17. September, nachmittags halb drei in Niederhaibach
Meine Frau hat ihre Freundinnen zum Sonntagnachmittagskaffee eingeladen. Das ist für mich die Zeit, in der ich mich aus dem Staub mache. Daher rufe ich den Leitner Xaver an, ob er mit mir in den Biergarten geht. Natürlich stimmt er sofort zu. Kein Wunder, immerhin ist seine Frau bei meiner Rosi eingeladen.
„Ich bin dann mal weg“, sage ich zu meiner Frau, die gerade in der Küche am Werkeln ist.
Nach Möglichkeit möchte ich schon weg sein, wenn die Horde Frauen hier auftaucht.
„Wo gehst du denn hin?“, hakt sie nach.
„Ich treffe mich mit dem Xaver“, antworte ich ihr.
„Kannst du mir vorher noch ein paar Flaschen Wasser aus dem Keller holen?“, ruft sie mir hinterher, obwohl ich schon fast bei der Haustür bin.
Es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich wäre dem Arbeitsauftrag entgangen. Nun jedoch bleibt mir nichts anderes übrig, als in den Keller zu gehen und meiner Frau noch ein paar Flaschen Wasser zu bringen.
„Aber mein Knie macht beim Treppensteigen Probleme.“
Dies ist ein Versuch ihrer Bitte zu entkommen. Vielleicht habe ich ja Glück und sie ist gnädig mit mir.
„Du bewegst dich zu wenig. Um Arthrose entgegenzuwirken muss man die Gelenke schonend bewegen. Gleich morgen machen wir eine Radtour“, beschließt sie.
Das war dann wohl ein Schuss ins Knie. Jetzt kann ich mich morgen abstrampeln. Wieso habe ich nicht einfach meinen Mund gehalten und bin in den verfluchten Keller gegangen? Seufzend hole ich die Wasserflaschen, denn meine Frau hat mir gerade gesagt, dass ich trotz meiner Knieschmerzen das Gelenk bewegen muss. Also sind weitere Diskussionen verschwendete Energie.
Als ich in die Küche komme und die Wasserflaschen auf der Arbeitsfläche abstelle, wirft Rosi mir einen zufriedenen Blick zu.
„Dann fahren wir gleich morgen früh los. Du wirst sehen, die Bewegung tut dir gut“, sagt sie.
„Ganz sicher“, murmle ich wenig begeistert.
Bevor meiner Frau noch mehr unangenehme Dinge einfallen, mache ich mich lieber aus dem Staub. Ich steige ins Auto und mache mich auf den Weg zu Xaver. Er wartet schon vor dem Haus. Wie es aussieht kann er es auch kaum erwarten ein kühles Getränk unter einem schattenspendenden Baum zu genießen.
„Wo bleibst du denn?“, fragt Xaver, als er ins Auto steigt.
„Meine Frau hatte noch einen Auftrag für mich und weil ich gewagt habe zu widersprechen, muss ich morgen mit meiner Frau eine Radtour machen“, erzähle ich ihm.
Er verzieht mitfühlend das Gesicht.
„Du Armer.“
„Ich hätte einfach mein schmerzendes Knie nicht erwähnen dürfen“, murmle ich. „Dabei habe ich gedacht, dass sie ein bisschen Mitleid zeigen würde. Stattdessen hat sie mich zu Bewegung verdonnert. Sie behauptet es würde gegen meine Knieschmerzen helfen.“
Xaver zieht seine Augenbrauen nachdenklich in die Stirn.
„Das hat aber der Arzt zu mir auch schon einmal gesagt“, stimmt er meiner Frau zu.
Bin ich jetzt im falschen Film?
Seit wann ist mein Freund auf der Seite meiner Frau?
„Das ist doch völlig kontraproduktiv. Ich habe die Schmerzen doch nicht umsonst. Mein Körper will mir damit bestimmt sagen, dass ich mich ruhig halten und das Knie so wenig wie möglich bewegen soll“, erwidere ich.
„Das meint man nur. Aber die Produktion der Gelenkschmiere wird nach wissenschaftlichen Erkenntnissen durch Bewegung angeregt“, entgegnet Xaver, als würde er gerade aus einer Ärztezeitung vorlesen.
Irritiert werfe ich ihm einen Seitenblick zu und schüttle den Kopf.
„Sieh mich nicht so an! Meine Frau war letzte Woche beim Arzt, weil ihre Knie auch Probleme machen. Sie hat mir natürlich ausführlich erklärt, was der Arzt ihr geraten hat. Ich bin jetzt quasi ein Profi auf diesem Gebiet.“
„Und jetzt nervst du mich mit dem Zeug“, sage ich vorwurfsvoll. „Mir reicht es schon, dass mich meine Frau mit ihrem Gesundheitsgeschwafel wahnsinnig macht.“
Er verkneift sich nur mit wenig Erfolg ein Lachen, als ich den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Biergarten abstelle. Vor dem Zugang zum Biergarten stehen auch viele Fahrräder. Offensichtlich gibt es wirklich eine Menge Leute, die diesem Radfahren etwas abgewinnen können.
Gerade kommen wieder vier Radler an. Sie sind vermutlich besser ausgestattet als so mancher Tour de France Fahrer. Ich weiß ja nicht, was man diesen engen Radlerhosen abgewinnen kann.
Zu allem Überfluss schnappen die vier uns auch noch den letzten freien Schattenplatz weg. Nun bleibt nur noch ein kleiner Tisch in der Mitte des Biergartens, bei dem nur ein kleiner Teil im Schatten liegt.
„Hier ist ja heute verdammt viel los“, brumme ich und halte noch Ausschau nach einem besseren Tisch.
Leider sind alle anderen Schattenplätze schon besetzt. Daher bleibt uns gar nichts anderes übrig, als den einen zu nehmen. Vor allem, da schon wieder Leute in den Biergarten kommen. Wenn wir uns nicht sputen, dann ist der Tisch auch noch weg und uns bleiben nur noch die Sonnenplätze.
Auch wenn es um diese Jahreszeit nicht mehr so heißt ist, wie im Hochsommer, vertrage ich die pralle Sonne nicht lange. Genau in diesem Moment erblicken auch die neuen Gäste den Tisch und ich kann in den Augen der Mittfünfzigerin sehen, wie sie diesen anpeilt. Schnell setze ich mich in Bewegung und lasse mich gewissermaßen auf einen der Stühle plumpsen.
Die Frau wirft mir einen vernichtenden Blick zu und es ist nicht zu übersehen, dass sie diesen Tisch für sich und ihre Begleiter beanspruchen wollte. Ein Glück, dass ich schneller war. Xaver schaut dafür viel zu langsam. Er steht noch immer da und sieht sich um, während wir beinahe den letzten Schattenplatz verloren hätten.
„Einen besseren Tisch bekommen wir wohl nicht“, sagt er schließlich und setzt sich neben mich, denn der Platz mir gegenüber liegt in der Sonne.
„Und den hätten uns beinahe die da drüben weggeschnappt.“
Ich sehe ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er runzelt daraufhin die Stirn. Wie es scheint hat er wohl tatsächlich nichts mitbekommen. Vermutlich ist der Andrang auf diesen Biergarten auch die Ursache, warum so lange keine Kellnerin an unseren Tisch kommt.
„Ich glaube die wollen uns verdursten lassen“, knurrt Xaver, dem die Warterei offensichtlich auch mächtig gegen den Strich geht.
Als die junge Bedienung an uns vorbeirauscht bin ich nicht schnell genug, um sie zu fragen, ob sie uns etwas zu trinken bringt. Bevor ich sie aufhalten kann, ist sie auch schon wieder weg. Wie es scheint ist sie ziemlich in Eile. Es ist vermutlich wie überall. Gutes Personal ist schwer zu finden.
„Der Biergarten war wohl doch keine so gute Idee“, sagt Xaver seufzend. „Wir hätten lieber bei mir auf der Terrasse eine Halbe trinken sollen.“
„Wer konnte schon ahnen, dass wir hier auf dem Trockenen sitzen müssen.“
„Wenn ich du wäre, würde ich mir morgen bei eurer Radtour genug zum Trinken mitnehmen. Stell dir vor du kommst völlig ausgetrocknet bei einem Biergarten an und dann bekommst du ewig nichts.“
Xavers guter Rat lässt mich innerlich seufzen. Mit dem Gedanken mich morgen abstrampeln zu müssen, habe ich mich noch nicht angefreundet. Aber dem werde ich wohl nicht entkommen. Ich glaube kaum, dass meine Frau Erbarmen zeigen wird.