17. Kapitel

 

20. September, nachmittags halb drei in Straubing

 

Wir sitzen mit der Tochter und deren Mutter im Wohnzimmer ihrer Wohnung und hören uns die Geschichte des Kindes an.

„Erzähle den Leuten von der Polizei doch bitte, was dein Vater dir über die Erbschaft erzählt hat!“, fordert ihre Mutter sie auf.

„Papa hat mir erzählt, dass er jetzt dann genügend Geld hätte, um mit mir schön in den Urlaub zu fahren. Er hat mir auch versprochen mit mir den Freizeitpark zu besuchen“, erwidert die Tochter.

Die Trauer ist dem Kind deutlich anzumerken. Sie hat ihren Vater offensichtlich sehr geliebt.

„Aber du hast deiner Mama nichts davon erzählt?“, fragt Simone.

Sie schüttelt den Kopf.

„Ich musste ihm versprechen, dass ich Mama nichts von der Erbschaft erzähle“, antwortet sie zögerlich.

„Und an das Versprechen hast du dich gehalten?“, hakt Simone nach.

Wir überlassen ihr die Befragung des Mädchens. Ihr fällt es aufgrund ihres Geschlechts einfach leichter, das Vertrauen der Kleinen zu gewinnen. Es ist auch deutlich zu erkennen, dass ihr das Gespräch nicht unangenehm ist. Zumindest nicht mehr, als es in diesem Moment absolut nötig ist.

Das Mädchen nickt heftig, als wolle sie versichern, dass sie das Versprechen an ihren Vater nicht gebrochen hat.

„Ich habe Mama nichts davon erzählt, bis sie mich heute gefragt hat. Da konnte ich sie einfach nicht anlügen.“

„Es wusste also niemand außer dir von dem Geld, das dein Papa geerbt hat?“

Simone schenkt ihr ein aufmunterndes Lächeln, als das Mädchen sie etwas verschreckt bei der Frage ansieht. Sie presst die Lippen aufeinander, bis man nur noch einen dünnen Strich sieht. Das ist ein deutliches Zeichen, dass sie ein Geheimnis diesbezüglich hat. Hoffentlich ist das Mädchen bereit uns davon zu erzählen.

„Papa sagte ja, ich dürfte es nur nicht Mama erzählen und ich wollte wirklich sonst auch niemandem davon erzählen, aber einmal ist mir was rausgerutscht“, antwortet sie schließlich zögerlich.

Ihr Vergehen ist ihr sichtlich unangenehm. Dennoch ist sie bereit uns davon zu erzählen. Das zeugt davon, wie wichtig ihr das Verhältnis zu ihrem Vater war und somit auch die Aufklärung seines Todes.

Die Augen der Mutter weiten sich. Offensichtlich hat ihre Tochter ihr davon nichts erzählt.

„Schatz, wem hast du denn davon erzählt?“, fragt diese überrascht.

Die Kleine sieht ihre Mutter stirnrunzelnd an. Dabei beißt sie sich auf die Unterlippe und hat offensichtlich ein schlechtes Gewissen. Welches Geheimnis hat dieses Mädchen nur?

„Jetzt sag schon!“, fordert er Mutter nachdrücklich.

„Aber du darfst nicht mit mir schimpfen!“, erwidert das Mädchen und sieht ihre Mutter dabei flehend an.

„Ich werde nicht mit dir schimpfen“, entgegnet die Mutter mit einem beruhigenden Lächeln. „Versprochen!“

„Melinda“, murmelt sie schließlich.

Die Augen ihrer Mutter weiten sich.

„Wer ist Melinda?“, frage ich neugierig.

„Melinda ist meine Freundin“, antwortet die Mutter nach kurzem Zögern.

Dabei sieht sie sehr besorgt und erschüttert aus.

Ich kann nicht sagen, was sie mehr bestürzt. Die Tatsache, dass ihre Tochter sich dieser Melinda anvertraut hat, oder jene, dass eben diese Freundin ihr nichts von dem Geheimnis ihrer Tochter erzählt hat. Fragend sehe ich zu Simone, denn ich bin mir nicht sicher, was die Frau mit Freundin genau meinte. Eine Freundin, mit der man ab und zu was trinken geht und Geheimnisse tauscht, so wie es Frauen oft tun, oder hatte sie mit der Frau eine Beziehung?

„Wieso hast du denn mit Melinda darüber gesprochen?“, hakt Simone nach.

„Sie war so traurig, weil sie Geld brauchte. Da wollte ich sie trösten und habe gesagt, dass ich mit meinem Papa reden würde, ob er ihr das Geld gibt“, gesteht sie.

„Und was hat Melinda da gesagt?“, fragt ihre Mutter nach und übernimmt somit die Befragung der Kleinen für uns.

Vermutlich ist dies auch besser, denn der eigenen Mutter wird das Mädchen sich sicherlich eher anvertrauen, als fremden Menschen, wie wir es für das Kind sind.

„Sie hat gesagt, dass mein Papa nicht genügend Geld hätte, um ihr helfen zu können“, sagt das Mädchen schulterzuckend.

„Und dann hast du ihr von der Erbschaft erzählt?“, hakt Simone nach.

Die Kleine nickt und sieht dabei beschämt zu Boden.

„Ich wollte es nicht, aber es ist mir einfach rausgerutscht, als Melinda so traurig war.“

„Das macht doch nichts, Süße“, sagt ihre Mutter und legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.

Simone nickt der Mutter zu, die daraufhin ihre Tochter aus der Befragung entlässt und sie in ihr Zimmer schickt, um die Hausaufgaben zu erledigen.

„Wohnt Melinda bei Ihnen?“, fragt Simone die Mutter, als die Tochter den Raum verlassen hat.

Die Mutter schüttelt den Kopf.

„Nein, aber sie ist natürlich sehr oft bei uns“, antwortet sie.

„Also kennt Ihre Tochter sie sehr gut und hat auch Vertrauen zu ihr?“, hakt Hansi nach.

„Ja, wir sind schon seit etwas mehr als zwei Jahren zusammen und die beiden verstehen sich wirklich gut“, versichert sie. „Dennoch verstehe ich nicht, warum Melinda mir nichts davon erzählt hat.“

Den letzten Satz hat sie nur noch gemurmelt und ihn mehr zu sich selbst, als zu uns gesagt. Offensichtlich ist sie überaus enttäuscht von dem Verhalten ihrer Freundin und so wie es aussieht fragen nicht nur wir uns, warum Melinda ihrer Freundin so ein Geheimnis verschwiegen hat.

„Wir sollten mit Ihrer Freundin reden“, schlage ich vor.

„Sie ist gerade bei ihren Eltern zu Besuch und kommt erst morgen zurück“, erzählt sie uns.

„Wie lange ist sie denn schon bei den Eltern?“, fragt Simone.

„Erst seit gestern“, antwortet sie.

Dann könnte sie vor ihrer Abreise den Mord noch begangen haben. Allerdings müsste sie dafür eine verdammt gute Schützin sein.

„Was macht denn Melinda beruflich?“, hakt Simone nach, die offenbar den gleichen Gedanken hatte.

„Sie ist Postzustellerin“, antwortet sie.

„Hat sie etwas mit Waffen zu tun?“, frage ich nach.

„Sie glauben doch nicht etwa, dass meine Freundin etwas mit dem Tod von Helmut zu tun hat?“, fragt sie aufgebracht.

„Wie es aussieht, war sie die Einzige, die von der Erbschaft wusste und einen Nutzen aus dem Tod von Herrn Kramer hat, wenn auch nicht im direkten Sinn“, erklärt Simone.

„Und welchen Nutzen hätte sie aus seinem Tod?“, fragt die Mutter vorwurfsvoll und sieht uns dabei nacheinander finster an.

„Ihre Tochter ist die Erbin von Herrn Kramer und Sie als Ihre Mutter, werden das Geld verwalten, bis sie volljährig ist. Somit haben Sie vollen Zugriff auf das Geld. Vielleicht hat Ihre Freundin gedacht, Sie würden Ihr von dem Geld etwas abgeben“, erklärt Simone.

Die Frau schüttelt heftig den Kopf.

„Das kann ich mir nicht vorstellen. So ist Melinda nicht“, murmelt sie. „Und um Ihre Frage zu beantworten. Melinda hat nichts mit Waffen am Hut und kann damit auch nicht umgehen.“