63

Einmal habe ich Carl gefragt, woher er eigentlich diesen peniblen Ordnungssinn hat. Damals hat er geantwortet, das habe ihm Edna beigebracht. Als er als junger Psychologe Ash & Coal gegründet hatte, hatte ihm noch jegliche Vorstellung davon gefehlt, was es heißt, ein Unternehmen zu führen. Edna war seine erste Angestellte. Innerhalb weniger Monate half sie ihm, alles so einzurichten, dass die Finanzen und die Organisation seines Unternehmens tadellos waren. Zwischen Edna und Carl wuchs auf diese Art eine ganz enge Verbindung. Sie war nie laut oder rechthaberisch, aber im Hintergrund immer präsent, und sie behielt uns ganz genau im Auge. Nur in Ausnahmefällen kam es vor, dass sie wütend wurde, aber wenn es einmal wirklich so weit kam, hatte sie auch guten Grund.

Als ich sie zurückrief, klang sie so aufgebracht, dass ich weiche Knie bekam. Nach dem Vorfall an diesem Tag war ich ohnehin schon völlig entkräftet. Für dieses Gespräch sollte ich mich lieber hinsetzen.

»Ich arbeite mit Carl seit zehn Jahren zusammen, und du wirst mich niemals davon überzeugen können, dass er ein schlechter Mensch ist«, waren ihre ersten Worte. »Und jetzt sprichst du mit ihm, Alex. Auf der Stelle!«

»Aber ich habe doch schon versucht, ihn anzurufen.«

»Er findet sein Handy nicht mehr. Und irgendwas ist mit ihm passiert, seit er mit dieser Kreuzotter hier aufgetaucht ist, er benimmt sich eigenartig. Wie viel bedeutet Carl dir eigentlich?«

»Im Grunde schrecklich viel, Edna, du kennst mich.«

»Dann solltest du ihm wenigstens die Möglichkeit geben, dir die Dinge zu erklären. Du bist ja auch keine Heilige.«

»Was hat er zu dir gesagt?«

»Nur, dass du dich standhaft weigerst, mit ihm zu sprechen, aber ich bin ja nicht blöd. Hol ihn von dieser Schlange weg, mit der er hergekommen ist. Das ist eine Dienstanweisung!«

»Okay, ich rede mit ihm. Ist er denn jetzt da?«

»Warte mal.«

Es wurde still in der Leitung. Edna hatte sich offenbar auf den Weg gemacht, Carl zu holen, daher wechselte ich in der Zwischenzeit aufs Sofa. Brett setzte sich zu mir.

Dani und Steve waren bei Erik im Schlafzimmer. Danis Stimme klang gerade sanft herüber. Inzwischen hatte sie sich beruhigt. Steve begann, ein amerikanisches Wiegenlied zu singen, leider hatte er keine angenehme Singstimme. Dani kicherte.

»Carl will mit mir reden«, erklärte ich Brett. »Kannst du ihm vielleicht erzählen, was passiert ist? Ich bin völlig platt. Mir wird das zu viel. Aber erst mal möchte ich ihn ein paar Dinge fragen.«

»Klar, und ich erstatte dann bitte Bericht«, sagte Brett. »Aber was willst du ihn denn fragen?«

»Das klingt in der gegenwärtigen Situation vielleicht merkwürdig, aber ich würde gern wissen, was er mit Eva gemacht hat. Bevor ich das nicht weiß, werden wir kein vernünftiges Gespräch führen können.«

»Liebe Alex, du hast gerade etwas tief Traumatisches erlebt. Wäre es da nicht vielleicht besser, erst morgen mit ihm zu sprechen?«, schlug er vor.

In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch, das mir völlig fremd war, ein gequältes Wimmern, wie von einem Tier. Ich begriff, dass das Carl sein musste, der fast weinte, aber mit aller Kraft versuchte, sich zusammenzureißen.

»Alex, bist du es?«

Er klang, als befände er sich in einer Konservendose.

»Ja, ich bins. Warum klingst du so komisch?«

»Ich hab einen Infekt.«

»Oh, das tut mir leid. Allerdings ist das nicht zu vergleichen mit dem, was wir hier heute erlebt haben. Brett wird dir gleich alles erzählen. Aber erst möchte ich wissen, was du mit Eva gemacht hast.«

»Ich werde versuchen, es dir zu beschreiben, aber es war jedenfalls kein normaler Sex.«

»Ach nein? Was denn dann? Neue Fesselspielchen?«

Brett saß neben mir, und rein zufällig begegneten sich unsere Blicke. Missbilligend zog er die Augenbrauen hoch. Aber ich war so stinkwütend auf Carl. All das Leid, das wir beide ertragen mussten, war dadurch ausgelöst worden, dass er Eva Sand Zutritt zu unserem Leben gewährt hatte. Und jetzt war er mit ihr in Schweden, während wir hier um unser Leben kämpften. Ich wollte ihm dieses Gespräch so schwer wie möglich machen.

»Bitte, kannst du die sarkastischen Bemerkungen für dich behalten, bis ich fertig bin?«, sagte Carl. »Mir fällt das auch nicht leicht.«

»Gut, das soll es auch nicht. Wenn du jetzt mit der üblichen Erklärung kommst, ›es hatte nichts zu bedeuten‹, dann ist unser Gespräch gleich beendet.«

»Nein, jetzt hör mir bitte einfach mal zu. Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht und war affengeil. Nichts hat dagegen geholfen. Jetzt im Nachhinein kann ich die Verbindung zu einem Drink mit Grapefruitsaft herstellen, vielleicht vertrage ich die Kombination nicht …«

Ich unterbrach ihn mit einem hämischen Lachen.

»Wie bitte? Willst du die Sache auf einen Drink schieben? Was soll das für ein schlechter Witz sein? Dann haben wir beide uns nichts mehr zu sagen.«

»Nein, sorry, natürlich hab ich das getan, also ich meine, ich wollte ja … Scheiße, wie ich auch anfange, es klingt immer falsch.«

»Erzähl einfach der Reihe nach. Keine Ausreden mehr.«

»Am Ende bin ich aufgestanden und ins Gästehaus gegangen und hab sie gevögelt. Von hinten und von vorn. Kein Vorspiel. Keine Küsse. Ich habe sie nicht geleckt. Nichts dergleichen.«

»Das glaube ich dir nicht. Das ist doch überhaupt nicht deine Art.«

»In der Nacht war es aber so. Ich war überhaupt nicht ich selbst. Erst habe ich rein körperlich auf sie reagiert, aber ich kam nicht. Hinterher habe ich mich total mies gefühlt. Und dann konnte ich nur noch an dich denken. Am nächsten Tag habe ich Eva mitgeteilt, dass zwischen uns nichts mehr laufen wird. Das ist alles. Mehr gibt es nicht zu erzählen.«

Ich konnte nur staunen, wie sachlich er das alles darstellte. Er redete viel zu schnell, tat den Seitensprung einfach so ab. Und besonders traurig klang er auch nicht.

»Aus deinem Mund klingt das so unschuldig«, sagte ich. »Du sagst, du konntest nicht kommen, aber stell dir vor, es wäre dir gelungen. Habt ihr denn ein Kondom benutzt?«

Schweigen. Dann wieder dieses tiefe Rasseln, während er einatmete. Ich wünschte, ich könnte ihm jetzt in die Augen sehen.

»Nein. Ich sage doch, ich war völlig durcheinander. Aber sie hat mir hinterher gesagt, dass sie verhütet.«

»Ach hör auf, Carl. Hinterher? Normalerweise nimmst du es damit doch ganz genau. Du willst dieses Gespräch nur hinter dich bringen, aber eigentlich findest du das, was du getan hast, nicht besonders schlimm. Hab ich recht?«

Mir schnürte sich der Hals zu. Vermutlich lag es an den Ereignissen des Tages, dass ich so überreagierte. Normalerweise war ich nicht so emotional. Durfte es gar nicht sein. Pass auf, dass dich deine Stimme nicht verrät.

»Ich möchte dieses Gespräch einfach nur hinter mich bringen, weil ich mich so schäme«, brachte er leise hervor.

»Wenn du nur von deiner Arbeit erzählst, zeigst du mehr Gefühl, Carl. Irgendetwas verheimlichst du mir.«

»Ich kann es nicht anders erklären, als dass ich das Gefühl hatte, zeitweise ein ganz anderer Mensch zu sein. Wahrscheinlich brauche ich eine Therapie. Schatz, kannst du nicht versuchen, mir zu verzeihen?«

Man kann ihm nicht vertrauen, niemals , erklang das Mantra in meinem Kopf. Da überkam mich wieder diese Traurigkeit, und ich fühlte mich einsam und klein.

»Carl, ich bin kein Monster, ich kann sicherlich einen einzelnen Seitensprung verzeihen, aber hier geht es um etwas ganz anderes. Du hast mich angelogen und mich erniedrigt, allein wegen dieser Bettgeschichte, die es doch nicht mal wert war. Und wenn Brett dir gleich erzählt, was hier passiert ist, dann wirst du kapieren, welche Folgen das hatte.«

Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht auch noch so deutlich zu werden: »Und ich hatte recht. Die ganze Zeit über

»Du gibst mir das Gefühl, ein ganz schlechter Mensch zu sein«, sagte er. »Bin ich wirklich so schrecklich? Sag mir einfach, was ich tun soll. Ich tue alles, damit du mir verzeihst.«

Diese Verletzlichkeit in seiner Stimme passte gar nicht zu ihm. Wir redeten zwar wieder miteinander, aber in unserem Gespräch war nicht die Spur von Freude erkennbar.

»Carl, ich bin völlig am Ende. Brett erzählt dir jetzt, was hier los war. Wir reden später weiter.«

»Wirst du deinen Job weitermachen?«

»Vermutlich ja.«

Durch die Leitung hörte ich ein erleichtertes Aufatmen.

»Es ist nur …«, sagte er, und dann schluchzte er laut. »Ich hab so eine Wahnsinnsangst, dich zu verlieren, Alex.«

Jetzt war es nicht mehr auszuhalten. Mir liefen die Tränen über die Wangen. In diesem Augenblick vermisste ich ihn unendlich. Trotz seiner komischen, nasalen Stimme und dem Irrsinn, dass er Eva immer noch zu glauben schien, wünschte ich mir so sehr, dass er mich jetzt in die Arme nahm.

Brett riss mir das Telefon aus der Hand.

»Wie kannst du es wagen, Alex so durcheinanderzubringen, nach dem, was sie heute durchgemacht hat?«, schrie er.

»Er weiß doch gar nichts«, rief ich ihm zu. »Er lebt mit Eva in einer Bubble.«

Brett wechselte das Zimmer und führte das Telefonat mit Carl fort. Seine Stimme war nur leise zu hören. Sie hatten schätzungsweise eine Stunde geredet, da kam Brett zurück und hielt mir das Handy wieder hin.

»Er möchte dich noch mal sprechen. Die Medien in Schweden haben die Story von Sanctum noch gar nicht aufgegriffen, deshalb hatte er keine Ahnung.«

Erst schimpfte er fast mit mir, dass ich mich bei Sanctum freiwillig hatte einweisen lassen, aber mir war klar, dass Carl entsetzt und voller Angst war, deshalb ließ ich ihn weiterreden.

»Tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe«, sagte er schließlich. »Mit dem nächsten Flieger komme ich nach San Francisco zurück, ich werde die letzten Aufnahmen canceln und die Reportage abbrechen. Ich komme so schnell wie möglich, Alex.«

Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, das letzte Wort zu haben.

»Komm nicht zurück, bevor du nicht mit Eva Klartext gesprochen hast. Sprich sie auf Adam Wahlberg an, der diese verbotenen Experimente in der Klinik durchführt. Auf all die schrecklichen Ereignisse, die hier passiert sind, seit sie dich nach Schweden gelockt hat. Auf die Versuchskaninchen in den widerwärtigen Sanctum-Zentren. Sie kann sich ihre verfluchte Reportage in den Hintern schieben. Das machst du erst, danach kannst du heimkommen.«

Er räusperte sich, doch davon bekam er einen Hustenanfall.

»Okay, das werde ich tun. Versprochen«, sagte er, als er wieder reden konnte.

Dann begann er noch einmal zu weinen. Ich hörte nur sein Schluchzen. Es war kaum auszuhalten. Ich musste an sein Lachen denken, an die Bewegung seiner Schultern, wenn er sich über mich beugte, um mich zu küssen, und auch an seinen Duft. Trotz all der Geschehnisse war er in jeder Sekunde präsent. Wie sehr ich mich auch bemühte, ihn aus meinem Kopf zu streichen, er fand immer wieder einen Weg zurück. Und auch wenn ich nicht erleichtert darüber sein wollte, dass er Eva nicht geküsst hatte, so war ich es doch ganz besonders. Ihn so traurig zu hören, war, wie gepeitscht zu werden. Am liebsten hätte ich mich auf dem Boden zusammengekauert. Denn das Letzte, was ich wollte, war, ihn zu quälen. Doch er musste aufwachen. Eine Alternative gab es nicht.

In der Leitung war nun wieder Ednas Stimme zu hören.

»Ihr habt seine Stimmung nicht gerade verbessert.«

»Wir haben ihm nur die Wahrheit gesagt. Und du wirst jetzt immerhin Eva Sand los.«

Es dauerte einen Moment, dann sagte sie: »Du fehlst mir, Alex.«

»Du fehlst mir auch, sehr sogar. Ich hoffe, dass alles bald wieder normal wird.«

Dann beendeten wir das Telefonat, und Dani kam aus dem Schlafzimmer.

»War Carl am Telefon? Wie lief das Gespräch?«

»Er kommt zurück. Alles andere erzähle ich dir morgen. Brett hat ihn über den Anschlag aufgeklärt. Du siehst ganz müde aus, Dani, geh doch ins Bett.«

»Du auch.«

»Gleich. Erst muss ich noch was erledigen.«

»Was denn?«

»Ich muss mich mal ganz in Ruhe hinsetzen und nachdenken. Wir brauchen einen Plan.«

Sie wollte schon widersprechen, ihr Mund öffnete sich, doch dann ließ sie es sein.

»Wenn jemand dazu in der Lage ist, dann du«, sagte sie schließlich.

Ich ging zu ihr und nahm sie in die Arme. Dani hatte einen ganz besonderen Duft. Und damit meine ich nicht ihr Shampoo, Deo oder Parfüm, sondern den Duft ihrer Haut. Sie roch leicht blumig.

»Du … Alex«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass ich heute so hysterisch geworden bin. Wenn so was passiert, dann kommen die Flashbacks von der Zeit bei der Sekte. Weißt du, was in all den Monaten das Schlimmste war? Jeden Morgen, wenn ich in der Krypta aufgewacht bin, war ich einen kurzen Moment lang frei. Da habe ich geglaubt, ich bin zu Hause, bei dir. Es hat immer einen Augenblick gedauert, bis ich wieder wusste, wo ich mich wirklich befand. Das war, als würde ich dich jedes Mal neu verlieren. Und wenn jetzt schlimme Dinge passieren, dann fühle ich mich immer daran erinnert.«

»So war das in der Sanctum-Klinik auch. Ich bin nur ein paar Tage dort gewesen, aber wenn ich aufgewacht bin und gemerkt habe, wo ich war, gingen meine ersten Gedanken zu dir und Carl. Das Wichtigste war für mich, euch beide wiederzusehen. Du musst dich nie bei mir entschuldigen.«

Als Dani wieder ins Schlafzimmer hinübergegangen war, hörte ich einen Signalton von meinem Laptop. Das war Michael Parks, der versuchte, mich per Skype zu erreichen. Ich nahm das Gespräch an und berichtete ihm in kurzen Zügen von den Ereignissen des Tages.

»So kann das nicht weitergehen«, sagte er. »Das ist ja schrecklich. Kannst du überhaupt sprechen? Sonst rufe ich später noch mal an.«

»Nein, alles gut. Was wolltest du denn?«

»Ich habe gerade mit einem der IT -Jungs gesprochen, die ein bisschen für mich spionieren. Und er hat etwas unglaublich Faszinierendes entdeckt. Du wirst begeistert sein.«

»Leg los.«

»Die Gewinne, die Sanctum macht, gehen an eine Stiftung, die Hawk Eye heißt, und die zum Ziel hat, wohltätige Projekte finanziell zu unterstützen. Zum Beispiel Gelder für die Forschung im Bereich nicht heilbarer Erkrankungen bereitzustellen. Aber ich glaube, dass sie das Geld bloß waschen und es in Wirklichkeit in die eigene Tasche stecken. Dough Marwood ist im Vorstand. Adam Wahlberg auch.«

Mein Herz machte einen kleinen Satz. Dough Marwood war ein Gründungsmitglied der Wächter des Wanderfalken . Er hatte sich nicht in Schweden aufgehalten, als wir Dani befreit hatten, deshalb konnte er nicht bestraft werden.

»Meine Güte! Sag mir nicht, dass du tatsächlich weißt, wer Marwood ist?«

»Ja, soweit ich weiß, war er ein Gründungsmitglied der Sekte, die ihr die Wächter des Wanderfalken nennt.«

»Wir müssen unbedingt rauskriegen, was sie mit dem Geld anstellen.«

»Das werden wir auch, aber dafür brauchen wir noch ein bisschen Zeit. Solche Typen wissen ganz genau, wie man Geldwäsche und kriminelle Aktivitäten vertuscht. Aber sie verachten alle, die schwach und hilflos sind – zum Beispiel würden sie sich nie dazu herablassen, einem Junkie zu helfen. Wir sind also auf der richtigen Spur. Ich melde mich morgen wieder.«

Nach dem Gespräch wusste ich, dass ich keine Chance hatte einzuschlafen. Durch meinen Kopf schwirrten allerhand Gedanken, die sich in Albträume verwandelten. Brett lag auf dem Sofa, er hatte die Kleider noch an und schlummerte schon tief und fest. Das Mondlicht, das durch das Fenster fiel, erhellte sein Gesicht. Wie er es bloß mit uns aushielt? Der arme Brett, eigentlich war er doch so eine Frohnatur. Jetzt sah er ganz ernst aus, sogar im Schlaf.

Ich zog Jacke und Schuhe aus, schlich aus dem Haus und schloss die Tür ganz, ganz leise, um Brett nicht zu wecken.

Steve hatte schon Verstärkung angefordert, und ich sah einen neuen Wachmann auf dem Rasen stehen.

»Ich geh nur kurz runter ans Meer«, sagte ich. »Bisschen frische Luft schnappen.«

Der Wachmann lächelte und nickte. Die Luft war zwar schon kühl, aber trotzdem sah ich kleine Nachtfalter in der Straßenbeleuchtung funkeln. Der Wind flüsterte in den Zypressen. Bald würden die starken Regenfälle einsetzen, und danach würde alles satt grün werden. Am Strand war es menschenleer. Nicht einmal ein Vogel war zu sehen, nur dieser unendliche Sandstrand, die Seegrasränder und das schwarze Meer, ruhig vor sich hinplätschernd. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, der an den Strand gespült worden war.

Endlich war es ganz still. Und jetzt konnte ich nachdenken.

Ich blickte zum Mond hinauf und bat ihn: Bitte, hilf mir, eine Lösung zu finden, bevor wir hier noch alle durchdrehen . Jede Zelle meines Körpers schrie nach einem Ausweg. Mein erster Instinkt war, mich zu zwingen, die richtige Lösung zu finden, doch dann hörte ich eine innere Stimme, die mich aufforderte, ganz entspannt zu sein, denn die Antwort würde von ganz allein kommen. Vielmehr war sie schon da, ich sah nur den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich wusste, dass es sie gab, zum Greifen nah. Das Kunststück bestand darin, die richtige Perspektive einzunehmen. Die Frage war nicht: Wie können wir uns vor ihnen verstecken? Sie lautete eher: Was können wir unternehmen, damit sie aufhören, uns zu verfolgen?

Da kamen mir Michaels Worte wieder in den Sinn.

Aber sie verachten alle, die schwach und hilflos sind.

Ich spürte, wie all das, was so verworren erschien, sich wie von selbst enthedderte, sich in Rauch auflöste und säulenförmig zum Himmel stieg und verschwand.

Konnte es tatsächlich so einfach sein?

Mit einem Mal wusste ich, wie ich der Jagd auf Erik ein Ende bereiten konnte.