Heiß, kalt, lau, warm, kalt, heiß und immer nass, das war Wasser, aber wer dachte schon ernsthaft über Wasser nach, der nicht das Gleichnis von der Sintflut oder die Geschichte der Überlebenden der Medusa nacherzählen wollte? Niemand außer den Wasserkundlern natürlich, denen die Hydropathie und Hydrotherapie aus Neigung, aber auch aus medizinischem, physikalischem, chemischem und nicht zuletzt ökonomischem Interesse am Herzen lag. Das Wasser war ihnen so lebensnotwendig wie dem Fisch, der Ente, dem Angler oder dem Gärtner. Sie beobachteten es mit ihren Augen, ließen es über ihre Finger rieseln, rochen und schmeckten es wie Burgunder, bestimmten dessen Härtegrad, die genaue Temperatur und etwaige Schwankungen, erforschten die chemische Zusammensetzung und urteilten schließlich in Akademien und Schriften über dessen Wirkung auf Körper und Geist aus dieser oder jener Quelle – jede Quelle hatte einen Namen: Cäsarquelle, Eugéniequelle, es genügte, wenn der Erste, der darin gebadet und sich dabei wohlgefühlt hatte, an einen Kaiser gedacht oder wenn – was natürlich noch besser war – eine Kaiserin davon gekostet hatte, ohne auszuspucken.

Es gab Dutzende von Möglichkeiten und Gelegenheiten, sich mit Wasser auseinanderzusetzen. Die Wissenschaftler hatten ihren Glauben und Kenntnisse, die sie den Patienten, um deren Wohlergehen sie besorgt waren, nicht

Jules träumte immer öfters, er ertrinke darin. Dann schrie und schlug er wild um sich, und nicht selten musste ihn Edmond aus dem Schlaf reißen und in die Wirklichkeit zurückholen.

 

Die Allgegenwart des Wassers war nicht zu leugnen. Es war schon da gewesen, als der Mensch noch ungeformter Lehm war, als die Griechen ihre Tempel bauten und die Nilauen davon überschwemmt wurden, als die Römer heiße Quellen entdeckten, in denen sie badeten und aus denen sie tranken, nicht selten beides zur selben Zeit. Die Kranken genasen, die Frauen wurden schwanger, die Wunden der Krieger heilten und ihre Sinne erwachten zu neuem Leben. Folglich war man zu der Überzeugung gelangt, Wasser sei für alles gut.

Edmond nahm es als notwendiges Übel in Kauf, mit dem man seinen Körper reinhielt, um sich von jenen zu unterscheiden, denen man auswich, weil sie schlecht rochen, denn das teuerste und wohlriechendste Parfüm überdeckte nicht, was das Wasser nicht weggespült hatte, es verschaffte sich immer Raum.

Doch Jules hasste Wasser, und umso heftiger, je öfter er damit in Berührung kam, obwohl er es bei ihrem ersten Badeaufenthalt – zur Kur im schweizerischen Leukerbad in ihren jungen Jahren im Sommer 1851 – zunächst als angenehm und beruhigend empfunden hatte, seinen Körper der erstaunlich heißen Therme zu überlassen. In wollene Mäntel gekleidet stand man im Wasser, Tabletts mit Kaffee und Zeitungen, Büchern und anderem Zeitvertreib

Wasser empfahl sich laut den Ärzten als probates Mittel gegen Jules’ Erschöpfungs- und Erregungszustände, die, blieben sie unbehandelt, leicht in gefährliche Lähmungserscheinungen übergehen konnten.

»Lähmungserscheinungen?«, hatte Edmond entsetzt ausgerufen.

»Rechnen Sie mit dem Schlimmsten«, entgegnete Dr. Basset, der Badearzt von Royat, wobei er in die kurze Pause vor dem Superlativ so viel Dramatik legte, dass sie selbst auf das abgebrühteste Gegenüber Eindruck machen musste.

Edmond, der den Arzt allein aufgesucht hatte, sah ihn an, als habe ein Stein zu sprechen begonnen. Er stockte.

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Die Ursache der Krankheit Ihres Bruders liegt auf der Hand. Sie sind sich darüber im Klaren, woran er leidet, nicht wahr?«

»Er leidet, weil er erschöpft ist.«

»Jede Erschöpfung hat ihre Ursachen.«

»Das weiß ich. Die Arbeit an unseren Büchern ist enorm aufwendig und anstrengend, sie muss meinen Bruder über Gebühr beansprucht haben. Sie haben ihn ja untersucht. Sie sehen es.«

»Das habe ich ausgiebig, und er erzählte mir von ihrer gemeinsamen Arbeit, gewiss anstrengend, gewiss anspruchsvoll. Ich habe Verständnis für Ihre geistige Verausgabung, glauben Sie mir, aber … «

»Wie jeder Arzt unterliege ich der Schweigepflicht. Besprechen Sie nur alles mit ihm.«

»Es gibt nichts, was wir voreinander verschweigen würden.«

Dr. Basset gefiel ihm nicht, obwohl er sich als Kenner und Bewunderer ihrer Werke auswies. Edmond suchte das Gespräch mit ihm nur deshalb, um das Schlimmste, das man Jules antun konnte, zu verhindern.

»Er hasst das Wasser.«

Jules saß oft abwesend da. Er sprach wenig. Edmond versuchte ihn aufzuheitern.

Sobald die Musiker im Pavillon Platz nahmen, flohen sie vor dem Lärm, der gleich einsetzen würde. Wie konnte man gesund werden, wenn ein Dutzend Musiker dazu entschlossen waren, einen mit ihren Instrumenten zu martern? Warum gab es keine bessere Unterhaltung, ein Spielcasino, ein Vaudeville oder schlimmstenfalls ein Operettenhaus?

 

Jules wurden täglich dreimal Schottische Duschen und Russische Bäder verabreicht. Alle Welt nannte diese Qualen Anwendungen, obwohl sie im Gegensatz zur Folter keine Wirkung zeigten, jedenfalls nicht auf Jules. Weder die Wechselduschen zwischen 17 und 40 Grad noch die Dampfbäder bei höchster Luftfeuchtigkeit und unerträglichen 45 Grad änderten etwas an seinem Zustand.

 

»Ärzte und Bäder sollten vermieden werden, vermieden, vermieden …«, murmelte Jules.

Dann träumte er wieder, erzählte er seinem Bruder, dass er ertrank oder dass man ihn zu ertränken versuche wie eine

Er sagte leise: »Ich lief von Wasser über.«

Edmond wurde übel bei dem Gedanken an die Torturen, die seinem Bruder im Traum widerfuhren.

»Du musst dich ausruhen. Bleib liegen, so lange wie möglich.«

Er bat Dr. Basset, seinem Bruder die kalten Duschen zu ersparen. Wenn etwas ihn heile, dann das Sanfte. Wenn das warme Wasser auch nicht die Hand einer Frau ersetze, es beruhige doch, es besänftige, das glaube er wohl. Dr. Basset blieb ruhig, machte sich Notizen, fuhr sich immer wieder mit der rechten Hand über die Augen, doch am nächsten Morgen wurden Jules trotz heftigen Protests erneut kalte

Für nichts war es gut, und unangenehm war es darüber hinaus, eine Folter für den Körper und den Geist, den nichts davon ablenken konnte, bereits Stunden vor den nächsten Anwendungen an die bevorstehenden Qualen zu denken.

Nicht das schönste, modernste Grandhotel der Welt konnte für die Leiden entschädigen, die ihn in den Wasserhäusern, in den entweder überhitzten oder aber eiskalten Hallen und Kabinen voller Wasser erwarteten, das dampfend aus unterirdischen Höhlen strömte, die kein menschliches Auge je gesehen, kein Mensch je betreten hatte und deren letzte Wirkung niemand ermessen konnte. Edmond meinte, Hitze aus der Erdtiefe möchte seinem Verstand zuträglich und seinem Naturinteresse dienlich sein, wenn sie sich als heiße Lava aus einem Vulkan ergoss, wie sie 1869 bei ihrem Besuch in Neapel beobachtet hatten, aber heißes Wasser, brodelndes Element, das aus unbekannten Schichten durch Rohre in Badewannen floss und durch Brausen strömte, war ihm zutiefst verdächtig. Denn was außer der Hitze führte das Wasser mit sich? Noch hatte die Naturwissenschaft keine andere Antwort als Begriffe aus der Mineralogie. Doch wie erklärten diese eine positive Wirkung auf den Körper eher als eine negative?

 

Also reisten sie am 2. Juli 1869 ab, noch unzufriedener als bei ihrem letzten Aufenthalt vor zwei Jahren, noch ängstlicher als damals. Dunkel lag die Zukunft vor ihnen wie hinter Schloss und Riegel. Nur in gewissen Momenten sah Edmond sie so überdeutlich vor sich, wie sie, wie er wusste,

Was blieb ihnen anderes übrig, als nach Auteuil zurückzukehren, dorthin, wo sie das Ruckeln des Pferdes im Stall der Nachbarn, das Geschrei der Nachbarskinder, das Knurren und Bellen der Hunde, die nächtlichen Liebesklagen der Katzen, das ganze ohrenbetäubende Sonorikum der Welt erwartete, das sie hier beinahe vergessen hatten; sie wussten, sie würden die Ruhe von Royat vermissen, sobald sie zu Hause waren, aber in Royat hielten sie das Wasser nicht mehr aus, und auch die Kurgäste gingen ihnen allmählich auf die Nerven, so interessant einzelne Vertreter der unterschiedlichsten Nationen zunächst auf sie wirkten, die eleganten Russinnen, die beleibten Türken, die bärtigen Griechen und die englischen Damen, die von den Ärzten so gründlich wie nur möglich untersucht werden wollten. Die wohlhabende, aristokratische, verblühte, von Schmerzen heimgesuchte hinfällige Gesellschaft wurde ihnen immer fremder. Nur die Landschaft der Auvergne, die sie in manchen Stunden zu Fuß erkundet und genossen hatten, vermissten sie, kaum hatten sie sie hinter sich gelassen.

Manchmal, wenn sie unter dem Laubdach eines Nussbaums im Kornfeld gesessen hatten, waren ihre Blicke gemächlich dahinschreitenden Menschen gefolgt, die vom Berg kamen; der melancholische Gesang eines Bauern, der ein krankes Kind in der sengenden Hitze zum Arzt trug, drang an ihr Ohr; zum Landarzt zweifellos, nicht zu Doktor Basset und seinen Bädern, zu einem gewöhnlichen Landarzt, der dem Kind handfeste Medizin verschreiben

Glücklich waren sie nur, wenn sich die trägen, abweisenden Einheimischen zeigten, die nie lachten, nicht einmal lächelten.

»Hierher kehren wir nicht zurück.«

»Schreib es auf.«

Das Gestein der Auvergne, zur Hauptsache Schiefer, sah aus wie Kerkermauern auf dem Theater. Kulissen eines Bühnenbilds. Ein Drama, letzter Akt, letzte Szene: zwei Gefangene allein.

 

Aber am besten hatte ihnen der kleine Holzpavillon in der Nähe der Bäder gefallen, wo ein alter Soldat eine ganz besondere Attraktion vorführte: eine Camera obscura. In dem dunklen Kämmerchen, wo er sein fantastisches Handwerk betrieb, sahen sie die Berge, Bäche, Bäder, Pferde, Omnibusse und Spaziergänger von Royat wieder, und nichts unterschied sie von denen, die sie täglich im Ort wirklich sahen; es schien ihnen, als hätten die denkbar außerordentlichsten kleinen Künstler sie zum Leben erweckt. Das Sonderbarste an dieser Darbietung war die Malerei an sich. Sie war hübscher und spiritueller, genauer und schmucker als alle Malerei, die sie kannten. Wenn man imstande wäre, diese Bilder festzuhalten – und dazu würde es kommen, daran bestand kein Zweifel –, würde die Malerei überflüssig. So echt und wirklich vermochte kein Maler das Leben wiederzugeben. Hier sei alles dargestellt, sogar der unaufhaltsame Verfall, sagte Jules, und Edmond, der nicht verstand, was er damit sagen wollte, hakte nicht nach.

Als sie wieder ins mittägliche Sonnenlicht hinaustraten, waren sie so geblendet, dass sie beide gleichzeitig die Arme hochrissen, um ihre Augen zu schützen.

Doch solche von Glück erfüllten Momente waren selten. Leere, Langeweile und die Sorge überwogen, wie man den ewig langen Tag im erbarmungslosen Jetzt am besten hinter sich brachte, Tag um Tag vom finsteren Schweigen erdrückt.

Der traurigste Monat ihres Lebens ging zu Ende. Sie ließen das verfluchte Land, die leidvollen Wasserquellen, die lauten Hotels und die Tischgespräche der hirnlosen Kurgäste hinter sich.

Woran sie sich schließlich am deutlichsten erinnerten, waren die Schilder, die in den Kirchen an gut sichtbaren Stellen angebracht waren und die Gläubigen ermahnten, an diesem heiligen Ort nicht auf den Boden zu spucken.