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Perlentaucher-Reihe: Die große persönliche Rückschau auf Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI – Staffel 2 und die Perfektionierung des eigenen Serien-Stils
von Eric Zerm
Im März 1995 – also vor 25 Jahren – endete mit der Folge Das Labor
die erste Staffel der Serie Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI
(seit 1993) im deutschen Fernsehen, und diese Episode deutete mit ihren drastischen Wendungen bereits an, dass da noch Großes auf das Publikum zukommen würde.
Für die Redaktion des Corona Magazine
ist dieses Jubiläum Anlass genug für eine ausführliche und auch persönliche Rückschau auf diesen modernen Serien-Klassiker, und auch dafür, sich die Serie Staffel für Staffel – mit Stift und Notizblock bewaffnet – mal wieder anzusehen.
Weiter geht es in dieser Ausgabe der Artikelreihe nun mit Staffel 3. In dieser perfektioniert die Serie ihren Stil, und die Verschwörungs-Rahmenhandlung schreitet in großen Schritten voran.
Worum geht's?
Am Anfang von Staffel 3 steht der Abschluss des Anasazi
-Dreiteilers, mit dem die zweite Staffel seinerzeit beendet wurde. Das Publikum erlebt hierbei eine gnadenlose und für die FBI-Ermittler Fox Mulder (David Duchovny) und Dana Scully (Gillian Anderson) lebensgefährliche Hetzjagd.
Die Verschwörer tun alles, um zu verhindern, dass die geheimen Ufo-Akten, die auf ein Digital-Band heruntergeladen wurden, veröffentlicht werden. Zu ihren Opfern gehört nach Bill Mulder (Peter Donat), dem Vater von Fox Mulder, auch Scullys Schwester Melissa Scully (Melinda McGraw), die von einem spanisch
aussehenden Killer (Lenno Britos) erschossen wird.
Am Ende stoßen Mulder und Scully auf eine ganze Lagerhalle voller Akten, in denen offenbar große Teile der Bevölkerung katalogisiert sind.
© Fox / Pro7
Im Zweiteiler Die Autopsie
/Der Zug
(in der damals auf Video veröffentlichten Spielfilmfassung heißt er übrigens 82517
, das ist die Nummer des Eisenbahnwagons, der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist), im weiteren Zweiteiler Der Feind – Teil 1
/Der Feind – Teil 2
sowie im Zweiteiler Der Tag steht schon fest
/Herrenvolk
(die Spielfilmfassung heißt wiederum Master Plan
) werden verschiedene Aspekte der Serien-Mythologie weitererzählt.
82517
greift unter anderem Scullys Entführung in Staffel 2 wieder auf. Scully stößt auf eine Gruppe Frauen, denen wie ihr ein Implantat in den Nacken eingesetzt worden ist. Eine von ihnen – Betsy Hagopian – ist inzwischen schwer krank (womit die Serie bereits die Grundlage für eine tragische Entwicklung in der vierten Staffel legt).
Mulder wiederum folgt der Spur einer Ufo-Bergungs-Mission des Schiffes Talapus
. In Der Feind
stößt später die Crew eines französischen Forschungsschiffes an der Bergungsstelle der Talapus
auf eine ölig schwarze und offenbar intelligente Substanz, die von diesem Moment an ein fester Bestandteil der Serien-Mythologie ist.
Im Master Plan
-Zweiteiler, der den Übergang zur vierten Staffel bildet, erfährt das Publikum, dass die Verschwörer offenbar mit den Gestaltenwandler-Aliens (die im Zweiteiler Die Kolonie
– Teil 1
/Die Kolonie
– Teil 2
in der zweiten Staffel eingeführt wurden) kooperieren. Es scheint um einen groß angelegten Plan zu gehen, die Erde zu kolonisieren. Bezüglich des Tags, an dem der Master Plan in seine Endphase geht, bediente sich Serien-Schöpfer Chris Carter im weiteren Verlauf der Serie bei jenem Datum, an dem der oft zitierte Maya-Kalender endet: am 21. Dezember 2012. Dies tat er, ohne zu ahnen, dass er sich damit für die Staffeln 10 und 11, die nach einer 13-jährigen Pause ab dem Jahr 2015 entstanden, eine gewaltige erzählerische Hypothek aufhalsen würde.
In den Einzelfolgen der dritten Staffel löste sich Akte X
allmählich davon, populäre Geister- und Horror-Legenden zu verarbeiten und begann damit, eigene Mysterien zu erschaffen. Die Folge Parallele
erzählt zum Beispiel von einer geheimnisvollen Verbindung zwischen einem gekidnappten Mädchen und einem früheren Entführungsopfer.
Der Psychothriller Groteske
stellt wiederum die Frage, was mit dem Verstand eines Ermittlers geschieht, der sich über Jahre hinweg in die kranke Psyche eines Serienkillers hineindenkt.
Mein Wille sei dein Wille
beschäftigt sich mit Suggestion. Im Zentrum steht jemand namens Robert Patrick Modell (Robert Wisden), der anderen Menschen nur durch seine Stimme seinen Willen aufzwingen kann. In einer der intensivsten Szenen bringt er einen Polizisten dazu, sich mit Benzin zu übergießen und sich anzuzünden. In einer anderen Szene suggeriert er dem Agenten Frank Burst (Vic Polizos), dass seine Adern durch seine ungesunde Lebensweise völlig verschlissen und verstopft sind. Die Folge: Burst erleidet einen tödlichen Herzinfarkt.
Höllengeld
ist wiederum ein düsterer Thriller, der komplett ohne Mystery-Elemente auskommt. Im Zentrum steht ein makabres Spiel in China-Town. Den Mitspielern werden hohe Gewinne versprochen, wenn sie ihre Organe als Einsatz setzen.
Erwähnenswertes
Die dritte Staffel hat stilistisch eine gewaltige Bandbreite. Sie reicht von Paranoia-Thrillern wie Anasazi
und Die Autopsie
/Der Zug
über Horror-Schocker wie Fett
und Die Liste
und Dramen wie Parallele
und Offenbarung
bis hin zu schrägen Komödien wie Krieg der Koprophagen
, Energie
oder Andere Wahrheiten
.
Die Folge Der Hellseher
schafft wiederum einen bemerkenswerten Spagat zwischen Humor und Melancholie. Im Zentrum steht der Hellseher Clyde Bruckman (Peter Boyle), der es leid ist, ständig den Tod anderer Menschen vorhersagen zu können, ohne irgendetwas daran ändern zu können.
In der Folge Blitzschlag
treten zwei spätere Hollywood-Stars auf: Jack Black (King Kong
) und Giovanni Ribisi (Avatar – Aufbruch nach Pandora
). Ribisi spielt einen hochgradig gestörten Jugendlichen, der gefährliche Kräfte entwickelt, nachdem er vom Blitz getroffen wurde.
In der Todestrakt-Folge Die Liste
spielt der amerikanische Charakterdarsteller J.T. Walsh als gnadenloser Gefängnisdirektor Leo Brodeur eine zentrale Rolle. In der Verschwörungs-Serie Dark Skies – Tödliche Bedrohung
, die ab 1996 im Fahrwasser von Akte X
entstand, spielte er dann eine Hauptrolle.
Virgil Incanto (Timothy Carhart), der seinen weiblichen Opfern das Fettgewebe aussaugt ist eine Variation des leberverspeisenden Mutanten Eugene Victor Tooms (Doug Hutchison) aus der ersten Staffel. Die Horror-Effekte dieser Schocker-Folge sind aber noch wesentlich drastischer. Eine Autopsie-Szene zeigt eine skelettiere Leiche, deren Gewebe sich quasi verflüssigt hat. Zugleich greift die Folge Fett
eine Schattenseite des damals noch sehr neu anmutenden Online-Datings auf und übersteigert sie ins düstere Extrem.
Im Zweiteiler Die Autopsie
/Der Zug
ist zum ersten Mal Agent Pendrell (Brendan Beiser) zu sehen. Es wird angedeutet, dass er eine Schwäche für Scully hat.
In diesem Zweiteiler ist auch erneut Mulders Mentor Senator Richard Matheson (Raymond J. Barry) zu sehen, den das Publikum seit der ersten Folge von Staffel 2 kennt. Nachdem er einen wichtigen Hinweis geliefert hat, verschwindet er scheinbar spurlos. In der
sechsten Staffel hat er seinen dritten und letzten Auftritt in der Serie.
In diesem Zweiteiler wird zudem angedeutet, dass Scullys Entführung in der zweiten Staffel gar nichts mit Aliens zu tun hatte, sondern mit skrupellosen Experimenten eines japanischen Wissenschaftlers, der im Zweiten Weltkrieg zur Einheit 731 gehört hat. Die entstellten Menschen, die am Anfang von Der Zug
von einem Erschießungskommando ermordet werden, waren ebenfalls Opfer dieser Experimente.
Eine wichtige Mulder-Folge ist Parallele
. Das Schicksal des früheren Entführungsopfers Lucy Householder (Tracy Ellis) geht Mulder dank seiner Erfahrungen mit der Entführung seiner Schwester so nahe, dass er sich als einziger für sie einsetzt. Als Householder am Ende der Folge für die junge Amy Jacobs (Jewel Staite) in den Tod geht, ist er völlig am Ende.
Die Darstellerin von Jacobs kennt ein großes Fan-Publikum übrigens heutzutage von der Science-Fiction-Serie Firefly: Der Aufbruch der Serenity
, die 2002 entstand. Darin spielt sie die sympathische Ingenieurin Kaylee Frye. Sie spielte zudem in mehr als 30 Folgen der Serie Stargate: Atlantis
mit.
Eine wichtige Scully-Folge wiederum ist Offenbarung
. Die Geschichte thematisiert Scullys Religiosität. Diese Folge zeigt das Duo Mulder/Scully mit quasi vertauschten Rollen. Scully ist tief berührt vom Schicksal eines Jungen (Kevin Zegers), der an den Händen Stigmata zeigt und ist bereit, dies als religiöses Zeichen zu akzeptieren, während Mulder auf den Aspekt der Religiosität mit Spott und Zynismus reagiert. Die Folge endet damit, dass Scully zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder zur Beichte geht.
Im Zweiteiler Der Feind
gibt es internationale Schauplätze. Ein Teil der Handlung spielt in Hongkong. (das Drehteam musste Vancouver für diese Szenen aber nicht verlassen).
Der Name des französischen Schiffes
Piper Maru
in diesem Zweiteiler ist der Name von Andersons Tochter, die am 25. September 1994 zur Welt gekommen war. Laut
www.spookyverse.de
ist Serienschöpfer Carter ihr Patenonkel.
In diesem Zweiteiler bekommt übrigens der spanisch aussehende Killer einen Namen: Luis Cardinal. Der Augenblick, als Scully den Mörder ihrer Schwester Melissa stellt und ihn mit ihrer Pistole bedroht, ist einer der intensivsten Scully-Szenen der ganzen Staffel.
Das intelligente schwarze Öl, das in diesem Zweiteiler eingeführt wird, bekam im späteren Serien-Verlauf die Bezeichnung »Purity«. Das heißt, es ist jene Substanz, gegen die der Impfstoff »Purity Control« (erstmals in der Folge Das Labor
am Ende der ersten Staffel erwähnt) entwickelt wurde.
In diesem Zweiteiler trifft Mulder auch wieder auf Alex Krycek (Nicholas Lea), den Mörder seines Vaters. Kryceks Schicksal bleibt in der dritten Staffel im Dunkeln: Der Krebskandidat (William B. Davis) lässt ihn in den Tiefen eines ehemaligen Atombunkers zurück.
In der Folge Heimsuchung
steht erstmals Mitch Pileggis Figur Director Walter Skinner im Mittelpunkt. Das Publikum erfährt, dass er verheiratet ist und sich von seiner Frau Sharon Skinner (Jennifer Hetrick) wegen seiner Arbeit, bei der er häufig zwischen allen Stühlen sitzt, entfremdet hat. Die Folge greift auch Skinners Todeserfahrungen im Vietnam-Krieg wieder auf, von denen er Mulder in Staffel 2 erzählt hat. In der Folge wird zudem angedeutet, dass Skinner, weil er sich immer wieder schützend vor die Arbeit an den X-Akten stellt, bei den Verschwörern in Ungnade gefallen ist. Ermorden können sie ihn nicht, da ansonsten der Inhalt der Ufo-Akten bekannt werden würde, also wollen sie seinen Ruf zerstören.
In der dritten Staffel hat Scully vorübergehend einen kleinen Hund namens Queequeg (benannt nach der gleichnamigen Figur aus dem Roman Moby-Dick
). Dies ist der Hund des Hellsehers Bruckman (Peter Boyle) aus Der Hellseher
. In Krieg der Koprophagen
hat sie ihre liebe Not, das zappelige Tier an einem freien Wochenende zu waschen. In Der See
muss sie den Spitz mit zur Arbeit nehmen, weil sie auf die Schnelle keinen Hundesitter finden konnte. Wer die Folge kennt, weiß, dass das für Queequeg nicht gut ausgeht.
Der Zweiteiler Der Tag steht schon fest
/Herrenvolk
führt Bienen als Überträger eines offenbar tödlichen Virus ein. Darüber hinaus kehrt
der von Brian Thompson gespielte Gestaltenwandler und Kopfgeldjäger in die Serie zurück. Er ist auf der Jagd nach einem zweiten Gestaltenwandler (gespielt von Roy Thinnes), der sich Jeremiah Smith nennt und die Kräfte eines Wunderheilers hat.
Das Publikum sieht in diesem Zweiteiler auch das Sommerhaus der Familie Mulder auf Rhode Island. In einer Szene erfährt das Publikum zudem, dass sich der Krebskandidat und Teena Mulder (Rebecca Toolan) kennen und diese vor langer Zeit offenbar eine Affäre hatten. Das heizte beim Publikum damals die Spekulation an, dass der Raucher Mulders wahrer Vater sein könnte.
Mulder sieht auf einer geheimnisvollen Farm einen Klon seiner Schwester Samantha. Im Gegensatz zu der Samantha in Die Kolonie
(Staffel 2) ist dieser allerdings noch ein Kind.
Mulders Informant, der brutale Mr. X (Steven Williams), haucht sein Leben aus, liefert im Sterben aber noch einen Hinweis auf eine weitere Quelle: Marita Covarrubias, eine Angestellte der Vereinten Nationen.
Persönliche Highlights
Mit den Mythologie-Folgen Anasazi
, Die Autopsie
/Der Zug
und Der Feind
zeigt die Serie wieder einmal meisterhafte Paranoia-Thriller.
Die Autopsie
/Der Zug
funktioniert zudem im zweiten Teil auch perfekt im Action-Bereich. Ein Großteil der Geschichte spielt in einem verschlossenen Eisenbahnwagon, in dem sich Mulder und ein NSA-Agent über Stunden hinweg gegenseitig belauern, während sie zugleich aufeinander angewiesen sind.
Der Zweiteiler Der Tag steht schon fest
/Herrenvolk
fällt dagegen qualitativ leider ab. Trotzdem enthält er einen der besten Dialoge der gesamten Serie (ein Gespräch zwischen dem Krebskandidaten und dem gefangenen Smith).
Bei den Einzelfolgen bleibt beispielsweise der düstere Psychothriller Groteske
im Gedächtnis. Darin spielt Levani Outchaneichvili einen Mann, der in seinem Wahn, vom Bösen besessen zu sein, völlig irre geworden ist. Das Böse in ihm treibt ihn zu grausamen Morden, bei denen er die Gesichter seiner Opfer zerschneidet.
Mein Wille sei dein Wille
gipfelt wiederum in einer nervenzerreißenden Szene, in der Mulder durch den »Pusher« (Robert Wisden) dazu gezwungen wird, russisches Roulette zu spielen; mit seinem Kopf und dem Kopf von Scully als Einsatz.
Der See
enthält wiederum einen wundervollen Dialog zwischen Mulder und Scully über Mulders Gründe, auf der rastlosen Suche nach »der Wahrheit« zu sein.
Auch Offenbarung
und Parallele
loten jeweils den Charakter der beiden zentralen Figuren der Serie auf sehr emotionale Weise aus.
Auf der anderen Seite der Stil-Bandbreite stehen die von Darin Morgan geschriebenen Mystery-Komödien Der Hellseher
, Krieg der Koprophagen
und Andere Wahrheiten
sowie die von Carter geschriebene Episode Energie
.
Krieg der Koprophagen
ist eine wundervolle Hommage an die Krieg der Welten
-Hysterie, die Orson Welles berühmtes Hörspiel zu Halloween 1938 ausgelöst hat.
Andere Wahrheiten
ist ein raffiniertes Puzzle, das mit unterschiedlich empfundenen und erzählten Versionen der Wahrheit spielt. Zudem enthält diese Episode einen schönen Insider-Gag: Das T-Shirt, das der Nerd Blaine Faulkner (Allan Zinyk) trägt, zeigt das Logo der Serie Space 2063
(1995–1996), die von den Akte X
-Schreibern Glen Morgan und James Wong produziert wurde.
Energie
lotet auf sehr schräge Weise aus, was geschehen würde, wenn sich bestimmte Eigenschaften der Menschen unter einem äußeren Einfluss ins Riesenhafte verstärken. Mulder und Scully geraten dabei in einen grotesken Dauer-Zoff. Zudem beginnt Scully zu rauchen und wird rasend eifersüchtig. Mulder hingegen kippt billigen Vodka und ist drauf und dran, mit Detective Angela White (Dana Wheeler-Nicholson) im Bett zu landen, die geradezu über ihn herfällt.
Der Hellseher
verbindet auf wunderbare Weise Humor und Schwermut, und präsentiert mit »The Stupendous Yappi« (Jaap Broeker) zudem die herrliche Parodie eines Fernseh-Hellsehers (der in Andere Wahrheiten
noch einen zweiten Auftritt hat).
Wie immer an dieser Stelle lautet die Devise: Fortsetzung folgt …