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Alser Straße, Palais von Krause

»Dieser Wappler hat was getan?«

Max sah seine Mutter konsterniert an. Noch nie in seinem dreißigjährigen Leben hatte er seine Mutter ein derart vulgäres Schimpfwort benutzen gehört. Dass sie Menschen abwertete und überheblich über sie herzog, war nicht ungewöhnlich, dass sie aber Worte gebrauchte, die man nur in den Beisln einfacher Arbeiter vernahm, war noch nie vorgekommen. Zumindest nicht in seiner Gegenwart.

Mit geröteten Wangen sprang Adele von Krause vom Tisch auf und lief nervös im Salon auf und ab. »Was bildet sich dieser impertinente Emporkömmling ein? Er und seine Frau kriegen ja nicht einmal einen geraden Satz aus dem Mund.«

»Mutter, setz dich wieder. Die Sache ist mehr als unerfreulich, da gebe ich dir recht. Ich werde mich bemühen, den Fall zu lösen. Sobotka wird das Lob einstreifen, er wird sich beruhigen, und es wird Gras über die ganze Sache wachsen.«

»Und diese Ungerechtigkeit, dieser zum Himmel schreiende Skandal regt dich nicht auf?« Fassungslos sah Adele von Krause ihren Sohn an. »Das können wir uns unmöglich gefallen lassen.«

Abwehrend hob Max beide Hände. »Halt!«, unterbrach er sie entschieden. »Das ist allein meine Angelegenheit. Du hast dich ohnehin schon viel zu sehr eingemischt. Lass deine Finger aus dem Spiel und hör auf, im Hintergrund zu intervenieren. Das verursacht nur böses Blut.«

Adele von Krause hielt abrupt inne. »Willst du dir das wirklich gefallen lassen? Was ist bei deiner Erziehung bloß schiefgelaufen? Hast du denn gar keinen Stolz?«

»Natürlich habe ich den«, entgegnete Max beleidigt. »Deshalb begebe ich mich auch nicht auf das Niveau des Oberkommissars hinab. Ich werde in Ruhe weiterarbeiten, so gut ich eben kann. Und wenn er mich rauswirft, dann ist das ungerecht. Aber ich werde mich auf keine Schlammschlacht einlassen. So viel Aufregung ist der Mann nicht wert.«

Adele von Krause schüttelte den Kopf. Ihr Blick wurde milder. Sie war mit Max’ Berufswahl nie einverstanden gewesen. Als jemand mit einem Studium der Rechtswissenschaften war er für den Posten eines einfachen Kommissars stets überqualifiziert gewesen. Ihren Sohn jetzt so niedergeschlagen zu sehen schien ihre Meinung zu ändern. »Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, aber du liebst diesen Beruf«, sagte sie ungewohnt sanft. »Lass dir deine Pläne nicht von einem Zwerg wie Sobotka zerstören.«

Erstaunt ob ihres Sinneswandels sah Max auf. »Und das aus deinem Mund?«, fragte er.

»Himmelkruzitürken! Stünde es in meiner Macht, ich würde den Mann zerquetschen und seine Frau, dieses einfältige Trutscherl, gleich dazu.« Noch ein Schimpfwort und ein Fluch. Das heutige Datum würde sich in Max’ Gedächtnis einbrennen als der Tag, an dem seine Mutter das Fluchen und Schimpfen lernte.

»Niemand muss zerquetscht werden«, entgegnete Max. »Im Gegenteil, ich werde mein Bestes geben, um den Mörder zu finden. Zwei Prostituierte wurden auf bestialische Weise getötet. Sie waren beide im Besitz einer Halskette aus der Wiener Werkstätte. Eine Frau hat das Schmuckstück von ihrem Liebhaber erhalten, der untergetaucht ist. Ich habe die Behörden in München nach Simon Goldberger gefragt. Angeblich ist er in der Stadt nie angekommen.«

»Könnte er der Mörder sein?«, fragte Adele von Krause. Mit einem Mal war ihr Interesse an dem Fall geweckt.

»Es wäre durchaus möglich. Leider passt die Botschaft nicht ganz zu einem jüdischen Mörder. Wenn wir davon ausgehen, dass die beiden Ms für Maria Magdalena stehen, die in der katholischen Kirche als Sünderin gilt, müssten wir nach einem religiös fanatischen Christen suchen.«

»Kann ein Jude nicht zum Katholizismus wechseln?«, fragte Adele von Krause.

»Natürlich kann er«, stimmte Max zu. »Aber es ist eher unwahrscheinlich, und wenn es passiert, dann meist unfreiwillig. Zumindest war das in der Geschichte bisher immer so.«

»Es gibt Menschen, die wechseln aus Liebe ihren Glauben«, gab Adele von Krause zu bedenken.

»Wir reden über einen perversen Mörder, der Prostituierte umgebracht hat. Simon Goldberger ist außerdem verheiratet, warum sollte er aus Liebe seinen Glauben wechseln, ein Gspusi mit gleich zwei Damen beginnen und beide auf bestialische Weise töten? Das passt doch nicht zusammen.«

Adele von Krause verzog den Mund. »Es klingt tatsächlich ein wenig konstruiert«, gab sie zu. »Und was ist mit der Ehefrau? Angenommen, er hatte mit beiden Prostituierten ein Stelldichein, könnte sie doch aus Rache getötet haben.«

»Du meinst, sie hätte die Spur mit der katholischen Sünderin gelegt, um von sich abzulenken?«

»Möglich wäre es. Oder etwa nicht?«

»Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen«, meinte Max.

»Wie auch immer«, sagte Adele von Krause. »Ich muss jetzt los. Mein wöchentlicher Bridgeclub beginnt in einer Stunde, und davor will ich mich noch frisch machen.«

Max’ Mutter sah wie immer aus wie aus dem Ei gepellt. Er hatte längst aufgegeben, sich zu fragen, was seine Mutter meinte, wenn sie sich in perfektem Zustand noch frisch machen musste. Bevor sie das Zimmer verließ, hielt er sie noch einmal zurück.

»Bitte mach Sobotka nicht zum zentralen Gesprächsthema in der Damenrunde.«

»Ich werde mich bemühen«, sagte Adele von Krause. Dann rauschte sie aus dem Raum.

Max war sich sicher, dass sie böse Bemerkungen fallen lassen würde. Er hoffte nur, dass sie sich im Rahmen hielten.