Kapitel 19
IN DIESEM KAPITEL
Die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ist Gegenstand einer Flut von Veröffentlichungen mit zahlreichen Vorschlägen für das Kriterium.
Als wesentliche Theorien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme haben sich die folgenden zwei herauskristallisiert:
Es war lange üblich, die erste Theorie der Rechtsprechung zuzuordnen und die zweite Theorie als die Auffassung der Lehre zu bezeichnen. Mittlerweile haben sich diese beiden Theorien jedoch stark angenähert und stehen einander nicht mehr unversöhnlich gegenüber. Es stellt sich also die Frage, welche Überlegungen der einen wie der anderen Theorie zu einer angemessenen Falllösung beitragen können. Wir werden uns dafür gleich zwei Fälle anschauen.
Die subjektive Theorie unterscheidet zwischen Täter und Teilnehmer – wie der Name schon sagt – nach dem Willen der Beteiligten. Wieder ist es an der Zeit, ein lateinisches Begriffspaar einzuführen:
Teilnehmer ist, wer mit Teilnehmerwillen (animus socii) eine »fremde Tat« nur veranlassen oder fördern will.
Das kann zu der merkwürdig erscheinenden Konsequenz führen, dass eine Person, die selber einen Tatbestand verwirklicht, nur als Gehilfe anzusehen ist, wenn sie keinen Täterwillen hat. Dies ist abstrakt schwer zu erklären; deswegen stelle ich Ihnen im Kasten »Geheimagent mit der Lizenz zum Töten« einen Fall aus der Welt der Geheimdienste vor.
Hierfür musste eine juristische Lösung gefunden werden, die dem Bundesgerichtshof durch die Anwendung der subjektiven Theorie gelang. Lesen Sie sich einmal die folgende Begründung der Verurteilung von Staschinski wegen Beihilfe zum Mord zu acht Jahren Zuchthaus durch:
»Beide Attentate sind nach dem sicheren Ergebnis der Hauptverhandlung von sowjetischer ›höchster Stelle‹, zumindest auf Regierungsbasis unter Beteiligung Sch., des damaligen Vorsitzenden des Komitees für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR, dem Angeklagten befohlen worden […] Entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft, die den Angeklagten als Täter ansieht, dies jedoch nicht näher begründet hat, war Staschinski in beiden Fällen nur als Mordgehilfe zu verurteilen […] Gehilfe ist, beim Morde wie bei allen anderen Straftaten, wer die Tat nicht als eigene begeht, sondern nur als Werkzeug oder Hilfsperson bei fremder Tat mitwirkt. Maßgebend dafür ist die innere Haltung zur Tat. In dieser Weise hat schon das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung Täter und Gehilfen voneinander abgegrenzt. Danach kam als Täter auch in Betracht, wer die Tat vollständig durch Andere ausführen lässt, anderseits als bloßer Gehilfe auch derjenige, der alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig erfüllt […] Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf die erwiesene innere Haltung des Angeklagten bei beiden Attentaten ergibt unter Berücksichtigung aller Umstände, dass er diese Taten nicht als eigene gewollt, dass er kein eigenes Interesse an ihnen und keinen eigenen Tatwillen gehabt, dass er sich fremdem Täterwillen nur widerstrebend gebeugt, dass er sich letztlich der Autorität seiner damaligen politischen Führung wider sein Gewissen unterworfen und dass er die Tatausführung in keinem wesentlichen Punkte selber bestimmt hat. Ein eigenes materielles oder politisches Interesse als Indiz für seinen Täterwillen hat nicht bestanden. Ihm ist kein Tatlohn versprochen worden wie einem gedungenen Handlanger, und er hat auch keinen erhalten.«
Zu Recht ist diese Rechtsprechung von vielen kritisiert worden, da sich die Unterscheidung von Täter und Gehilfen nach einem solchen Ansatz verwischt und ein hohes Maß an Manipulierbarkeit aufweist. Man geht von der Erwägung aus, wer wohl der größere »Schuft« in einem Tatgeschehen ist und nimmt dann (kaum nachprüfbar) unter Verweis auf eine entsprechende innere Haltung (subjektive Theorie) die Rollenzuweisung in Täter und Teilnehmer vor. Häufig wird dahinter auch die Erwägung stehen, welche Strafe man für welche Person für angemessen hält. Um die eine Person gegenüber der anderen milder zu bestrafen, findet sich in § 27 I 2 StGB der Anknüpfungspunkt, dass die Strafe des Gehilfen zu mildern ist. Gegen jeden common sense wird dann die Person, die die Tatausführung in eigener Person vornimmt, in den Gehilfen einer Person verwandelt, die Tausende von Kilometern entfernt im Büro sitzt.
Die Rechtsprechung hat die Kritik an dieser Subjektivierung von Täterschaft und Teilnahme aufgenommen und vertritt heute eine sogenannte eingeschränkt subjektive Theorie. Danach geht man zwar vom Täterwillen aus, nimmt aber eine umfassende wertende Betrachtung aller Umstände vor. Neben dem eigenen Interesse an der Tat werden in die Beurteilung auch der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft einbezogen.
Damit sind wir bei der anderen zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vertretenen Theorie angelangt. Die Lehre von der Tatherrschaft ist Ausdruck des Bemühens, die Abgrenzungsfrage von den Gefahren einer Subjektivierung zu befreien. Deswegen soll die Abgrenzung im objektiven Tatbestand vorgenommen werden.
Erforderlich für die Feststellung der Täterschaft ist danach ein Tatbeitrag, der die Tatherrschaft verleiht. Bildlich gesprochen wird dies als In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs bezeichnet.
Teilnehmer einer Straftat ist dagegen, wer in dem Geschehen am Rande steht und keine Herrschaft über den Geschehensablauf hat.
Mit der subjektiven Theorie könnte man es sich jetzt einfach machen und sagen, dass sich Tim als »Boss« gefühlt hat. Die Tatherrschaftslehre stellt diese Aussage auf den Boden von Tatsachen: Tim hat aus dem Tipp einen Plan für den Überfall gemacht. Tim hat die Leute für diesen Überfall ausgesucht. Er hat sie mit Waffen ausgerüstet, zum Tatort gefahren und für die Flucht gesorgt. Er ist nicht nur eine Randfigur als »Fahrer«, sondern die zentrale Gestalt des Geschehens.
Täterschaft kann neben der Alleintäterschaft in den Formen der mittelbaren Täterschaft und der Mittäterschaft bestehen. Ich möchten Ihnen nun diese weiteren Formen vorstellen.