»Zeit, das Spiel zu beenden.« Die Stimme des Oni war ein Chor. Er sprach mit Ochibas Stimme, der Stimme des Windes, dem Knacken von Knochen. Es klang trocken und zischend und vertraut. Das Altbekannte, Geliebte verdreht und verflochten mit dem Unheimlichen, dem Übernatürlichen, dem Widerwärtigen. Es war der Klang, nach dem Barako sich so gesehnt hatte, und der Klang von allem, was die menschliche Seele mit Grauen erfüllte. Der Honig der Liebe und der Odem des Verrats. Jede Silbe versetzte Barako einen derart schmerzhaften Schlag, dass der Tod eine Erlösung gewesen wäre.
Aber der Oni hatte nicht vor, sie zu erlösen. Er war zu seinem eigenen Vergnügen hier und um den Ruhm seines finsteren Meisters zu mehren. Er war hier, um Beute zu machen. Während er sprach, verwandelte er sich weiter und die emotionale Pein, die er Barako damit zufügte, saß so tief, traf sie so präzise, als würden allein diese Worte und dieser Anblick ausreichen, um sie zu zerreißen wie Tsuru und Nisobu.
Selbst als der Oni die menschliche Form ablegte und zum Ungeheuer wurde, als der Schädel breiter und länger wurde, konnte Barako in ihm noch Ochiba erkennen. Ihr Lächeln verzerrte sich zu einer schrecklichen Grimasse. Die Zähne glänzten im Licht der Laternen, strahlend weiß und verstörend menschlich, nur waren es viel zu viele. Der Hals wurde länger und länger, bis er fünf Meter lang war. Der Kopf fuhr vor und zurück, auf und ab, als wolle er sich über ihre Dummheit lustig machen.
Auch der Körper wurde breiter, die Arme länger und dicker und an den Händen wuchsen Klauen, die lang und breit waren wie Schlachtermesser. Aus der Brust des Ungeheuers entsprangen zwei weitere Arme, dünner und feingliedriger. Die Finger dieser Arme waren länger, mit vielen Gelenken, und die Klauen dünn und scharf. Die großen Arme waren die Waffen eines Schlachters, die kleineren hatten die Eleganz eines Foltermeisters. Die großen waren zum Festhalten und Töten gedacht, die kleineren führten die kunstvollen Handgriffe durch, wie das Opfer zu häuten und auseinanderzunehmen.
Die Haut des Ungeheuers war bleich und glänzte feucht. Sie wirkte hauchdünn wie eine Blüte im Mondlicht und riss auf wie die einer Leiche, die unter dem Druck der vielen Maden fast platzt.
»Die Burg gehört beinahe mir«, sagte der Oni. »Sogar euer Mönch hat sich mir ergeben. Ich brauche meine Tarnung nicht mehr. Nicht wenn die Offenbarung mir so viel Nahrung bescheren kann.« Der Kopf, der Ochiba so ähnlich war, legte sich schräg und betrachtete Barako. Ochibas Haut, schlaff und mit Schleim überzogen, rutschte zur Seite. »Vielleicht nehme ich dein Gesicht. Soll ich? Ich brauche es nicht lange, aber du wirst nicht mehr leben, um es zurückzubekommen. Ich würde es nur so lange benutzen, bis ich den Rest der Burg dazu gebracht habe, sich gegenseitig abzuschlachten. Das sollte nicht weiter schwierig sein.« Mit einem seiner dicken Arme schlug er nach Barako. Sie duckte sich ohne Schwierigkeiten darunter hinweg und sprang dann in die andere Richtung, gerade rechtzeitig, um mit dem Hammer nach dem anderen Arm zu schlagen, der sie ergreifen wollte. Der Oni zog den Arm zurück, bevor der Hammer treffen konnte. Er tanzte zur Seite, deutete eine ironische Verbeugung an und lachte ein Lachen, das nach Ochiba klang und nach wimmelnden Würmern.
Unkei, einer von Barakos Samurai, erschien an der Dachkante. Noch bevor er darüber klettern konnte, stürzte sich der Oni mit einem einzigen Satz auf ihn. Er enthauptete ihn mit einem Hieb seiner riesigen Krallen und ließ die Leiche in den Burghof fallen.
Dann kam der Oni zurück zu Barako, wobei er vor hämischer Freude fast tanzte. »Ich spreche nur mit dir.«
»Bleibt zurück!«, schrie Barako und hoffte, dass ihre Stimme über das Unwetter hinweg zu den anderen Samurai durchdrang, die versuchten, ihren vorherigen Befehl zu befolgen. »Bleibt vom Dach fern!«
Mit angehaltenem Atem betrachtete sie die Dachkante, die im Licht der Laternen gerade noch zu erkennen war, und wartete auf ein neuerliches Gemetzel. Aber sie mussten sie gehört haben. Niemand anders versuchte hinaufzuklettern.
»Sehr gut«, sagte der Oni. »Ich möchte dieses Festmahl ohne Unterbrechung genießen.«
Er und Barako umkreisten einander und suchten nach einem Angriffspunkt. Junji stand immer noch dort, wo der Oni ihn zurückgelassen hatte, in das Symbol an der Wand gepresst.
»Samurai gegen Samurai aufzuhetzen macht Spaß«, meinte der Oni. »Ich genieße den Anblick, wie meine Feinde einander vernichten. Aber es ist zu leicht. Andere Zeitvertreibe sind so viel besser, ihr Geschmack so viel köstlicher. Wie der Geschmack deines Schmerzes.«
Er stieß mit den Klauen nach ihr, spielerisch, ohne sie wirklich treffen zu wollen. Sein Angriff lag in seinen Worten, in seiner Anwesenheit und in Ochibas verzerrtem Gesicht. Er wollte nicht, dass sie zu schnell starb, sondern ihren Schmerz genüsslich auskosten. Sie sollte weinen, schreien, wüten, aber diesen Gefallen hatte sie dem Oni noch nicht getan.
Doch der Oni machte sich keine Sorgen. Ochibas Zunge, fast einen halben Meter lang, leckte über Ochibas lang gezogene Lippen und ließ sie feucht und vor Fäulnis glänzend zurück.
Barako sprang vor und versuchte, das Ungeheuer zu überraschen und eine Lücke in seiner Deckung zu finden, um mit aller Macht zuschlagen zu können. Wenn er ihren Schmerz fühlen wollte, würde sie ihm das hundertfach zurückzahlen. Doch der Oni wehrte sie mit Leichtigkeit, fast beiläufig, ab.
Sie erkannte die schnellen, geschmeidigen Bewegungen. Jahr um Jahr war es ihr eine Freude gewesen, sie auf dem Schlachtfeld und im Dojo zu studieren. Mühsam unterdrückte sie ein Aufstöhnen. Es steckte zu viel von Ochiba in dieser Schreckgestalt, zu viel von dem, was sie liebte.
»Soll ich dir sagen, was du denkst?«, fragte der Oni. »Du denkst an all die Dinge, die du Ochiba nie gesagt hast und ihr nun auch niemals mehr sagen kannst. An all das, von dem du dir wünschst, du hättest es gesagt, aber jetzt ist es zu spät.« Er atmete tief ein, öffnete den Mund und stieß einen lauten Seufzer der Ekstase aus. »AHHHHHHHHH!« Die vom Schneesturm durchzogene Dunkelheit füllte sich mit einem Duft nach Frühlingsblumen und verlassenen Schlachthäusern. »Reue. Köstliche, köstliche Reue. Wie oft schon habe ich ihren Nektar getrunken und doch kann ich gar nicht genug davon bekommen. Der Ehrenkodex der Samurai ist so vorzüglich darin, euch dazu zu bringen, euch selbst zu quälen, es muss einfach ein Opfer sein, das ihr mir freiwillig darbringt. Denn warum sonst solltet ihr euch so verlässlich selbst Schmerzen zufügen, um mir zu gefallen? Es gibt so vieles, was du Ochiba hättest sagen sollen. Alles, was du ihr hättest sagen müssen, weil du sie liebst, und doch hast du dir selbst eingeredet, dass du es niemals sagen darfst, weil du sie liebst. Sie hat sich so danach gesehnt, es zu hören, aber geschworen, es zurückzuweisen! Herrlich! Herrlich! Und jetzt die Reue! Warum bereust du es, wenn du dir geschworen hast, es nie zu sagen? Du hast deinen Eid doch eingehalten! Aber da ist sie, die Reue! Reue! Reue!«
Noch einmal griff Barako den Oni an, wobei sie darum kämpfen musste, auf der Schrägen und im tiefen Schnee nicht fehlzutreten. Sie schwang schnell und kräftig, ließ ein wohlgeordnetes Trommelfeuer aus Schlägen auf die Kreatur los. Dabei biss sie die Zähne fest aufeinander und unterdrückte die Wutschreie, die trotzigen Worte, die zu sehr nach Leugnen geklungen hätten, nach Lügen.
Das Schlimmste an dem, was der Oni sagte, war, dass alles der Wahrheit entsprach. Sie musste diese Wahrheit aus ihrem Herzen verdrängen, sonst würde sie zugrunde gerichtet.
Mit seinen schweren Armen wehrte der Oni ihre Schläge ab, konterte aber nicht. Er wollte sie nur von sich fernhalten, bis er seinen Angriff auf ihre Seele beendet hatte.
»Reue«, sagte der Oni noch einmal. Der lange Hals ließ den Kopf wenige Meter über Barako baumeln, gerade so hoch, dass sie ihn nicht erreichen konnte. Ochibas Gesicht schnupperte genüsslich, dann zuckte es wieder zurück. »Reue und Scham! Scham und Schuldgefühle! Du fragst dich, wie es sein kann, dass du nichts bemerkt hast. Du liebst sie und doch merkst du nicht, dass nicht sie selbst aus der Stadt der Hungrigen Nacht zurückgekehrt ist. So dicht hast du bei mir gesessen, hast mir dein Herz ausgeschüttet. Bei mir hast du Trost gesucht. Hast mir die Worte zuflüstert, die du ihr gern zugeflüstert hättest. Überall hast du nach dem Fehler in der Tarnung gesucht, während die einfachste Tarnung von allen, die Schlafende, direkt vor dir lag. Ich glaube nicht, dass du sie tatsächlich geliebt hast. Das kannst du gar nicht. Deine Liebe war eine Lüge.«
Jetzt schrie Barako. Sie konnte den Schmerz und die Wut nicht länger zurückhalten. Hätte sie es gekonnt, hätte der Oni ohne Zweifel recht gehabt. Aber es war unmöglich. Ochiba war fort und nur die Liebe, die Barako für sie empfand, blieb zurück. Diese Liebe würde sie bis aufs Äußerste verteidigen. Wie ein Wirbelwind stürmte sie auf den Oni zu und schlug mit einer Macht auf ihn ein, die Steine zerschmettert hätte.
Der Oni fauchte, zum ersten Mal ärgerlich, und schlug zurück. Er parierte Barakos Hieb mit solcher Kraft, dass sie nach hinten geschleudert wurde. Sie fiel und rutschte über den Schnee auf die Dachkante zu. Rasch sprang sie auf die Füße und griff wieder an. Diesmal täuschte sie den Schlag an und als der Oni ihn abwehren wollte, ließ sie sich nach unten fallen. Ihr Schwung ließ sie gegen den Torso des Oni prallen, sodass er stolperte, und sie trieb ihm den Hammer in die Seite.
Der Oni zischte, bewegte sich aber blitzschnell. Barako konnte nicht einmal erkennen, was sie getroffen hatte. Es gab eine verschwommene Bewegung, ein Krachen und einen explodierenden Schmerz und schon flog sie über das Dach und knallte gegen die Wand. Sie rutschte daran hinunter. Ihre Rüstung war gesprungen und Schmerz verzehrte ihren Körper.
Dennoch stürmte sie wieder gegen den Oni an. Er betrachtete sie amüsiert, wich aber zurück. Er war vorsichtiger geworden. Während er sie nach rechts umkreiste, bewegte sie sich nach links, in Richtung des reglosen Junji.
»Du könntest dich für deine Pflichten rächen«, sagte der Oni. »Schließ dich mir an und verbrenn den Kodex, der dich versklavt hat. Schließ dich mir an und alle Reue findet ein Ende. Das Blut wird sie wegwaschen. Euer Mönch hat es verstanden. Folge seinem Beispiel. Oder möchtest du, dass deine Liebe für Ochiba in Bedeutungslosigkeit endet?«
»Dein Tod wird eine Bedeutung haben«, zischte Barako.
»Ergreif sie«, befahl der Oni.
Plötzlich kam Bewegung in Junji. Mit einem Ruck sprang er von der Mauer weg, ergriff Barakos Arme und hielt sie hinter ihrem Rücken fest. Durch den plötzlichen Ruck glitt ihr der Hammer aus der rechten Hand und sie hielt den Schaft nur noch unsicher in der linken.
»Ich werde dein Gesicht benutzen«, sagte der Oni. »Und ich werde es über diesem hier tragen. Dann sind du und Ochiba euch im Tod näher, als ihr es je im Leben wart. Ist das nicht schön?«
Barako spie dem Oni ihren Hass entgegen. Er trat vor und hatte die großen Arme weit ausgestreckt wie zu einer Umarmung. Die dünnen Arme reckten sich nach vorn und zuckten schon vor Vorfreude, ihr das Gesicht vom Schädel zu schneiden.
Junjis Griff lockerte sich. Sein ganzer Körper zitterte und animalische Laute entwanden sich seiner Kehle.
Barako warf sich nach vorn und nach unten. Mit einem Aufschrei ließ Junji sie los. Er sprang über sie und warf sich auf den Oni. Das Ungeheuer hielt inne und Barako sah seine Überraschung. Es war in ihre Falle getappt. Junji hatte den Treueritus vollzogen und unverzeihliche Akte der Blasphemie begangen. Für den Oni bedeutete das unbedingten Gehorsam. Aber mit dem Schrei einer Seele, die entzweigerissen wurde, griff Junji an. Er hängte sich an den riesigen rechten Arm des Ungeheuers und klammerte sich daran, als ginge es um sein Leben. Der Oni schwankte und verlor das Gleichgewicht.
Junjis Umklammerung und sein Körpergewicht hielten den Arm einen Moment lang still. Mehr Zeit brauchte Barako nicht. Sie zog den Jadedolch aus der Scheide an ihrem Gürtel und erhob sich hinter Junji. Auch mit der Linken konnte sie den Hammer noch präzise genug schwingen, um den Arm des Oni am Gelenk zu treffen. Die geweihte Waffe zertrümmerte den Knochen. Der Oni kreischte auf, sein Unterarm hing schlaff herunter.
Mit der rechten Hand trieb Barako den Jadedolch tief in den Arm, wo ihr Hammer ihn getroffen hatte. Das Fleisch des Oni begann zu schmoren und übelriechender Qualm stieg aus der Wunde auf. Das Material, aus dem der Oni gemacht war, platzte auf. Es barst wie faulendes Holz. Sie riss die Klinge nach unten und der Unterarm des Oni fiel zu Boden.
Er schrie, heulte und taumelte zurück. Der Stumpf seines rechten Armes wedelte wild in der Luft. Das Blut rauchte und brannte. Flammen tanzten um die Wunde und seine ganze Gestalt flackerte wild. Sie schien sich langsam aufzulösen. Als der Oni vor einer Laterne vorbeiging, war sein Umriss undeutlich. Die Wunde in seinem Arm breitete sich über den ganzen Körper aus und nagte an seiner physischen Gestalt.
Noch einmal griff Barako ihn an und der Oni schlug zu. In seinem Schmerz war er gnadenlos und so schnell wie zuvor. Sie flog durch die Luft und kam erst zum Halt, als ihre Beine schon über der Dachkante baumelten. Der Schnee unter ihr glitt weg, als sie versuchte, sich hochzuziehen, und sie rutschte noch weiter hinab.
Der Oni packte Junji und hielt ihn mit seinem verbliebenen linken Arm am Boden fest. Die beiden kleineren Arme rissen Junji die Brust auf und der Oni stieß den Armstumpf in das Blut. Junji kreischte auf und es klang, als wäre er sein eigenes Echo, als hätte seine Stimme sich aufgespalten in zwei gleichzeitige Schreie. Die Gestalt des Oni festigte sich wieder und der abgetrennte Unterarm begann nachzuwachsen.
Plötzlich lagen dort zwei Junjis. Ein heller Lichtschein umgab seinen Körper und löste sich dann davon. Noch hatte das Licht keine Gestalt angenommen, aber Barako wusste mit derselben Sicherheit, mit der sie gewusst hatte, dass der Oni sie mit seinen Wahrheiten angegriffen hatte, dass dieses Licht ebenso sehr Junji war wie sein Körper. Der Körper wurde schemenhaft und an den Rändern wie weichgezeichnet. Und der Oni nährte sich von beidem, um seine Gestalt wiederherzustellen.
Er legte den Kopf in den Nacken und knurrte verzückt.
Junji schrie nach Barako. Zweimal schrie er. Sie hörte seine Stimme, schwach und verzweifelt und sterbend über dem Heulen des Sturms. Und sie hörte seine Seele, ebenso verzweifelt, aber lauter, direkt in ihrem Kopf. »Barako!«, flehte er. »Jetzt! Oh, jetzt! Erlöst mich!«
Der Ausruf war das letzte Aufbäumen eines Mannes, der sich selbst verdammt hatte, um die Burg der Morgenröte zu retten.
Barako grub ihre Arme in den Schnee und zog sich nach vorn. Ihre Stiefel fanden Halt und schon war sie wieder auf den Beinen und stürzte das Dach hinauf. Der Oni und Junji waren nur wenige Meter entfernt. Es fühlte sich an wie Meilen. Der Oni verschlang Junjis Geist und Körper. Mit jedem Schritt, den Barako tat, könnte er seinen Hunger gestillt haben und dann wäre Junji verloren. Und sein Opfer wäre vergebens gewesen, denn auch sie würde fallen. Der Wind, der den Schmerz und den Zorn des Oni widerspiegelte, versuchte, sie von den Füßen zu reißen, aber sie widerstand ihm. Sie rannte und der Oni war noch dabei, Junji zu verschlingen, als sie ihn erreichte und ihm den Dolch ins Herz stieß.
Junji wurde ruhig. Das Licht verschwand. Sein Körper wurde wieder fest und die Umrisse verschmolzen nicht mehr mit denen des Oni. Die Qual in seinem Gesicht wandelte sich in einen Ausdruck des Friedens und für einen winzigen Augenblick, während der Dolch eindrang, lag in seinen Augen Triumph. Dann war er von ihnen gegangen und hatte das, wovon der Oni sich genährt hatte, mit sich genommen.
Noch einmal kreischte der Oni auf, noch lauter als zuvor. Er sprang von Junjis Körper zurück und entkam Barakos Hammer nur um Haaresbreite. Blut und Flammen entsprangen seinem unvollständigen, deformierten Arm. Das Gesicht, das einst Ochiba gehört hatte, schrie in das Unwetter hinaus, schrie Barako an. Die Eleganz war dem Oni abhandengekommen. Die Schreckgestalt warf sich hin und her und versuchte, dem Schmerz zu entrinnen. Der Arm löste sich auf und Fäulnis breitete sich über die Schulter des Oni und seine Brust aus. Einer der Folterarme verdorrte und wurde dann davongeweht, um in den Schneewehen zu verschwinden. Barako rannte auf den Oni zu und zielte mit dem Dolch auf diesen grotesken, peitschenden Hals. Sie würde es beenden und müsste dieses Ding, das Ochiba in einen Albtraum verwandelt hatte, der sie für immer verfolgen würde, dann nicht mehr sehen.
Der Oni sah sie kommen. Mit einem Schrei, der weit durch die Dunkelheit schallte, sprang er vom Dach und floh, sprang über die Außenmauer und verschwand in den Wirbeln des Unwetters.
Der Wind legte sich.
So klar wie die Hoffnung, aber auch so schmerzlich wie die Wahrheit brach die Sonne durch die Wolken.
Barako ging zu der Spirale an der Wand. Das Blut floss nicht mehr. Was eben noch geglänzt hatte, wurde bereits dunkel und stumpf.
Also haben wir gewonnen. Der Gedanke verschaffte ihr keinerlei Genugtuung. Sie fühlte sich nicht als Sieger.
Als sie die Schale mit ihrem widerlichen Inhalt entdeckte, zerbrach sie eine der Laternen darüber und goss das brennende Öl über die Überreste. Während sie brannten, sammelte sie die Schädel auf. Auch sie würde sie einäschern, sobald sie konnte.
Jetzt war der Wind nicht mehr als eine Brise aus dem Norden und der Schnee fiel sanft. Die Sonne trieb die Wolken auseinander und sie verblassten von schwarz zu grau. Der Tag kehrte zur Burg der Morgenröte zurück und vereinnahmte das Land derart schnell, dass Barako den Wandel mit jedem Atemzug sehen konnte.
Sakimi kletterte aufs Dach. »Leutnant?«
»Helft mir mit Junji«, sagte Barako.
Sie kniete über dem Mönch und schloss seine gerissenen Roben und die zerfetzte Wunde so gut sie konnte, um der Leiche so viel wie möglich von ihrer Würde zu lassen. Den Dolch behielt sie am Gürtel.
Mit Sakimis Hilfe brachte sie Junji wieder ins Innere der Burg. »Bringt ihn zum Schrein des Kami des Landes«, forderte sie die wartenden Samurai auf. »Er braucht die Riten der besonderen Reinigung. Aber er soll mit allen Ehren beigesetzt werden. Junji hat die Burg der Morgenröte gerettet. Das sollen alle wissen. Und teilt ihnen mit, dass der Oni fort ist.« Sie musste sich zusammenreißen, um die nächsten Worte aussprechen zu können. »Lasst alle wissen, dass er die Form von Hauptmann Ochiba angenommen hatte.«
Sakimi nickte. Der Kummer, mit dem sie Barako ansah, saß tief, ebenso das Mitgefühl. »Ja. Wir haben alle die Worte des Oni gehört.«
»Das freut mich.« Zu ihrer Überraschung stellte Barako fest, dass dies der Wahrheit entsprach. »Ich würde nicht wollen, dass etwas, das mir derart wichtig ist, lediglich den Kreaturen des Jigoku bekannt ist.«
Die Samurai trugen Junjis Leichnam weg. Barako lehnte sich gegen eine Wand, stieß sich aber beinahe augenblicklich wieder davon ab. Der bloße Gedanke an Ruhe ließ sie schwach werden. Sie konnte es sich noch nicht leisten, der Erschöpfung nachzugeben. Ihre Aufgabe war noch nicht beendet. Wenn sie sich jetzt fallen ließ, dann glaubte sie nicht, dass sie sich je wieder erheben würde.
Sie ging den Korridor hinab. Als sie auf halbem Wege zur Abzweigung war, kam Doreni um die Ecke gebogen. Einige Schritte voneinander entfernt blieben sie stehen.
»Ihr habt es gehört?«, fragte Barako.
»Das habe ich.«
Schweigend sahen sie einander an und waren für einen Augenblick vereint im Schmerz ihres Verlusts. Es war nicht die Kameradschaft, die Barako sich wünschte. Aber sie brauchte sie.
»Dann ist es vorüber?«, fragte Doreni.
»Nein«, antwortete Barako. »Noch nicht.«