Ryans Magen grummelte bedrohlich, als er mit Arabelle an der Hand über den Marktplatz spazierte. Ich hoffe, ich muss mich nicht übergeben. Ich hoffe, ich muss mich nicht übergeben.
Aaron und Sloane schlenderten Arm in Arm neben ihnen. »Ryan«, sagte Aaron, der selbst recht grün um die Nase wirkte, »keine Ahnung, wie’s dir geht, aber ich glaube, ich will nie wieder einen Hühnerflügel sehen. Ich kann mich kaum rühren.«
»Vergiss die Hühnerflügel – wenn ich je wieder einen frittierten Krapfen auch nur sehe , muss ich mich übergeben«, gab Ryan zurück.
Sloane lachte. »Ich würde sagen, euch geschieht recht, wie ihr euch fühlt.«
»He!«, protestierte Ryan. »Ich hab zu Ehren der Krönung deines Vaters gegessen.«
Sloane lachte. »Ha. Ihr seid einfach nur Vielfraße.«
Arabelle drückte Ryans Arm. »Aber sie sind unsere Vielfraße. Ich würde meinen gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen.«
Sloane seufzte und flüsterte Arabelle laut zu: »Arabelle, so geht das Spiel nicht. Meine Mutter sagt, wir müssen so tun, als wären wir sauer auf sie. Dann strengen sie sich extra an, um uns wieder glücklich zu machen.«
»Und woher sollen wir dann wissen, ob ihr wirklich sauer seid oder es nur spielt?«, verlangte Aaron zu erfahren.
»Ich sag’s dir schon, wenn es nicht gespielt ist«, antwortete Sloane. »Und die Mädchen heute? Was war das denn?«
»Hm? Bist du deswegen sauer auf mich? Ist doch nicht meine Schuld, wenn mir ein wildfremdes Mädchen eine Blume überreicht.«
Sloane schnaubte. »Das Mädchen mit der Blume ist mir egal. Wie alt war die Kleine, acht? Das war irgendwie süß. Aber die zwei Schwestern, die euch beim Essen zu sich eingeladen haben, während Arabelle und ich daneben gestanden haben ... das war unhöflich . Und du hast nur gegrinst wie ein Idiot.«
»Das war merkwürdig«, meinte Ryan. »Die haben uns ja nicht mal gekannt.«
Arabelle lachte. »Oh, mein armer, einfältiger Verlobter. Du hast ja keine Ahnung, wie manche Frauen sein können.« Sie wandte sich an Sloane. »Behalte für mich solche Geier im Blick, wenn ich nicht da bin. Unsere Jungs begreifen offenbar nicht, dass sie von nun an Zielscheiben für sämtliche Luder der Stadt sind.«
»Ruhm ist seltsam«, meinte Ryan. »Dabei bin ich doch bloß Lehrling bei einem Schmied und habe zufällig ein paar magische Kräfte. Wenn diese Mädchen bloß wüssten, dass ich mich tagein, tagaus an heißem Metall oder versehentlich selbst bei meinen magischen Experimenten verbrenne.«
»Du schlägst wenigstens Funken, mit denen du angeben kannst«, sagte Aaron. »Kann mir gut vorstellen, dass Mädchen so was irgendwie interessant finden. Ich sammle bei Throll und Ohaobbok die ganze Zeit nur blaue Flecken.«
Sloane schüttelte den Kopf. »Ihr seid beide ahnungslos. Macht nur so weiter, dann überzeugt ihr Arabelle und mich noch, dass wir es besser treffen können.«
»He!«, protestierte Aaron. »Es gibt kein Zurück mehr. Außerdem hast du gesagt, du magst meine blauen Flecken.«
»Und«, sagte Ryan an Arabelle gewandt, »du weißt, dass ich nur Augen für dich habe.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn für einen langen Kuss zu sich. Einer der Soldaten der Eskorte schmunzelte und stieß einen Pfiff aus.
Als Arabelle den Kuss beendete, schnappte Ryan nach Luft. »Wofür war das denn?«, fragte er.
Arabelle lächelte zuckersüß, dann hängte sie sich bei ihm ein, um weiterzugehen. »Um dich daran zu erinnern, was du verpasst, wenn ich nicht da bin.«
»Musst du wirklich schon so bald wieder los?«, wollte Ryan wissen. »Ich hab gehofft, du könntest länger bleiben.«
Arabelle schüttelte den Kopf. »Du kennst ja meinen Vater. Es ist nicht gut, wenn er sich zu weit von der Karawane entfernt. Und bis ich heirate, muss ich im Zelt meines Vaters leben. Erst danach kann ich mir ein Zelt mit jemand anderem teilen.«
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass mein Zelt mehr wie ein Haus mit Holzdach aussieht«, scherzte Ryan.
Arabelle drückte seinen Arm. »Mir wäre sogar egal, wenn das Dach deines Zelts der Nachthimmel wäre, solange ich bei dir sein könnte.«
Aaron gab Würgegeräusche von sich.
Sloane versetzte ihm einen Klaps gegen den Arm. »Ach, jetzt werd endlich erwachsen.«
* * *
Die Leute beschrieben einen großen Bogen um Jared, als er durch den Markt schlenderte. Er kannte den Grund. Sie waren mit Angst vor Magie aufgewachsen. Dadurch fürchteten sie ihn. Man mochte ihn als gesetzestreuen Bürger und bescheidenen Mann bekannt haben, doch er verkörperte auch einen mächtigen Zauberer. Es würde eine Weile dauern, bis man darüber hinwegkam.
Dabei half jedenfalls nicht, dass Jared gerade mit einem weißen Energieschimmer strahlte, der sich aus seinen Schwierigkeiten ergab, sein beabsichtigtes Ziel aufzuspüren. Auf dem Marktplatz drängten sich so viele Leute, dass sich die Zwerge, die er suchte, nur eine Wagenlänge entfernt befinden könnten und er sie trotzdem übersehen würde.
Frustriert schloss er die Augen und rief sich Silas Rotbart ins Gedächtnis, den Anführer des Rotbart-Clans, den Jared unterwegs zum Kampf gegen den Zauberer Azazel kennengelernt hatte. Jared hatte ihn bei der Krönung in der Menge gesehen, danach jedoch nicht mehr gefunden.
Nun, da er sich konzentrierte, bekam er ein Gefühl dafür, in welche Richtung er musste. Mit dem Zwerg vor seinem inneren Auge beschleunigte er die Schritte.
* * *
Silas Rotbart ließ es sich in einer Schänke namens Dicker Bussard gut gehen. Eine Schankmaid stellte einen weiteren Krug vor ihm ab.
»Holde Dame«, sagte er, »das Bier ist hier ganz ausgezeichnet. Bist du die Braumeisterin?«
Die braunhaarige, kaum volljährige junge Frau, stemmte die Hände in die Hüften. »Sehe ich wie eine Dame für dich aus? Ich bringe hier nur die Getränke. Mein Vater braut das Bier.« Sie deutete mit dem Daumen in Richtung des schmerbäuchigen Schankwirts, bevor sie zu einem anderen Tisch weiterging.
Offensichtlich hatte der beleibte Besitzer den Wortwechsel gehört, denn er kam herüber.
Silas erhob seinen Krug. »Guter Mann, ich muss schon sagen, das ist ein recht genießbares Bier. Nicht wie das Gesöff auf dem Markt. Der feine Geschmack erinnert mich an zu Hause.«
»Schönen Dank auch, guter Herr.« Der Schankwirt beugte sich verschwörerisch näher. »Ich war früher Braumeister beim Karawanenanführer Honfrion. Er hatte sehr besondere Geschmacksvorstellungen. Aber jetzt, da es den vermaledeiten Zauberer Azazel nicht mehr gibt, konnte ich mich von der Karawane trennen und mich niederlassen. Immerhin bin ich Familienmensch. Leider wollen die meisten meiner Gäste einfach nur beschwipst werden. Dabei ist ihnen ziemlich egal, ob das Bier nach Pferdepisse schmeckt.«
»Tja, dann sollst du wissen, dass ich deine Arbeit sehr wohl schätze, Schankwirt. Und wenn Silas Rotbart das sagt, will das etwas heißen. Ich werde den anderen in meinem Clan von deiner Schänke erzählen.«
In dem Moment verschwamm Silas’ Sicht, und ihn überwältigte abrupt das Bild des älteren Zauberers, Jared Riverton, vor seinem geistigen Auge.
»Nochmals danke«, meinte er zerstreut zum Schankwirt und drückte dem Mann eine Silbermünze in die Hand. »Ich komme wieder, darauf kannst du dich verlassen. Jetzt muss ich jemanden suchen.«
»Kann ich dir dabei helfen?«, bot der Schankwirt an. »Ich kenne die meisten in Aubgherle. Vielleicht kann ich dir die richtige Richtung weisen.«
Silas schüttelte den Kopf. »Danke, aber ich habe das Gefühl, das wird nicht nötig sein.«
Ich vermute, er wird mich finden.
* * *
Als sich Jared der an den Marktplatz grenzenden Schänke näherte, schwang die Tür auf. Heraus stapfte Silas Rotbart. Sein flammend roter Bart schwenkte nach links, dann nach rechts, als er suchend durch die Menge schaute.
Als der Blick des Zwergs dem von Jared begegnete, rief er: »Zauberer, ich sage dir, du musst raus aus meinem Kopf!«
Jared schüttelte Silas die Hand. »Wie meinst du das, ›raus aus deinem Kopf‹?«
»Möge mir der Bart ausfallen, wenn ich lüge«, sagte der Zwerg und reckte den Hals, um zu Jared aufzuschauen. »Noch vor wenigen Augenblicken habe ich mich um meinen eigenen Kram gekümmert und mein erstes anständiges Getränk seit Tagen genossen, da ist plötzlich dein hässliches Gesicht in meinem Kopf aufgetaucht. Die Überraschung hätte mir fast ein wunderbares Bier verdorben. Ich hatte plötzlich den Drang, dich zu suchen.«
Jared kratzte sich am Kinn. »Wie überaus ungewöhnlich ...« Er kniff die Augen zusammen, während er überlegte, was das bedeuten mochte.
»Nun?«, hakte der Zwerg nach. »Du hast jetzt meine Aufmerksamkeit. Ich vermute, du willst mit mir reden, Zauberer, richtig?«
»Richtig. Ich war auf der Suche nach dir, weil ich ein Gespräch fortsetzen möchte, das wir ... ja, vor fast zwei Jahren in den Höhlen bei Cammoria geführt haben.«
Lächelnd zog Silas einen Stein aus der Tasche. Er warf ihn Jared zu. »Willst du darüber reden?«
Jared zog eine Augenbraue hoch. »Ist das Damantit-Erz?«
Silas sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand lauschte. »Herr Zauberer, ich glaube, dein Leuchten erregt ein wenig Aufmerksamkeit. Vielleicht reden wir lieber drinnen weiter – bei einem Krug des feinen Biers, das der Besitzer selbst braut.«
Plötzlich bemerkte Jared die Ansammlung der Leute, die sich eingefunden hatte und sie beide anstarrte. »In Ordnung. Du hast wohl recht.«
Als sie die Schänke betraten, murrte jemand in der versammelten Menge: »Pah, ich dachte, er würde den Zwerg rösten.«
»Halt die Klappe, Phineas, bevor er noch dich röstet!«, sagte ein anderer Mann.
Silas lachte und hielt Jared die Tür auf. »Nach dir, mein Herr Röster.«
»Sehr komisch«, gab Jared trocken zurück. »Mach nur so weiter, dann nennen dich die Leute bald Silas Röstbart.«
Als sie sich an einem Tisch an der Wand des rauchverhangenen Gastraums niederließen, erklärte Silas: »Ich zieh dich doch nur auf, Herr Empfindlich.«
Jared verdrehte die Augen. »Weiß ich doch, du rauschebärtiger, biersaufender Ambossklopfer.«
Der Zwerg stimmte grölendes Gelächter an. »Ha! Ich glaube, ich kann dich gut leiden.«
»Das hoffe ich, denn ich will über eine Handelsvereinbarung reden. Für Damantit.«
Silas nickte. »Das dachte ich mir schon. Aber du weißt schon noch, dass unsere Schmiede das Zeug zugleich verfluchen und verehren, oder? Es ist entsetzlich schwer zu bearbeiten und nahezu unmöglich zu schmelzen.«
Jared lächelte. »Und bestimmt erinnerst du dich, dass ich in der Lage bin, ziemlich große Hitze zu erzeugen.« Er hob die Hand und ließ funkende Energiefäden von einem Finger zum anderen überspringen.
»Ja. Wie könnte ich das vergessen? Offen gestanden, wenn du dieses dämonische Metall so leicht bearbeiten kannst, wie du glaubst, melden sich wahrscheinlich reihenweise Zwergenschmiede freiwillig, um dir zu helfen. Da möchte man fast selbst Schmied sein.« Er runzelte die Stirn. »Ich könnte noch vor dem Ende der Woche mehrere Wagenladungen davon auf dem Weg zu deiner Schmiede haben. Aber lass uns erst über die Bedingungen sprechen.«
Jared lächelte. »Ja. Legen wir los.«