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Eva

Axels Stimme dröhnt in ihrem Ohr. Sie muss das Handy auf den Tisch legen und auf Lautsprecher schalten. Das Erste, was von ihm kommt, ist eine Tirade von Schimpfworten. Dieses Gespräch nimmt sie nicht auf. Dann kurzes Schweigen und wieder Gezeter.

»Wie können Sie es wagen! Haben Sie jetzt völlig den Verstand verloren?«

»Nein, überhaupt nicht«, antwortet sie gelassen. »Sie haben mich gebeten, meine Fantasie anzustrengen, und das habe ich getan.«

Axel verstummt. Eva geht zum Fenster und blickt zur Villa hinüber. Carls Personal ist deprimiert, das kann sie bis hierher spüren. Der Brandgeruch hängt noch immer in der Luft. Das verkohlte Skelett des Schuppens, in dem die Ausrüstung verbrannt ist, türmt sich bedrohlich vor dem Abendhimmel auf. Die Kälte, die Dunkelheit, der Brandgeruch – alles macht so eine Weltuntergangsstimmung.

»Die können Sie jetzt mit dem Brand in Verbindung bringen«, sagt Axel.

»Nein, es gibt keinerlei Beweise«, erwidert Eva und denkt an die Plastiktüte unter dem Bett, in der ihre Klamotten und die Streichhölzer versteckt sind. Sie muss sehen, dass sie wegkommt. »Die Drohmail haben alle geschluckt. Für die Polizei steht fest, dass diese freireligiöse Gruppe hinter dem Brand steckt. Leider haben sie überhaupt keine heiße Spur. Und sie können die Mailadresse nicht mit mir in Verbindung bringen, nur dass Sie es wissen.«

»Haben Sie auch nur annähernd eine Ahnung, wie kostspielig diese Filmausrüstung war?«

»Ich kann es mir denken. Aber worauf Sie scharf sind, lässt sich doch nicht in Geld bemessen?«

»Wenn Sie noch einmal einen solchen Alleingang unternehmen, Eva, sind Sie geliefert.«

Seine Stimme klingt hart, hasserfüllt. In ihren bisherigen Gesprächen hat er sie einigermaßen respektvoll behandelt, aber jetzt will er Eva zu verstehen geben, dass er am längeren Hebel sitzt. Jetzt hat sie ihm widersprochen und ihn damit zur Weißglut gebracht.

Sie weiß, dass es den Männern nur darum geht, sie unter Kontrolle zu halten, bis sie das Kind haben. Keine Ahnung, was sie mit dem Baby anstellen soll, aber sie werden sie unter keinen Umständen freilassen. Was sie nicht wissen, ist, dass Eva genügend Material zusammengetragen hat, um sie zu erpressen. Sie wird sie dazu kriegen, ihr alles zu geben, was sie verlangt.

»Ich möchte, dass Sie aufhören, mir zu drohen«, sagt sie. »Hier läuft alles bestens. Carl hat zugesagt, dass wir länger bleiben. Jetzt müssen Sie lediglich eine neue Ausrüstung organisieren, dann können wir mit den Dreharbeiten weitermachen.«

»Sind die Computer auch verbrannt? Auf denen die Aufnahmen waren?«

»Ja, alles ist hin. Es war ein göttlicher Brand. Oder besser gesagt allmächtig, um Ihr Lieblingswort zu benutzen. Das Feuer hat alles vernichtet.«

»Ist Ihnen klar, was für Konsequenzen es hat, wenn Sie so etwas noch mal machen?«

Genervt seufzt Eva, jetzt will sie das Telefonat wirklich beenden.

»Ja, Herr Tynell.«

Sie weiß, dass er ihr eine runtergehauen hätte, stünde er hier vor ihr, stattdessen beendet er jetzt das Gespräch. Das macht nichts. Er wird wieder anrufen, wenn er sich beruhigt hat.

Sie schickt Carl eine aufmunternde SMS : Bin so stolz auf dich, dass du trotz der Drohmail weitermachst. Dein Mut berührt mich.

Sie denkt viel zu viel an ihn. Wenn alles nach Plan läuft, wird er sie heiraten wollen. Das wird ihr einen gesellschaftlichen Status verleihen und Zugang zu seinem Vermögen. Gestern hat sie Stunden vor dem Computer verbracht und nach dem passenden Brautkleid für ihre Hochzeit gesucht. Hat bis drei Uhr morgens die feurigen Bilder auf dem Bildschirm angestarrt. Und hat trotzdem keins gefunden, das … perfekt war.

Eva setzt sich aufs Bett, lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. Draußen ist es dunkel. Und still. Genau wie in der Sanctum-Klinik in Arjeplog. Doch daran will sie jetzt nicht denken. Stattdessen lässt sie ihre Gedanken zu den Nächten in San Francisco wandern, zu dem ständigen Verkehrslärm und dem Stimmengewirr. Das fehlt ihr.

In der Fensterscheibe erblickt sie ihr Spiegelbild. Sie sieht konzentriert aus. Nach dem Feuer war sie ganz ruhig. Die andere Eva hat sich zurückgezogen. Vielleicht für immer? Sie hat jetzt verstanden, dass ihre Stärke und ihre Macht größer werden, wenn sie die Grenzen austestet. Je frecher sie ist, desto besser fühlt sie sich.

Mit einer Hand umschließt sie das Medaillon, das zwischen ihren Brüsten hängt. Sie schließt die Augen, denkt an Carl, der weiterkämpft, obwohl er so bleich gewesen ist, dass seine Haut fast transparent aussah. Sie denkt an Alex, die ihr noch immer gefährlich werden kann, obwohl sie meilenweit entfernt ist. Sie denkt an Axel, seine aufgebrachte, aber irgendwie verzweifelte Stimme. Sie denkt auch an die Sektenmänner in ihren Kutten, wie sie um den ovalen Tisch in ihrem Bunker in Kalifornien sitzen.

Evas Gesicht bewegt sich keinen Millimeter, aber ihr Hirn läuft auf Hochtouren.

Ich weiß immerhin, wer Freund ist und wer Feind.

Sie schlägt die Augen auf. Nun hat der Mond den Weg in ihr Fenster gefunden und wirft sein Licht auf ihre Wange. Ihre Gedanken sind jetzt vollkommen klar. Das Ganze ist ein Machtspiel ohne Gleichen.

Sie fühlt sich wie ein böser Orkan, der durch die Leben der Menschen fegt.