6. Kapitel

 

18. September, nachmittags halb fünf in Straubing

 

Ich fahre Hansi zurück ins Revier. Dabei gehe ich noch mit ins Büro, auch wenn ich nicht glaube, dass die Kollegen heute schon Ergebnisse für uns haben. Dort angekommen treffen wir auf Simone, die fleißig arbeitet.

„Wir wissen schon, wer unser Opfer ist“, eröffnet sie uns. „Es handelt sich um Helmut Kramer. Er war 42 Jahre alt und nicht verheiratet.“

„Wie hast du das so schnell herausbekommen?“, hake ich nach.

„Das war Zufall“, antwortet sie. „Ein Kollege hat ihn erkannt und wusste seinen Namen.“

„Und wusste der Kollege auch wer der Täter sein könnte?“, frage ich sie.

„Er kennt ihn lediglich aus der Nachbarschaft und weiß nichts von Feinden oder Streitigkeiten“, antwortet sie.

„Gibt es eine Partnerin?“, fragt Hansi.

„Auch das wusste der Kollege nicht. Auf jeden Fall ist er alleine in seiner Wohnung gemeldet“, erklärt sie. „Es gibt nur ein lediges Kind, welches bei der Mutter lebt.“

„Wie alt ist das Kind?“, hake ich nach.

Simone tippt auf ihrer Tastatur.

„Es ist eine Tochter und sie ist dreizehn Jahre alt“, liest sie vor.

„Vielleicht hat ja der Mord etwas mit der Mutter seiner Tochter zu tun“, sagt Hansi nachdenklich. „Eifersucht ist doch auch oft das Mordmotiv.“

„Das denke ich eher nicht, denn die beiden haben nie zusammengelebt“, entgegnet Simone. „Wenn es um Eifersucht gegangen wäre, dann doch schon gleich während der Schwangerschaft oder spätestens nach der Geburt des Kindes.“

„Vielleicht gab es ja Streit ums Geld. Nicht bezahlte Alimente oder dergleichen“, schlage ich vor.

„Das wäre natürlich eine Möglichkeit“, murmelt Simone.

„Dann sollten wir mit der Mutter reden“, sagt Hansi.

„Ich rufe sie gleich mal an und mache einen Termin für morgen aus“, erwidert Simone und greift zum Telefon.

Das Gespräch dauert nicht lange und als Simone den Hörer auflegt, nickt sie uns zu.

„Morgen um neun Uhr ist sie zu Hause und wir können vorbeikommen“, informiert sie uns.

„Jetzt müssen wir noch die armen Eltern informieren“, seufzt Simone.

„Könnt ihr das ohne mich machen?“, frage ich die beiden. „Ich würde gerne nach meiner Rosi sehen. Das Auffinden der Leiche hat sie ganz schön verschreckt.“

„Natürlich, fahr du zu Rosi!“, antwortet Simone. „Hansi und ich machen das schon.“

Ich verabschiede mich von den beiden. Es ist ja nicht gelogen, dass ich nach meiner Frau sehen möchte. Allerdings kann ich auf den Besuch bei den Angehörigen und der Überbringung dieser schrecklichen Tat wirklich gerne verzichten. Das sind die schlimmsten Momente unserer Arbeit. Doch Simone macht das wirklich gut. Sie ist bei diesen Dingen immer sehr einfühlsam und kann wirklich gut mit Menschen umgehen.

Als ich kurz darauf zu Hause ankomme, sitzt meine Frau auf der Terrasse bei einem Glas Wein. Sie wirkt ziemlich gefasst und ich hoffe es liegt nicht daran, dass sie schon ein paar Gläser Wein intus hat. Das wäre nämlich wirklich ein Hinweis auf ein schweres Trauma, denn meine Frau trinkt nie übermäßig viel.

„Na, wie geht es dir?“, frage ich sie, als ich die Terrasse betrete.

„Wieso, wie soll es mir denn gehen?“, entgegnet sie stirnrunzelnd.

„Ich hatte den Eindruck, als hätte dich der Anblick der Leiche ganz schön schockiert.“

„Angenehm war es nicht“, brummt sie zustimmend.

Sie greift nach ihrem Glas und nimmt einen Schluck daraus. Ich mustere sie eingehend, als ich neben ihr sitze.

„Was siehst du mich jetzt so an?“, fragt sie stirnrunzelnd.

„Wie viel von denen hast du denn schon getrunken?“

Ich weiß sehr wohl, dass ich mich mit dieser Frage auf gefährliches Terrain begebe. Immerhin mag es meine Frau gar nicht, wenn man sie bevormundet, auch wenn ich das gar nicht tue. Ihre Auffassung davon ist jedoch oftmals eine andere.

„Was soll diese Frage?“, entgegnet sie mit gefährlichem Unterton in der Stimme.

„Ich mache mir doch nur Sorgen“, entgegne ich.

„Weshalb?“, erwidert sie. „Etwa, weil ich zu viel trinke?“

„Hast du denn zu viel getrunken?“, hake ich nach.

Mir ist sehr wohl bewusst, dass diese Situation sich ganz schnell zu einem handfesten Streit entwickeln könnte. Dennoch stelle ich mich todesmutig der Gefahr.

„Das ist mein erstes Glas“, antwortet sie schließlich seufzend.

Offensichtlich hat sie nicht vor, mich für meine Fragen zu verurteilen. Vielleicht ist ihr bewusst, dass ich mir wirklich nur Sorgen um sie mache und das ist doch eigentlich ein Beweis der Zuneigung. Sie ist mir wichtig und das sollte sie mir hoch anrechnen. Oder zumindest überhaupt anrechnen und nicht zum Vorwurf machen. Offensichtlich sieht sie das genauso.

Zumindest bin ich erleichtert, denn nun wirkt meine Frau im Vergleich zu heute Mittag schon viel gefasster. Rosi hat eine kräftige Natur und steckt es gut weg. Das beruhigt mich ungemein, denn mit einem Trauma ist wirklich nicht zu spaßen.

„Du hast dir also Sorgen um mich gemacht?“, sagt Rosi schmunzelnd.

„Natürlich, immerhin ist das Auffinden eines Mordopfers eine außergewöhnliche Situation.“

„Ich war tatsächlich ziemlich schockiert“, gibt sie schließlich zu. „Aber jetzt habe ich mich schon wieder beruhigt. Es war nur der erste Schock.“

„Gut, dann hole ich mir jetzt auch ein Glas Wein und wir stoßen auf den Schock an.“

„Mach das!“, stimmt sie mir zu.

Ich gehe in die Küche, wo die Flasche Wein auf der Arbeitsplatte steht. Nachdem ich mir ein Glas eingeschenkt habe, werfe ich einen Blick in den Kühlschrank. Es ist nicht so, dass ich schon wieder starken Hunger hätte, aber eine Kleinigkeit zum Wein könnte ich schon vertragen.

„Ich habe mir schon gedacht, dass du dich nicht nur mit einem Glas Wein zufriedengibst.“

Erschrocken fahre ich herum. Meine Frau steht in der Tür und sieht mich mit einem wissenden Gesichtsausdruck an.

„Musst du dich denn immer so anschleichen?“, frage ich vorwurfsvoll und schlage meine Hand theatralisch an die Brust.

„Ich habe mich nicht angeschlichen“, entgegnet sie. „Du bekommst nur nichts mehr rund um dich mit, sobald du in den Kühlschrank schaust.“

„Stimmt ja gar nicht“, murmle ich schmollend.

Rosi lächelt und sieht mich kopfschüttelnd an.

„Lass mich mal ran!“, fordert sie. „Ich mache uns etwas zu Essen, immerhin haben wir heute nur das späte Frühstück zu uns genommen.“

Es wäre wohl an der Zeit, um ein Geständnis abzulegen. Immerhin habe ich seitdem sehr wohl noch etwas gegessen und das nicht einmal wenig. Andererseits würde Rosi dann wohl nichts mehr kochen und ich möchte schließlich verhindern, dass sie ohne anständige Mahlzeit den Tag beendet. Daher schweige ich und mache Rosis Arbeitsbereich frei.