Alser Straße, Palais von Krause
»Ich wäre gern dabei gewesen, wie du Lindas Neffen gefangen genommen hast«, sagte Adele von Krause. »Und noch viel lieber hätte ich gehört, wie du Sobotka erklärst, dass du den Mörder mit Fingerabdrücken überführt hast.«
Max nickte zufrieden. Es war in der Tat ein sehr befriedigender Moment gewesen. Nie würde er Sobotkas wütenden Gesichtsausdruck vergessen, als der Polizeipräsident Max für seine Verdienste gewürdigt hatte. Karl von Schönau war auch nichts anderes übrig geblieben. Und das Schönste an der ganzen Sache war, dass Max in Zukunft offiziell die Methode der Fingerabdrücke anwenden durfte. Schon jetzt hatte er sich Unterlagen aus London zukommen lassen, um über die Erfahrungen der Kollegen nachzulesen.
»Anastasia von Aehrenthal hat mir versichert, dass dieser Erfolg eine Beförderung für dich bedeuten wird.«
Auch wenn Max sich über die Nachricht freute, so war es ihm doch zuwider, dass seine Mutter vor ihm davon wusste.
»Wie kann die Frau des Außenministers von meiner bevorstehenden Beförderung wissen?«, fragte er finster.
»Ach, Max!« Mitleidig sah seine Mutter ihn an. »Hast du immer noch nicht kapiert, wie die Dinge laufen?«
Natürlich wusste Max über Intrigen und Ränke im Hintergrund Bescheid. Aber er wollte nicht Teil solcher Spielchen sein.
»Sei einfach froh darüber«, meinte seine Mutter. »Du bist bald Oberkommissar.«
»Und was passiert mit Sobotka?«, wollte Max wissen.
»Der wird irgendeinen langweiligen Posten im Ministerium erhalten. Wahrscheinlich kriegt er sogar ein bisserl mehr Geld. Dafür muss er den ganzen Tag in einem Büro sitzen statt im Kaffeehaus.«
»Und er wird mehr Macht erhalten«, fürchtete Max.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte Adele von Krause überzeugt. »Alle wissen, dass der Mann ein Depperl ist.«
Max verkniff sich die Antwort. Mangelnde Intelligenz war noch nie ein Grund gewesen, jemanden nicht zu befördern. Er beschloss, sich nicht darüber aufzuregen, schließlich lagen diese Entscheidungen nicht in seiner Hand. Was er aber sehr wohl beeinflussen konnte, war die Anschaffung eines Fotoapparats für seine Abteilung.
»Das Erste, was ich als Oberkommissar machen werde, ist, einen Fotografen anzustellen!«
»Wozu das denn? Willst du dich etwa selbst für die Zeitungen ablichten lassen?«
»Es wäre eine hilfreiche Methode bei der Untersuchung von Verbrechen«, sagte Max. Schon wollte er ausholen, um seiner Mutter sein Vorhaben genau zu schildern, als diese ihm ein Kuvert über den Tisch schob.
»Schau dir das mal an«, forderte sie ihn auf. »Das hat mir eine Bekannte beim Kunstsalon von Bertha Zuckerkandl gegeben. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll. Einerseits ist es Kunst, andererseits Pornografie. Auf alle Fälle sind die Fotografien einzigartig.«
Max öffnete das Kuvert und entnahm ihm mehrere Fotografien. Alle zeigten nackte Frauen. Sofort verstand er, was seine Mutter meinte, die Arbeiten waren wirklich besonders. Die Frauen waren ganz normal, und trotzdem wohnte jeder von ihnen eine eigene Schönheit inne. Sie waren unbekleidet und blickten stolz in die Kamera, ohne dass ihnen die Nacktheit die Würde raubte. Eine der Frauen trug eine Maske und eine Federboa. Etwas an ihr kam ihm seltsam vertraut vor, und er verspürte den irritierenden Wunsch, diese Unbekannte näher kennenzulernen. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, aber das war wohl der raffinierten Art der Fotografie geschuldet.
Max schob alle Aufnahmen zurück ins Kuvert. »Die Frage der gesellschaftlichen Verträglichkeit wird die Sittenpolizei entscheiden müssen«, sagte er.
»Du wirst die Arbeiten doch nicht an deine Kollegen weitergeben!«, meinte seine Mutter empört.
Max sah sie erstaunt an. »Was sollte ich sonst damit tun?«
»Du könntest den Mann, der die Fotos gemacht hat, für dein Vorhaben in Betracht ziehen. Jemand Besseren findest du bestimmt nicht.«
Die Fähigkeit seiner Mutter, Gelegenheiten beim Schopf zu packen und Menschen zusammenzubringen, erstaunte Max auch nach dreißig Jahren noch.
»Da hast du vielleicht recht. Ich werde darüber nachdenken«, meinte er.
»Warte nicht zu lange«, riet Adele von Krause. »Der Mann wird bald eine steile Karriere als Künstler machen.«
»Oder im Gefängnis landen.«
»Ach, Max«, sagte Adele von Krause. »Du wirst in deiner neuen Stellung doch nicht gleich mit einer Fehlentscheidung anfangen wollen.«
Wieder einmal schwor sich Max, Berufliches nicht mehr mit seiner Mutter zu besprechen. Wie lange sein Vorsatz halten würde, war jedoch fraglich.
Aber über die Fotografien dachte er tatsächlich nicht weiter nach. Jetzt wollte er sich über seine bevorstehende Beförderung freuen und darüber, dass er Sobotka nicht mehr jeden Tag über den Weg laufen musste.
Zumindest hoffte er das.