18. September, nachmittags halb zwei ein paar Kilometer von Niederhaibach entfernt
Mit Hansi ist die Fahrt viel entspannter. Er lässt es beim Sport auch gerne langsam angehen, was mir sehr gelegen kommt.
„Gibt es auf dem Weg ein Restaurant, wo wir was essen können?“, fragt er nach einer Weile.
Ich würde es meiner Frau natürlich nie sagen, aber eine Radtour mit Hansi gefällt mir um einiges besser. Er legt genauso viel Wert aufs Essen wie ich. Auch für ihn steht bereits nach einer kurzen Fahrt eine Einkehr auf dem Programm. Rosi ist da ganz anders. Bei ihr steht die Bewegung an erster Stelle und nicht der Biergarten.
„Jetzt müsste rechts gleich ein Biergarten kommen. Da habe ich zuvor mit Rosi gefrühstückt. Es war recht schön dort“, schlage ich ihm vor.
„Dann machen wir da eine kurze Pause“, erwidert er. „Ich habe noch nichts zu Mittag gegessen.“
„Gute Idee, ich könnte auch eine Kleinigkeit vertragen“, stimme ich ihm zu.
Immerhin habe ich heute auch noch kein Mittagessen zu mir genommen. Die Weißwürste waren schließlich mein Frühstück und wie jedes Kind weiß, sind drei anständige Mahlzeiten am Tag wichtig für eine gesunde Ernährung.
Keine Ahnung wer meiner Frau den Floh mit dem Intervallfasten ins Ohr gesetzt hat. Aber das ist ja nicht das erste Mal, dass ich von diesem Irrsinn höre. Rosi hat ja schon mehrmals versucht mir Fastenperioden aufzuerlegen. Langsam könnte sie schon wissen, dass ich die sowieso nicht durchhalte.
Tatsächlich sind wir schon nach einer kurzen Fahrt beim Biergarten. Vermutlich weil wir beide stärker in die Pedale getreten haben, als uns klar war, dass ein kühles Radler und etwas zu Essen auf uns wartet.
Wir stellen die Räder ab und ich verkneife mir einen Spruch dazu, wie es aussieht, wenn Hansi auf einem Damenfahrrad unterwegs ist. Immerhin tut er meiner Frau einen Gefallen. Er hätte sich auch weigern können das Rad zu fahren. Wie hätte ich das Rad dann nach Hause gebracht?
„Da ist doch ein schönes Plätzchen“, sagt Hansi und zeigt auf einen Tisch in der hinteren Ecke des Biergartens.
„Ja, den nehmen wir!“, stimme ich ihm sofort zu.
Erneut versuchen andere ankommende Besucher uns den Platz streitig zu machen, denn ich sehe, wie eine junge Frau genau diesen Tisch ins Visier nimmt. Allerdings bin ich nun nicht mit Xaver, sondern dem Hansi unterwegs. Er ist auch ein alter Spürhund, so wie ich, daher erkennt er die Gefahr sofort und legt fast einen Sprint hin. Tatsächlich schafft er es kurz vor der jungen Frau dort anzukommen und sich auf einen der Stühle plumpsen zu lassen.
Die Miene der Frau spricht Bände und obwohl sie Hansi finstere Blicke zuwirft, bleibt dieser wie angenagelt sitzen. Er sieht wohl gar nicht ein, dass er auf den Tisch verzichtet. Warum sollte er auch?
Er war einfach schneller!
„Die hat dir gerade Todesblicke zugeworfen“, informiere ich ihn amüsiert.
„Die hat geglaubt sie könnte uns den Platz streitig machen“, erwidert er.
Dabei zieht er eine Augenbraue in die Stirn und setzt eine siegessichere Miene auf. Ich verkneife mir ein Lachen und lehne mich seufzend zurück. Dabei strecke ich die Beine aus. Mein Hintern schmerzt vom vielen Radfahren und ich bin wirklich froh, wenn ich nicht mehr auf den harten Sattel muss.
Als die Kellnerin kommt und ich meine Bestellung aufgebe, bin ich froh, dass Rosi nicht mehr dabei ist. Nicht, weil ich ihre Gesellschaft nicht genießen würde, es geht lediglich darum, dass sie mir wieder finstere Blicke zuwerfen würde. Vermutlich käme auch die Frage, warum ich mir ein Schnitzel bestelle, wenn ich doch zuvor schon Weißwürste zum Frühstück hatte.
Sie würde nicht verstehen, warum ich jetzt nicht eine gesunde Alternative wähle und das bekäme ich ganz sicher auch zu hören. Aber jetzt muss ich das ausnutzen, denn wer weiß, wann ich wieder die Möglichkeit habe gleich zweimal am Tag etwas Anständiges zu essen. Zuhause gibt es jedenfalls nicht gleich zweimal Wurst- und Fleischgerichte an einem Tag.
Während wir auf die Getränke und das Essen warten, sieht Hansi mich stirnrunzelnd an.
„Das Opfer ist diese Strecke mit Sicherheit regelmäßig um dieselbe Zeit geradelt“, sage er nachdenklich.
„Du denkst der Schütze hat ihn abgepasst“, entgegne ich.
„Du nicht?“, erwidert er.
„Doch, alles sieht danach aus“, stimme ich ihm zu.
Immerhin ist der Schuss vermutlich präzise ausgeführt worden. Ich gehe davon aus, dass der Täter sein Opfer nicht willkürlich ausgewählt hat. Alles an der Tat deutet darauf hin, dass es sich um einen gezielten Anschlag handelte. Entweder es ging um persönliche Streitigkeiten, oder es war sogar ein Auftragsmord.
Auch letzteres sollten wir nicht außer Acht lassen. Immerhin hat der Täter einen tödlichen Schuss abgesetzt und ich glaube nicht, dass dies ein Zufall war. Sicherlich erfahren wir dazu mehr, sobald Frau Sommer und die Kollegen der Spusi mit ihren Untersuchungen fertig sind.
„Ich sage dir, dass dies ein gezielter Mordanschlag war“, sagt Hansi verschwörerisch. „Der Täter hat sich auf die Lauer gelegt und gewartet, bis das Opfer hier vorbeikam. Dann hat er kaltblütig abgedrückt.“
„Vielleicht war es auch ein Auftragsmord“, werfe ich ein.
„Wäre auch möglich“, murmelt er nachdenklich. „Aber bei uns auf dem Land wird doch normalerweise kein Auftragsmord begangen.“
Zustimmend nicke ich. Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass in unserem beschaulichen Ort jemand einen Auftragskiller anheuert. Das hört sich vielmehr nach einem Krimi oder dergleichen an. Aber ausschließen können wir natürlich selbst das nicht.
Als unser Essen kommt, beenden wir die Spekulationen über unseren neuen Fall und genießen die Köstlichkeiten. Manchmal frage ich mich ja selbst, warum ich immer so großen Appetit habe. Andererseits ist es schon einige Stunden her, dass ich die Weißwürste verdrückt habe. Nicht zu vergessen, dass ich dazwischen schon wieder ganz schön viel gestrampelt bin. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass ich wie ein hungriger Wolf über meinen Teller herfalle.
Natürlich esse ich den ganzen Teller leer und auch wenn ich weiß, dass ich von Hansi nichts abbekomme, so wie es manchmal bei meiner Frau der Fall ist, tadelt er mich nicht für meine verfressene Art. Vermutlich auch darum, weil er selbst auch nicht gerade ein spärlicher Esser ist. Er leert seinen Teller ebenfalls bis auf den letzten Krümel und lehnt sich zufrieden zurück, als er fertig ist.
„Wir sollten aufbrechen“, schlage ich vor, als wir unsere Getränke geleert haben.
„Simone wartet sicher schon im Revier auf uns“, erwidert er zustimmend.
„Aber es eilt nicht. Sicherlich hat die neue Gerichtsmedizinerin die Untersuchung noch nicht beendet und die Spusi hat den Bericht bestimmt auch noch nicht fertig.“
Dennoch brechen wir auf. Immerhin müssen wir erst noch die Fahrräder nach Hause bringen, bevor wir dann ins Revier fahren können. Nach meiner Rosi muss ich auch noch sehen. Ich möchte sie nicht alleine lassen, wenn ich nicht sicher bin, dass es ihr gutgeht.