Langsam schlängelte sich das Taxi durch den dichten Verkehr in Richtung Flughafen. Dani und ich saßen hinten, zwischen uns Erik im Kindersitz.
»Dann ist sie also wirklich beim Geheimdienst«, sagte ich wohl schon zum hundertsten Mal.
»Erst ist sie stationär in einer Sanctum-Klinik, und jetzt arbeitet sie plötzlich für die«, sagte Dani. »An der Sache ist doch irgendwas faul.«
»Sie hat Carl erzählt, sie sei eine Agentin.«
»Als Drogenabhängige? Alex, das kann nicht sein.«
»Aber Geheimdienstagenten können vielleicht auch abhängig werden?«
»Die Karriere eines Spions nach der geschlossenen Psychiatrie? Einfach so? Nie im Leben.«
Mein Handy gab einen Ton von sich: eine Nachricht von Amanda. Aber bevor ich dazu kam, die SMS zu lesen, klingelte es, auf dem Display war ihre Nummer zu lesen. Ich nahm ab.
»Hallo Alex, sitzt du?«
»Ja, ich bin grad im Taxi und fahre zum Flughafen, warum?«
»Ich habe dir ein Bild geschickt, schau dir das mal an. Aber vorher eines noch: Das Geld, das Axel Tynell überwiesen hat, ging auf Eva Sands Konto. Keine große Summe. Kommt mir eher wie ein Taschengeld vor. Aber jetzt schau dir mal das Bild an. Da siehst du Eva Sand, die Patientin, die in der Sanctum-Klinik stationär behandelt worden ist.«
»Amanda, wie kriegst du so was raus?«
»Meine Mädels haben sich in die Computer von Sanctum eingehackt. Aber kein Sterbenswörtchen darüber. Zu niemandem!«
Ich sah nun auf das Bild, eine Nahaufnahme, möglicherweise ein Passfoto. Die Frau hatte denselben Haarschnitt wie Eva Sand, einen Bob, dieselben hellblauen Augen, sie sahen sich ähnlich, aber es war dennoch nicht die Person, die ich als Eva Sand kennengelernt hatte. Die Frau auf dem Foto hatte nicht Evas markante, androgyne Gesichtszüge. Sie wirkte wesentlich unauffälliger.
Dani war auch neugierig geworden und betrachtete das Foto, dann warf sie sich in den Sitz zurück und schlug sich die Hände auf die Stirn.
»Oh nein!«, rief sie.
Ich schaltete den Lautsprecher ein, damit Dani mithören konnte.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte ich Amanda.
»Das ist nicht die Eva Sand, die bei Carl ist, oder?«
»Nein, das ist sie nicht.«
»Dann sieht es ganz so aus, als hätte sie die Identität dieser Frau gestohlen.«
»Glaubst du, dass der Geheimdienst seinen Agenten mit solchen Mitteln hilft?«
»Ist das dein Ernst? Ich glaube kaum, dass der Geheimdienst Identitäten von Drogenabhängigen kapert. Es wird unheimlich. Sollten wir Carl vielleicht warnen?«
»Am Telefon?«, fragte ich skeptisch. »Eva wird ihn nicht aus den Augen lassen. Er telefoniert gern mit Lautsprecher, wenn er das Handy benutzt. Stell dir vor, sie hört zu.«
»Bei uns ist bald Nacht«, sagte Amanda. »Besser, wir warten bis morgen. Wann seid ihr da?«
»Wir landen morgen gegen neunzehn Uhr Ortszeit.«
»Ruf ihn an oder schreib ihm eine Nachricht, dass du ihn unter vier Augen sprechen möchtest, sobald du angekommen bist. Bis dahin hab ich vielleicht schon neue Informationen für dich.«
»Glaubst du nicht, dass ihm Eva Sand etwas antun könnte?«
»Dann hätte sie es längst getan. Als ich sie auf der Silvesterparty kennengelernt habe, schien sie völlig fixiert auf ihn zu sein. Stürmisch verliebt, würde ich sagen.«
»Danke Amanda, dass du uns hilfst.«
»Keine Ursache, aber ich mache mir langsam ernsthaft Sorgen um euch. Ich melde mich bald wieder.«
Unser Flieger sollte von San Francisco um drei Uhr nachmittags starten und am nächsten Tag um achtzehn Uhr in Kopenhagen landen. Mit Zwischenstopp in Frankfurt.
»Wo wollen wir eigentlich übernachten?«, fragte ich Dani. »Carl möchte bestimmt, dass du bei ihm in der Wohnung bleibst.«
»Nein, er muss verstehen, dass ich das nicht will. Und die Schlange hat sich bestimmt das Gästehaus unter den Nagel gerissen. Dann schnappen wir uns die Jagdhütte.«
»Gut. Schreib ihm das einfach. Und teil ihm mit, dass du ihn allein treffen möchtest, wenn wir kommen. Wenn wir in der Luft sind, versuche ich zu schlafen. Ich hoffe, Erik tut das auch. Ich bin hundemüde.«
»Ich kann mich auch um Erik kümmern. Aber du musst jetzt dein Hirnschmalz für uns beide benutzen. Ich habe das Gefühl, in der letzten Zeit habe ich viel zu viele graue Zellen verbraucht. Mein Kopf fühlt sich wie ausgehöhlt an.«
Ich schickte Carl eine SMS , in der ich schrieb, ich wolle in der Jagdhütte wohnen und ihn allein treffen, sobald wir angekommen wären.
Der Stau hatte sich aufgelöst. Das Taxi bog auf die Straße zum Flughafen ein. Es hatte die ganze Nacht lang geregnet, und jetzt nieselte es immer noch. Der Wind hatte zugenommen, er schleuderte die Wassertropfen auf unsere Windschutzscheibe. Ich starrte auf die konturenlose, graue Landschaft da draußen. Häuser, komplett in Wolken verhüllt, Bäume, die sich vor dem Wind duckten, und Hunderte von Scheinwerfern, die sich vorwärtsbewegten, stoppten und schließlich weiterrollten.
Mitten in diesem Wintermatschwetter sehnte ich mich nach dem warmen Herbst, der hinter uns lag. Ich erinnerte mich an einen Sonnenuntergang am Meer, wo ich mit dem Kopf an Carls Brustkorb gelehnt dalag und seinem schweren, gleichmäßigen Herzschlag lauschte. An die Nacht in Big Sur, wo wir zum letzten Mal richtig guten Sex miteinander gehabt hatten. Manchmal glaube ich, ich bin so wahnsinnig verliebt in dich, dass du mein Untergang sein wirst.
Wäre ich nicht in Carls Leben eingefallen, wäre er niemals in diesem Karussell gelandet. Er wäre bestimmt auch glücklich gewesen und hätte hin und wieder eine Beziehung zu einer Frau, die er interessant fand, gehabt. Keine Todesdrohungen. Keine Brandanschläge. Keine Eva Sand. Ich war wie ein Wirbelsturm, der sein Leben durcheinandergebracht und alles auf den Kopf gestellt hat. Jetzt würde ich Carl bald wiedersehen, und dann wollte ich alles richtigmachen. Keine voreiligen Beschlüsse. Keine riskanten Unternehmungen. Ich durfte auf keinen Fall die Nerven verlieren und alles wieder kaputtmachen. Also brauchte ich noch mehr Beweise, bevor ich ihn mit den neuen Erkenntnissen konfrontierte. Noch immer gab es zu viele Ungereimtheiten, ich musste ihn aber überzeugen. Nicht einmal jetzt, da Michael Parks die Polizei einschalten wollte, war ich mir ganz sicher. Das alles brauchte Zeit, und mit Blick auf Eva Sand war die Zeit knapp. Das spürte ich ganz deutlich.
Ich sah, dass Carl schon auf meine SMS geantwortet hatte.
Ich hab gehofft, du wohnst bei mir, aber ich kanns verstehen. Und danach ein Tränensmiley. Fast tat er mir leid, doch ich traute mich nicht, ihn zu warnen. Alles, was ich schrieb, konnte auch bei Eva landen. Sie war irgendwo in seiner Nähe und schnüffelte sicher auch in seinem Handy herum.
Nein, ich wohne lieber in der Jagdhütte.
Die Antwort kam postwendend.
Okay. Kümmere mich drum. Freu mich so auf dich. Freu mich irre. Dann viele rote Herzen. Als ließe sich die Kluft zwischen uns mit ein paar lächerlichen Symbolen überbrücken.
Dani war inzwischen an meiner Schulter eingenickt. Jetzt standen wir kurz vor dem Eingang des Flughafenterminals.
Vorsichtig rüttelte ich an Danis Arm.
»Aufwachen, wir sind da.«
Sie blickte etwas verwirrt auf, bevor sie wieder wusste, wo sie war.
»Sobald wir durch die Sicherheitskontrollen durch sind, holen wir uns bei Starbucks einen Espresso«, sagte ich. »Ich kann verstehen, dass du müde bist. Danke noch mal, dass du mitkommst.«
»Ich würde alles für dich tun«, bekräftigte sie schlaftrunken.
Dann hob sie Erik aus dem Kindersitz, während ich die Fahrt bezahlte. Erik jauchzte fröhlich, ihm schien das Reisen zu gefallen.
Ich hatte schon befürchtet, dass wir erst mit Verspätung abfliegen würden, doch der Flug war pünktlich. Dani schnallte Erik in einem eigenen Kindersitz an. Erstaunlicherweise schlief er fast auf der Stelle ein. Und kaum hatten wir unsere Gurte geschlossen und uns aneinandergelehnt, fielen auch wir in den Schlaf. Wir müssen wie siamesische Zwillinge ausgesehen haben, im Schlaf aneinandergeschweißt. Mich holten all die vergangenen, schlaflosen Nächte ein. Mehrere Stunden lang schlief ich tief und fest. Dann träumte ich, doch die Bilder kamen mir so fremd vor, wie aus einem anderen Leben. Ein Traum kehrte immer wieder zurück. Ein altes Haus, die Wände voller Gemälde. Antiquitäten. Ein Mann, der neben mir ging und mich leicht am Ellenbogen berührte. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber das ungute Gefühl, das er in mir weckte, spürte ich deutlich. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart unwohl, wollte am liebsten weg von dort.
Mehrmals erwachte ich, fiel dann jedoch vom leichten Surren des Flugzeugs immer wieder in den Schlaf. So hoch in der Luft zu sein, hatte etwas Besonderes. Alles Leid war so fern. Hier oben schien das Gedächtnis viel wacher zu sein. Bei mir meldete es sich im Traum.
Eine Stewardess weckte uns vorsichtig und servierte uns Brote in Zellophanfolie, Joghurt und Kaffee. Durchs Fenster sah ich den Himmel rot werden. Bei unserer Ankunft in Schweden würde es schon wieder dunkel sein. Erik wachte auf und quengelte, aber Dani hatte bereits ein Fläschchen fertig, das er in einem Zug trank.
»Ich erinnere mich an etwas, das ich nicht richtig zu greifen kriege«, sagte ich zu Dani. »Ich weiß, dass ich Eva Sand schon mal irgendwo gesehen habe. Aber warum kann ich mich nicht erinnern, wo das gewesen ist? Sonst habe ich mit so etwas doch nie Probleme.«
»Vielleicht ist es eine unangenehme Erinnerung, etwas, das du verdrängst. Oder es könnte auch noch was anderes sein …«
»Was meinst du?«
»Hast du schon mal was von Gegen-den-Strich-Denken gehört?«
»Nein, was soll das sein?«
»Zusammengefasst könnte man sagen, dass man dabei ein Problem aus einer neuen Perspektive betrachtet. Durch Gegen-den-Strich-Denken lassen sich ganz unerwartet einfache Lösungen für komplizierte Probleme auftun. Du hast das Gefühl, Eva Sand ist dir schon mal über den Weg gelaufen. Eigentlich kannst du dich auf dein Gedächtnis verlassen. Trotzdem erinnerst du dich nicht. Das klingt doch irgendwie unlogisch, oder? Vielleicht war es gar nicht sie, sondern jemand, der ihr ähnlichgesehen hat, oder der dich an sie erinnert?«
»Aber es sind ihre Augen, an die ich mich erinnere, da bin ich mir fast sicher …«
»Und sind mit diesen Erinnerungen Gefühle verknüpft?«
»Ja, ich würde sagen, so was wie Ekel und vielleicht auch Schamgefühle.«
»Erzähl mal mehr. Jedes noch so kleine Detail kann wichtig sein.«
»Es gibt eigentlich nur einen einzigen Menschen, der mich zu so was …«
Mir blieben die Worte im Hals stecken, als mich die Erkenntnis wie der Schlag traf.
Dani beugte sich vor und starrte mich an.
»Sag schon, Alex, was denkst du gerade?«
Mit einem Mal wuchsen die kleinen Worte zu etwas Riesigem an, das mich in Todesangst versetzte. Ekel . Scham. Und Erniedrigung. Ich spürte ein seltsames Vibrieren in der Magengegend.
Jim!
Die Flugzeuggeräusche kamen mir mit einem Mal kilometerweit entfernt vor. Vor meinem inneren Auge rauschte eine Bilderflut vorbei und zeigte mir den ersten und letzten Besuch bei Jims Eltern auf ihrem Gutshof in der Nähe von Lund. Ich graulte mich vor dem alten Haus. Jims Vater war neben mir gegangen, hatte mich mit einer leichten Berührung am Ellenbogen ins Wohnzimmer geleitet. Verzweifelt versuchte mein Hirn, die Bilder scharf zu stellen, und blieb an etwas hängen. Einem Gemälde?
Einem Foto!
Ich hatte Jim darauf angesprochen und ihn nach der Frau auf dem Bild gefragt.
Eine jüngere Schwester, die im Ausland lebt. Wir haben nicht viel Kontakt.
Es war ein Familienporträt. Die Frau in der Mitte hatte braunes, langes Haar und dunkle Augen. Aber das Gesicht! Bei einem solchen Gesicht täuscht man sich nicht.
Aus einem primitiven Impuls heraus hätte ich fast laut losgeschrien. Mein Mund wollte sich öffnen, aber ich presste die Lippen aufeinander, ich musste mich furchtbar anstrengen.
»Oh mein Gott! Das darf nicht wahr sein!«, rief ich stattdessen, immerhin noch so laut, dass ich die Blicke einiger Passagiere auf mich zog. Der Kaffee in meinen Händen schwappte über und verbrannte mir die Finger.
»Was ist los mit dir, Alex?«, fragte Dani.
Ich hatte Mühe, klar zu denken, mir begreiflich zu machen, was das zu bedeuten hatte.
»Sie ist Jims Schwester.«
»Wer?«
Dani nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie auf den Klapptisch.
»Eva ist Jims Schwester. Wie konnte ich so auf dem Schlauch stehen? Ich habe ein Foto von ihr gesehen, als ich im letzten Herbst bei Jims Eltern zu Besuch war. Jim hat gesagt, dass sie im Ausland wohnt. Da hatte sie zwar dunkles, langes Haar, aber ihr Gesicht war eindeutig das auf dem Foto.«
Dani blieb der Mund offen stehen. Das war ein Schock. Für mich war Jim Zander nur eine Affäre gewesen. Er hatte sich in mein Leben eingenistet, während er Dani in der Krypta gefangen hielt. Sein Plan war, mich als eine Art Reserve im Auge zu behalten, für den Fall, dass Dani nicht schwanger würde. Ich schämte mich heute noch, weil er mir so viel vorgaukeln konnte, aber ich kannte nur seine Schokoladenseite.
Für Dani war er der Teufel in Person gewesen. Er hatte sie gefoltert, vergewaltigt und unterworfen. In den langen, finsteren Nächten in der Gefangenschaft, als sie einsam war und Angst hatte, hatte ihr Schicksal in seinen Händen gelegen. Er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sie daran zu erinnern. Noch immer kam es vor, dass sie nachts im Schlaf leise weinte. Dann wusste ich, dass Jim gerade durch ihre Träume geisterte. Nicht selten fragte ich mich, wie Dani so gut klarkam, aber ich wusste, dass sie alles tat, um sich nicht an diese schrecklichen Monate in der Gewalt der Sekte erinnern zu müssen. Wenn sie sich erlaubte, ihren Gefühlen nachzugehen, würde der Damm brechen, den sie innerhalb eines Jahres mühsam aufgebaut hatte. Auf die Art konnte sie ihre Gefühle unter Kontrolle halten, in einer kleinen Kiste im hinterletzten Winkel ihrer Seele verstaut und fest verschlossen halten. Aber jetzt kamen wir wieder an den Ort, wo alles begonnen hatte, zurück zu dieser schönen Mittsommernacht, nach der unser Leben nicht mehr dasselbe war. Und der Grund dafür hieß Jim.
»Bist du dir sicher? Hundertprozentig?«, fragte sie.
»Ja, absolut.«
»Du kannst dich nicht irren?«
»Ich habe alles, was ihn betrifft, verdrängt, und du weißt doch, dass ich sonst ein gutes Gedächtnis habe. Sie ist es.«
»Könnte es vielleicht sein, dass Eva Sand Jims Schwester auf diesem Foto nur ähnlichsieht ?«
»Nein, Dani. Ich bin mir wirklich ganz sicher. Und Eva Sand hat doch auch Ähnlichkeit mit Jim, wenn du mal überlegst … sie haben genau den gleichen Blick. Intensiv und leicht überheblich.«
»Ja, das stimmt«, sagte sie.
»Vielleicht hatten Jim und sie ein enges Verhältnis zueinander, wer weiß das schon? Vielleicht will sie sich an dir rächen, weil du ihn umgebracht hast.«
»Und das Material, das sie Carls Worten zufolge gesammelt hat?«
»Das kann alles gefakt sein, um Carl zu linken. Die Bitch bekommt ihr Geld von der Sekte. Sie ist Jims Schwester und hat die Identität einer Drogenabhängigen gestohlen. Was müssen wir sonst noch wissen?«
Meine Stimme war inzwischen eine Oktave höher als normalerweise und drohte zu brechen. Ein paar Mitreisende sahen uns besorgt an.
Dani beugte sich vor und vergrub den Kopf in den Händen. Erst dachte ich, dass sie weint, aber ihre Augen waren trocken, als sie wieder aufsah.
»Was für ein Minenfeld!«
Da erklang über den Lautsprecher die Stimme des Kapitäns. In dreißig Minuten würden wir in Frankfurt landen.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie mich.
»Sobald wir gelandet sind, verständigen wir Amanda. Ich weiß nicht, wie Jims Schwester mit Vornamen heißt, ich kenne nur die Namen der Eltern. Aber Amanda wird viel schneller mehr herausfinden, als wir etwas recherchieren können.«
»Du hast von Anfang an gespürt, dass mit ihr etwas nicht stimmt, Alex. Und du hast recht behalten.«
Die Landung in Frankfurt ging fast an mir vorbei. Ich hatte Angst, dass uns auf dem letzten Stück, so kurz vor Schweden, noch irgendetwas aufhalten könnte. Dass der Flug von Frankfurt nach Kastrup verspätet wäre. Dass in Schweden Schneechaos herrschte und die Züge nicht über die Öresundbrücke fahren konnten. Ich hatte völlig vergessen, vor dem Abflug das Wetter zu checken.
»Jetzt musst du dich ein bisschen beruhigen«, sagte Dani. »Ruf doch Carl an, wenn du dir solche Sorgen machst.«
»Sorgen machen ist gut gesagt. Ich habe eine Scheißangst. Also ist es vielleicht eine gute Idee, ihn anzurufen.«
Doch irgendetwas hielt mich davon ab. In ein paar Stunden waren wir vor Ort. Doch im Augenblick war Eva bei Carl. Ich musste ihn unbedingt alleine sprechen.
Als wir die Passkontrolle hinter uns hatten, war noch eine knappe Stunde Zeit bis zum Abflug. Auf dem Weg zum Gate rief ich Amanda an. Sie ging nicht ran, aber keuchend hinterließ ich ihr eine Nachricht auf der Mobilbox.
Mir ist gerade wieder eingefallen, wer sie ist. Jim Zanders Schwester. Um die dreißig. Die Eltern heißen Ernst und Elisabeth Zander. Wir brauchen jede Info, die du kriegen kannst. Es ist dringend. Bitte, hilf uns!
Dani war still. Ausnahmsweise sprachen wir kaum miteinander. Ich wollte den Namen Jim nicht erwähnen, um die schrecklichen Erinnerungen nicht zu wecken. Schuldgefühle überwältigten mich, und Erik brauchte seine Mutter. Ich wollte Dani nicht in etwas Gefährliches hineinziehen.
Auf dem Flug von Frankfurt nach Kopenhagen war sie vollkommen abwesend, saß nur da und kaute auf der Nagelhaut herum.
»Du, Dani«, sagte ich. »Das, was vor einem Jahr passiert ist, kann uns heute nichts mehr anhaben. Sie ist vielleicht Jims Schwester, aber sie ist nicht Jim.«
Dani nickte, sah aber immer noch weg.
»Jim ist tot. Er wird nie wieder auftauchen«, sagte ich behutsam.
Sie drehte sich zu mir um und sah mich eiskalt an.
»Ach ja, das sagst du mir? Glaubst du, ich weiß das nicht? Ich hab ihn doch selbst erschlagen.«
Dann beruhigte sie sich allmählich wieder.
Kaum dass wir unsere Koffer vom Gepäckband geholt hatten, schrieb ich Carl wieder eine SMS .
Sind gleich im Zug nach Lund. Möchte dich unbedingt ALLEIN sprechen, wenn ich ankomme.
Der Rückruf von Amanda kam, als wir noch im Zug saßen, kurz vor Lund. Ihre Stimme war gedämpft, betont leise.
»Sitzt ihr?«, fragte sie noch einmal.
»Das ist das zweite Mal, dass du das heute fragst. Ja, wir sitzen jetzt im Zug.«
»Es ist besser, wenn ihr sitzt, wenn ihr den Artikel lest, den ich dir gerade geschickt habe.«
Mein Handy gab einen Ton von sich. Ich öffnete die SMS . Während ich sie las, hielt ich immer wieder die Luft an. Die Wörter flossen ineinander, wurden kurz lesbar, dann verschwammen sie wieder. Dani lehnte sich zu mir und las, den Kopf an meiner Schulter. Ich sah, wie sie sich die Hand vor den Mund schlug, hörte, wie sie nach Luft rang.
Ich schluchzte auf. Mir schossen die Tränen in die Augen. Aus dem Schluchzen wurde ein verzweifelter Schrei.