieben worden und hätte die Oberfläche wie Hautlappen beiseitegeschoben. Aus der Ferne hatte er dunkel gewirkt, aber aus der Nähe war er blass und unheilvoll wie etwas Totes. Barako sah, dass er aus dem gleichen Material bestand wie der Anhänger, und ihr schauderte bei dem Gedanken, dass sie es einmal für weiße Jade gehalten hatten.

Der Eingang zum Turm hatte keine Türflügel und er stand weit offen. Der Rand war mit spitzen Nadeln besetzt wie das Maul eines Raubfischs. Innen wechselten sich tiefe Schatten mit flackernden Strahlen des kränklich grünen Lichts ab. Das Innere des Turms pulsierte, als wäre es lebendig, ein hungriges, hasserfülltes Herz.

Der Weg zum Eingang stieg leicht an und bestand aus Geröll. Versperrt wurde er von einer großen Truppe Skelettkrieger. Anders als ihre Kameraden, die zum Stadttor gestürmt waren, trugen diese größtenteils intakte Rüstungen. Außerdem waren sie größer. Als ihre Gruppe näher kam, sah Barako, warum. Sie bestanden aus mehr als einem Körper. Sie hatten drei oder vier Arme, manche trugen zwei Köpfe. Beinknochen und Rückgrat mehrerer Personen waren zusammengesetzt worden, um Riesen zu erschaffen. In jeder Hand hielten sie ein schartiges, rostiges Schwert. Eines von ihnen musste Hachi die grausamen Wunden gerissen haben.

Voller Entschlossenheit verwandelte Barako ihren Schrecken in Wut. Ich bin euer Ende, ihr Monster!

An der Spitze ihrer Feinde stand Ishiko. Sie war ein Zombie und auch wenn sie nicht in eine Riesin verwandelt worden war, unterschied sie sich doch von Harus anderen gefallenen Kameraden. Das giftige Licht umgab sie. Ihr faltiges, vertrocknetes Gesicht war zu einer Fratze der Wut verzehrt. Sie bebte vor Wut darüber, verraten worden zu sein. Sie war in einer aussichtslosen Mission umgekommen und jetzt wollte sie alle anderen mit sich in den Abgrund reißen.

Noch mehr als das Dröhnen des Horns traf Ishikos Gesicht Barako mitten ins Herz. In diesem Zorn, diesem Schmerz lag noch eine Spur dessen, was die Samurai einst gewesen war. Vor ihr stand mehr als nur eine Leiche, der keine Ruhe vergönnt war. Es war ein Schatten von Ishiko. Sie war eine der respektabelsten Kriegerinnen gewesen, die Barako je gekannt hatte. Ihr schauderte, wenn sie jetzt dieses Zerrbild von ihr betrachtete. Diese Kreatur verströmte reinen Hass. Sie sehnte sich nach Zerstörung mit derselben absoluten Hingabe, mit der sie einst ihre Pflicht erfüllt hatte. Dies war ihre neue Pflicht. Ishiko öffnete den Mund und heulte auf, ein grausames, heiseres Echo der Stimme ihrer geliebten Kameradin. Alles, woran Ishiko geglaubt hatte, war ihr genommen worden. Nur konnte sie ihren Ärger nicht gegen das richten, was ihr alles geraubt hatte. Stattdessen versuchte sie, allen anderen ihren Glauben zu nehmen, so wie auch ihr das Böse die vermeintliche Wahrheit offenbart hatte.

Nach dem letzten Hornstoß hörte Barako aus dem Inneren des Turms einen Schrei. Die Stimme war im Vergleich so schwach, beinahe mitleiderregend. Sie hatte keine Kraft. Schon hundert Meter weiter wäre sie unhörbar gewesen, der darin liegende Schrecken, die Angst und der Schmerz wären im Hunger der Stadt untergegangen. Sie war klein und menschlich. Sie war sterblich.

Sie gehörte Haru.

Die Skelette stimmten in Ishikos Heulen ein und griffen an. Sie bildeten einen Wall zwischen den Samurai und dem Turm. Die Truppe und die Monster trafen aufeinander. An diesem Feind kamen sie nicht so einfach vorbei.

Ishiko rannte zunächst auf Ochiba los. Im letzten Moment täuschte der Zombie nach links an. Ihre Geschwindigkeit und Wendigkeit erinnerten auf unheimliche Weise an die lebende Kriegerin. Sie umrundete die Truppe und griff Barako von der Seite an.

Eines der riesigen Skelette stand plötzlich vor Ochiba, die schon darauf vorbereitet war, gegen Ishiko zu kämpfen. Vier Arme mit vier Schwertern bedrängten den Hauptmann von beiden Seiten.

Barako wirbelte herum und mit dem Schaft ihres Hammers blockte sie Ishikos Angriff ab. Es war ein mächtiger Schlag. Grünes Licht flammte auf. Die Macht, die dem Zombie innewohnte, loderte auf. In ihren Augen glühte der Funken dieser schrecklichen Wahrheit. Sie heulte noch einmal, wich Barakos nächstem Schwung aus und griff sie dann mit dem Katana an. Barako drehte sich so, dass das Schwert an ihrer Schulterplatte abprallte, und schlug dann erneut zu. Ishiko sprang zurück, aber der Hammer streifte ihre Schulter mit solcher Wucht, dass sie sich um die eigene Achse drehte.

Ochiba sprang zur Seite und duckte sich unter den Schwertern hinweg. Das Skelett nutzte seine vier Waffen, um ihre Gegenangriffe abzuwehren. Es war nicht so schnell wie Ochiba, aber schnell genug und durch seine Masse konnte es ihre Hiebe leicht wegstecken. Es schien fest entschlossen, sie nicht vorbeizulassen.

Wieder schrie Haru.

Die anderen Skelette kämpften gegen Daizu, Goemon und Nahomi. Wenn die Monster schrien, meinte Barako, ein Echo des Horns aus dem Turm zu hören. Sie waren seine Wächter und verteidigten ihn, wie sie selbst Morgenröte verteidigen würde.

Nahomi lockte ein zweiköpfiges Monster aus der Angriffsreihe. Unbeholfen stolperte es vorwärts und sie schmetterte ihm ihren Hammer gegen den Ellbogen, sodass der Arm zersplitterte. Goemon nutzte die Gelegenheit. Er hatte gerade einen der anderen Riesen zurückgetrieben, stürzte vor und schlug mit dem Katana nach einem der Hälse. In diesem Moment zuckte die Kreatur zusammen und der Schlag ging fehl. Die Klinge landete zwischen den beiden Köpfen. Einer der Schädel fuhr herum und schloss den Kiefer um das Schwert. Goemon konnte es befreien, aber der Moment, den er dafür brauchte, reichte seinem vorigen Gegner, um wieder in den Kampf einzugreifen. In seinen drei Armen schwang er ein riesiges, zweihändiges Zanbato-Schwert. Die schwere, gekrümmte Schneide drang in Goemons Rücken ein und durchtrennte sein Rückgrat. Nahomi warf sich gegen das doppelköpfige Geschöpf, stieß einen Wutschrei aus und zerschmetterte ihm beide Schädel mit zwei schnellen, strafenden Hieben ihres Hammers.

Ishiko zischte, sprintete um Barako herum und lief auf Nahomi zu. Barako sprang hinterher. In ihrer schweren Rüstung war sie langsamer als Ochiba. Aber wenn sie wollte, konnte sie sehr schnell sein. Der Schlag ihres Hammers war nicht so gut gezielt, da sie rannte, aber sie traf den Zombie an den Beinen. Ishiko rollte sich herum und schrie vor Wut, ein Laut schlimmer als der Todesschrei eines getroffenen Tieres. Dann wandte sie sich wieder gegen Barako, während Nahomi von dem getroffenen Riesen heruntersprang und mit einem anderen die Waffen kreuzte.

Barako blockte den Wirbel aus Schwerthieben ab und zog sich zurück, um Zeit zu gewinnen. Dabei warf sie einen Blick zu Ochiba hinüber.

Der Hauptmann täuschte einen Angriff vor, trat zur Seite, als das Skelett ihn abzuwehren versuchte, und stieß ihr Katana in eine Öffnung in der Rüstung des Monsters, direkt über dem Knie. Sie drehte das Schwert, zog es in einer schwungvollen Bewegung wieder heraus und schlug ihm so das Bein unterm Körper weg. Im Fallen versuchte es schreiend, sie mit sich zu reißen, aber sie wich mit Leichtigkeit aus.

Ochiba war jetzt über ihrem Feind. Nichts verstellte ihr mehr den Weg in den Turm.

Haru schrie noch einmal.

Ochibas und Barakos Blicke trafen sich.

Der Augenblick war undenkbar kurz, ein so winziger Bruchteil einer Zeiteinheit, dass er kaum wahrzunehmen war. Im Vergleich dazu war ein Herzschlag eine ganze Ewigkeit. Ohne Ablenkung, ohne in ihrem Kampf gegen Ishiko innezuhalten, sah Barako über das Schlachtfeld hinweg zu Ochiba. Dieser winzige Bruchteil war nicht einmal ein Funke in der Nacht.

Und doch wog er tonnenschwer und zog Barako nach unten. Er war so gewaltig, dass er Berge zusammenbrechen lassen konnte. Wie sollte sie ihn da schultern? Das Schwere daran waren die Dinge, die nicht sein würden. Worte, Gesten, Geständnisse, Berührungen. Hoffnungen, Gelächter und Träume davon, was hätte sein können. Alles, was sie nicht getan hatte, kam in diesem Augenblick zusammen, und einen Augenblick später war es bereits zu spät dafür.

Dieser Blick und sein Gewicht waren unerträglich. Barako hätte nach Luft schnappen wollen. Sie hätte schreien wollen. Aber die Zeit reichte dafür nicht aus. Es war keine Zeit für irgendetwas, außer dem, was ohnehin schon passierte.

Gerade genug Zeit für eine Entscheidung.

Ochiba würde allein den Turm betreten.

Nein, hätte Barako geschrien, wenn der Moment lang genug gewesen wäre. Das darfst du nicht. Wir dürfen uns nicht trennen. Geh nicht allein dort hinein. Bitte. Bitte, geh nicht hinein!

Aber in Wahrheit hätte sie das ohnehin nicht gerufen. So oft schon, in so vielen Schlachten, hatten Ochibas Kampfeslust und ihre eigene Vorsicht sich ausgeglichen. Diesmal allerdings suchten sie gar nicht nach einem Ausgleich.

Zeit, eine Entscheidung zu treffen? Nein, das stimmte nicht. Denn es gab gar keine Entscheidung. Das Schicksal hatte bestimmt, was zu tun war. Haru war im Turm. Ochiba hatte als Einzige die Möglichkeit, zu ihm zu gelangen. Es hatte nichts mit Leichtsinn zu tun, dass sie sich jetzt von Barako abwandte und auf den Eingang zurannte. Nur die Pflicht rief. Die Ehre gebot es.

Und in diesem winzigen Bruchteil eines Augenblicks, bevor Ochiba sich umdrehte, während Barako noch voller Schrecken zu ihr hinübersah und wusste, was passieren würde, verfluchte Barako die Tyrannei dieser Pflicht.

In der Zukunft, wenn sie sich im Dunkeln schlaflos herumwälzte, würde Barako über diesen Fluch nachdenken und feststellen, dass sie den Zorn verstand, der in dem Wesen brannte, das einst Ishiko gewesen war und es auf eine furchtbare Weise immer noch war.

Das Skelett, dem Ochiba das Bein abgeschlagen hatte, versuchte, ihr nachzukriechen. In seinen atemlosen Schreien lag ein neuer Schmerz, als wäre es sich seiner Pflicht ebenso bewusst und fühlte, dass es darin versagt hatte. Ochiba sprintete den Hügel hoch und verschwand im grün-schwarzen Wirrwarr hinter der Schwelle. Der Eingang bebte, die Stacheln zuckten kurz nach innen, dann war alles still. Er schloss sich nicht.

Barako fauchte. Sie wandte all ihren Zorn gegen Ishiko. Ihretwegen war sie hier festgesetzt, obwohl sie doch an Ochibas Seite sein sollte. Sie hatte keine Ahnung, was in dem Turm passierte. Die Angst, Ochiba zum letzten Mal gesehen zu haben, trieb sie an. Ihre Hiebe kamen mit immer größerer Geschwindigkeit und gewaltigerer Macht. Jetzt drängte sie den Zombie in die Defensive. Barako schlug mit dem Hammer wieder und wieder und wieder zu. Der Schrecken und die Trauer darüber, was aus Ishiko geworden war, war vergessen. Ochibas Abwesenheit war das Allerschlimmste. Ohne sie war alles andere auch nicht vorhanden. Barako wollte nichts weiter, als diese Kreaturen der Schattenlande zu Staub zu schmettern, um die Pflicht zu erfüllen, ihre Pflicht, über deren genaue Definition sie und sie allein entschied, und die bestand darin, an Ochibas Seite zu sein.

Der Ishiko-Zombie war ihr im Weg, also musste er zerstört werden.

Haru schrie.

Und Ochiba brüllte.