21. September, abends halb sechs in Straubing
Ohne Ergebnisse kommen wir zurück in unserem Revier an. Wir haben die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt, doch weder eine Waffe, noch sonstige Beweise gefunden, die Melinda als Täterin überführen würden. Nicht einmal ein kleiner Hinweis, dass sie auch nur das Geringste damit zu tun haben könnte.
„Also, wir haben keine Waffe in ihrer Wohnung gefunden, außerdem glaube ich nicht, dass sie eine so gute Schützin ist, um einen so präzisen Schuss abzufeuern“, murmelt Simone.
Man kann in ihrer Stimme Resignation vernehmen. Sie ist es leid, dass jeder einzelne Verdacht ins Leere läuft. Es muss einen Weg geben, um den Täter zur Strecke zu bringen.
„Vielleicht hat sie ja einen Auftragsmörder engagiert“, schlage ich vor.
„Ein solcher möchte ja bezahlt werden“, sagt Hansi mit gerunzelter Stirn. „Wir sollten ihre Kontoauszüge überprüfen.“
Zustimmend nicke ich und Simone greift zum Hörer, um die Kollegen mit dieser Aufgabe zu betreuen. Anschließend beschließen wir für den heutigen Tag Feierabend zu machen, in der Hoffnung, dass wir morgen neue Erkenntnisse erhalten.
Auf dem Heimweg halte ich noch beim Leitner Xaver, um mir einen Presssack mitzunehmen. Ich brauche jetzt eine Kleinigkeit zu essen, die nichts mit Rosis Gesundheitsessen zu tun hat. Wobei so ein Presssack doch eigentlich gar nicht so schlecht ist. Immerhin besteht er lediglich aus Gelatine und etwas Fleisch.
Natürlich ist es nicht vegetarisch, aber das sollte mir Rosi nachsehen. Immerhin bin ich frustriert und brauche etwas zur Nervenberuhigung. Es ist ja nicht einmal Schokolade!
Als ich bei der Metzgerei meines Freundes ankomme, ist es kurz vor Ladenschluss. Zum Glück habe ich noch ein paar Minuten.
„Magst du mir noch einen Presssack aufschneiden?“, frage ich die junge Auszubildende, die erst vor ein paar Tagen hier angefangen hat.
„Ich habe die Maschine schon geputzt“, sagt sie und sieht mich dabei mit großen Augen flehend an.
Das bedeutet wohl, ich sollte auf meine Bestellung verzichten, um ihr Arbeit zu ersparen. Natürlich könnte ich jetzt auf meinen geschnittenen Presssack bestehen, aber ich bin ja kein Unmensch.
„Dann schneist mir einfach eine dicke Scheibe mit dem Messer ab“, erwidere ich daher.
Sie schenkt mir ein dankbares Lächeln und macht sich geschäftig an die Arbeit.
„Passt es so?“, fragt sie, als sie das Messer etwa zwei Zentimeter vom Anfang der Presssackrolle ansetzt.
„Darf ruhig ein bisschen mehr sein“, erwidere ich und deute ihr mit einer Handbewegung an, sie solle das Messer noch ein Stück verrutschen.
Schließlich soll es nicht nur ein Appetithäppchen sein, sondern eine anständige Mahlzeit. Als sie lediglich einen halben Zentimeter hinzugibt, winke ich mit meinen Fingern noch etwas zur Seite. Erneut verrutscht sie das Messer, bis ich schließlich mit der Presssackscheibe zufrieden bin. Erst dann nicke ich ihr zu, woraufhin die junge Frau die Schneide durch den Presssack gleiten lässt.
„Darf es sonst noch etwas sein?“, fragt sie freundlich, während sie die Scheibe abwiegt und einpackt.
Ich bin schon dabei dankend abzulehnen, doch dann sehe ich in der Auslage ein Leberkäseeck. Das ist das Endstück des Leberkäses, was ich am Allerliebsten mag. Wie soll ich denn da widerstehen?
„Das Leberkäseeck nehme ich auch noch“, entweicht es meinen Lippen, ohne dass ich es aufhalten kann. „Dann haben wir es.“
Kurz darauf komme ich zu Hause an und werde von meiner Frau schon mit einem gedeckten Terrassentisch erwartet. Ein Glück, dass die Temperaturen endlich wieder erträglich sind. Wenig überraschend hat meine Frau jedoch lediglich eine große Schüssel Salat vorbereitet. Wenn ich genau hinsehe, stelle ich fest, dass sich darin auch noch ein paar Streifen Geflügelfleisch befinden.
Ich lege die Papiertüte mit dem Presssack und dem Leberkäse auf den Tisch.
„Was ist das?“, fragt Rosi und sieht mich vorwurfsvoll an.
„Ich habe noch einen Stopp beim Leitner eingelegt“, entgegne ich schulterzuckend.
„Warum hast du denn beim Metzger was gekauft. Ich habe doch extra einen Salat mit Putenstreifen gemacht.“
Der Vorwurf in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
„Mir war nur so nach Presssack“, entgegne ich schulterzuckend und öffne die Metzgertüte. „Natürlich esse ich auch etwas von deinem Salat.“
Rosi sieht mich tadelnd an und schüttelt ihren Kopf.
„Ja, zwei Gabeln oder so“, brummt sie seufzend.
Als ich das erste Wurstpaket aus der Tüte hole und aufmache, habe ich das Leberkäseeck in der Hand.
„Das sieht aber nicht aus wie ein Presssack“, sagt sie mit tadelnder Miene.
„Der Leberkäse ist für morgen“, erwidere ich. „Der hat mich nur so angelacht, da musste ich das kleine Eck mitnehmen.“
„Kleines Eck“, sagt sie zynisch. „Das sieht mir eher nach einer doppelten Portion aus.“
„Also für eine doppelte Portion ist das definitiv zu wenig“, antworte ich und schüttle den Kopf.
Sie rollt mit den Augen und nimmt den Leberkäse an sich, um ihn ins Haus zu tragen und vermutlich im Kühlschrank zu verstauen. Bevor sie zurückkommt schnappe ich mir den Presssack und fange an davon zu essen. Nicht, dass meine Frau noch entscheidet, das Stück wäre für eine Portion auch zu groß.
Natürlich lade ich mir auch eine Portion von Rosis Salat auf den Teller, damit sie sich nicht wieder beschweren kann. Außerdem verdecke ich damit einen Teil des Presssacks und es sieht nicht mehr so viel aus.
Schon von weitem sehe ich Rosi auf mich zukommen und ich stecke mir noch schnell ein großes Stück Presssack in den Mund. Rosi wirft einen misstrauischen Blick auf meinen Teller. Überraschenderweise sagt sie nichts Negatives, sondern setzt sich einfach zu mir an den Tisch und füllt sich ihren Teller mit Salat.
„Möchtest du auch ein Stück von dem Presssack?“, frage ich sie anstandshalber, denn ich weiß, dass meine Frau keinen Presssack mag.
„Ja, ein kleines Stück mag ich probieren“, antwortet sie jedoch völlig überraschend.
Mein Kinn klappt auf und für einen Moment bin ich sprachlos, denn mit dieser Antwort habe ich wahrlich nicht gerechnet. Daher dauert es auch eine Weile, bis ich meinen Verstand wiederfinde und das Messer an meinem geliebten Presssack ansetzte.
„So?“, frage ich und setze das Messer bei etwa einem Bissen an.
Gut, es ist ein recht kleiner Bissen, aber immerhin hat sie gesagt, sie möchte lediglich probieren.
„Ruhig ein bisschen mehr!“, fordert sie und ich weiß genau, dass sie mich damit nur ärgern möchte.
Sie mag eigentlich gar keinen Presssack und jetzt möchte sie plötzlich ein großes Stück davon abhaben?
Ich schiebe das Messer etwas weiter und schneide dann einfach ein Stück ab, ohne sie erneut zu fragen, ob es genug ist. Schmunzelnd hält sie mir ihren Teller entgegen.