Ich erwachte mit einem unguten Gefühl im Bauch, obwohl der gestrige Abend so schön gewesen war. Carl und ich waren mit Amanda zum Abendessen in einem Restaurant in North Beach gewesen. Carl war unterhaltsam und charmant. Amanda schien überglücklich. Ich fühlte mich in ihrer Gesellschaft so wohl, dass ich beinahe vergaß, dass die beiden schon ein Paar gewesen waren. Die Dokumentation erwähnte Carl mit keinem Wort, sodass ich insgeheim hoffte, er habe seine Meinung geändert. Doch im Grunde wusste ich, dass das reines Wunschdenken war.
Es war ganz still im Haus. Dani und Erik schliefen. Ich ging zum Fenster, um festzustellen, ob wir wieder Frühnebel hatten und die Wetterlage an meiner deprimierten Stimmung schuld sein könnte. Doch an dem fad gräulichen Himmel war keine Wolke in Sicht. Meer und Strand funkelten, als läge ein vergoldeter Schleier über ihnen.
Als ich zur Arbeit fuhr, erhielt ich eine SMS von Carl. Frühstücke noch mit Eva, komme gegen zehn . Das fachte meine Eifersucht erneut an. Gemeinsam zu frühstücken hat so etwas Intimes, das tut man doch, wenn man die Nacht vorher miteinander verbracht und kaum Schlaf bekommen hat. Ich beschloss, einen Umweg zu fahren, und steuerte den Aussichtspunkt am Presidio an. Plötzlich fuhr mir ein derartiger Schmerz in die Brust, dass ich glaubte, einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich parkte den Wagen und setzte mich an einen Hang … an einen steilen Felsen, wo sich unter mir das Meer befand. Ich atmete einmal tief ein, versuchte, meinen Puls zu beruhigen, und genoss die großartige Aussicht.
Die Bäume wiegten sich im Wind. Alles war in Bewegung, das Licht, der Nebel, der sich inzwischen verzogen hatte, und nun ganz leicht über dem Meer wirbelte, und die Wolken, die an dem leuchtend blauen Himmel über die Bucht jagten. Nach einigen Minuten war der Schmerz vergangen.
Ich bin jetzt vierundzwanzig. Ich wohne in der schönsten Stadt der Welt. Eigentlich müsste ich glücklich sein und mich frei fühlen. Warum lasse ich mir gefallen, dass Carl mich so behandelt? Dass es mir so dreckig geht? Warum lasse ich überhaupt zu, dass diese Eva meine Gedankenwelt beherrscht?
Ich stand wieder auf, wischte über meine Jeans, an der noch verdorrtes Gras und Borke hingen, und stieg wieder ins Auto. Auf dem Weg ins Büro nahm ich mir vor, etwas zu ändern. So konnte es nicht weitergehen.
Kaum befand ich mich in unseren Büroräumen, bemerkte ich, dass Carl ungewöhnlich bleich aussah.
»Ist was passiert?«, fragte ich ihn.
»Nein, alles gut, ich habe nur so eine komische Mail bekommen.«
»Was stand da drin? Lass mal sehen.«
»Ach, das ist bestimmt Junk«, sagte er, loggte sich aber doch in sein Mailkonto ein.
Ich stellte mich hinter ihn und blickte ihm über die Schulter. Der Absender der Mail lautete answertojesus@yahoo.com, der Text war nicht lang, aber unheimlich.
Das ist eine Warnung. Mach deine Bordelle dicht, sonst werden wir sie bis auf die Grundmauern abfackeln. Danach bist du an der Reihe. Das Fegefeuer wartet schon.
Und natürlich kein Name darunter.
»Das ist keine Junkmail«, sagte ich. »Das ist eine Morddrohung.«
»Wahrscheinlich von so einer freireligiösen Gemeinde, die mögen uns gar nicht. Aber das sind in der Regel nur leere Drohungen.«
»Hast du versucht, die Mail zurückzuverfolgen?«
»Du kennst das doch, das bringt nichts.«
»Ich finde, versuchen solltest du es trotzdem. Und du musst es der Polizei melden.«
Er lachte nur trocken.
»Ja, für die Polizei ist das ein gefundenes Fressen.«
»Hast du Steve schon angerufen?«
»Nein, noch nicht.«
»Dann tu es. Die Sache ist wirklich ernst.«
»Okay, versprochen. Aber erst möchte ich mit dir über etwas anderes reden. Setz dich.«
Seine Stimme klang mit einem Mal anders, irgendwie bevormundend. Sein Blick verschloss sich. Während ich mich hinter meinen Schreibtisch setzte, stand er auf und ging auf und ab.
»Ich habe mich entschieden, den Film zu drehen. Klar ist es wunderbar, dass die Agentur so gut läuft, aber wir erreichen hier ja nur eine ausgewählte Elite. Mit dem Solvikhof beginnt ein neues Kapitel, und das ist mir wichtig. Du weißt selbst, dass ich schon lange etwas zu Ehren meiner Mutter initiieren wollte. Und jetzt brauche ich deine Unterstützung, Alex.«
Mein ungutes Gefühl wurde stärker. Er klang so überzeugt.
»Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, das kann ich dir versichern«, fuhr er fort. »Aber wie ich es auch drehe und wende, ich kann keine Nachteile entdecken. Ich weiß, es ist dir ein Dorn im Auge, dass ich mit einer so attraktiven Frau wie Eva zusammenarbeite, das kann ich auch nachvollziehen, aber es wird ja nur vorübergehend sein.«
Der Streit war unausweichlich. Innerlich tobte ich vor Wut. Ich hatte eine Stinkwut im Bauch und hätte ihn am liebsten sofort angeblafft. Doch ich senkte den Blick und hantierte mit Unterlagen auf meinem Schreibtisch, damit er mir nicht ansah, wie aufgewühlt ich tatsächlich war.
»Das hat nichts mit ihrem Aussehen zu tun«, sagte ich leise.
»Natürlich hat es das. Mir würde es doch ähnlich gehen, wenn du mit einem attraktiven Mann zusammenarbeiten würdest. Eva und ich haben jedoch eine rein geschäftliche Beziehung.«
»Du bist wirklich nicht ganz klar im Kopf, wenn du meinst, es ginge nur um ihr Aussehen.«
»Darf ich ausreden? In einer Woche werde ich nach Schweden fliegen. Natürlich werde ich mich jeden Tag bei dir melden. Du bist für mich etwas ganz Besonderes, begreif das endlich. Aber ich bin von dem Projekt vollkommen überzeugt, und daher zähle ich jetzt auf deine Unterstützung.«
Er hatte es geschafft, die Stimme nicht zu heben, doch an seiner Schläfe sah ich eine Ader pochen, ein deutliches Zeichen, dass er sich sehr beherrschen musste.
»Ich weiß, dass mit Eva etwas nicht stimmt«, sagte ich. »Und ich weiß, dass ihr miteinander flirtet, also hör auf zu behaupten, alles sei so verdammt geschäftlich .«
Zwischen meinen Worten lauerten schon die Tränen.
»Wenn du mir Fakten nennen kannst, höre ich dir gern zu, aber das kannst du nicht«, sagte er.
Ich weiß es einfach . In dem Augenblick war ich vollkommen sicher, dass ich richtiglag. Ich weiß genau, was geschehen wird. Aber ich traute mich nicht, es auszusprechen, denn ich wollte es nicht beschreien. Ich saß einfach nur da. Unter Schock. Voller Angst. Mir war zum Heulen zumute. Doch ich wollte ihm nicht den Gefallen tun, vor seinen Augen in Tränen auszubrechen.
»Alex, was soll ich deiner Meinung nach tun?«, fragte er resigniert. Und da fiel mir tatsächlich etwas ein, was er tun könnte .
»Versetz mich in Hypnose. Hilf meiner Erinnerung auf die Sprünge, dann kann ich dir sagen, wo ich Eva schon einmal gesehen habe.«
Er seufzte tief.
»Das ist nicht möglich. Hypnose setzt man nicht einfach so ein, wenn man Lust hat, sich an Dinge zu erinnern. Du bist nicht meine Patientin, und du bist auch nicht krank.«
»Doch! Wie oft hast du schon gesagt, dass ich unter posttraumatischem Stress leide?«
»Ich habe dich nie für krank erklärt, Alex. Ich glaube nur, dass sich manches, wovor du dich fürchtest, hier drinnen abspielt«, sagte er und pochte sich gegen das Stirnbein.
Diese Geste regte mich derart auf, dass ich explodierte. Das erinnerte mich so deutlich an die Wochen, in denen ich fieberhaft nach Dani suchte, mir aber keiner glauben wollte. Genauso sprach er jetzt mit mir. Mein Psychiater war der Auffassung gewesen, ich sei manisch-depressiv, und ich bilde mir all die schlimmen Dinge, die tatsächlich geschahen, nur ein. So begann ich, an mir selbst zu zweifeln. Den Fehler wollte ich nicht wiederholen.
»Verdammt noch mal, mach doch nicht alles so kompliziert!«, schrie ich ihn an. »Ich versuche doch bloß, mich zu erinnern.«
»Ich werde dich nicht hypnotisieren. Das wäre verantwortungslos. Im Übrigen sind Diagnosen wie posttraumatischer Stress und anhaltende Psychosen streng genommen gar nicht mein Gebiet.«
Psychosen? Das Wort war ein Schlag ins Gesicht. Er stand mit verschränkten Armen da und starrte mich an – seine komplizierte, anstrengende Freundin, die mal wieder überreagierte. Jetzt waren wir dem Abgrund gefährlich nahe.
»Ich erwarte, dass du dich hier in meiner Abwesenheit um alles kümmerst«, sagte er. »Ich werde dir eine To-do-Liste schreiben.«
»Eine To-do-Liste?«, rief ich aufgebracht. »Seit wann benötige ich eine Liste, um meinen Job zu erledigen?«
»Ich möchte dir doch nur helfen. Ehrlich.«
»Hör auf, mich anzulügen, und gib zu, dass sie dich anmacht. Du verbringst ja schon deine ganze Zeit mit ihr. Und wieso Frühstück? «
»Das ist nichts anderes als eine enge Geschäftsbeziehung, schließlich stehen wir vor einem wichtigen Projekt.«
Ich sah ihn vernichtend an.
»Hältst du mich eigentlich für blöd?«
Zwischen uns sprühten die Funken.
»Vielleicht wäre es gut, du würdest sie kennenlernen. Wir könnten doch mal abends zusammen essen gehen?«
»Ohne eine Tollwutimpfung werde ich mich nicht in ihre Nähe begeben.«
Mir war sofort klar, dass ich damit eine Grenze überschritten hatte, ich wollte mich sogar entschuldigen, doch in diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und Eva kam ins Büro gestürmt. Von mir nahm sie gar keine Notiz, ging zielstrebig auf Carl zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und packte ihn aufgeregt an den Schultern.
»Ich habe großartige Neuigkeiten!«, sagte sie und küsste ihn rechts und links.
Da machte Carl eine Geste, bei der es mir die Sprache verschlug. Er nickte dezent in meine Richtung und versuchte, Eva zu verstehen zu geben, nicht jetzt, Alex steht doch da!
Eine Millisekunde blickte ich in Evas Augen. Sie waren wirklich eiskalt. Ich war völlig entsetzt, tat jedoch alles, um mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. Sie sollte mich nicht durchschauen. Ich sprang auf, griff nach meiner Handtasche und verließ das Büro. Ich hörte noch, wie Eva sagte: Ups! Carl rief mir hinterher, doch ich knallte die Tür zu und rannte die Treppe hinunter.
Eine ganze Weile saß ich im Wagen. Mein Puls donnerte in meinen Ohren. Ich hielt mich am Lenkrad fest und legte die Stirn darauf. Es war heiß, meine Bluse klebte teilweise an meinem Rücken. Ich sah auf und konnte im Rückspiegel erkennen, dass die Mascara verlaufen war. Mein Blick war hasserfüllt. Evas heisere Stimme surrte um mich herum wie eine Stubenfliege, die man nicht loswird. In diesem Augenblick hasste ich sie so sehr, wie man einen anderen Menschen nur hassen kann.
Schließlich kam mir der Gedanke, dass Carl vielleicht runterkommen und mir am Auto eine Szene machen würde. Deshalb schrieb ich ihm eine SMS und teilte ihm mit, dass ich zuerst zu Amanda fahren wolle und dann nach Hause. Danach schaltete ich das Smartphone aus, damit ich keine Antworten von ihm auf dem Display sah. Zu Amanda würde ich jetzt auf keinen Fall fahren, wir hatten uns nämlich schon morgens gesprochen. Ihre erste Nacht hier in der Stadt hatte bereits all ihre Erwartungen übertroffen. Heute wollte sie shoppen gehen und danach in ein Spa, bevor das nächste Abenteuer, oder die nächste Orgie, wenn man so wollte, auf sie wartete.
Ich fuhr nach Hause. Die herrliche Umgebung war ein krasser Kontrast zu meiner miserablen Stimmung. Die Golden Gate Bridge leuchtete orange in der grellen Sonne. Der Himmel war noch immer hellblau. Kleine, hauchdünne Schleierwolken schwebten über der Brücke. Auf dem gesamten Heimweg war die Straße angenehm leer.
In Half Moon Bay waren die Kürbisse, die noch am Hauseingang lagen, der einzige Hinweis darauf, dass der Herbst langsam vorüberging. Die Luft duftete süß und gleichzeitig würzig nach Eukalyptus. Ich parkte meinen Wagen vor unserem Haus und ging zum Strand runter. Dort ließ ich mich in den Sand fallen, zog die Beine an und machte mich ganz klein.
Es fühlte sich an, als befände ich mich in einer Art Vakuum. Ich versuchte, gegen die Leere in mir anzukämpfen, mein Blick streifte übers Meer. Es war so einfach, sich in den unendlichen, glitzernden Wassermassen zu verlieren. Als wäre ich nur ein winziges Molekül und konnte Teil etwas ganz Großen, Unendlichen werden.
Richtig spießig. Und das ich. Völlig außerstande zu sehen, was Carl versuchte, was er bewegen wollte. Warum ließ ich mich ständig von der Überzeugung hemmen, dass etwas grundverkehrt war?
Da hörte ich leichte Schritte im Sand hinter mir, drehte mich um und erblickte Dani.
»Hi, ich hab dich vom Fenster aus gesehen«, sagte sie. »Ist was passiert?«
»Nichts, außer dass mich die Eifersucht von innen auffrisst. Bitte hilf mir, ich möchte wieder normal werden.«
»Komm doch mit rein, dann können wir reden«, sagte sie. »Ich koche gerade Mittagessen. Erik schläft.«
»Wo ist Steve?«
»Auf seinem Wachposten in der Wohnung im Haus gegenüber. Ich sage ihm, dass wir heute gern allein sein möchten.«
Dani kochte Quesadillas. Anfangs war es schon genug gewesen, einfach bloß zusammen zu sein, allein im Haus. Noch schwiegen wir.
»Und jetzt erzähl mal alles von Anfang an«, sagte sie, als wir mit dem Essen fertig waren. Dann schilderte ich alle Einzelheiten, begann bei der ersten Begegnung mit Eva. Ich versuchte, Dani zu erklären, dass ich seit diesem Tag einen giftigen Stachel in der Haut spürte.
»Ich erkenne mich selbst nicht mehr«, sagte ich. »Früher konnte ich eifersüchtige Mädchen nicht ausstehen. Noch nie habe ich jemanden derart gehasst wie diese Frau. Ich kann gar keinen klaren Gedanken mehr fassen.«
»Na ja, mit Logik hast du noch nie viel am Hut gehabt.«
»Sag es ganz ehrlich. Du findest mich ziemlich dumm.«
»Ganz sicher nicht, aber du bewegst dich eben mehr auf der Gefühlsebene. Ich bin mir sicher, dass das, was du spürst, nicht nur Eifersucht ist.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich kenne dich dein ganzes Leben lang, Alex. Du bist nicht der Mensch, der jemandem freiwillig aus Eifersucht eine Szene macht. Es gehört wesentlich mehr dazu, dich so traurig werden zu lassen. Aber wenn Eifersucht mit Angst gepaart ist, dann passiert noch etwas anderes. Ich glaube, du spürst, dass Carl gerade in etwas hineingezogen wird, was äußerst gefährlich werden kann.«
»Aber ich verstehe nicht, wie das alles miteinander zusammenhängt.«
»Denk doch mal daran, wie es war, als sie mich in der Krypta gefangen hielten, und du einfach gewusst hast, dass ich am Leben war.«
»Ja, stimmt.«
»Vielleicht passiert gerade genau dasselbe. Deine Intuition will dich warnen, weil etwas nicht stimmt. Du bist wesentlich sensibler als Carl. Und weißt du eigentlich, dass Frauen die Gefühle anderer viel besser wahrnehmen als Männer? Das geht auf die Steinzeit zurück, denn damals hat diese Fähigkeit das Überleben des Nachwuchses gesichert. Ich finde, du solltest dich auf dein Bauchgefühl verlassen.«
»Aber ich habe keine Kraft mehr, mich noch länger mit ihm zu streiten. Ich glaube, das Beste wäre es, Schluss zu machen.«
»Das ist keine besonders gute Idee. Ich würde sagen, kämpf um ihn. Wenn schon nicht für dich, dann für ihn. Eine Frau wie Eva Sand wird ihn todunglücklich machen. Es wird nicht viele geben, die so gut zu Carl passen wie du.«
»Warum denkst du das?«
»Ihr seid zwar beide einigermaßen unterschiedlich, aber ihr könnt die Eigenheiten des anderen akzeptieren, es kommt einem fast vor, als würdet ihr geradezu darauf stehen. Das ist selten. Und sehr schön.«
»Aber du nennst ihn doch einen Mistkerl.«
»Weil er sich manchmal so benimmt, aber im Grunde seines Herzens ist er einer der besten Menschen, die ich kenne. Hätte Carl uns in der Nacht nicht gerettet, wären wir auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wir haben unsere zweite Chance bekommen. Die solltest du Carl auch einräumen.«
»Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Du weißt ja gar nicht, ob zwischen den beiden schon was gelaufen ist. Aber wenn du ihn auf frischer Tat ertappst, wird er aufhören, dich anzulügen.«
»Wie soll ich das tun?«
»Ihm eine Falle stellen. Warte kurz, ich habe eine Idee.«
Sie verschwand im Schlafzimmer und kam mit einem kleinen schwarzen Gerät in der Hand zurück.
»Steve hat eine Vorliebe für so was«, sagte sie.
»Hast du mit ihm geschlafen?«
»Was? Mit wem?«
»Mit Steve?«
»Ach komm schon, Alex, nach allem, was passiert ist, kann ich mir so was noch gar nicht vorstellen. So weit bin ich noch lange nicht. Aber bei Steve komme ich mir endlich wieder normal vor. Wir haben ein bisschen geknutscht, und das hat mir gutgetan. Er sagt, der Sex kann warten. Sonst noch Fragen?«
»Nein, ich freue mich einfach für dich.«
»So, Themawechsel. Schau dir das mal an.«
Sie hielt mir einen kleinen runden Apparat mit Knöpfen, einem Display und einer Klemme vor die Nase.
»Das ist ein Babyfon mit ziemlich großer Reichweite. Man kann es ans Handy koppeln. Ich habe es von Steve bekommen, um Erik zu überwachen. Wenn er schläft, mache ich das Teil an seinem Bettchen fest. Wenn ich in einem anderen Zimmer bin und mir gerade Sorgen mache, schaue ich einfach aufs Smartphone. Platziere das Ding an einer strategisch guten Stelle im Büro. Und wenn Carl die nächste Verabredung mit Eva hat, gehst du rüber ins Café auf der anderen Straßenseite und checkst, was sie tun.«
»Dani, du hast dich ganz schön verändert.«
»Ja, das stimmt wohl«, sagte sie und seufzte. »Bevor sie mich entführt haben, war ich mit dem Kopf nur beim Studium, alles andere war mir völlig egal. Ich hab mir auch zu wenig Zeit für dich genommen. Als ich gefangen war, habe ich das am meisten bereut. Jeden Tag. Aber jetzt kann ich dir etwas Gutes tun und dir helfen, deinen Mistkerl wieder in die Spur zu bringen.«
»Für mich musst du nicht so knallhart sein.«
»Sorry, du bekommst nur das ganze Paket, das Arbeitstier und die knallharte Version. Willst du das Babyfon jetzt oder nicht?«
»Aber du brauchst es doch für Erik.«
»Ich bitte Steve, mir noch eins mitzubringen. Ich sage ihm einfach, ich finde es nicht mehr. Er wird mir bestimmt ein neues kaufen. Und dann habe ich gleich das verbesserte Modell.«
Der Gedanke daran, Carl und Eva Sand zu überwachen, war sehr verlockend. Fast wäre ich auf der Stelle zurück ins Büro gefahren, um es da zu deponieren. Aber Carl war bestimmt noch da. Ich verschob mein Vorhaben auf den kommenden Morgen.
Später am Abend kam Steve vorbei. Als wir im Wohnzimmer saßen und uns unterhielten, klingelte sein Handy. Er wurde auf einmal ganz ernst und tigerte hin und her, antwortete nur monoton.
»Wer war das?«, fragte Dani, als er fertig war.
»Carl. Es ist etwas passiert. Heute Morgen hat er eine Drohmail bekommen, die er gar nicht ernst genommen hat, aber jetzt ist seine Geschäftspartnerin, diese Eva Sand, überfallen worden. Sie ist nicht schlimm verletzt, aber völlig durch den Wind.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Dani.
»Jemand hat sie vor dem Hotel in eine Seitengasse gedrängt und gedroht, dass er sie zum Schweigen bringen würde, wenn sie diesen Film dreht. Carl ist jetzt bei ihr.«
Ich versuchte, mir Eva Sand unter Schock vorzustellen. Und wie sie sich von Carl trösten ließ. Für einen Moment verspürte ich Wut und Skepsis, aber keinerlei Mitleid. Und dann nur wieder diese Leere.
Und da fragte ich mich, ob ich jetzt ernsthaft verrückt geworden war, denn ich war so gefühlskalt wie ein toter Fisch.