19. September, mittags halb eins in Straubing
„Jetzt gehen wir aber erstmal was essen“, schlage ich vor, denn mein Magen meldet sich schon mit einem lauten Knurren.
Wir haben bereits mit zwei der Teams gesprochen und alle bestätigen die Aussage des Firmeninhabers. Offensichtlich handelt es sich hier um eine absolute Ausnahmefirma, denn alle versichern, dass es weder Streit noch Missgunst unter den Kollegen oder mit dem Chef gibt. Auch das Verhältnis zu unserem Opfer bestätigen alle übereinstimmend als angenehm und gut.
Gerade als wir es uns in einem Biergarten gemütlich machen wollen, ziehen sich dicke schwarze Wolken über uns zusammen. Misstrauisch wirft Hansi einen Blick zum Himmel, während Simone ihr Handy zückt.
„Ich befürchte es wird gleich regnen“, brummt Hansi.
„Wir sollten reingehen, meine App sagt, dass es gleich anfängt“, stimmt Simone ihm zu.
„Du immer mit deiner App. Vertrau einem alten Wetterfrosch wie mir!“, entgegne ich entschlossen und sehe nach oben. „Die Wolken ziehen nur vorbei. In ein paar Minuten scheint wieder die Sonne.“
Simone zieht ihre rechte Augenbraue in die Stirn und sieht mich misstrauisch an. Offensichtlich traut sie ihrer App mehr als mir. Zumindest scheint sie nicht sehr von meinen Worten überzeugt zu sein.
„Wir können ja sicherheitshalber einfach reingehen“, schlägt Hansi vor, der offensichtlich auch an meinen Wettervorhersagen zweifelt.
„Bei dem tollen Wetter gehen wir doch nicht rein. Endlich haben wir mal angenehme Temperaturen und keine unerträgliche Hitze und ihr wollt euch ins Gebäude setzen“, protestiere ich.
„Also gut, wenn du meinst“, gibt Hansi schließlich nach und setzt sich neben mich.
So wie es aussieht haben wir auch Simone überzeugt, denn sie lässt sich gegenüber von mir nieder.
„Aber wehe mir regnet es ins Essen!“, sagt Hansi warnend.
Vielleicht sollte es mich beunruhigen, dass sich die anderen Gäste nach und nach verziehen und in die Gaststube flüchten. Offensichtlich besitzen sie alle diese komischen Apps, die nur Unwahrheiten verbreiten und die Leute in die Irre führen.
Wir bleiben standhaft, auch als die Kellnerin an unseren Tisch kommt, und uns darauf hinweist, dass in der Gaststube auch noch Plätze frei wären.
„Mein Kollege ist der festen Überzeugung, dass es nicht regnen wird“, erwidert Simone. „Daher möchten wir gerne draußen sitzen bleiben.“
„Wie ihr wollt“, murmelt die junge Frau schulterzuckend und nimmt unsere Bestellung auf.
„Ich nehme ein Wasser, das verwässert bei Regen nicht“, sagt Simone amüsiert.
Daraufhin werfe ich ihr einen tadelnden Blick zu, den sie schmunzelnd ignoriert.
Als ein paar Minuten später unsere Getränke kommen, haben sich die dunklen Wolken noch nicht verzogen. Vielmehr sind die vorhandenen noch dunkler geworden. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass ich mit meiner Einschätzung richtig liege. Es dauert wohl einfach etwas länger, bis die Wolken verschwinden. So lange es trocken bleibt bin ich vollends zufrieden.
Auch als unser Essen an den Tisch kommt ist noch alles in Ordnung. Von Regen gibt es da keine Spur. Genauso wie ich es vorhergesagt habe. Hungrig greife ich nach meinem Besteck und schneide ein Stück von meinem Schnitzel ab. Es schmeckt wirklich köstlich und nicht nur das Schnitzel, sondern auch die Bratkartoffeln sind wirklich lecker. Hansi hat ebenfalls das Schnitzel bestellt, während sich Simone für das Tagesfischgericht entschieden hat.
Leider verlässt mich das Glück, noch bevor ich meinen Teller zur Hälfte geleert habe. Mit einem Mal öffnen sich die Tore des Himmels und es fängt ohne Vorwarnung an zu schütten. Neben uns ist nur noch ein einziger Tisch besetzt. Das junge Paar hat allerdings nur etwas zu trinken vor sich stehen. Sie halten schnell ihre Hände über die Gläser und laufen ins Innere des Gebäudes.
„Ich habe ja gesagt, dass es gleich regnet“, brummt Simone, während sie das Besteck in ihren Teller wirft und mit ihrem Glas und dem Teller ebenfalls ins Gebäudeinnere verschwindet.
Hansi wirft mir einen finsteren Blick zu, während er seinen Teller und das Glas ebenfalls versucht zu retten. Fluchend tue ich es meinen Kollegen gleich. Als wir schließlich im Schutz des Gebäudes in der Gaststube unterkommen, setzen wir uns an einen freien Tisch in der Mitte. Belustigte Blicke sind uns dabei gewiss.
Als ich meinen Teller auf dem Tisch abstelle und mich auf den Stuhl setze, sieht Hansi mich mit zusammengekniffenen Augen vorwurfsvoll an.
„Es regnet ganz bestimmt nicht“, äfft er mich nach. „Vertraut mir, ich bin ein alter Wetterfrosch.“
„Ich kann jetzt auch nichts dafür, dass sich das Wetter plötzlich gedreht hat“, verteidige ich mich.
„Plötzlich gedreht“, lacht Hansi freudlos aus. „Es war ein Wunder, dass es so lange gehalten hat.“
„Ist ja nicht so schlimm, wir sind ja jetzt im Trockenen“, versucht Simone die Situation zu beruhigen.
„Du redest dich da leicht. Immerhin isst du Fisch, bei dem ist es egal, wenn er ein bisschen Wasser abbekommt. Der fühlt sich im Wasser wohl“, brummt er. „Mein Schnitzel ist jetzt völlig durchgeweicht und auch die Bratkartoffeln sind kalt und lapprig.“
Leider muss ich ihm recht geben. Dem Schnitzel mit Bratkartoffeln hat der Regen tatsächlich nicht gutgetan. Dennoch muss er sich jetzt nicht so aufregen.
„Das bisschen Wasser wird dich nicht umbringen“, murmle ich.
Leider war es tatsächlich nicht nur ein bisschen Wasser. Es hat von einem Moment auf den anderen wie aus Eimern geschüttet. Wer hätte das auch schon ahnen können?
Die Stimmung ist natürlich dahin und von einem genussvollen Essen kann keine Rede mehr sein. Das Schnitzel ist kalt und feucht, dennoch esse ich es tapfer auf. Ich werde mir ganz sicher nicht die Blöße geben und davon etwas liegenlassen. Immerhin ist es meine Schuld, dass nicht nur unser Essen, sondern auch unsere Klamotten einiges abbekommen haben.
Wie kann man nur binnen so wenigen Sekunden so durchnässt sein?
Wer hätte ahnen können, dass es plötzlich so stark regnet?
Normalerweise fängt es erst an zu tröpfeln. Dann hätten wir massig Zeit gehabt noch alles ins Trockene zu retten. Den Rest unseres Essens verbringen wir ziemlich wortkarg. Hansi beißt ziemlich hoch und man sieht ihm deutlich an, dass es ihm so gar nicht mehr schmeckt. Natürlich würde ich es nie öffentlich zugeben, doch ich verstehe ihn. Mit Genuss hat das wirklich nichts mehr zu tun.
Simone hingegen lässt sich nichts anmerken. Sie isst tapfer ihren Teller leer, wobei es auch den Anschein hat, dass sie es noch mit Genuss isst. Vermutlich war ihre Essensauswahl heute die bessere Idee. Ich könnte mich in den Hintern beißen, dass ich so stur war. Hätte ich nur einfach den Mund gehalten, und wäre mit meinen Kollegen in die Gaststube gegangen, noch bevor wir überhaupt etwas bestellt haben.